Reisen im Kongogebiet

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Nach einer Besichtigung der Baulichkeiten, des Versuchs eines Gartens, des Kirchhofes und der näheren Umgebung des Platzes, der auf einer Hügelabflachung etwa 100 Meter über dem Strom gelegen ist, nahmen wir mit Dank das Anerbieten des Colonel an, uns in einem Dampfboot zu unserer Missionsstation zurückzuführen, die wir nach einer Fahrt von fünfzehn Minuten erreichten, während unsere Leute mit dem steuerlosen Boot erst sehr viel später dort eintrafen.
In Tondoa begrüßte uns Premierleutnant Kund, der im Laufe des Nachmittags dieses Tages (2. Dez.) nebst Leutnant Tappenbeck mit großen Warenvorräten, die er im holländischen Hause in Banana gekauft hatte, in Ango-Ango eingetroffen war und dort, um die Mission von Tondoa nicht zu sehr zu belasten, seinen Aufenthalt genommen hatte. Er brachte auch die zwanzig jugendlichen Loangos mit, die es gelungen war mit Mr. Combers Unterstützung auf ein Jahr zu engagieren.
Wir konnten dagegen die erfreuliche Mitteilung machen, daß bereits vor zwei Tagen ein Brief von Mr. Weeks aus San Salvador eingetroffen war, nach welchem der König von Kongo unsere Geschenke erhalten hatte und uns dafür seinen Dank aussprechen ließ. »Er würde sehr bald seinen Sohn mit Trägern zu uns entsenden, um uns zur Residenz zu führen; er habe auch Boten zum großen Kiamwo geschickt, die wegen unseres Besuches dort anfragen sollten«. Letzteres erwies sich übrigens später als unwahr, auch die für Kiamwo bestimmten Geschenke waren in die Koffer des Totila von Konto, denn so ist der Titel dieses Großkönigs, gewandert.
Wir gingen nun an die Umpackung des Gepäcks und der Waren, von denen wir einen großen Teil zu Wasser von Ango-Ango nach Tondoa führten, in Trägerlasten, die im Gewicht von circa sechzig Pfund angefertigt wurden. Durch Kornelius und die Loangoleute, von denen wir die größere Mehrzahl für Tondoa übernahmen, ließ ich die Stoffe, die verschiedenen Sorten Perlen, alte Uniformstücke und Regenschirme, Hüte und viele als Geschenke zu verwendende Kleinigkeiten, als Metallglöckchen, Spiegel, Angelhaken, Nähnadeln und Zwirn, Messer u.s.f. in wassergeschützte Ballen packen und einnähen und fertigte zu jedem derselben Verzeichnisse an. Ferner gab es Bettstellen und Zelte, Stühle und Decken zu verpacken; viele Sachen mußten in tragbare Kisten und Koffer untergebracht werden, wie die Kücheneinrichtung, die persönliche Ausrüstung, die Munition für die Gewehre, die Vorräte an Konserve, Bücher und Schreibmaterialien, Preßpapier und Pressen, Sammelgläser und Spiritus, Streichhölzer und Tabak – kurz alle jene tausend Dinge, die uns für die Inlandreise nötig zu sein schienen.
Als recht nützlich und anstellig erwies sich bei diesen Arbeiten ein älterer Zögling der Mission, Malewo, ein Sohn des Königs von Kongo. Malewo, oder – um ihm seinen angestammten Titel nicht vorzuenthalten – Prince Henrique d’Agua Rosada, war schon seit fünf oder sechs Jahren in der englischen Baptistenmission, in der er recht gut englisch zu sprechen, lesen und auch etwas zu schreiben gelernt hatte. Er konnte seine Muttersprache, das Fiote der Kongesen, lesen und schreiben und verstand Portugiesisch.
