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Was wir nicht wussten, war, dass die Familie Finney am nächsten Tag in Urlaub fahren wollte. Mr. und Mrs. Finney mit ihren Kindern Joshua und Josiah hatten alles sorgfältig vorbereitet und gepackt, was sie für einen friedlichen Urlaub, weit weg von allen Sorgen unserer Kleinstadt, brauchen würden.
Als sie schliefen, legten Bobby und ich das Stinktier an seine letzte Ruhestätte, schlossen vorsichtig wieder den Kofferraumdeckel, steckten die Autoschlüssel wieder ins Zündschloss und schlichen uns auf Zehenspitzen wieder nach Hause mit Ausreden, um den Gestank zu erklären.
Wenn man jung ist, fängt der Tag noch früh an, und so waren wir rechtzeitig hellwach, um uns zu den Finneys zu schleichen und hinter einer Fichte zu verstecken. Es dauerte nicht lange, da kamen die ahnungslosen Finneys mit erwartungsvollen Gesichtern heraus, gingen zum Gartentor und stiegen in ihren Fairlane.
Was dann geschah, werde ich niemals vergessen.
Mr. Finney drehte den Zündschlüssel um und ließ den Motor aufheulen. Dann legte er den Rückwärtsgang ein. Nachdem er scharf gewendet hatte und etwa zehn Meter auf dem Schotter gefahren war, brachte er das Auto mit quietschenden Reifen zum Stehen, sodass die Steine in alle Richtungen spritzten. Im Wagen starrte Mr. Finney seine Frau mit gerunzelter Stirn an. Dann drehte er sich um und starrte seine Kinder vorwurfsvoll an. Schließlich stieß er die Autotür auf und schnüffelte herum. Als er den Autoschlüssel in das Kofferraumschloss steckte, hatte er einen Verdacht. Als er den Kofferraum öffnete, bestätigte er sich. Wie auch immer er es bisher geschafft hatte, nie die Fassung zu verlieren – jetzt funktionierte es nicht mehr. Er knallte den Kofferraum zu, stand mit geballten Fäusten da, trat gegen die Stoßstange, und die Ausdrücke, die er gebrauchte, waren so intensiv wie das Blau seines Autos. Bobby und ich beobachteten das Ganze von unserem Versteck hinter der Fichte und wussten nicht, ob wir lachen oder weinen sollten. Oder ob wir es unseren Müttern gestehen sollten.
Einige Zeit später erfuhr ich, dass die Finneys umzogen, aber niemand wusste so recht, warum.
Niemand außer Bobby und mir.
Was Mr. Finney, Mrs. Hill und die Smiths in diesen unvergesslichen Augenblicken entdeckten, das erfährt jeder Mensch auf seinem Lebensweg früher oder später. Manchmal kann man dem Zimmerservice nicht trauen, manchmal wird das Leben schlüpfrig, und manchmal stinkt es uns.
In den darauf folgenden Jahren habe ich gelernt, dass jeder Einzelne einmal an einen Punkt im Leben kommt, wo er ein Stinktier im Kofferraum entdeckt – irgendetwas kommt in unser Leben, das wir uns definitiv nicht ausgesucht hätten.
Aber warum knallen die einen den Kofferraum zu, treten gegen die Stoßstange und fluchen, während die anderen irgendwie doch noch etwas Lustiges daran entdecken können – wenn auch vielleicht erst Jahre später?
Der erste Schritt ist ganz bestimmt die bewusste Entscheidung für die richtige Einstellung. Zur richtigen Einstellung gehören auch immer die richtigen moralischen Entscheidungen.
Knapp ein Jahr, nachdem Ramonas Anfälle begonnen hatten, nahm ich eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit die Zeitung mit. Sofort rief ich zu Hause an und las ihr von der Titelseite vor: »Nach einem Jahrzehnt Forschung wurde jetzt das Chorea-Huntington-Gen entdeckt. Die Hoffnungen auf eine Therapie für die tödlich verlaufende neurologische Erkrankung steigen.« Ramona hielt den Atem an.
Chorea Huntington tritt in einer von mehreren Tausend Familien auf. Wir sind eine davon.
