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Er dreht sich langsam um, setzt seinen Weg fort in Richtung Bahnhof, aber seine Gedanken kreisen nur noch um die Schokomietze, die so verführerisch, so verdammt verführerisch da stand und wohl immer noch da steht und ihn einlädt, sie am hellen Nachmittag zu vernaschen. Er schaut noch einmal auf die Uhr, immer noch kurz vor vier, wie könnte es auch anders sein. Dann merkt er, dass er das Handy immer noch in der Hand hat. Was wollte er eigentlich? Die Uhrzeit kannte er doch. Ach ja, den Bahnsteig, den kannte er noch nicht. Doch anstatt das Handy nun zu benutzen, dreht er sich im Gehen noch einmal kurz um, ein letzter Blick, ein letztes kurzes visuelles Vergnügen und tatsächlich wartet sie immer noch, mittlerweile ein Dutzend Meter entfernt. Soll sie warten, diese schwarze Nutte, denkt er, die ja doch nichts anderes will, als ihn zu verführen, abzuschleppen und vermutlich auch auszunehmen. Das tun doch solche Weiber. Die stellen sich doch nicht bei dieser elenden Affenhitze auf die Straße, nur um ein paar müde Euro zu kassieren. Die wollen doch mehr als ein paar Kröten für eine schnelle Viertelstunde. Warum treibt sie sich um diese Zeit überhaupt hier herum? Abends, nachts, ja, okey, da verirren sich schon mal ein paar Bordsteinschwalben auch in diese Gegend, obwohl sie es nicht dürften, aber das einschlägige Viertel ist ja ganz nahe. Dort sitzen sie in den Bars, stehen an den Straßenecken und in den Hauseingängen. Aber jetzt, hier? Am helllichten Tag, am sonnigen Nachmittag, direkt hinter dem Bahnhof? Wenn die Polizei merkt, dass sie Passanten anmacht, ist sie rasch weg, ganz fix geht das, und wenn die sehen, dass er mit ihr anbandelt, kriegt auch er noch Ärger. Aber den Cops ist es jetzt auch zu heiß. Die kommen bestimmt nicht. Überhaupt, was glaubt die eigentlich, wer um diese Zeit Lust auf sie hat.
Doch während die eine Hirnhälfte alles zusammenkramt, was gegen eine schnelle Viertelstunde spricht, fragt die andere „warum eigentlich nicht“. Er bleibt stehen. Wenn ich mich beeile, könnte es doch etwas werden mit der halbbitteren Schokolade. Aber wirklich maximal eine Viertelstunde, ein rascher Quickie, mehr geht nicht und dann zurück im Schweinsgalopp und auf den Bahnsteig. Dabei wird es ihm bestimmt noch heißer, erst diese vermaledeite Sommerhitze, dann das heiße Weib, das wilde Kopulieren auf dem heißen Bett und anschließend zum Bahnhof rennen, damit er noch rechtzeitig ankommt. Sein Frau wird auf jeden Fall merken, dass mit ihm etwas nicht stimmt, dass er sich verausgabt hat, total verschwitzt sein wird. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, will zugleich auch seine Gedanken wegwischen, aber er kann nicht verhindern, dass sie pendeln, zwischen Zug und Schoko, hin und her, zwischen Pflicht und Verlangen. Was soll der Quatsch, sagt die Kontra-Hirnhälfte. Du hast doch gar keine Zeit. Der Zug kommt um halb fünf und jetzt ist es schon gleich vier. Wann war das noch genau? Sechzehn Uhr dreiunddreißig? Ja, sechzehn Uhr dreiunddreißig, nur das Gleis musste er noch nachschauen. Also noch eine gute halbe Stunde. Du musst pünktlich da sein, unbedingt. Quatsch, sagt die Pro-Hirnhälfte, du hast genug Zeit für ein bisschen Spaß, für diesen Quickie am Nachmittag. Was ist schon dabei? Das merkt doch niemand, deine Frau schon gar nicht. Außerdem haben die Züge doch regelmäßig Verspätung, bestimmt noch mal eine Viertelstunde und wenn sie ein paar Minuten warten muss, wird sie auch nicht sterben. Du kannst ja behaupten, keinen Parkplatz gefunden zu haben, das stimmt doch immer. Also, die Zeit ist kein Problem und die Hitze auch nicht. Wenn du es erst mal hinter dir hast, kühlst du rasch ab. Tu es einfach.