Er wußte ferner einige Hymnen in Englisch und Fiote zu singen und hatte sich bei den Missionaren daran gewöhnt, Beinkleider, Strümpfe und Stiefel zu tragen – kurz er erwies sich mit seinen sechzehn oder siebzehn Jahren als ein recht gebildeter junger black gentleman. Anfänglich im Missionshause zu San Salvador erzogen, war er mehrfach auch in Begleitung seiner Lehrer zum Kongo gekommen und verstand infolgedessen manches von der Art und Weise des Reisens weißer Leute und von ihren Bedürfnissen. Er wußte die Speisen für europäische Gaumen erträglich zuzubereiten und benutzte selbst bisweilen Teller und Tischgeräte, er verstand Zelte und Betten aufzuschlagen und wieder ordnungsgemäß einzupacken, er konnte bis zu einem gewissen Grade unser Bedürfnis nach Wäsche begreifen und reinigte manchmal sogar die seine – er besaß in der Tat so viele nützliche Kenntnisse, daß ich Mr. Hughes bat, den jungen Menschen entlassen zu wollen, wenn derselbe geneigt sein sollte, in die Dienste der Expedition und zwar als mein persönlicher Boy zu treten. Wider Erwarten fand ich Mr. Hughes dazu bereit, er würde sogar nicht einmal das Fortgehen des jungen Malewo bedauern, dessen Brauchbarkeit für uns er zwar anerkannte, vor dessen Charakter zu warnen er sich aber verpflichtet fühlte. Derselbe habe sich bei verschiedenen Missionaren als unzuverlässig und unehrlich erwiesen, er sei von versteckter und eigennütziger Gemütsart.
Ich glaubte diesen Eigenschaften im Innern des Landes, wo er auf mich angewiesen sein würde, entgegentreten zu können und engagierte den jungen Prinzen vorläufig nur für die Reise nach San Salvador. Malewo schien hocherfreut von der Aussicht reisen zu können – die Eingeborenen zeigen einen sehr ausgeprägten Wandertrieb – und versprach seinem bisherigen Herrn, Mr. Hughes, der Mission, in der er erzogen worden sei, keine Schande zu machen, sondern sich als treuen und nützlichen Diener zu zeigen.
Am Sonntag den 7. Dezember machten sich die Herren Kund und Tappenbeck in der Frühe auf, um von Ango-Ango auf den linksseitigen Uferbergen zum Mposu zu gehen und von der an der Einmündung dieses Flusses in den Kongo gelegenen Station der Assoziation sich nach Vivi übersetzen zu lassen. Begleitet von nur einigen der eben engagierten Loangoboys, vermieden sie den gebräuchlichen über Tondoa an den Mposu führenden Weg, sondern gingen quer über das steinige Terrain, in dem das Gras noch niedrig stand, Hügel auf Hügel ab. Nach zwei oder drei Stunden in die Nähe eines Dorfes gelangt, ließen sie dieses zur Seite liegen, um durch eine Talsenke ihren Marsch fortzusetzen. Bewaffnete Eingeborene kamen jetzt aus jenem Dorf hervor, den Herren laut und drohend zurufend, und, als sich diese nicht darum kümmerten, sie verfolgend. Die Zahl der Verfolger vermehrte sich zusehends und den Drohungen folgten Gewehrschüsse, die freilich der weiten Entfernung halber keine unmittelbare Gefahr boten. Als die Schüsse aber häufiger fielen und die Verfolger sich beständig näherten, suchten die Herren die Gegner, deren Gebaren sie durchaus nicht verstanden, durch pantomimische Drohungen zurückzuschrecken. Diese blieben indessen ohne Erfolg und die Verfolgung währte bereits einige Stunden, als Leutnant Tappenbeck endlich drei Schüsse abgab, den ersten über die Köpfe der Angreifer hinweg, die beiden letzten auf diese selbst. Die Verfolger blieben nun zurück und unsere Herren kamen sehr erschöpft aber unverwundet an den Mposufluß, auf dessen jenseitigem Ufer die Station gelegen ist. Der Chef derselben kam freilich ans Ufer, konnte aber nur sein Bedauern aussprechen, aus Mangel eines Kanus die Herren nicht zu seiner Station überfahren lassen zu können. Da dieselben der Feinde halber nicht an der weiter oberhalb gelegenen Fährstelle der Eingeborenen den Fluß kreuzen konnten, die sehr reißende Strömung aber ein Durchschwimmen zu Unmöglichkeit machte, hißte der Stationschef Flaggensignale, um von Vivi einen Dampfer herbeizurufen, der die Herren nach dort überführen sollte. Sei es nun, daß man in Vivi die Flaggen und abgegebenen Signalschüsse nicht beachtete oder ein Fahrzeug nicht anwesend war, – kurz, es kam keine Hülfe für unsere Herren, die die Nacht herannahen sahen und, da sie keine Lebensmittel mit sich führten, an Hunger und Erschöpfung litten. An eine Rückkehr nach Ango-Ango war zumal zur Nachtzeit wegen der Verfolger nicht zu denken, und so mußten sie nebst ihren jugendlichen Dienern am Ufer des Mposu, im Angesicht der Station, die Nacht auf dem steinigen Boden ohne Feuer und Nahrung, ohne Zelt und Decken zubringen. Mit Tagesanbruch wendeten sie sich nach Ango-Ango zurück, wo sie gegen Mittag ungefährdet, aber in sehr erschöpftem Zustande anlangten.