Mit 39 Jahren kam Ramonas ältester Bruder, Dennis, in ein Pflegeheim. Sein gewinnendes Lächeln und sein herzlicher Humor waren nur noch Erinnerungen aus früheren Tagen. Zwei ihrer Schwestern hatten nun ebenfalls diese gefürchtete Krankheit. Obwohl die Krankheit bei Ramona noch nicht diagnostiziert worden war, war sie sich sicher, dass sie die Nächste sein würde.
Als die Krampfanfälle sich häuften, standen wir vor der schwierigen Frage, ob sie den Test machen lassen sollte oder nicht. Eines Tages saß mir ein weiser Arzt gegenüber, der mir von seinen eigenen Problemen erzählte. Seine Frau wurde vom Krebs zerfressen. Er hatte die Diagnose selbst gestellt. »Phil«, sagte er, und hatte Tränen in den Augen, »als meine schlimmsten Befürchtungen sich bestätigten, stand ich vor einer ganz einfachen aber sehr weitreichenden Entscheidung. Weglaufen – oder es durchstehen. Diese Entscheidung musst du auch treffen. Ich habe schon viele Menschen beraten, die Ähnliches durchgemacht haben wie du. Für die meisten heißt das Ende ›Scheidung‹ und dann Depression und Untergang. Phil … mach das nicht.«
»Einen Baum kann man am besten beurteilen, wenn er gefällt ist«, meinte er. Das waren kluge Worte.
Am nächsten Tag saß ich mit einem Freund in einem Café, und wir machten Witze. Als die Sonne durch die Wolken drang und auf unseren Tisch schien, fragte mein Freund: »Dass du bei all dem noch lachen kannst. Wie machst du das?«
Ich nippte nachdenklich an meiner Cola. »Ich weiß auch nicht recht«, erwiderte ich. »Vielleicht sind das die Medikamente.«
Er lachte.
»Ich glaube, ich begreife allmählich, dass ich den Wind nicht bestimmen kann, aber ich kann meine Segel richtig setzen«, sagte ich. »Manche Menschen leben so, als hätten sie Limburger Käse an den Lippen – ihnen stinkt alles. Ich lerne gerade, den Käse von den Lippen zu wischen. Ich gewöhne mir eine andere Einstellung an.«
Als ich später darüber nachdachte, wurde mir klar, dass wir die Tatsache, dass wir nach all den Jahren noch lachen können, nicht uns selbst zuzuschreiben haben. Sie beweist nicht unseren Mut, sondern liegt zum großen Teil an einer einfachen Entscheidung, die wir im Sprechzimmer eines Arztes getroffen haben. Ich werde meiner Frau und meinen Kindern treu bleiben. Und ich werde mich fest an Gott klammern. Ich verstehe seine Wege nicht immer, aber ich glaube, dass er mich niemals eine Straße führen wird, die er nicht schon selbst gegangen ist. In der Bibel verspricht er uns seinen Frieden, ein Ziel und Hoffnung – ja sogar Freude – mitten in der finstersten Nacht. Dann wollen wir mal schauen, wo uns dieses Abenteuer hinführt.
Tom sieht die Dinge folgendermaßen: Mit 55 hat er bei einem Bootsunfall beide Beine verloren und musste dann zusehen, wie seine Millionen-Firma den Bach hinunterging. Eines Tages schaute Tom mich von seinem Rollstuhl im hinteren Teil der Kirche an und meinte: »Ich habe jetzt mehr Fragen an Gott, als bevor das alles passierte, aber ich weiß auch, dass die Bibel für mich noch nie so real war.« Seine Augen wurden feucht und er sah weg. Seine Frau stand hinter ihm mit den Händen am Rollstuhl.
»Tom hängt am liebsten irgendwelche Bibelverse an den Kühlschrank«, meinte sie lächelnd. »Da hängt dieses große Foto aus glücklicheren Tagen von unserer Familie vor dem Firmensitz. Gestern hat Tom einige Verse aufgeschrieben und sie unter das Bild gehängt.« Sie schlug Habakuk 3,17-18 auf und las vor:
Noch trägt der Feigenbaum keine Blüten, und der Weinstock bringt keinen Ertrag, noch kann man keine Oliven ernten, und auf unseren Feldern wächst kein Getreide; noch fehlen Schafe und Ziegen auf den Weiden, und auch die Viehställe stehen leer. Und doch will ich jubeln, weil Gott mir hilft, der Herr selbst ist der Grund meiner Freude!