Während ihm so langsam klar wird, wer verloren hat und dass er nur noch mit dem Kopf nicken muss, wartet die Frau weiter auf genau diese eindeutige Reaktion, auf die längst überfällige Zustimmung. Zunehmend ungeduldig denkt sie genauso wie er, an die Zeit, die verstreicht und den möglichen Ärger, den sie bekommen kann. Hier ist um diese Zeit nicht viel los und es fällt sofort auf, wenn sie sich so provokativ anbietet. Sie hat sich schon viel zu lange um diesen Typ bemüht. Nur noch eine Minute, denkt sie, wenn du dann immer noch nicht weißt, was du willst, geh ich, dann kannst du mich mal am Arsch, du Arsch. Nur noch eine Minute und wenn du dann nicht kommst, suche ich mir einen anderen. Aber wen? Es sind nicht viele geeignete Männer um diese Zeit hier auf der Straße und der hier ist genau der, den ich brauche, so wie der nach mir giert und mich anglotzt, so wie der aussieht und förmlich nach Geld stinkt. Als letzte Aufforderung noch ein Tanzschrittchen, eine kurze Drehung der Hüfte, ein leichtes Arschgewackel, den Busen noch ein wenig weiter vorstrecken und zum wirklich letzten Mal diese rauchige, heisere, verführerische Stimme.
„Schatzi, come on, let's go!“
Die Minute ist um. Das Signal ist ausgeblieben. Sie dreht sich von ihm weg, geht davon, im Catwalk, jedes Bein vorsichtig aufsetzend, wegen dieser bescheuerten High-heels.
„Moment, mach mal langsam. You wait! Understand?“
Sie bleibt stehen, dreht sich wieder zu ihm hin. Er kramt sein Handy aus der Hosentasche. Drückt auf den App mit dem Zugfahrplan. Der Akku ist fast leer, die Anzeige schwach, aber er erfährt noch, dass der Zug tatsächlich Verspätung hat. Ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten hat er zusätzlich. Müsste eigentlich reichen. Jetzt ist es kurz nach vier, noch eine halbe Stunde, dazu die zwanzig Minuten, macht fünfzig, das ist ja fast eine Stunde, das reicht auf jeden Fall, sonst wird es eh zu teuer. Solche Nutten kommen ja immer schnell zur Sache, die verdienen mit den Quickies mehr als mit stundenlangem Getue. Die haben ja nur Zeit, wenn sie Geld sehen, doch von ihm werden sie nur das Nötigste bekommen, nur das, was unumgänglich ist. Er steckt das Handy wieder ein. Fasst an sein Portemonnaie in der Hosentasche. Gut, dass er noch am Bankautomat war. Was die wohl kostet?
„Wie viel? Wie viel willst du? Understand? How much money?“
„No much money. No problem. Come on. Love first. Business later. Come on Schatzi.”
