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»Wir alle tun das gleiche«, erwiderten die Hirten und wollten das Los werfen, wer dableiben sollte, für alle andern die Ziegen zu hüten.
»Hast recht, Pedro«, sprach einer von ihnen, »aber zu losen braucht ihr gar nicht; ich will für alle dableiben; und nicht aus tugendsamen Beweggründen oder Mangel an Neugier, sondern weil ich wegen des Splitters, den ich mir vor einigen Tagen in den Fuß gestochen habe, nicht gehen kann.«
»Trotz alledem sind wir dir dankbar dafür«, entgegnete Pedro.
Don Quijote fragte Pedro, wer jener Verstorbene und wer jene Schäferin sei. Darauf erwiderte Pedro, alles, was er wisse, sei, daß der Verstorbene ein reicher und vornehmer Herr gewesen, aus einem Dorfe dort im Gebirge; er sei lange Jahre in Salamanca Student gewesen und dann mit dem Ruf eines hochgelahrten und sehr belesenen Mannes in sein Dorf zurückgekommen. »Sonderlich, sagten die Leute, verstand er die Wissenschaften von den Sternen und wußte, was Sonne und Mond dort am Himmel treiben; denn er sagte uns jedesmal pünktlich die Hindernisse von Sonne und Mond.«
»›Finsternisse‹ heißt’s, guter Freund, und nicht ›Hindernisse‹, wenn diese beiden großen Himmelslichter sich verdunkeln«, sagte Don Quijote.
Aber Pedro kümmerte sich nicht um Kleinigkeiten und fuhr mit seiner Erzählung fort: »So hat er auch proffenzeit, ob es eine gute Ernte oder ein Mistjahr gäbe.«
»›Mißjahr‹ wollt Ihr sagen«, fiel Don Quijote ein.
»Mißjahr oder Mistjahr«, antwortete Pedro, »kommt alles auf eins heraus. Und ich sag Euch, durch all das, was er ihnen sagte, wurde sein Vater samt Freunden steinreich; denn sie taten, was er ihnen riet, je nachdem er ihnen sagte: ›Säet dieses Jahr Gerste und keinen Weizen; dieses Jahr könnt ihr Kichererbsen säen und keine Gerste; das nächste Jahr wird ein Jahr reichster Ölernte sein, in den drei folgenden wird man keinen Tropfen eintun.‹«
»Diese Wissenschaft heißt man Astrologie«, sagte Don Quijote.
»Ich weiß nicht, wie sie heißt«, versetzte Pedro; »aber ich weiß, daß er alles das wußte und noch mehr. Kurz und gut, es gingen nicht viel Monate ins Land, seit er von Salamanca kam, da zeigte er sich auf einmal als Schäfer gekleidet mit seinem Krummstab und Schafpelz; den langen Rock, den er als ein studierter Mann trug, hatte er abgelegt, und zugleich mit ihm kleidete sich als Schäfer sein Herzensfreund Ambrosio, der beim Studieren sein Kamerad gewesen. Ich hab zu sagen vergessen, daß der Grisóstomo, der Verstorbene, ein großer Mann war im Dichten und Reimen, so daß er es war, der die Hirtenlieder für die Christnacht machte, auch Fronleichnamsstücke, die die Burschen aus unserem Ort aufführten, und jeder sagte, sie wären über alle Maßen schön. Wie die Leute vom Ort plötzlich die beiden studierten Jünglinge in Schäfertracht erblickten, waren sie höchlich verwundert und konnten den Grund nicht erraten, der sie zu einer so sonderbaren Verwandlung bewogen hatte. Inzwischen war der Vater des Grisóstomo gestorben, und er erbte ein sehr großes Vermögen sowohl an fahrender Habe als auch an Grund und Boden und eine nicht geringe Menge von großem und kleinem Vieh und einen großen Haufen bares Geld; über alles das war er nun der uneingeschränkte Herr. Und in Wahrheit, er war das alles wert, denn er war ein guter Kamerad und war mildtätig und ein Freund der Redlichen und hatte ein Gesicht wie ein wahrer Segen Gottes. Später hat man in Erfahrung gebracht, daß er aus keiner andern Ursach seine Tracht veränderte, als weil er in diesen abgelegenen Gründen jener Marcela nachgehen wollte, die unser Junge vorher genannt hat; in die hatte sich der arme Kerl von Grisóstomo, der anjetzo tot ist, verliebt. Und jetzt will ich Euch sagen, denn es gehört sich, daß Ihr es wisset, wer dies Mägdlein ist, vielleicht, oder auch ganz gewiß, habt Ihr dergleichen Euer Lebtage nicht gehört, und wenn Ihr auch länger lebt als Jerusalem.«
»Sagt ›Methusalem«‹, versetzte Don Quijote, der die Wortverwechslung des Ziegenhirten nicht leiden mochte.