»Er hat auch einen Magneten darunter gehängt, auf dem steht: ›Am dunkelsten ist es immer, kurz bevor die Kühlschranktür aufgeht‹«, meinte sie lachend.
Was Tom und seine Frau begriffen zu haben scheinen, das fange ich gerade an zu lernen. Ob wir angesichts der Überraschungen, die das Leben für uns bereithält, noch lachen können, hängt nicht davon ab, ob wir die Gegenwart verstehen oder die Zukunft kennen, sondern von einer Entscheidung, die wir treffen müssen. Wir müssen uns entscheiden zu sagen: »Ganz gleich, was gut läuft im Leben, und ganz gleich, was schief läuft, Gott hat alles im Griff. Und eines Tages – vielleicht nicht morgen und vielleicht auch nicht nächste Woche – werde ich die Dinge so sehen wie er. Also kann ich genauso gut den Kopf heben und lachen.«
Aber wie kommt man an diesen Punkt?
Vielleicht kann uns ein Erlebnis weiterhelfen, das ich einmal an einem Wintertag in der neunten Klasse hatte.
Aber bevor ich Ihnen davon erzähle, muss ich Sie warnen: Wenn Sie dieses Buch spät abends in einem fremden Hotel lesen, sollten Sie vielleicht erst den Boden kontrollieren, bevor Sie weiterlesen.
2 Das passiert eben
Was meinen die Leute, die sagen, »Ich habe keine Angst vor Gott, weil ich weiß, dass er gut zu mir ist«?
Waren sie noch nie beim Zahnarzt?
C. S. LEWIS
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich mochte Schmerzen noch nie. Als ich in der neunten Klasse war, wog ich knapp 37 Kilo, wenn ich die Taschen voller Münzen hatte, und so beschloss ich, ein bisschen zuzulegen, indem ich doppelt so viel Sellerie aß und ein recht strenges Trainingsprogramm absolvierte, zu dem auch Gewichtheben gehörte. Mein großer Bruder, Dan, erklärte mir, dass man Gehirnzellen abtötete, wenn man die Gewichte über den Kopf hob, was ich mir seiner Ansicht nach nicht erlauben konnte. Also beschloss ich, mich auf den Rücken zu legen und die Gewichte in die Luft zu stemmen.
An guten Tagen schaffte ich 15 Kilo.
Eines Samstags, als ich gerade beim Gewichtestemmen war, entfernten sich die 15 Kilo aus meinen Händen. Ich sehe die Szene immer noch in leuchtenden Farben vor mir – manchmal sogar in Zeitlupe mitten in der Nacht.
Hilflos sah ich zu, wie die Stange mit den Gewichten auf meine Nase zukam. Ich fing an zu schielen, meine Nase knackte laut, und mir kamen die Tränen. Das war das dritte Mal, dass ich mir die Nase gebrochen hatte, obwohl ich sie noch gar nicht so lange hatte. Wenn ich heute meine Nase mit dem Finger bewege, klingt es immer noch, als knacke jemand Erdnüsse.
»Dad«, sagte mein Sohn vor Kurzem. Den Kopf schräg gelegt schaute er dabei auf meine Nase. »Wenigstens steht sie nicht nach oben, sonst würdest du bei einem Regenguss ertrinken.«
Lachen hilft. Aber trotzdem mag ich Schmerzen nicht.
Deshalb erstaunt es mich immer, wenn ich von Menschen höre, die gar nicht genug davon bekommen. Zum Beispiel Jean Luc Antoni. Für Jean gibt es nichts Schöneres, als Ski zu fahren ohne Schnee. Ja, er hat den Weltrekord aufgestellt im Ski fahren auf Felsen. Jean Luc kam ins Buch der Rekorde, als er mit fast 100 Sachen auf einem Monoski in Frankreich einen felsigen Hang hinunterschoss. Das Schwierigste war, so gab Jean Luc zu, unten anzuhalten, ohne gleichzeitig seine Karriere zu beenden. Also errichtete der erfinderische Franzose unten eine Wand aus Pappe, in die er hineinfahren konnte.