Jetzt weiß sie, dass sie gewonnen hat. Er wird hinter ihr her schleichen, wie ein Pudel an der Leine. Und wenn er das doch nicht macht, hat sie Pech gehabt. Sie kann und will nicht mehr investieren, weder an Zeit noch an Geduld noch an Überredung. Sie dreht sich um und wackelt davon, mit diesem erotisch unterkühlten, durch die Schuhe bedingten Staksen und Balancieren, diesem ständigen Zwang, auf die Unebenheiten der Straße zu achten, um ja nicht umzuknicken. Schon deswegen kann sie nicht zurückblicken.Es ist aber auch nicht nötig, denn er trottet tatsächlich hinter ihr her, im sicheren Abstand, sich betont unbeteiligt gebend, aber gekettet und mitgezogen von diesem erotischen Magneten, der ein paar Meter voraus, ihn unbeirrt anzieht. Seine Gedanken kreisen nicht mehr um den Zug, den er rechtzeitig erreichen muss, nur noch um diese Frau, die er nun fast erreicht hat und bleiben dort hängen, wo männliche Blicke und Gedanken meistens enden: Arsch, Busen, Beine.
Sie geht, aber nicht dahin, wo er meinte, dass sie hingehen müsse. Nicht in Richtung des Viertels mit den etwas verwahrlosten Häusern, den maroden Hauseingänge, den etwas heruntergekommenen Straßen. Sie steuert keine von den Bars an, in der um diese Zeit vermutlich nur halbtote Fliegen anzutreffen sind und schon gar nicht zu der Gasse mit den Schaufenstern, die er manchmal aufsucht. Dass diese Frau ihn dorthin lotsen würde, hatte er auch nicht erwartet. Das ist keine, die sich in ein Schaufenster setzt, denkt er. Vielleicht würde sie ja gerne dort ihr Geld verdienen, hat aber keinen Platz bekommen oder mit ihren Papieren stimmt etwas nicht. Wenn alles legal und in Ordnung wäre, müsste sie doch nicht am hellen, heißen Nachmittag auf der Straße anbaggern. Sie stelzt weiter vor ihm her, mit diesen roten Waffen, die sich Schuhe nennen und diesen endlosen braunen Beinen, diesem knackigen Hintern, der rhythmisch in den viel zu kurzen Jeans wackelt, mit der schmalen Taille, dem dunklen T-Shirt, der schwarzen Mähne. Sie zieht ihn nach sich, ganz mechanisch, ganz automatisch, wie ein Kind ein Spielzeug auf Rädern an einem Bindfaden hinter sich her zieht. Ihm wird noch heißer. Der Schweiß rinnt ihm von der Stirn. Sein Hemd klebt. Die Anzugjacke ist viel zu schwer. Warum hat er die nicht im Auto gelassen? Warum hat er eigentlich immer noch die pinke Krawatte um mit der lächerlichen Mickymaus? Wo will sie denn hin? Wir kommen ja aus der City raus. Das Viertel ist doch hier schon zu Ende und die Brache fängt an, die Industriegegend. Hierher verirrt sich doch kein Mensch. Aber sie stolziert unbeirrt weiter. Er ist verunsichert, zögert. Soll er doch lieber zurück? Folgt ihr aber dennoch, als sie um eine Ecke biegt. Doch auch dann ist das Ziel noch nicht erreicht. Welches Ziel? Hier gibt es doch kaum noch Häuser. Durch sein Zögern hat sie sich ein beträchtliches Stück von ihm entfernt. Wo hat die nur ihre Bleibe, ihre Wohnung, ihren Arbeitsraum oder nennt man das Atelier? So weit hat er sich den Weg nicht vorgestellt. Und er muss das alles wieder zurück, das wird eng, verdammt noch mal. Wenn er das geahnt hätte, wäre er nicht mitgegangen. Er schaut auf die Uhr. Aber es sind erst fünf Minuten vergangen, es ist erst zehn nach vier. Er hätte gewettet, dass er schon eine Viertelstunde hinter ihr her läuft. Trotzdem ist es lang und dazu diese Hitze. Eigentlich lohnt sich das ganze Unternehmen gar nicht mehr. Wenn er dann noch den Zug verpasst, Mann oh Mann, dann gibt es Ärger. Parkplatz kommt ihm wieder in den Sinn. Kein Parkplatz ist immer gut als Ausrede für das Zuspätkommen. Das muss sie einfach schlucken, selbst bei dieser Hitze sind am Bahnhof alle Plätze belegt und freie Parkplätze kann man nicht einfach herbeizaubern. Er atmet wieder etwas freier, aber das lange Gehen ärgert ihn und die Hitze und dass er sich überhaupt auf das Abenteuer eingelassen hat, anstatt in einem Stehimbiss im Bahnhof ein kühles Bier zu trinken.