»Ach, das Jerusalem hat auch ein langes Leben gehabt«, entgegnete Pedro, »und wenn es so geht, Herr, und Ihr mir jeden Ritt an den Worten mäkeln wollt, so werden wir in einem Jahr nicht fertig.«
»Entschuldiget, guter Freund«, entgegnete Don Quijote, »ich sagte es nur, weil ein so großer Unterschied zwischen Jerusalem und Methusalem ist; aber Eure Antwort war sehr gut, denn allerdings hat Jerusalem noch ein längeres Dasein als Methusalem. Und fahret nun mit Eurer Geschichte fort, ich will Euch in nichts mehr hineinreden.«
»Ich sage also, liebster, bester Herr«, sprach der Ziegenhirt, »daß in unserm Dorf ein Bauer lebte, der noch reicher war als Grisóstomos Vater; der hieß Guillermo, und ihm schenkte Gott neben dem vielen und großen Reichtum eine Tochter, deren Geburt die Mutter das Leben kostete; das war die bravste Frau, die man weit und breit im Lande finden mochte. Mir kommt’s vor, ich sehe sie noch, mit jenem Gesicht, auf dem zu einer Seite die Sonne und zur andern der Mond leuchtete, und vor allem war sie fleißig zur Arbeit und eine Freundin der Armen, weshalb ich glaube, ihre Seele wohnt jetzt zur Stunde in jener Welt im Genusse von Gottes Seligkeit. Aus Schmerz über den Tod einer so vortrefflichen Frau starb ihr Mann Guillermo und ließ seine Tochter Marcela unter der Vormundschaft ihres Oheims, eines Geistlichen, der in unserm Ort die Pfründe innehat. Das Kind wuchs zu solcher Schönheit heran, daß es uns an die erinnerte, die seine Mutter in so hohem Grade besessen, und bei alldem war doch das allgemeine Urteil, daß die der Tochter sie noch übertreffen werde. Und so ist’s auch gekommen; denn als sie zum Alter von vierzehn bis fünfzehn Jahren gelangte, schaute sie keiner an, ohne daß er nicht Gott lobpries, der sie so schön geschaffen, und schier jeder war auf den Tod verliebt in sie. Ihr Oheim hielt sie unter guter Aufsicht und in großer Eingezogenheit; aber trotzdem verbreitete sich der Ruf ihrer absonderlichen Schönheit so sehr, daß um derentwillen sowohl als ihres großen Reichtums wegen nicht nur von den Leuten aus unserem Dorfe, sondern von denen aus der ganzen Gegend, viele Meilen in der Runde, und zwar von den angesehensten, der Oheim täglich angegangen, mit Bitten bestürmt und heftig gedrängt wurde, sie ihnen zum Weibe zu geben. Aber er, ein richtiger guter Christ, wenn er sie auch gern verheiratet hätte, als er sie in dem Alter dazu sah, wollte es nicht ohne ihre Einwilligung tun, – gewißlich ohne daß er ein Auge auf den Vorteil und Erwerb hatte, den ihm die Verwaltung von Hab und Gut des Mädchens bot, wenn er ihre Verheiratung hinausschob. Und wahrlich, in mehr als einem Plauderkränzchen im Dorfe ist das zum Lobe des geistlichen Herrn gesagt worden. Ihr müßt nämlich wissen, fahrender Herr Ritter, daß in diesen kleinen Ortschaften über alles geschwatzt und alles bös mitgenommen wird; und seid überzeugt, wie ich es bin, daß der Geistliche über die Maßen brav sein muß, der seine Pfarrkinder nötigt, Gutes von ihm zu reden, zumal auf dem Lande.«
»So ist’s in Wahrheit«, sagte Don Quijote, »und fahrt weiter fort; denn die Erzählung ist sehr anziehend, und Ihr, mein guter Pedro, erzählt sie so hübsch, daß man sein Wohlgefallen daran haben muß.«