Dieses Abenteuer hatte indessen noch sein Nachspiel. Die Eingeborenen erschienen in der holländischen Faktorei Ango-Ango mit der Drohung, den Handel dieses Hauses zu sperren, wenn ihnen nicht Genugtuung geleistet würde für einen getöteten und einen verwundeten Mann ihres Dorfes, die Opfer der Notwehr seitens der beiden Herren. Nach dem Grund der Verfolgung gefragt, behaupteten sie in gutem Recht gehandelt zu haben, denn die beiden weißen Männer hätten trotz vielfacher Zurufe – die die Herren, sowie ihre Loangos freilich nicht verstanden hatten – ihr Fetischtal betreten, dessen Zugang einem Nichteingeweihten und zumal einem Fremden sonst unbedingt das Leben kosten müsse. Unter den Eingeborenen gibt es nämlich geheime Gesellschaften, deren Mitglieder sich zuzeiten in abgelegene Gegenden zurückziehen, um dort ihren mystischen Satzungen zu leben. Da diese Gesellschaften der verschiedenen Gebiete des Lanes untereinander in Konnex stehen, so drohten jetzt für den Aufbruch und das Weiterkommen der Expedition die unvorhergesehensten und weitgehendsten Hindernisse zu entstehen – wenn nicht der Streitfall zur endgültigen Schlichtung käme.
Der Chef der holländischen Faktorei berief infolgedessen die angesehensten Männer des betreffenden Dorfes nach Ango-Ango, wo am 9. Dezember ein feierliches Palawer in Gegenwart einiger Missionare, Kaufleute und der Herren Schulze, Kund, Tappenbeck und meiner selbst stattfand. Ein Endbeschluß konnte indessen nicht erzielt werden, da Leutnant Tappenbeck zum mindesten bezweifelte, durch seine Schüsse den Tod eines Mannes und die Verwundung eines zweiten herbeigeführt zu haben. Mr. Hughes erklärte sich darauf bereit, sich in das feindliche Dorf zu begeben, um dort die Behauptung der Eingeborenen auf ihre Wahrheit zu prüfen. In der Tat kamen am Mittag des folgenden Tages eine Anzahl der Dorfleute, um Mr. Hughes zu ihrem Dorfe zu tragen. Als derselbe am Abende zurückkehrte, berichtete er uns, daß man ihm einen an der Schulter verwundeten Mann gezeigt hatte, dessen Verletzung offenbar die Folge einer aus europäischem Gewehr abgeschossenen Kugel sei, daß man ihn sodann an einen frisch aufgeworfenen Grabhügel geführt hatte, mit der Versicherung, derselbe enthalte den im Streit gefallenen Mann. Wir bezweifelten nun freilich sehr diese Versicherung, doch drängten uns die Umstände, das Palawer bald und glücklich zu Ende zu führen. Aus Furcht vor den Eingeborenen waren schon die Loangoboys von Ango-Ango nach Tondoa entlaufen und wollten dorthin nicht wieder zurückkehren. Außerdem kamen unter Führung Pansus, eins älteren Bruders (Halbbruders) Malewos, am 11. Dezember vormittags fünfzig Träger aus San Salvador an, so daß unser Aufbruch nach der Residenz nahe bevorstand.