Ich glaube, Jean hat als Junge zu viele Gewichte über den Kopf gehoben.
Aber seine Heldentaten sind noch gar nichts im Vergleich zu Reg Mellor.
Im zarten Alter von 72 Jahren ist Reg der amtierende Weltmeister im »Frettchen-Hosen-Wettbewerb«. Die meisten seiner Mitstreiter würden ihren Enkeln nur zu gerne von einer solchen Ehre erzählen – wenn sie denn lange genug lebten. Wahrscheinlich haben Sie noch nie etwas von einem »Frettchen-Hosen-Wettbewerb« gehört, und für den Fall, dass Sie es selbst einmal ausprobieren möchten, erkläre ich ihnen kurz die Regeln. Bei diesem Wettbewerb werden (und das ist mein voller Ernst) dem Teilnehmer die Hosenbeine an den Knöcheln zugebunden. Dann führt man von oben in jedes Bein einen bissigen, etwa 30 Zentimeter langen, Fell tragenden Fleischfresser, auch Frettchen genannt, ein.
Sind die Frettchen in den Hosenbeinen, schnürt der Schiedsrichter oben den Gürtel zu. Jetzt geht es darum, so lange wie möglich regungslos dazustehen, während diese kleinen, wieselähnlichen Biester mit ihren nadelspitzen Krallen und den rasiermesserscharfen Zähnen versuchen, sich aus der Hose zu befreien.
Reg Mellor ist stolzer Halter des Weltrekordes. Fünf Stunden und 26 Minuten lang konnte er es sich verkneifen zu rufen: »He, wer hat mir die Frettchen in die Hose gesteckt?« Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Reg an einem kalten Winterabend mit seinen Enkeln vor einem lodernden Kaminfeuer sitzt und ihnen die Geschichte erzählt.
Großvater Reg: So war das damals, Kinder. Und die Geschichte ist so echt wie die Zehen an euren Füßen. Keiner ist auch nur annähernd in die Nähe meines Rekordes gekommen.
Enkelkinder: Wow, Großvater, du bist wirklich klasse! Zeigst du uns noch mal deine Holzbeine?
Es gibt da eine ganz einfache Sache, die die meisten von uns von einem Reg Mellor oder einem Jean Luc Antoni unterscheidet: Wir suchen den Schmerz nicht mit Absicht. Wir suchen vielleicht nach Abenteuern, aber nicht nach Schmerzen. Wir sind sogar mit einem gottgegebenen Schmerz-Abwehr-System ausgestattet, das sich schon in ganz jungen Jahren einschaltet und Sätze aus uns hervorbringt wie: »Mama! Kratz mich vom Herd ab!«
Aber eines Tages wachen wir dann auf und stellen fest, dass Mama nicht mehr in der Küche ist, und dass niemand mehr da ist, der uns hilft. Und was noch schlimmer ist: Wir mussten nicht erst nach Schmerzen suchen, sie kamen von ganz alleine. Vielleicht war es das Klingeln an der Tür, der Anruf oder jemand, der uns auf die Schulter getippt hat. Und schon waren wir schnüffelnd auf unserem Lebensweg unterwegs und haben uns gefragt, was da so grauenvoll stinkt und warum es ausgerechnet in unserem Kofferraum landen musste.
Ich weiß auch nicht, wie ich auf den Gedanken gekommen bin, das Leben sei wie Slalom fahren auf einer weichen Pulverschneepiste. Bestimmt habe ich das nicht im Kindergarten gelernt. Erinnern Sie sich noch an einige der Verse und Lieder, die wir dort gelernt haben? Als ich etwa zwei oder drei Jahre alt war, schaukelte meine Mutter mich sanft auf ihren Knien und summte dabei das traurigste Lied, das ich kenne. Jetzt, wo sie Enkelkinder hat, fügt sie ihren sanften Gemütern nur allzu gerne die gleiche Grausamkeit zu. »Oma«, betteln die Kinder, »sing uns das Lied von der Katze. Das Lied, das du Papa immer vorgesungen hast, als ihr in der Arche wart.«
Und so gibt sie das folgende kleine Familienerbstück an sie weiter:
Wo ist mein Kätzchen mit den weißen Tätzchen?
Ich suchte im Haus von oben bis unten,
doch hab ich es auch unterm Bett nicht gefunden.