»Möge Gottes Wohlgefallen mir nicht gebrechen, denn das ist die Hauptsache. Und fürs übrige müßt Ihr wissen, daß, obschon der Oheim seiner Nichte Vorschläge tat und ihr die Vorzüge eines jeden ihrer vielen Freier im besondern auseinandersetzte und sie bat, zu heiraten und die Wahl nach ihrem Geschmack zu treffen, sie nie eine andre Antwort gab, als daß sie sich für jetzt nicht verheiraten wolle, und sie halte sich wegen ihrer großen Jugend nicht für geeignet, die Lasten der Ehe zu tragen. Auf diese dem Anscheine nach ganz triftigen Gründe hörte der Oheim mit seinem Zureden auf und wartete ab, bis sie etwas mehr in die Jahre käme und selbst nach ihrer Neigung einen Lebensgefährten wählen würde. Denn er sagte, und sagte sehr mit Recht, die Eltern sollten ihren Kindern nicht wider ihren Willen einen Hausstand gründen. Aber sieh da, ehe man sich’s versieht, eines Tages kommt die launische Marcela in der Tracht einer Schäferin gegangen; und ohne daß ihr Oheim oder die Leute im Ort, die es ihr alle abrieten, etwas dagegen vermochten, fiel es ihr ein, mit den andern Mädchen vom Dorf aufs Feld zu gehen und ihre Herde selbst zu hüten. Und wie sie nun unter die Leute ging und man ihre Schönheit ohne Schleier erblickte, da kann ich gar nicht gebührend sagen, wieviel reiche Jünglinge, so Junker wie Bauern, seitdem die Tracht des Grisóstomo angenommen haben und überall auf der Flur umher ihr den Hof machen.
Zu denen, wie ich Euch schon gesagt, gehörte auch der Verstorbene, und die Leute sagten, er habe zuletzt aufgehört, sie zu lieben, und sie nur noch angebetet. Man muß aber nicht denken, daß Marcela, weil sie sich solcher Freiheit und solch zwanglosem Leben, wobei so wenige oder gar keine Zurückgezogenheit möglich, ergeben hat, darum irgendein Merkmal, auch nur mit dem geringsten Anschein, hätte sehen lassen, das ihrer Ehrbarkeit und Züchtigkeit zur Schädigung gereichte; vielmehr ist die Wachsamkeit, mit der sie ihre Ehre hütet, so groß und solcher Art, daß von allen, die ihr dienen und um sie werben, keiner sich je gerühmt hat noch in Wahrheit je rühmen kann, sie hätte ihm nur die kleinste Hoffnung vergönnt, seinen Wunsch zu erreichen. Denn sie will zwar die Gesellschaft und Unterhaltung mit den Hirten nicht fliehen noch vermeiden und behandelt sie höflich und freundlich; sobald aber einer von ihnen, wer auch immer, so weit geht und ihr seine Absichten entdeckt, seien sie auch so redlich und heilig, wie es das Begehren einer Heirat ist, schleudert sie ihn weit von sich weg, wie aus einer Wurfmaschine geschossen. Und mit dieser Art von Benehmen richtet sie mehr Schaden in diesem Lande an, als wenn die Pest darin einzöge. Denn ihre Umgänglichkeit und Schönheit verleitet die Herzen derer, die mit ihr verkehren, ihr Huldigung und Liebe zu widmen; aber die Verschmähung und Enttäuschung, die sie ihnen werden läßt, treibt die Leute der Verzweiflung entgegen, und so wissen sie nicht mehr, was sie ihr sagen sollen, außer sie mit lauter Stimme grausam und undankbar zu schelten, nebst andren Benennungen solcher Art; Ausdrücken, die ganz richtig ihre Gemütsart kennzeichnen. Wenn Ihr, Herr, Euch einmal hier verweiltet, würdet Ihr finden, wie die Berge und Täler hier widerhallen von den Wehklagen der Verschmähten, die ihr nachlaufen. Nicht weit von hier ist ein Platz, wo etwa zwei Dutzend hoher Buchen stehen, und da ist keine, die nicht auf ihrer glatten Rinde den Namen Marcela eingegraben und eingezeichnet trägt, und hie und da ist eine Krone darüber in den Baum geschnitten, als ob der Verliebte sagen wollte, daß Marcela die Krone aller irdischen Schönheit trägt und verdient. Hier stößt ein