Er ist drauf und dran, einfach umzudrehen, doch da biegt die Frau auf einen Platz ein, einen kleinen, verlassenen Platz mit vielen Büschen und Bäumen am Rand, ein Platz, der wohl als Parkplatz dient, aber jetzt weitgehend leer ist. Sie dreht sich um und wartet, bis er bei ihr ist.
„Alles klar? We are here.“
Sie fasst seine Hand an. Fasst ihn zum ersten Mal an. Er ist baff. Parkplatz. Um diese Zeit. Parkplatz ist doch nur nachts gefragt, bunte Neonröhren an Wohnwagen oder auf dem Dach von Kleinwagen. Sie lässt ihm keine Zeit zum Nachdenken, zieht ihn an der Hand mit, steuert ein Wohnmobil an. Älteres Modell, Typ Kastenwagen, sehr schmutzig, voller Sand und Lehm. Vielleicht war das Fahrzeug einmal weiß. Das Kennzeichen ist total verdreckt, Buchstaben oder Zahlen sind nicht zu erkenne. Auffällig ist nur ein Aufkleber am Heck mit einem Elch, so einer, wie sie Urlauber aus Skandinavien mitbringen. Er ist leicht verwirrt. Will die, dass ich mit ihr in diesem alten Kasten bumse? Glaubt die, dass ich da rein gehe? Liebe im Campingwagen, so etwas hat er sich nicht vorgestellt. Da drin muss es doch verdammt eng und unbequem und erst recht heiß sein. Hat er es nötig, in einem Campingwagen zu ficken? Aber die Gier hat ihn wieder fest im Griff, nachdem die Frau ihn an die Hand genommen hat und er ihre überraschend raue Handfläche in seiner spürt. Und außerdem sollte der ganze Aufwand, der ganze Anmarsch umsonst gewesen sein? Während er noch zögert, hat „die“ einen Schlüssel aus ihren Jeans gekramt und öffnet die Schiebetür auf der Beifahrerseite, steigt ein, reicht ihm wieder die Hand und zieht ihn die kleine Treppe hoch. Beim Einsteigen fällt ihm noch etwas an dem Campingbus auf, aber es bleibt ihm keine Zeit, es sich einzuprägen. Er weiß später nicht einmal genau, was es war, denn die Frau, die ihn zu sich hoch gezogen hat, begrüßt ihn nun sehr freundlich.
„Come in Schatzi. Welcome in my home.“
Innen ist tatsächlich noch heißer, dazu ist die Luft stickig und es müffelt irgendwie, vielleicht nach alten Klamotten oder ungewaschenen Socken. Nach dem hellen Sonnenlicht ist es zudem sehr dunkel, anfangs sieht er gar nichts und er beginnt noch stärker zu schwitzen. Sein Taschentuch, das er sich an die Stirn hält, kann den Schweiß schon längst nicht mehr aufnehmen. Die Frau hat seine Hand losgelassen, knipst eine Lampe an und schließt die Tür. Rotes Licht natürlich. Er schaut sich um. Direkt gegenüber der Schiebetür ist ein ziemlich schmales Bett, in Richtung der Fahrerkabine eine Art Küchenzeile und am Heck ein Fenster mit einem dichten Vorhang. Von außen dringt kein Licht in den Raum. Aber das vorhandene Licht reicht aus, um sich jetzt auf die Frau zu konzentrieren. Die hat sich auf das Bett gesetzt. Sie weiß wohl, dass sie keine Zeit verlieren dürfen, dass es jetzt flott gehen muss. Hat er ihr eigentlich schon gesagt, dass er nur ganz wenig Zeit hat? Er sieht nun ganz deutlich, dass sie auch schwitzt, fast noch mehr als er. Er sieht die Schweißperlen auf ihrer Stirn und auf dem üppigen Dekolletee.
