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Zum Schlusse fügte der Ritter bei: »Es wisse Euer Gnaden, Herr Rodrigo von Narváez, daß diese schöne Jarifa, von der ich gesprochen, jetzt die reizende Dulcinea von Toboso ist, für welche ich die ruhmreichsten Rittertaten getan habe, tue und tun werde, die man in der Welt gesehen hat, jetzt vielleicht sehen mag und künftig sehen wird.«
Darauf antwortete der Bauer: »Bedenke doch Euer Gnaden, Herr Junker, bei meiner armen Seele, daß ich weder Don Rodrigo von Narváez noch der Markgraf von Mantua bin, sondern Pedro Alonzo, Euer Ortsnachbar, und daß Euer Gnaden weder Baldovinos noch Abindarráez sind, sondern der ehrsame Junker Herr Quijano.«
»Ich weiß, wer ich bin«, sagte Don Quijote, »und weiß, daß ich nicht nur jeder der gedachten Helden sein kann, sondern auch sämtliche Pairs von Frankreich und selbst all die neun Söhne des Ruhms; denn all den Großtaten, die sie alle zusammen und jeder für sich vollbracht haben, werden die meinigen voranstehen.«
Unter diesen Gesprächen und andern ähnlicher Art gelangten sie ans Dorf, zur Zeit, als der Abend kam; allein der Bauer wartete, bis es etwas dunkler wurde, damit man den zerbleuten Junker nicht so schlecht beritten sähe. Als nun die ihm passend scheinende Stunde gekommen, begab er sich ins Dorf und in Don Quijotes Haus, wo er alles im Aufruhr fand. Es waren da der Pfarrer und der Barbier des Ortes, die mit Don Quijote sehr befreundet waren, und die Haushälterin sagte ihnen eben mit lautem Schreien: »Was dünkt Euer Gnaden, Herr Lizentiat Pero Pérez« – denn so hieß der Pfarrer –, »von dem Unglück meines Herrn? Sechs Tage ist’s her, daß weder er noch der Gaul, weder die Tartsche noch der Speer noch die Rüstung zu sehen sind. Ich Unglückselige! Ich denke mir, und so sicher ist’s die Wahrheit, als ich geboren bin, um zu sterben, daß diese verwünschten Ritterbücher, die er hat und so regelmäßig zu lesen pflegt, ihm den Verstand verdreht haben; denn jetzt entsinne ich mich, daß ich ihn oftmals, wenn er so vor sich hinsprach, habe sagen hören, er wolle ein fahrender Ritter werden und draußen in der Welt herum auf Abenteuer ziehen. Daß doch dem Satanas und Barrabas alle derlei Bücher befohlen seien, die den feinsten Kopf, den es in der ganzen Mancha gab, zugrunde gerichtet haben!«
Die Nichte sagte dasselbe, ja noch mehr dazu: »Wisset, Meister Nikolas« – dies war der Name des Barbiers –, »daß es meinem Herrn vielmals geschah, in diesen verruchten Schlacht- und Abenteuerbüchern zwei Tage nebst den Nächten dazu in einem fort zu lesen, und nachher warf er das Buch aus den Händen weg und zog das Schwert und ging mit Hieben gegen die Wände an, und wenn er dann ganz abgemüdet war, sagte er, er habe vier Riesen, wie Türme so groß, umgebracht, und der Schweiß, den er vor Ermüdung ausschwitzte, der, sagte er, sei Blut von den Wunden, die er im Gefecht erhalten; und gleich trank er einen großen Krug kalten Wassers in sich hinein und war dann wieder gesund und beruhigt und sagte, dies Wasser sei ein gar köstlicher Trank, den ihm der weise Alquife gebracht, ein großer Zauberer und Freund von ihm. Aber ich selbst bin schuld an allem, weil ich euch Herren nicht von den Narreteien meines Herrn Oheims in Kenntnis gesetzt, damit ihr abgeholfen hättet, bevor es dahin kam, wohin es gekommen, und alle diese verfluchten Bücher – deren er viele besitzt – verbrannt hättet; denn wohl verdienen sie das Feuer, als wenn sie Ketzer wären.«