Am Nachmittag desselben Tages fand daher in Ango-Ango ein Schlußpalawer statt, in dem die Eingeborenen nochmals versuchten, ein möglichst hohes Schmerzens- und Genugtuungsgeld zu erlangen; sie mußten sich indessen mit einer geringen Abfindungssumme zufrieden geben, die ihnen – da wir durchaus nicht wollten, daß dem gastfreundlichen holländischen Hause irgend ein Schaden durch die Expedition erwüchse – auch sofort in Gestalt von Zeug, Perlen und Rum ausgezahlt wurde, worauf die versöhnten Gegner heimkehrten.
Wir, Premierleutnant Schulze und ich selbst, begaben uns am Abend nach Tondoa zurück, wo am nächsten Tage die Verteilung der Lasten an unsere Träger stattfinden sollte, damit wir am nächstfolgenden Tage, dem 13. Dezember, den Landmarsch antreten könnten.
6Noch einmal an den Kongo zurückgekehrt, starb Revd. Comber im Sommer 1887. Sein Tod bedeutete einen außerordentlichen Verlust sowohl für die Mission als für die Afrikaforschung.
7D. h. die Grassteppe (Red.).
8Auch Klippdachs genannt, der einem Murmeltier ähnelt.
3. KAPITEL:
ZUR HAUPTSTADT DES
KÖNIGREICHS KONGO
Pansu, der Kapita9 der fünfzig Träger aus San Salvador, mochte den letzten Zwanzigern angehören, er war von mittlerer, untersetzter Gestalt, das bartlose pockennarbige Gesicht des runden Kopfes von gutmütigem Ausdruck. Er wußte die weiten Tücher in gewisser Grandezza, eine Schulter frei lassend, um seinen Körper zu hüllen und verstand mit dem messingbeschlagenen Gewehr und dem Messer an der Seite sich das Ansehen eines der großen Leute des Landes zu geben. Ich will gleich hier bemerken, daß Pansu unter allen Söhnen des Totila – es sind deren acht oder zehn – die größte Ähnlichkeit mit dem Vater besitzt, wie auch die Beschreibung dieses letztern durch Bastian aus dem Jahre 1858 fast genau auf den Sohn zu meiner Zeit paßte.
Seine Begleiter erschienen zuerst wenig vertrauenerweckend: zumeist jugendlich kräftige Gestalten von sehr verschiedener brauner Färbung, noch mit dem Staub und Schmutz der Wanderung bedeckt und mit kurzen, oft gefransten, eingeölten und rotgefärbten Hüftentüchern von vorwiegend einheimischer Herkunft bekleidet. Einige hatten den Schädel ganz kahl geschoren, andere erschienen mit zum Teil äußerst phantastischen Haartouren, wie z.B. mit sehr vielen kleinen fettgetränkten abstehenden Zöpfchen, deren jedes an seiner Spitze eine blaue Glasperle trug. Mit den Lastkörben auf Kopf und Schulter, Messer und Pfeifen in den Hüftentüchern, Kalebassen oder Flaschen über der Schulter, auch wohl mit Beuteln und Missionsstrümpfen, Tabak, Feuerstein, Perlen und andere Dinge enthaltend, waren sie in den Hof der Missionsstation eingerückt, um dort niederzuhocken und mit neugierigen Blicken und Grinsen ihre Umgebung und die mundele, die weißen Leute zu mustern. Nachdem auch wir unsere Begleiter genugsam beschaut, gezählt und ihnen den folgenden Tag als Ruhetag bezeichnet hatten, zerstreuten sie sich, um teils unter den vorspringenden Grasdächern der Warenschuppen einen vor den Sonnenstrahlen geschützten Ruheplatz zu suchen, dort ihre Mundvorräte an Maniokbrot, Erdnüssen und Planten zu verzehren, oder aber um mit den Ginflaschen und Kalebassen zum nsadi, zum Strom, hinabzusteigen, dort den Durst zu löschen und unter Geschrei und Furcht vor den ngandu, den Krokodilen, ein Bad zu nehmen.
Als nach einiger Zeit Pansu, der im Hause der älteren Missionszöglinge sich einquartiert hatte, um Verpflegungsrationen für die Träger bat, deren Vorräte zu Ende gingen, wurden Reisportionen ausgeteilt, pro Kopf und Tag ein Pfund.