Mein treuer Hund, Moritz, der liebste von allen,
der tat mir einen großen Gefallen.
Er half mir suchen, draußen, unter den Buchen.
Wo war nur mein Kätzchen geblieben?
Zu guter Letzt suchten am Bach wir dort unten
Und siehe da war mein Kätzchen – ertrunken!
Es ist ein Wunder, dass ich bei diesem Gute-Nacht-Lied überhaupt schlafen konnte.
Als unsere Kinder noch klein waren, versuchte ich, einige dieser bedrückenden Texte umzudichten, um sie für empfindsame Kinderseelen angemessener zu machen. Ich sang ihnen Verse vor, in denen Humpty Dumpty wieder zusammengeflickt werden konnte, die alte Mutter Hubbart Chips zu essen fand und die alte Frau, die im Schuh lebte, genau wusste, was zu tun war. Die Kinder hörten aufmerksam zu und sagten dann: »Ach nein, Papa. Sing das Lied vom Kätzchen.«
Wahrscheinlich hat es auch seine Vorteile, wenn man schon früh lernt, dass das Leben nicht immer nach Wunsch verläuft. Diejenigen, die bei den Kinderliedern gut zugehört haben, wissen vielleicht, dass das Leben eine bunte Mischung aus banalen Dingen und großen Abenteuern ist, aus erhabenen und lächerlichen Momenten. Dass uns Menschen enttäuschen und Freunde uns im Stich lassen, und dass Stürme kommen. Diese Feststellung mag im ersten Moment missmutig klingen, aber sie ist immens wichtig, um Freude ins Leben zu bringen. Das ideale Leben ist nicht Hakuna Matata, jene von allen Problemen freie Philosophie, die Timon und Pumba dem jungen Simba in Der König der Löwen beibringen. Das wäre zwar schön, aber es dürfte schwer sein, auch nur einen einzigen Menschen auf der Welt zu entdecken, für den das Leben ein Kinderspiel war.
Uns von der Vorstellung frei zu machen, dass das Leben fair sei, ist eine wichtige Voraussetzung, um unseren Humor wiederzufinden. Sich dem Unbekannten auszusetzen und es mit Gottes Hilfe zu überwinden, gehört sogar dazu, wenn man echte Lebensfreude finden will. Deshalb fasziniert mich die Bibel schon mein ganzes Leben lang. Sie hält nichts zurück. Ihre Helden stolpern, ihre Geschichten entsetzen uns manchmal oder machen uns traurig. Im Schaukelstuhl erfuhr ich von Abrahams Lügen und Davids Betrug, von den Hunden, die Isebel fraßen, und von Herodes‘ Verrat. Und mitten in alledem entdeckte ich den Einen, der uns niemals im Stich lassen wird. Bibelverse, die man als Kind lernt, bleiben hängen, nicht wahr?
Vielleicht weiß ich jetzt, warum ich trotz dieser Gute-Nacht-Geschichten im Schaukelstuhl so gut schlief. Wahrscheinlich war mir klar, dass die Zukunft unberechenbar war, aber sich Sorgen zu machen war, wie im Schaukelstuhl zu sitzen: Man ist ständig in Bewegung, aber kommt nirgends an.
Ich glaube, ich habe noch aus einem anderen Grund so tief geschlafen. Meine Mutter sang zum Abschluss des Tages immer ein altes Kirchenlied. Ich kann heute noch hören, wie sie sang, während der Wind den Regen gegen die Fensterscheibe prasseln ließ.
Wenn Friede mit Gott meine Seele durchdringt,
ob Stürme auch drohen von fern,
mein Herze im Glauben doch allezeit singt:
»Mir ist wohl, mir ist wohl in dem Herrn.«
Damals hatte ich nicht die geringste Ahnung, was die Worte bedeuteten, aber heute weiß ich es. Wenn Ihre Nase krumm ist, wenn es im Leben nur bergab geht oder wenn Sie ein Stinktier im Kofferraum finden, dann verändert eine solche Perspektive alles.
3 Und Bob?
Man kann nicht gut ankommen,
wenn man ständig schlecht drauf ist.