„Get off cloths. So hot here.“
Sie selbst macht keine Anstalten, die paar Sache abzulegen, die sie an hat. Stattdessen fragt sie.
„Some drink?“
Er schüttelt den Kopf. Er hat zwar Durst, will aber nicht mit überhöhten Preisen verarscht werden. Er denkt an den teuren, minderwertigen Sekt, der in mittelmäßigen Nachtbars ausgeschenkt wird und den man gefälligst spendieren muss, um mit einer der Damen überhaupt zu reden und den man reichlich bestellen muss, um vielleicht ein bisschen zu knutschen. Das kennt er, das hat er schon mitgemacht, diese Erfahrung reicht. In einer Nachtbar ist der Sekt teuer, aber wenigstens kalt. Hier, in dem heißen Bus, kann sich doch kein Getränk der Hitze entziehen. Andererseits plagt ihn der Durst, sein Mund ist trocken, nicht nur wegen der Hitze. Die unmittelbare Nähe der Frau, der Geruch ihres Parfüms, ihres Schweißes, die Berührung ihrer Hand, die Erwartung, was gleich geschehen wird, das alles macht ihn noch heißer, noch durstiger. Als sie die Frage wiederholt und noch ein „really“ dran hängt, nickt er und wischt sich wieder die Stirn ab. Wie kann man es bei dieser Hitze nur in so einer Karre aushalten, geht es ihm durch den Kopf. Wie kann man es überhaupt in so einer Karre aushalten? Dann fällt ihm ein, dass er eine wichtige Sache immer noch nicht geklärt hat.
„Wie teuer, das Vergnügen? Alles zusammen. Drink and sex. How much? Only short time, only a quicky, you understand. No much time. Train is coming. I need go to station. So, hurry up, please!“
„Yes, yes. Alles klar. Softdrink no money. All inclusive. So hot here. Coke? Get off cloths!“
Wenigstens will sie ihm keinen Sekt andrehen. Er zieht endlich die Jacke aus und löst die Krawatte, legt sie aber noch nicht ab. Die Frau steht auf, öffnet einen Minikühlschrank in der Küchenzeile, nimmt eine Cola und zeigt ihm die Dose. Er nickt wieder. Sie verteilt den Inhalt auf zwei Pappbecher und reicht ihm einen. Er nimmt einen tiefen Schluck. Die Cola ist bestenfalls laukalt, schmeckt fade und beschissen. Er weiß gar nicht, wann er seine letzte Cola getrunken hat. Er mag das süße Zeug nicht, besonders dann nicht, wenn es warm ist, aber zumindest ist der Mund nicht mehr so trocken. Die Frau setzt sich wieder auf das Bett, deutet mit der Hand an, dass er sich auch setzen soll und rückt sofort ganz nahe an ihn heran. Eine Hand hält den Pappbecher, die andere wandert auf seinem Rücken herum, hinab zu seinem Gesäß, dann finden sie den Weg auf einen seiner Oberschenkel und tastet sie sich weiter vor, in Richtung seiner Männlichkeit. Die Hand findet sein steifes Glied, ohne aber die Hose zu öffnen, greift, presst, drückt. Es ist ihm schon fast unangenehm, wie sie da an ihm herum grapscht, aber es tut dennoch gut. Doch das Vergnügen ist nur kurz, sie zieht die Hand rasch wieder ab und gibt ihm dafür einen leichten Kuss auf die Wange. So abrupt, wie sie sich an ihn geschmiegt hat, wie sie sich im wahrsten Sinne des Wortes, an ihm vergriffen hat, so plötzlich lässt sie auch wieder von ihm ab und rückt ein Stückchen von ihm weg, dabei fordert sie ihn erneut auf, sich endlich ganz auszuziehen, ohne aber selbst etwas abzulegen. Er nimmt nun die Krawatte vollends ab, streift sein feuchtes Hemd über den Kopf, ohne die Knöpfe zu öffnen, zieht die Schuhe aus, behält aber die Socken an. Schließlich steht er noch einmal auf, zieht die Hose aus und setzt sich wieder auf das Bett. Nun ist er fast nackt bis auf die Unterhose und eine schwere Goldkette um den Hals, die erst zum Vorschein kam, nachdem er das Hemd abgestreift hatte, eine echte Strizzikette, wie sie Zuhälter und Angeber lieben. Außerdem hat er noch vier Ringe an den Fingern, ein Ehering und drei von ähnlicher Scheußlichkeit und natürlich die vergoldete Omega, aber diese Dinge kann man ja nicht zur Kleidung rechnen.