Am Nachmittage des Tages der Ankunft begleitete uns Pansu zu dem bereits erwähnten Palawer nach Ango-Ango, wo er energisch gegen die Dorfbewohner, die zuerst das Feuer auf die Fremden eröffnet hatten, sprach und zur Mäßigung in den Forderungen mahnte.
Abends, als wir selbst im Parlour10 des Mr. Hughes über unsern Aufbruch bei einigen Flaschen des Pschorrbräus verhandelten, baten unser neuer Kapita und sein Bruder um malawu – zur Stärkung für die Reise, wie sie sich ausdrückten. Das Bier mundete ihnen gar nicht, vergnügt aber zogen sie mit einer Flasche portugiesischen roten Landweins, der in den Häusern der Weißen am Kongo fast ausschließlich getrunken wird, von dannen.
Am nächsten Tage waren noch die letzten Reisevorbereitungen und Abmachungen mit den anderen Herren der Expedition zu treffen, denn da wir nur über fünfzig Träger verfügten, so konnten wir nur den kleinsten Teil der Ausrüstung mit uns nehmen, während der Rest der Lasten durch andere Trägerkarawanen, die wir in San Salvador engagieren wollten, später überführt werden sollte. Herr Premierleutnant Kund hatte zuerst beabsichtigt, mit uns, das heißt mit Premierleutnant Schulze und mir, zu reisen und das am Strome vorläufig zurückbleibende Gepäck der Obhut des Herrn Tappenbeck und Dr. Wolff – welcher an diesem Tage von Boma aus sich eingestellt hatte – zu überlassen. Doch war der Leutnant zur Zeit so leidend, daß er auf seine Absicht verzichten mußte, weshalb beschlossen wurde, daß die drei Herren – sobald neue Trägerkolonnen von San Salvador kommen würden – mit denselben reisen sollten, während Premierleutnant Schulze und ich die erste Karawane führen würden.
Es war einigermaßen schwierig, aus der großen Menge der Waren und des sonstigen Ausrüstungsgepäckes fünfzig Lasten auszuwählen, da wir in der Tat nicht wissen konnten, wie lange die vorläufig in Aussicht genommene Trennung der Expedition währen würde. Sämtliche Meß- und Aufnahmeinstrumente behielt Herr Premierleutnant Kund – dem sie unterstellt waren und der sie selbst nach San Salvador überzuführen gedachte – in Ango-Ango zurück, so daß uns für die Route, die freilich schon von Mr. Comber aufgenommen war, nur ein Aneroidbarometer, zwei Taschenkompasse und ein Pedometer zur Verfügung standen. Ferner führten wir, damit nicht gleich die erste Kolonne vieler Waffen das Mißtrauen der Eingeborenen erwecken sollte, nur eine ganz beschränkte Anzahl Gewehre mit uns, nämlich zwei Mauserrepetierkarabiner, ein Mausergewehr und eine Mauserjägerbüchse, ein paar Revolver und Jagdflinten, sowie endlich ein Dutzend Zündnadelgewehre, die das Kriegsministerium in der Heimat uns überlassen hatte.
Am Morgen des 13. Dezember lagen die ausgewählten fünfzig Lasten im Missionshofe von Tondoa bereit, auf die sich sofort die Träger, als sie von Malewo gerufen wurden, im wildesten Ungestüm stürzten, indem ein jeder eine möglichst leichte und in der Form ihm zusagende zu erringen suchte. Es entstand eine solche Unordnung, es erhob sich ein so wüster Lärm und ein so heftiges Streiten, daß uns Neulingen, denen die Kenntnis der Sprache und der Gewohnheiten der Eingeborenen noch völlig mangelten, nicht wußten, wo und wie zu beginnen, um Ordnung in dies Chaos zu bringen. Mit Hilfe von Mr. Hughes gelang es indessen sehr bald, dem einzelnen Mann die passende Last zuzuweisen, dem stärkeren die schwerere, dem schwächeren die leichtere, und zumeist begnügten sich die Leute unter Lachen und Gejohle mit der neuen Anordnung der Dinge. Nur bei wenigen war ein bestimmt gegebener Befehl oder eine Warnung oder auch einige zanga, das heißt Perlenschnüre erforderlich, um sie mit der ihnen zugefallenen Last zu versöhnen, die sie dann sofort in ihre Muteten schnürten. Die Muteten sind lange, auf Kopf und Schultern getragene Körbe, die aus je zwei Blättern der Ölpalme gefertigt werden, indem die Federn der nebeneinander gelegten Blätter nach oben gerichtet verflochten werden, während die Blattstiele weit nach vorn hervorragen, vermittelst deren der Lastkorb durch die Hand des Trägers unterstützt und bei einem Halt, an einen Baum gelehnt, aufgestellt wird.