NACH JOHN MAXWELL
Ich lernte Bob und Audrey kennen, als sie mich nach einer Fernsehsendung, zu der ich in Winnipeg in Manitoba, Kanada, gewesen war, zu sich in die Küche einluden. Wenn Sie noch nie in Winnipeg waren, nun ja … gehen Sie nicht wegen der Landschaft hin, gehen Sie wegen der Menschen hin. In Winnipeg gibt es nur zwei Jahreszeiten: Winter und Schnaken. Während wir die besten Spaghetti mit Hackfleischbällchen aßen, die es außerhalb Italiens gibt, erzählten sie mir eine der lustigsten Geschichten, die ich seit langem gehört habe. Die Geschichte wurde oft von Audreys ansteckendem Lachen (das durch ihre drei kleinen Kinder nur noch verstärkt wurde) und Bobs sanftem Glucksen unterstrichen. Audrey liebt dieses Glucksen. »Wenn Bob nicht so glucksen würde«, meinte sie, »dann wäre ich so sehr in Schwierigkeiten wie … nun ja, wie jemand, der in großen Schwierigkeiten steckt.«
Nach den ersten paar Minuten ihrer Geschichte begann ich zu verstehen, warum sie das sagte.
Das Thanksgiving-Wochenende fing so an, wie die Meisners es geplant hatten. Sie stopften ihren Kleinbus mit Matratzen, Schlafsäcken und Kindern voll und fuhren 1000 Meilen durch das Flachland von Manitoba bis zu ihren Verwandten in Michigan. Es war eine schöne Reise. Bis zum Horizont erstreckte sich eine Landschaft aus Wiesen, durchsetzt mit Seen, wie ein grüner Flickenteppich. Die Pappeln reckten ihre kahlen Zweige in den Himmel, als wollten sie sich dem Winter ergeben. Die Kinder zählten die V-förmigen Formationen der Wildgänse, die ihre Heimat verließen und nach Florida zogen. Weder Bob noch Audrey ahnten, dass die Schönheit dieses ersten Teils ihrer Reise im krassen Gegensatz zu ihrer Heimfahrt stehen sollte.
Am Wochenende gab es jede Menge Truthahn und Verwandte. Und viel zu lachen. Am Sonntagabend verabschiedeten sie sich und machten sich auf den Heimweg. Sie fuhren abends um elf Uhr los, fuhren die ganze Nacht hindurch und kamen am nächsten Morgen um halb neun in Minneapolis an. Obwohl Vater und Mutter müde waren, schrie die größte Einkaufsmeile Amerikas geradezu nach einem Besuch. Und so ging schon die Sonne unter, als sie die Skyline der Metropole im Rückspiegel verschwinden sahen.
Als Audrey anbot, das Lenkrad zu übernehmen, kletterte Bob nach hinten, verschwand hinter einigen Schlafsäcken und schlief ein.
Eineinhalb Stunden später fuhr Audrey so leise, wie sie konnte, auf einen Rastplatz, in der Hoffnung, die Familie nicht zu wecken. Sie ließ den Motor im Leerlauf laufen und bemerkte, dass ein Zylinder nicht richtig lief. Das erinnerte sie an Bobs Schnarchen, das vom Rücksitz zu hören war.
Nachdem sie auf die Toilette gegangen war, stieg Audrey wieder ins Auto, rührte ihren Kaffee um, nahm einen großen Schluck und fuhr wieder auf die Autobahn. Die nächsten zwei Stunden vergingen wie im Flug, während sie mit den Fingern den Rhythmus der Country-Songs mittrommelte und in verschiedene Talksendungen hineinhörte. Als sie in Fargo, in North Dakota, ankam, wachten die Kinder allmählich auf. Aber Bob nicht. Der muss wirklich müde sein, dachte Audrey. Gott sei Dank, dass es hier starken, kolumbianischen Kaffee gibt. Ihr siebenjähriger Sohn tauchte im Rückspiegel auf und rieb sich die Augen. »Schlaf noch ein bisschen, mein Schatz«, sagte seine Mutter.