»Das sag ich auch«, sprach der Pfarrer, »und aufs Wort, es soll der morgende Tag nicht vergehen, ohne daß man über sie öffentliches Gericht halte und sie zum Feuer verurteilt werden, damit sie einem, der sie etwa künftig lesen würde, nicht Anlaß geben, zu tun, was mein lieber Freund getan haben muß.«
All dieses hörten der Bauer und Don Quijote mit an, und nun begriff jener vollends die Krankheit seines Nachbarn. So begann er denn laut zu rufen: »Öffnet, ihr Herrschaften, dem Herrn Baldovinos und dem Herrn Markgrafen von Mantua, der hart verwundet daherkommt, und dem Herrn Mohren Abindarráez, den der tapfre Rodrigo von Narváez, der Vogt von Antequera, gefangen herführt.«
Bei diesen Worten eilten sie alle heraus, und da die beiden Männer ihren Freund, die Frauen ihren Herrn und ihren Oheim erkannten – der noch nicht von dem Esel abgestiegen war, weil er nicht konnte –, liefen sie herbei, ihn zu umarmen. Er aber sagte: »Bleibt alle zurück, denn ich komme schwer verwundet daher durch meines Rosses Schuld; man bringe mich in mein Bett und rufe, sofern es möglich sein sollte, die weise Urganda, damit sie meine Wunden verbinde und pflege.«
»Seht nur, zum Henker!« sagte hier die Haushälterin, »ob mir mein Herz es nicht richtig gesagt hat, wo es meinem Herrn fehlt. Gehe Euer Gnaden in Gottes Namen hinauf; denn ohne daß jene Urganda zu kommen braucht, werden wir Eure Wunden hier zu pflegen wissen. Verflucht, sag ich, seien noch einmal und noch hundertmal diese Ritterbücher, die Euer Gnaden so zugerichtet haben.«
Sie brachten ihn sogleich zu Bette, und als sie ihm die Wunden untersuchen wollten, fanden sie keine; er aber sagte, es sei alles nur eine Quetschung, weil er mit seinem Gaul Rosinante einen großen Sturz getan, als er mit zehn Riesen gekämpft, den ungeschlachtesten und verwegensten, die man weit und breit auf Erden finden könne.
»Aha!« sagte der Pfarrer, »Riesen sind im Spiel? Beim Zeichen des heiligen Kreuzes, ich will sie morgen verbrennen, bevor der Abend kommt.«
Man stellte dem Ritter hunderterlei Fragen, aber auf keine mochte er etwas andres erwidern, als daß man ihm zu essen geben und ihn schlafen lassen solle; denn das sei ihm das Nötigste. Es geschah also, und der Pfarrer erkundigte sich sehr ausführlich bei dem Bauern nach den Umständen, unter denen er Don Quijote gefunden habe. Dieser erzählte ihm alles, nebst dem Unsinn, den der Junker geäußert, als er ihn fand und als er ihn herbrachte, und dies verstärkte im Lizentiaten den Vorsatz, das zu tun, was er andern Tags wirklich ausführte, nämlich seinen Freund Meister Nikolas zu rufen und sich mit ihm in Don Quijotes Haus zu begeben.