Nach der Verteilung der Lasten erhielt ein jeder der Träger, gemäß der von der Mission befolgten Gewohnheit, hundert Ganhetaperlen für den Einkauf von Proviant auf dem Marsch. Diese Ganhetas sind mit bunten Strichen verzierte weiße Porzellanperlen, von denen zwei Schnüre, das heißt zwanzig Perlen, völlig genügen, um die täglichen Bedürfnisse eines Mannes an Nahrung zu decken. Diese Nahrung besteht dann allerdings nur aus Vegetabilien, aus Maniokwurzeln oder Maniokbrot, Planten oder Erdnüssen, seltener aus Bohnen oder Mais. Aber diese Nahrung ist für die Eingeborenen, selbst für die schwere Arbeit verrichtenden Träger, genügend. Fleischnahrung – dann zumeist mit Palmöl zubereitet – ist dem Kongomann gewiß äußerst selten ein täglicher Genuß, oft kommt sie nur bei größeren Festlichkeiten wie z.B. Begräbnissen zur Anwendung. In der Tat ist der Viehbestand der Bewohner des Kongolandes ein äußerst geringer, in einem Dorfe findet man stets nur wenige Schweine und Ziegen, nur selten langhaarige Schafe, fast nie Rindvieh, dagegen immer und ziemlich zahlreich Hühner. – Die sich für den Dienst in den Faktoreien verdingenden Küstenleute, wie Kruboys, Cabindas und Loangos sind nicht mehr ganz so bedürfnislos, sie fordern in der Woche ein- oder zweimal Fleisch, das dort gewöhnlich in Form von stinkendem Mossamedesfisch11 gegeben wird. Auch unseren Loangoleuten war allwöchentlich Fleisch zugesichert, dessen Beschaffung im Innern nicht immer gelingt und recht kostspielig ist.
Der gewöhnlich von den Missionaren und den Kaufleuten für den Transport vom Strom nach San Salvador pro Last (60 bis 70 Pfund) gezahlte Lohn beträgt zwei Gewehre, wo das Gewehr eine Werteinheit, die fast immer auf Stoffe bezogen wird, darstellt. Diese Stoffe kommen (zumeist aus England) in Stücken von verschiedener Länge und Qualität, oft in Taschentuchmustern, in Handel. Da aber die bessere Qualität bei den gebräuchlichen Zeugen nur in kürzeren Stücken geliefert wird, so stellt im allgemeinen ein halbes Stück die Werteinheit des Gewehres vor, das am Strom selbst für den Reisenden, der die Zeuge fast immer von den Handelshäusern beziehen muß, etwa drei oder vier Mark, in San Salvador fünf Mark bedeutet.
Natürlich hatten unsere Träger die Neulinge in uns erkannt und so traten sie – als wir sie für den Abmarsch bereit hielten – auf einmal mit der Forderung einer Vorauszahlung des Lohnes und zwar in Gestalt von drei Gewehren pro Mann hervor. Wir lehnten diese Forderung ab, da sie den Gebräuchen nicht entspreche, worauf die Leute nach kurzer Beratung die Lasten niederlegten und erklärten, unter diesen Verhältnissen überhaupt nicht willens zu sein, die Lasten nach San Salvador zu tragen, sondern lieber leer dorthin zurückkehren würden. Als sie sämtlich den Missionshof verließen und hinter dem nächsten Berge verschwanden, glaubten wir die Abreise auf unabsehbare Zeit verschoben, doch beruhigte uns Mr. Hughes mit der Versicherung, daß die Träger, deren Manipulationen er nur zu gut kenne, bald wieder zur Stelle und dann bereit sein würden, unter den alten Bedingungen die Lasten aufzunehmen. In der Tat stellten sie sich nach etwa zwei Stunden wieder ein, und, nachdem ein jeder seine Last genommen, setzte sich die Karawane mit verhältnismäßig geringer Lärmentfaltung in Bewegung.