Schäfer Seufzer aus, dort wehklagt ein andrer, an jener Stelle hört man verliebte Lieder, an dieser verzweiflungsvolle Trauergesänge. Es gibt manchen, der die ganze Nacht unter einer Eiche oder einem Felsgrat sitzen bleibt; und ohne daß er die tränenvollen Augen schließt, in seine Gedanken verloren und verzückt, hat ihn öfters die Sonne noch am Morgen dort gefunden; es gibt manchen, der, ohne seiner Qual einen Ausweg oder einen Augenblick Ruhe zu vergönnen, sich mitten in der Hitze des drückendsten Sommermittags auf den glühenden Sand hinstreckt und seine Klagen zum erbarmungsvollen Himmel schickt; und über diesen und über jenen und über all diese und all jene, frei und unbefangen, triumphiert die schöne Marcela. Und wir alle, die wir sie kennen, stehen in Erwartung, wo ihre Hoffart am Ende hinauswill und wer der Glückliche sein wird, der einen so schrecklichen Charakter bändigen und einer so außerordentlichen Schönheit Herr werden soll. Sintemal nun alles, was ich berichtet, so zweifellos wahr ist, so denke ich, es ist ebenso mit den Angaben über die Ursache vom Tode des Grisóstomo, die unser Bursche uns berichtet hat. Und so rat ich Euch, Señor, unterlasset nicht, Euch morgen bei seinem Begräbnis einzufinden; es ist gewiß sehr sehenswert; denn Grisóstomo hat viele Freunde, und von hier bis zu der Stelle, wo er begraben sein wollte, ist’s keine halbe Meile.«
»Ich halt es wohl im Sinn«, sagte Don Quijote, »und danke Euch für das Vergnügen, das Ihr mir mit dem Vortrag einer so anziehenden Geschichte gewährt habt.«
»Oh!« entgegnete der Hirt, »ich weiß lange nicht die Hälfte von all dem, was sich mit den Liebhabern der Marcela zugetragen hat; aber möglicherweise finden wir morgen unterwegs einen Schäfer, der uns alles erzählt. Jetzt aber wird’s gut sein, wenn Ihr unter Dach und Fach schlafen geht; denn die Nachtluft könnte Eurer Wunde Schaden tun, wiewohl das Heilmittel, das Euch aufgelegt worden, derart ist, daß von keinem widrigen Zufall mehr etwas zu besorgen steht.«
Sancho Pansa, der schon längst das lange Gerede des Hirten zum Teufel wünschte, bat auch seinerseits darum, sein Herr möge in Pedros Hütte schlafen gehen. So tat er es denn, und der größte Teil der Nacht verging ihm unter Gedanken an seine Gebieterin Dulcinea, in Nachahmung der Liebhaber Marcelas. Sancho Pansa machte sich’s zwischen Rosinante und seinem Esel bequem und schlief, nicht wie ein verschmähter Liebhaber, sondern wie ein wohlzerprügelter Schildknappe.
13. Kapitel
Worin die Geschichte der Schäferin Marcela beschlossen wird, nebst andern Begebenheiten
Aber kaum begann der Tag sich an den Fenstern des Ostens zu zeigen, als fünfe von den sechs Ziegenhirten sich vom Lager erhoben und hingingen, Don Quijote zu wecken und ihn zu fragen, ob er noch immer des Vorhabens sei, zu dem vielbesprochenen Begräbnis des Grisóstomo zu gehen; dann würden sie ihm Gesellschaft leisten. Don Quijote, der nichts andres wünschte, stand auf und befahl Sancho, augenblicklich zu satteln und den Tieren Zaum und Halfter anzulegen; dieser tat es mit besonderer Eilfertigkeit, und ebenso eilig begaben sich alle auf den Weg. Und sie waren noch keine Viertelmeile gewandert, als sie beim Kreuzen eines Pfades etwa ein halb Dutzend Schäfer ihnen entgegenkommen sahen, alle in schwarzen Schafpelz gekleidet, das Haupt mit Zweigen von Zypressen und bitterm Oleander bekränzt. Jeder trug einen dicken Stab von der Stechpalme in Händen.