6. Kapitel
Von der heiteren und gründlichen Untersuchung, welche der Pfarrer und der Barbier in der Bücherei unsres sinnreichen Junkers anstellten
Der aber schlief noch immer. Der Pfarrer forderte der Nichte die Schlüssel des Gemaches ab, wo die Bücher, die Anstifter des Unheils, sich befanden, und sie gab sie ihm mit gar vielem Vergnügen. Sie traten alle hinein, und die Haushälterin mit ihnen, und fanden mehr als hundert Bände großer, gut gebundener Bücher nebst andern, kleineren; und sobald die Haushälterin sie sah, ging sie in großer Eile wieder aus dem Zimmer hinaus, kehrte bald mit einem Näpfchen Weihwasser und einem Weihwedel zurück und sagte: »Nehmet, Euer Gnaden, Herr Lizentiat, besprengt dieses Zimmer, damit kein Zauberer von den vielen, die diese Bücher enthalten, hierbleibe und uns verzaubere, um uns zu strafen für die Strafe, mit der wir sie belegen wollen, indem wir sie aus der Welt schaffen.«
Den Lizentiaten brachte die Einfalt der Haushälterin zum Lachen, und er wies den Barbier an, er solle ihm von den Büchern eins nach dem andern reichen, um zu sehen, wovon sie handelten, da es doch sein könnte, daß man einige fände, welche die Strafe des Feuers nicht verdienten. »Nein«, sagte die Nichte, »es ist kein Grund, irgendeines zu verschonen; denn sie alle sind die Unheilstifter gewesen. Am besten wird es sein, sie zum Fenster hinaus in den Vorhof zu schleudern, sie zu einem Haufen zu schichten und Feuer an sie zu legen oder, wenn nicht, sie in den großen Hof zu werfen; dort soll der Scheiterhaufen errichtet werden, und so wird der Rauch nicht beschwerlich fallen.«
Das nämliche sagte die Haushälterin, so groß war das Verlangen, das die beiden nach dem Tode dieser unschuldigen Kindlein trugen. Allein der Pfarrer wollte nicht darauf eingehen, ohne wenigstens erst die Titel zu lesen.
Das erste, was ihm Meister Nikolas in die Hände gab, waren Die vier Bücher des Amadís von Gallien, und der Pfarrer sprach: »Es scheint hierbei etwas Wundersames zu walten; denn wie ich habe sagen hören, war dieses Werk das erste Ritterbuch, das in Spanien gedruckt wurde, und alle übrigen haben ihren Ausgang und Ursprung von diesem genommen; und also ist meine Meinung, daß wir den Amadís als den Irrlehrer und Stifter einer so schlimmen Sekte, ohne Zulassung irgendeines Milderungsgrundes, zum Feuer verurteilen müssen.«
»Nein, Herr Pfarrer«, entgegnete der Barbier, »denn ich habe auch sagen hören, es sei das beste aller Bücher, die in dieser Art verfaßt worden, und so muß ihm, als einzig in seiner Kunstgattung, Gnade zuteil werden.«
»Das ist richtig«, sagte der Pfarrer, »und aus diesem Grunde wird ihm für jetzt das Leben gewährt. Sehen wir jenes andere an, das neben ihm steht.«
»Das«, sagte der Barbier, »sind die Geschichten von Esplandian, dem ehelichen Sohn des Amadís von Gallien.«
»Nun, in der Tat«, versetzte der Pfarrer, »dem Sohne soll die Trefflichkeit des Vaters nicht zugute kommen; nehmt, Jungfer Haushälterin, öffnet das Fenster dort und werft ihn in den Hof; mit ihm soll die Aufschichtung des Scheiterhaufens begonnen werden, den wir errichten wollen.«
Mit großem Behagen tat die Haushälterin also, und der gute von Esplandian nahm seinen Flug in den Hof und harrte daselbst in aller Geduld des Feuers, das ihm drohte.
»Weiter!« sprach der Pfarrer.
»Der hier kommt«, sagte der Barbier, »ist Amadís von Griechenland; ja alle auf dieser Seite, wie ich glaube, sind aus der nämlichen Sippschaft des Amadís.«
»So mögen sie alle in den Hof hinabwandern«, sprach der Pfarrer; »denn um die Königin Pintiquiniestra verbrennen zu dürfen, nebst dem Schäfer Darinel und seinen Hirtengedichten und den verteufelten und verdrehten Redensarten ihres Verfassers, würde ich mit ihnen meinen eigenen Vater verbrennen, wenn er in der Gestalt eines fahrenden Ritters aufträte.«
»Dieser Meinung bin ich auch«, versetzte der Barbier.
»Und ich auch«, fügte die Nichte bei.
»Da dem so ist«, sprach die Haushälterin, »her damit und in den Hof mit ihnen!«
Man reichte sie ihr, es waren deren viele, und sie ersparte sich die Treppe und warf sie zum Fenster hinaus.
»Wer ist jenes Stückfaß?« fragte der Pfarrer.