Da die Träger gewöhnt sind allein zu gehen und wir unsere persönlichen Gepäckstücke und diejenigen Sachen, die wir auf dem Marsche nötig hatten, auf unsere Loangos verteilen konnten, so brachen wir selbst erst einige Stunden nach dem Abgang der Kongoleute auf. Nach dankbarem Abschied von Mr. Hughes bestiegen wir nachmittags zwei Uhr das Boot, welches uns nach Ango-Ango führte, wo wir die Loangos wiedertrafen, die den Weg auf den Uferbergen genommen hatten. Noch ein letztes Händeschütteln mit den drei zurückbleibenden Herren der Expedition und den Angestellten des holländischen Hauses, und gegen drei Uhr begannen wir den Aufstieg zu den hohen Bergen, unmittelbar an deren Fuß die Faktorei gelegen ist: Premierleutnant Schulze, ich selbst, David Kornelius, Pansu, Malewo und sechzehn Loangoboys unter ihrem Headman Manuel.
Noch hatten wir nicht die Höhe erreicht, als es zu regnen begann, doch gab es einen als Tropenregen nur mäßigen und kurzdauernden Niederschlag, so daß die bald wieder hervorkommende Sonne uns lange vor Ankunft in dem als Lagerdorf in Aussicht genommenen Wonda nicht nur getrocknet, sondern auch reichlich in Schweiß gesetzt hatte, denn unser Pfad führte bergauf und bergab. An einigen Stellen konnte man den Aufbau der großartigen Berglandschaft aus Tonschiefergestein erkennen, doch ist dasselbe oberflächlich überall in den gelben oder rötlichen Laterit umgewandelt und mit ungezählten Mengen von rundlichen und großlöcherigen Brauneisensteinknollen jeglicher Größe, sowie scharfkantigen Quarzbruchstücken verschiedener Farbe bedeckt. Die Vegetation war, wie am ganzen unteren Kongo, gebildet durch tristes Kampinengras12, stellenweise unterbrochen durch Krüppelgesträuch (vor allem Anona senegalensis, aber auch manche Arten von Parinarium, Vitex, Münteria etc.), einzelne Palmen, Baumwoll- und Affenbrotbäume. Mehrere kleine Wasserläufe passierend – über die Pansus und Manuels breite Rücken und Schultern als Beförderungsmittel dienten – eilten wir ohne Aufenthalt in südöstlicher Richtung vorwärts, doch war die Sonne schon einige Zeit untergegangen und die Dunkelheit hatte sich eingestellt, als wir unser Lagerdorf erreichten, wo uns Pansu zu der Hütte führte, in der durchreisende Weiße gewöhnlich zu übernachten pflegten.
In Anbetracht der Neuheit und Ungewohntheit der Verhältnisse wird man sich nicht allzusehr wundern, wenn ich gestehe, daß wir am Abend des ersten Marschtages herzlich schlecht gegessen und in der Nacht noch schlechter geschlafen haben, da wir in der unverantwortlichen Hoffnung, daß es hier keine Moskitos gebe, sogar versäumt hatten, die Vorhänge über unseren Reisebetten anzubringen.
Einige Eier und eine Tasse Tee bildeten am frühen Morgen des 14. Dezember unseren Imbiß, nach dessen Einnahme der Marsch fortgesetzt wurde und zwar über ein Terrain, das dem am vorigen Tage durchmessenen in allem glich: in den steinbedeckten Lateritbergen, den tiefen Wasserrinnen und der Einförmigkeit und Öde der Vegetation – und so ist es auch mit ganz wenigen Ausnahmen bis San Salvador und auch später immer geblieben. Indessen passierten wir einige armselige Dörfer, in deren einem, am Rande eines bescheidenen Wässerchens, wir zur Mittagszeit einige Stunden rasteten. Am Nachmittag durchschritten wir den Bumi und Pambu und waren erstaunt – während die Wasser bisher stets nach Norden ihren Weg genommen hatten – dieselben nach Süden abfließen zu sehen. Offenbar gehören sie nicht mehr zum Stromsystem des Kongo.