Mit ihnen zugleich kamen des Weges zwei Edelleute zu Pferd, in stattlicher Reisetracht, nebst drei Dienern zu Fuß, die ihr Gefolge bildeten. Als sie zusammentrafen, grüßten sie einander höflich, und da sie sich gegenseitig nach ihrem Reiseziel erkundigten, stellte es sich heraus, daß sie alle nach dem Ort der Bestattung wollten; und so zogen sie nun gemeinschaftlich des Weges weiter.
Einer von den Herren zu Pferd wandte sich an seinen Gefährten und sagte: »Mich dünkt, Señor Vivaldo, für eine ganz richtige Verwendung unserer Zeit müssen wir diesen Aufenthalt erachten, dem wir uns unterziehen, wenn wir diese merkwürdige Bestattung ansehen; denn sie kann nicht anders als merkwürdig ausfallen, nach den seltsamen Dingen, die diese Hirten uns von dem verstorbenen Schäfer wie von der todbringenden Schäferin erzählt haben.«
»So bedünkt es auch mich«, antwortete Vivaldo, »und ich sage, nicht nur einen Tag, sondern weitere vier Tage würde ich dran wenden, sie zu sehen.«
Don Quijote fragte sie, was sie über Marcela und Grisóstomo gehört hätten. Der Reisegefährte erwiderte, diesen Morgen seien sie den Schäfern begegnet und hätten, da sie diese in so düsterer Tracht gesehen, gefragt, aus welchem Anlaß sie in solchem Aufzug einhergingen; einer von ihnen habe es ihnen berichtet und von dem seltsamen Wesen und der Schönheit einer Schäferin namens Marcela erzählt und von der Liebe zahlreicher Jünglinge, die um sie geworben, sowie vom Tode jenes Grisóstomo, zu dessen Begräbnis sie jetzt hinzögen. Kurz, er erzählte alles, was Don Quijote bereits über Grisóstomo gehört hatte.
Dieses Gespräch ward abgebrochen und ein anderes begonnen, indem der Fremde, der Vivaldo hieß, an Don Quijote die Frage richtete, was ihn veranlasse, dergestalt gerüstet eine so friedliche Gegend zu durchwandern.
Darauf antwortete Don Quijote: »Die Ausübung meines Berufes verwilligt und verstattet es mir nicht, daß ich in andrer Tracht einhergehe. Gute Tage haben, Wohlleben und Ruhe genießen, das ist für weichliche Höflinge erfunden; aber Mühsal, Rastlosigkeit und Waffen sind für diejenigen allein geschaffen, so die Welt fahrende Ritter nennt und unter welchen ich, obschon des Berufes unwürdig, der geringste bin von allen.«
Kaum hörten sie das, als alle ihn auch schon für verrückt hielten; und da sie der Sache noch mehr auf den Grund kommen und erforschen wollten, welcher Art seine Verrücktheit sei, wandte sich Vivaldo wiederum an ihn und fragte, was mit den »fahrenden Rittern« gemeint sei.