»Es ist dies«, antwortete der Barbier, » Don Olivante de Laura.«
»Der Verfasser dieses Buches«, sprach der Pfarrer, »war derselbe, welcher den Blumengarten schrieb, und in der Tat, ich könnte nicht entscheiden, welches von beiden Büchern wahrhafter, oder richtiger gesagt, minder lügenhaft ist; ich kann nur sagen, daß dieses, weil es ungereimt und frech, in den Hof wandern wird.«
»Dieses folgende Buch ist Florismarte von Hyrkanien«, sagte der Barbier.
»Ist der Herr Florismarte da?« entgegnete der Pfarrer. »Auf mein Wort denn, er soll baldigst seine Bestimmung im Hofe finden, trotz seiner wundersamen Geburt und seiner chimärischen Abenteuer; denn die Härte und Trockenheit seines Stils gestattet nichts anderes. In den Hof mit ihm und mit jenem andern, Jungfer Haushälterin.«
»Mir recht, Herr Pfarrer«, antwortete sie und vollstreckte mit vielen Freuden, was ihr aufgetragen worden.
»Dies ist Der Ritter Platir«, sagte der Barbier.
»Es ist ein altes Buch«, versetzte der Pfarrer, »und ich finde nichts darin, das Gnade verdiente; es begleite die andern ohne Widerrede.«
Und so geschah es.
Ein andres Buch ward aufgeschlagen, und sie sahen, daß es den Titel hatte Der Ritter vom Kreuz.
»Um eines so heiligen Namens willen, wie dieses Buch trägt, hätte man ihm seine Dummheit verzeihen können; allein man pflegt auch zu sagen: ›Hinter dem Kreuze lauert der Teufel.‹ Ins Feuer mit ihm!«
Der Barbier nahm ein andres Buch und sprach: »Dieses ist der Spiegel des Rittertums.«
»Wohl kenn ich Seine Gnaden«, sagte der Pfarrer. »Dort treten Herr Rinaldo von Montalban auf mit seinen Freunden und Gefährten, die räuberischer sind als Cacus, und die zwölf Pairs mit dem wahrheitsliebenden Geschichtsschreiber Turpin; und wirklich, ich bin geneigt, sie zu nicht mehrerem als zu ewiger Verbannung zu verurteilen, wenn es auch nur deshalb wäre, weil sie einen Anteil an der Dichtung des berühmten Mateo Bojardo haben, aus welcher hinwiederum der christliche Dichter Ludovico Ariosto sein Gewebe entnommen. Und wenn ich diesen hier finde und er in einer anderen Sprache als der seinigen redet, so werde ich ihm keinerlei Achtung bezeigen; wenn er aber in seiner eigenen Zunge spricht, dann werde ich ihm mein Haupt mit Verehrung beugen.«
»Wohl, ich habe ihn auf italienisch«, sagte der Barbier, »aber ich verstehe ihn nicht.«
»Es wäre auch nicht einmal gut, daß Ihr ihn verstündet«, antwortete der Pfarrer, »und daher hätten wir es jenem Herrn Hauptmann gern erlassen, wenn er ihn nicht nach Spanien herübergebracht und zum Kastilier umgeschaffen hätte; denn er hat ihm viel von seinem ursprünglichen Werte benommen. Und dasselbe wird jedem begegnen, der in Versen geschriebene Werke in eine andere Sprache übertragen will; denn wie viele Sorgfalt er anwende und wieviel Geschicklichkeit er an den Tag lege; nie wird er die Vollendung erreichen, die sie in ihrer ersten Gestaltung besitzen. Ich bestimme also, daß dies Buch und alle, die über jene französischen Geschichten handeln, in eine trockene Brunnengrube geworfen und verwahrt werden sollen, bis man mit mehr Überlegung beurteilen kann, was mit ihnen zu tun ist; wobei ich jedoch einen gewissen Bernardo del Carpio, der sich in der Welt herumtreibt, und ein andres Buch, des Titels Roncesvalles, ausnehme; denn diese, sobald sie in meine Gewalt gelangen, sollen sogleich in die der Haushälterin kommen und aus dieser in die des Feuers, ohne Gnade und Erbarmen.«
Dieses Urteil bestätigte der Barbier und erachtete es für recht und durchaus sachgemäß; denn ihm war wohl bewußt, daß der Pfarrer ein so guter Christ und so großer Freund der Wahrheit war, daß er um aller irdischen Dinge willen nie etwas als eben die Wahrheit gesagt hätte.