„Und du? Auch nackig, oder? You striptease, please.“
Sie bleibt auf dem Bett sitzen und lacht.
„Yes, wait. We have time. Drink. Good for you, Schatzi. Relax a moment. You will need much power to make me happy.“
Er nimmt noch einen Schluck, dann sagt er laut und scharf:
„No time. No relax. Keine Zeit. Ich muss zum Bahnhof. Verstehst du. Keine Zeit. Next time more time. Aber jetzt not. Also mach schon.“
Sie erschrickt über seine heftige Reaktion, stellt endlich den Becher auf den Boden und streift sich das T-Shirt über eine Schulter, sodass ihr BH zur Hälfte sichtbar wird. Er ist sehr rot, signalrot und sehr knapp, einer vom Typ Push-BH, einer der die Brüste steil nach oben presst. Sie holt eine dieser gepressten Brüste aus dem Körbchen, legt aber sofort ihre Hand darauf, bedeckt sie, als ob sie dieses ausgeprägte Merkmal ihrer Weiblichkeit schützen müsse. Dann regt sie sich erst mal gar nicht, bleibt wie angenagelt sitzen. Er schaut sie erstaunt an und diese kurze Pause, diese erzwungene Konzentration führt dazu, dass er auf einmal ihren Geruch wieder deutlich wahrnimmt. Die Frau riecht noch süßlicher und strenger als beim flüchtigen Vorbeigehen, eine Mischung aus aufdringlichem Parfüm und starkem Schweiß. Der Geruch bewirkt, dass seine Gedanken den engen Bus verlassen und hinaus wandern, zu seiner Frau, die auf ihn wartet, obwohl der Zug noch unterwegs sein müsste. Dieses Scheissparfüm, denkt er einen Moment lang, wie bekomme ich das nur wieder los? Meine Frau riecht das bestimmt sofort. Ich kann mich doch nicht mehr duschen. Auf einmal ekelt er sich fast und denkt nur noch, dass eine Dusche ihnen beiden guttäte. Aber diese Gedanken verdrängt er rasch wieder. Hier gibt es keine Dusche und duschen wäre nur Zeitverzögerung. Er wird sich etwas einfallen lassen müssen, darin ist er ja geübt. So konzentriert er sich wieder auf den Anblick der Frau mit der marginal geschützten Brust und fühlt, wie er sich weiter erregt vielleicht durch diese verdammte Duftmischung oder wegen der Enge und der Hitze, auf jeden Fall aber wegen der direkten Nähe und der Erwartung, dass der Höhepunkt bald auf ihn zukommen wird, auf sie beide zukommen wird. Und tatsächlich wird die Frau wieder aktiv. Sie hält zwar ihre eine Hand immer noch vor die Brust, aber mit der anderen tastet sie erneut nach seinen Oberschenkeln und er spürt, wie ihre raue Handfläche auf seiner nackten, feuchten Haut hin und her fährt. Die Berührung kitzelt ihn und das Gefühl Haut auf Haut erregt ihn zusätzlich. Trotz der leichten Blindheit, die mit dem Zustand der Erregung verbunden ist, fallen ihm nicht nur die Ringe an ihren Fingern auf, sondern auch eine Tätowierung auf dem Handrücken, die ihm bisher entgangen war. Es ist eine Art Insekt, nein, das Vieh hat acht Beine, eine Spinne, eine Tarantel. Schwarze Spinne auf brauner Haut. Die Hand mit der Tarantel ist schmal und die Fingernägel sind lang