»Haben denn Euer Gnaden«, entgegnete Don Quijote, »niemals die Jahrbücher und Geschichten von England gelesen, worin von den ruhmreichen Taten des Königs Artur gehandelt wird, welchen wir in unserm heutigen Kastilianisch den König Artus nennen und von dem die alte Sage in dem ganzen Königreich Großbritannien geht, daß er nicht gestorben, sondern durch Zauberkunst in einen Raben verwandelt ist, und daß er im Lauf der Zeiten wieder zur Herrschaft kommen und Reich und Zepter wiedererlangen wird? Weshalb denn auch niemand nachweisen kann, daß von jener Zeit ab bis heute jemals ein Engländer einen Raben getötet hätte. Nun denn, zu Zeiten dieses edlen Königs wurde jener hochberühmte Orden der Ritter von der Tafelrunde gestiftet. Und damals trug sich, genau bis aufs Tüpfelchen, die Liebesgeschichte zu, die dort von Lanzelot vom See und der Königin Ginevra erzählt wird, wobei jene würdige Dame Quintañona Vermittlerin und Mitwisserin war; und daraus entstand dann jene allbekannte Romanze, an der sich unser Spanien so satt gesungen hat:
Niemals ward annoch ein Ritter
Also wohl bedient von Damen,
Wie es wurde Lanzelot,
Da er herkam aus Britannien –
samt jenem so süßen und lieblichen Verlauf seiner Liebes- und Heldentaten. Und seitdem hat von einem zum andern jener Orden des Rittertums sich weiter verbreitet und sich über viele und mannigfaltige Teile der Welt ausgedehnt; und zu ihm gehörten, durch ihre Taten vielberufen und weitbekannt, der mannhafte Amadís von Gallien mit all seinen Söhnen und Enkeln bis ins fünfte Glied und der tapfere Felixmarte von Hyrkanien und der nie nach Verdienst gepriesene Tirante der Weiße, und viel fehlt nicht, daß wir schier noch in unsern Tagen den unbesiegbar gewaltigen Ritter Don Belianis von Griechenland gesehen und gehört und Umgang mit ihm gepflogen. Das also, werte Herren, heißt zu den fahrenden Rittern gehören, und der Orden ihres Rittertums ist der, den ich erwähnte und dem, wie auch schon erwähnt, ich, obwohl ein sündhafter Mensch, zugeschworen bin; und der Beruf, zu dem sich die besagten Ritter bekannten, zu ihm bekenne auch ich mich, und so ziehe ich durch diese Einöden und Wüsteneien und suche Abenteuer, entschlossenen Sinnes, dem gefährlichsten, so das Schicksal mir darbietet, meinen Arm und mein ganzes Selbst zu widmen, zum Schutze der Schwachen und Hilfsbedürftigen.«
Aus diesen seinen Reden wurde es den Reisenden vollends klar, wie es bei Don Quijote nicht richtig im Kopfe sei und welche Art von Narretei ihn beherrsche, und sie gerieten darüber in die nämliche Verwunderung wie alle, die zum erstenmal mit ihm bekannt wurden. Vivaldo, der ein gescheiter Kopf und fröhlichen Humors war, wollte sogleich, um den kurzen Weg, der nach Angabe der Leute ihnen noch bis zu dem felsigen Bestattungsort übrigblieb, ohne Langeweile zurückzulegen, dem Ritter Gelegenheit geben, in seiner Narretei noch weiter zu gehen. Und so sagte er ihm: »Mich bedünkt, Herr Ritter, daß Euer Gnaden sich einem äußerst strengen Berufe gewidmet hat, und ich bin des Glaubens, daß der Orden der Kartäuser minder streng ist.«
»So streng mag er wohl sein«, erwiderte Don Quijote; »aber ob so notwendig in der Welt, da bin ich nicht zwei Finger breit davon entfernt, es zu bezweifeln. Denn soll ich die Wahrheit sagen; so tut der Soldat, der ausführt, was sein Hauptmann ihm vorschreibt, nicht weniger als der Hauptmann selbst, der es ihm befiehlt. Damit will ich sagen, daß die Mönche in aller Friedlichkeit und Ruhe vom Himmel das Wohl der Erde erflehen; aber wir Soldaten und Ritter bringen zur Ausführung, was sie erbeten, indem wir alles Irdische mit der Kraft unsrer Arme und der Schneide unsres Schwertes verteidigen, und zwar nicht unter schützendem Dach, sondern unter freiem Himmel, ein Ziel den Sonnenstrahlen im Sommer und dem starrenden Frost im Winter. Sonach sind wir die Beamten Gottes auf Erden und der Arm, durch den hienieden seine Gerechtigkeit vollstreckt wird. Und da nun die