Und ein andres Buch aufschlagend, fand er, es sei Palmerin de Oliva, und nebenan stand eines, das Palmerin von England hieß. Als der Lizentiat das sah, sprach er: »Jenen Olivenbaum schlage man zu Splittern und verbrenne ihn, daß auch nicht die Asche von ihm übrigbleibe; aber jene Palme von England hebe man auf und bewahre sie als etwas Einziges, und man mache für sie ein solches Kästchen wie jenes, das Alexander unter der Beute des Darius fand und das er bestimmte, darin die Werke des Dichters Homer aufzubewahren. Dies Buch, Herr Gevatter, steht aus zwei Gründen in Hochachtung: der eine, weil es an sich ein sehr gutes Buch ist, der andere, weil der Ruf geht, daß ein geistvoller König von Portugal es verfaßt hat. Die sämtlichen Abenteuer im Schlosse der Prinzessin Miraguarda sind vortrefflich und mit großer Kunst entworfen; die Gespräche, in gutem Ton und klarem Stil, beobachten und bezwecken stets das für die sprechende Person Geziemende in angemessenster Weise und mit großem Verständnis. Ich tue sonach den Ausspruch, vorbehaltlich Eures Gutbefindens, Meister Nikolas, daß dieses Buch und Amadís von Gallien des Feuers ledig bleiben und die anderen ohne langes Probieren und Examinieren sämtlich umkommen sollen.«
»Nein, Herr Gevatter«, entgegnete der Barbier, »denn dieser, den ich hier habe, ist der weitberühmte Don Belianís.«
»Der freilich«, versetzte der Pfarrer, »mit dem zweiten, dritten und vierten Teile, bedarf einiges Rhabarbers, um seinen übermäßigen Jähzorn abzuführen, und es ist unerläßlich, aus ihnen all jenes von der Burg des Ruhms und andere Ungereimtheiten von größerem Belang fortzuschaffen. Dazu wird ihnen dieselbe Frist gewährt wie für gerichtliche Vorladungen über See, und je nachdem sie sich bessern sollten, je nachdem wird ihnen Gnade oder Recht widerfahren. Und Ihr mittlerweile behaltet sie, Gevatter, in Eurem Hause, aber lasset niemand sie lesen.«
»Dem stimme ich bei«, sagte der Barbier. Und ohne sich mehr mit dem Durchsehen von Ritterbüchern langweilen zu wollen, wies der Pfarrer die Haushälterin an, sie solle alle die großen Bände nehmen und sie in den Hof werfen. Dies war nicht tauben Ohren gepredigt; denn die alte Jungfer hatte ohnehin noch größere Lust, die Bücher zu verbrennen, als ein ganzes Stück Leinwand für den Weber zurechtzumachen, und wäre es auch noch so groß und fein; sie ergriff etwa acht auf einmal und warf sie zum Fenster hinaus.
Da sie zu viele zusammen nahm, fiel ihr eins zu den Füßen des Barbiers nieder; den überkam das Verlangen zu sehen, von wem es sei, und er fand, daß es besagte: Geschichte des berühmten Ritters Tirante des Weißen.