Und plötzlich war die friedliche Ruhe des frühen Morgens dahin. »Wo ist Papa?«
»Machst du Witze?«, meinte Audrey und verstellte den Rückspiegel, um nach hinten zu sehen. »Er liegt doch da hinten und schläft … oder nicht?«
Die Kinder fingen an, die Kissen zur Seite zu schieben und nach ihrem Vater zu suchen. »Nein«, sagte ihr Siebenjähriger, »er ist nicht hier.«
»Meinst du, er ist vielleicht entrückt worden? Weißt du, so wie du gesagt hast, Mama, wenn Jesus wiederkommt, um uns zu holen?«
Aber Audrey lachte nicht. Während sie nach der nächsten Ausfahrt Ausschau hielt, überkam sie Angst und Sorge. Sollte sie umdrehen und zurückfahren? Sie hatte keine Ahnung, wo der Rastplatz gewesen war. Hatte sie vor zwei Stunden dort gehalten? Oder vor drei? »Bleib ganz ruhig, Audrey«, sagte sie sich selbst. »Oh Herr«, betete sie, »hilf mir, Bob zu finden. Und bitte beschütze ihn, wo auch immer er ist.«
Sie fuhr zu einem Rasthof, ging zum Telefon und rief die Polizei an. »Äh … ich … äh … habe meinen Mann in Minnesota vergessen«, erklärte sie dem Polizeibeamten. »Auf einem … äh … einem Rastplatz.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen in der Leitung. »Entschuldigung, könnten Sie das noch einmal wiederholen?«
Nach einigen verzweifelten Minuten gelang es Audrey, den Beamten davon zu überzeugen, dass das kein Scherz war, sondern dass sie ihren Mann tatsächlich, wenn auch unabsichtlich, zurückgelassen hatte, obwohl er vielleicht denken mochte, es sei Absicht gewesen.
»Wissen Sie was«, meinte der Polizeibeamte, »bleiben Sie dran. Ich gebe Ihnen die Telefonnummern von allen Rastplätzen in dieser Gegend. Laufen Sie nicht weg, verstanden?«
Audrey lief nicht weg.
Nachdem sie sich bei dem Polizisten für seine Hilfe bedankt hatte, fing sie an, die Liste abzutelefonieren, eine Nummer nach der anderen. Bei jedem Anruf erntete sie Überraschung, hatte aber keinen Erfolg. Sie hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als sie die letzte Nummer auf ihrer Liste wählte. »Ist bei Ihnen vielleicht ein Mann, der …?«
»Allerdings«, erwiderte jemand mit starkem norwegischem Akzent.
Kurz darauf war Bob am Telefon. »Schatz … es tut mir so leid«, sagte Audrey. »Ich wollte dich nicht …« Sie fing an zu weinen. Und Bob fing an zu lachen.
Vor zwei Stunden war er aus dem Wagen gestiegen, um auf die Toilette zu gehen. Aber als er zurückkam, war das Auto nicht mehr da. »Haha«, sagte Bob laut. »Sehr witzig.« Er ging dreimal um die Tankstelle und rechnete fest damit, dass sie jeden Moment grinsend um die Ecke kämen. Aber er konnte sie nirgends finden. »Sie würde mich nicht einfach so verlassen«, sagte Bob noch lauter. »Oder etwa doch?«
Um sich die Zeit zu vertreiben, wusch Bob den Kunden die Windschutzscheiben und betete, dass Gott ganz deutlich zu seiner Frau sprechen oder vielleicht dafür sorgen möge, dass sie einen Platten hatte. Er stieg sogar zu einem Fernfahrer in den Lastwagen, der gerade etwas Ermutigung brauchte. »Wissen Sie«, sagte der Fahrer zu Bob, »dass ich Sie hier getroffen habe, das war wirklich Gottes Wirken. Ich brauchte das ganz dringend.«
»Oh Herr«, betete Bob, »es reicht für heute mit deinem Wirken.«
Früh am nächsten Morgen sah Bob die Scheinwerfer eines vertrauten Kleinbusses auf die Raststätte zukommen. Er hörte auf, den Kunden die Windschutzscheiben zu waschen und seufzte erleichtert auf. Für Audrey war es eine Rundreise gewesen. Aber diesmal hupte sie laut, und es war ihr egal, wen sie damit aufweckte. »Das war das erste Mal, dass ich meinen Mann verlassen habe«, meint sie und kann inzwischen darüber lachen. »Und Sie können mir glauben, es war auch das letzte Mal.«