Geschäfte des Krieges, und was ihn angeht und sich auf ihn bezieht, nicht anders als mit Schweiß und Arbeit und übermäßiger Mühsal betrieben werden können, so folgt daraus, daß, die ihn zum Beruf erkoren, ohne Zweifel größere Beschwer erdulden, als die in friedlicher Ruh und Stille dem Gebete zu Gott obliegen, daß er die Schwachen beschütze. Ich will nicht sagen, noch kommt es mir je in den Sinn, daß der Stand des fahrenden Ritters ein so tugendsamer sei wie der eines unter geweihtem Verschluß lebenden Klosterbruders; ich will nur aus dem, was ich zu erdulden habe, folgern, daß er ohne Zweifel mühseliger und mit Prügeln geplagter und hungriger und durstiger, jämmerlicher, zerlumpter und lausiger ist. Denn es ist unleugbar, die fahrenden Ritter der früheren Zeit erfuhren vielerlei Mißgeschick im Verlauf ihres Lebens. Und wenn etliche durch die Kraft ihres Armes zum Kaisertum aufstiegen, wahrlich, so kostete es sie ein gut Teil ihres Schweißes und Blutes; und wenn denen, die zu solchem Rang emporgelangt sind, Zauberer und Weise gefehlt hätten, um ihnen zu helfen, so hätten sie sich sicher um das Ziel ihrer Wünsche betrogen und in ihren Hoffnungen getäuscht gefunden.«
»Dieser Meinung bin ich auch«, sagte der Reisegefährte; »aber unter mancherlei anderem mißfällt mir namentlich etwas gar sehr. Nämlich wenn sie gerade im Begriffe sind, ein großes und gefährliches Abenteuer zu bestehen, wobei augenscheinliche Gefahr ist, das Leben zu verlieren, so kommt es ihnen im Augenblick, wo sie es bestehen wollen, nie in den Sinn, sich Gott zu empfehlen, wie jeder Christ bei solcherlei Gefahren zu tun verpflichtet ist, vielmehr empfehlen sie sich ihrer Dame mit solcher Inbrunst und Andacht, als wenn sie ihr Gott wäre; und das gehört zu den Dingen, die nach Heidentum schmecken, wie mich dünkt.«
»Werter Herr«, antwortete Don Quijote, »das kann unter keiner Bedingung anders sein, und übel fahren würde der Ritter, der anders handelte. Denn es ist nun einmal in Brauch und Übung bei der fahrenden Ritterschaft, daß der fahrende Ritter, sobald er an eine große Waffentat geht, seine Gebieterin vor Augen hat und die Blicke zärtlich und liebevoll auf sie richtet, als ob er sie bitte, ihm Huld und Schutz zu verleihen in der Fährlichkeit vor ungewissem Ausgang, die er zu bestehen sich anschickt. Und selbst wenn keiner ihn hört, ist er verpflichtet, ein paar Worte leise zwischen den Zähnen zu sprechen, in denen er sich ihr von ganzem Herzen empfiehlt; und davon gibt’s unzählige Beispiele in den Geschichten. Und das hat man nicht so zu verstehen, daß die Ritter deshalb unterlassen sollen, sich Gott zu empfehlen; denn dazu bleibt ihnen Zeit und Gelegenheit im Verlauf des Waffenwerks.«
»Trotz alledem«, entgegnete der Reisende, »bleibt mir doch noch ein Bedenken. Ich habe nämlich oftmals gelesen, daß zwischen zwei fahrenden Rittern ein Wortwechsel sich entspinnt, und wie ein Wort das andre gibt, entbrennt der Zorn in ihnen, sie wenden die Rosse, nehmen eine tüchtige Strecke zum Anlauf, und ohne weiteres wenden sie wieder um, im vollsten Rennen ihrer Gäule, zum Ansturm gegeneinander, und mitten im Anrennen empfehlen sie sich ihren Damen. Und was sich dann beim Aufeinandertreffen zu begeben pflegt, ist, daß der eine, vom Speer des Gegners durch und durch gestochen, über die Kruppe des Pferdes herabstürzt; und dem andren auch geschieht es, daß er, wenn er sich nicht an der Mähne des seinigen festhielte, den Fall zu Boden nicht vermeiden könnte. Und da weiß ich nicht, wie der Tote eine Möglichkeit gefunden haben soll, sich im Verlauf eines so eilig abgemachten Waffenwerks Gott zu empfehlen. Besser wäre es gewesen, er hätte die Worte, die er im Rennen darauf verwendet, sich seiner Dame zu empfehlen, auf das verwendet, was er als Christ schuldig und verpflichtet war zu tun. Und dies um so mehr, als ich der Meinung bin, nicht alle fahrenden Ritter haben Damen, denen sie sich empfehlen können; denn nicht alle sind verliebt.«