»Helf mir Gott!« sprach der Pfarrer mit lautem Aufschrei. »So wäre denn Tirante der Weiße auch hier? Gebt mir ihn her, Gevatter, denn ich meine, ich habe in ihm einen Schatz von Vergnügen und eine Fundgrube von Zeitvertreib gefunden. Hier finden sich Don Kyrieleisón von Montalbán, der tapfere Ritter, und sein Bruder Tomás von Montalbán und der Ritter Fonseca und der Kampf, den der Haudegen von Tirante gegen den Bullenbeißer bestand, und die klugen Einfälle des Fräuleins Meineslebenslust, nebst der Liebesmühe und der Heimtücke der Witwe Geruhsam, und die Frau Kaiserin, so in den Schildknappen Hippolyt verliebt ist. Ich sag Euch in Wahrheit, Herr Gevatter, daß es in seiner Art das beste Buch der Welt ist. Hier wenigstens essen doch die Ritter und schlafen und sterben in ihrem Bette und machen Testamente vor ihrem Tode, nebst andern Dingen, deren alle übrigen Bücher dieser Sorte ermangeln. Trotz alledem, sage ich Euch, verdiente der Verfasser, da er absichtlich so große Albernheiten geschrieben, daß man ihn, wenn auch nicht wie die andern zum Feuertode, doch wenigstens für zeitlebens auf die Galeeren schicken sollte. Nehmt ihn fort nach Hause und leset ihn, und Ihr werdet sehen, daß alles, was ich Euch von ihm gesagt habe, Wahrheit ist.«
»So soll’s geschehen«, sagte der Barbier. »Aber was werden wir mit diesen kleinen Bänden anfangen, die noch übrig sind?«
»Diese«, versetzte der Pfarrer, »dürften nicht Ritterbücher, sondern Dichtwerke sein.«
Er schlug eines auf und sah, daß es Die Diana von Georg von Montemayor war, und sagte, in der Meinung, alle übrigen seien von derselben Art: »Diese verdienen nicht, verbrannt zu werden wie die andern; denn sie stiften nicht solchen Schaden und werden ihn nie stiften, wie ihn die Rittergeschichten angerichtet haben; sie sind Bücher von Verständnis und Einsicht, die keinem Dritten schaden können.«
»Ach, Herr Pfarrer«, versetzte die Nichte, »immerhin könnte Euer Gnaden sie verbrennen lassen wie die andern; denn es wäre nicht zu verwundern, daß meinen Oheim, wenn er von der Ritterkrankheit genesen, beim Lesen dieser Bücher die Lust ankäme, ein Schäfer zu werden und singend und musizierend durch die Wälder und Wiesen zu wandeln und, was noch schlimmer wäre, ein Dichter zu werden, was, wie die Leute sagen, eine unheilbare und ansteckende Krankheit sein soll.«
»Dieses Mädchen redet die Wahrheit«, sagte der Pfarrer, »und es wird gut sein, diese Gelegenheit und Veranlassung zum Straucheln unsrem Freunde vor den Füßen wegzuräumen. Und da wir mit der Diana Montemayors angefangen haben, so bin ich des Erachtens, daß man sie nicht verbrenne, sondern ihr alles wegschneide, was von der weisen Felicia und dem verzauberten Wasser handelt, sowie die meisten Verse in längeren Silbenmaßen, und es verbleibe ihm in Gottes Namen die Prosa und die Ehre, der erste in solcherlei Werken zu sein.«
»Dies folgende«, sagte der Barbier, »ist der zweite Teil der Diana, gewöhnlich Die zweite Diana von dem Salmantiner geheißen, und dieses ist ein andres, das denselben Titel trägt und dessen Verfasser Gil Polo ist.«
»So soll die des Dichters aus Salamanca«, antwortete der Pfarrer, »die Anzahl der zum Sturz in den Hof Verurteilten begleiten und vermehren, und die des Gil Polo soll aufbewahrt werden, als wenn sie von Apollo selbst wäre; und geht weiter, Herr Gevatter, denn es wird allgemach spät.«
»Dieses Buch«, sagte der Barbier, indem er ein anderes aufschlug, »heißt Die zehen Bücher von den Schicksalen der Liebe, verfaßt von Antonio de Lofraso, einem sardinischen Dichter.«
»Bei den Weihen, die ich empfangen«, versetzte der Pfarrer, »ich sag Euch, daß, seit Apollo Apollo ist und die Musen Musen und die Poeten Poeten, ein so unterhaltendes und närrisches Buch wie dies nicht geschrieben worden, und in seiner Weise ist es das beste und erlesenste von allen, die in dieser Dichtungsart ans Licht der Welt getreten sind; und wer es nicht gelesen hat, darf wohl glauben, daß er nie etwas Ergötzliches gelesen hat. Gebt mir es her, Gevatter, denn diesen Fund schätze ich höher, als wenn man mir einen Chorrock aus florentinischen Stücken geschenkt hätte.«
Er legte es mit absonderlichem Vergnügen beiseite, und der Barbier fuhr fort: »Diese folgenden sind Der Schäfer von Iberien, die Nymphen und Hirten des Henares und die Genesung von der Eifersucht.«
»Wohl, da ist nichts weiter zu tun«, sagte der Pfarrer, »als sie dem weltlichen Arm der Haushälterin zu übergeben, und man frage mich nicht nach dem Warum; denn das hieße, niemals zu Ende zu kommen.«
»Dieses, das jetzt kommt, ist Filidas Schäfer.«
»Der ist kein Schäfer«, sagte der Pfarrer, »sondern ein höchst geistreicher Hofmann; man hebe es auf als ein kostbares Juwel.«
»Dieses große, das hier kommt«, sagte der Barbier, »betitelt sich Schatz von Gedichten verschiedener Art.«
»Wenn ihrer nicht so viele wären«, bemerkte der Pfarrer, »würden sie in höherem Werte stehen; es wäre erforderlich, ihm das Unkraut auszujäten und es von einigen ordinären Sachen zu reinigen, die sich unter seinen großartigen Schönheiten finden. Es soll aufbewahrt werden, weil sein Verfasser mein Freund ist, und aus Rücksicht auf andere, bedeutsamere und erhabenere Werke, die er geschrieben.«
»Dieses ist«, fuhr der Barbier fort, » Das Liederbuch des Lopez Maldoñado.«
»Auch der Verfasser dieses Buches«, entgegnete der Pfarrer, »ist ein großer Freund von mir, und in seinem Munde setzen seine Verse jeden, der sie hört, in bewunderndes Erstaunen, und so süß ist die Lieblichkeit seiner Stimme, daß, was aus seiner Kehle klingt, tief in die Seele dringt. Er ist etwas weitschweifig in den Hirtengedichten, aber des Guten kann man nie zuviel bringen; hebt es bei den auserwählten auf. Aber was für ein Buch ist jenes, das danebensteht?«
»Die Galatea von Miguel de Cervantes«, sagte der Barbier.
»Viele Jahre ist es her, daß dieser Cervantes mir sehr befreundet ist, und ich weiß, daß er erfahrener ist im Leid als im Lied. Sein Buch hat einiges von guter Erfindung, legt einiges an und führt nichts durch. Man muß den zweiten Teil abwarten, den er verspricht; vielleicht wird er durch nachträgliche Besserung das milde Urteil völlig verdienen, das ihm jetzt versagt wird; und mittlerweile haltet ihn eingesperrt in Eurer Wohnung, Herr Gevatter!«
»Einverstanden«, antwortete der Barbier. »Und hier kommen drei miteinander: Die Araucana von Don Alonso de Ercilla, Die Austríada von Juan Rufo, dem Stadtrat zu Córdoba, und Der Monserrate von dem valencianischen Dichter Christóbal de Virués.«
»Alle diese drei Bücher«, sagte der Pfarrer, »sind die besten, die in achtzeiligen Stanzen in spanischer Sprache geschrieben sind, und können sich mit den berühmtesten Italiens messen; sie sollen aufbewahrt werden als die reichsten Pfänder der Dichtkunst, die Spanien besitzt.«
Der Pfarrer war es müde, noch länger Bücher anzusehen, und so verlangte er, alle übrigen sollten auf einen Schlag verbrannt werden; aber schon hatte der Barbier eines aufgeschlagen, welches den Titel trug: Die Tränen der Angelika.
»Tränen würde ich selber weinen«, sagte der Pfarrer, als er den Namen hörte, »wenn ich angeordnet hätte, ein solches Buch zu verbrennen; denn sein Verfasser war einer der berühmtesten Dichter auf Erden und war auch in der Übersetzung einiger Ovidischer Erzählungen sehr glücklich.«
7. Kapitel
Von der zweiten Ausfahrt unsres trefflichen Ritters Don Quijote von der Mancha
Wie man so weit war, begann Don Quijote mit lauter Stimme zu rufen: »Hier, hier, tapfere Ritter, hier ist’s not, die Kraft eurer tapfern Arme zu zeigen; denn die Ritter vom Hofe tragen das Beste im Turnier davon!«