und kunstvoll lackiert, jeder Nagel hat eine andere Farbe und ein anderes Motiv. Das Nagelstudio muss gut verdient haben, geht es ihm durch den Kopf. Not scheint diese Schöne nicht zu leiden. Sein Blick löst sich von der Hand und wandert wieder in Richtung Busen und zu der zweiten Hand hin. Auch die hat Ringe und lackierte Nägel, aber keine Tätowierung. Aber das interessiert ihn nicht so sehr. Er stört sich, dass er die freie Brust immer noch nicht sehen kann, dass sie sozusagen immer noch nicht freigegeben ist. So kann es nicht bleiben, denkt er und schiebt mit seiner freien Hand das Hindernis beiseite und fasst nach dieser Brust, grapscht nach ihr und beginnt sie zu drücken. Sie lässt es sich gefallen, entzieht sich ihm nicht weiter und auf einmal weiß er, warum sie so zurückhaltend war, sich so schamhaft gab. Der große Busen fühlt sich ohne das Stützkorsett verdammt schlaff an und auch seine hochgeputschte Gier bekommt dadurch einen kleinen Dämpfer. Die Frau lacht bei der Berührung auf, gurrend, kehlig, gekünstelt, verlegen, doch wie zur Ablenkung oder als Wiedergutmachung hat ihre tätowierte Hand erneut den Weg zu seinen „most private parts“ gefunden, zerrt an seiner Unterhose, zieht sie über die Oberschenkel und beginnt sein steil aufgerichtetes Glied zu drücken und daran zu zupfen, es zu massieren und zu karessieren, als ob sie mit einem billigen Handjob rasch zum Ende des Geschäfts kommen wolle.
Damit ist er natürlich nicht einverstanden, stellt den Pappbecher mit dem Rest der lauen Cola auf den Boden, um auch die zweite Hand freizuhaben, um die Frau an sich zu ziehen, um sie zu drücken und seinem Drang nach Nähe, Nähe, Nähe nachzugeben. Zugleich fordert er sie auf, sich endlich auch auszuziehen, damit sie vorankämen. Doch er erreicht das Gegenteil, denn statt auf seine Forderungen einzugehen, wendet sie sich plötzlich von ihm ab, zieht ihre Hand aus seinem Intimbereich zurück und steht auf. Er ist irritiert, noch mehr Schweiß bricht aus und rinnt an ihm herunter, zugleich wird sein Mund wieder trocken. Warum lässt sie ihn ausgerechnet jetzt sitzen, als sein Ziel in greifbarer Nähe ist und sein Verlangen dem Höhepunkt zustrebt, jetzt, da sein Prachtstück ungeduldig wird, an Größe nicht mehr zu überbieten ist und nach Erlösung drängt.
„Come on. Leg dich hin. Mach schon“, stöhnt er, aber sie legt sich nicht hin, statt dessen verstaut sie die Brust wieder in dem Körbchen, geht zu der Schiebetür und öffnet sie.
„One moment please. Need pipi. Wait please, Schatzi.“
Bevor er protestieren kann, sie zurück halten kann, sie auffordern kann, später zu pinkeln, danach, wenn sie fertig sind, ist sie schon halb draußen, dreht sich aber noch einmal zu ihm um und schaut ihm nun direkt in die Augen.
„Wait a second. Then it will be nice. You and me. Fucky, fucky.“
Er schaut ihr belämmert nach und ruft ihr noch zu, sie solle sich bloß beeilen, er habe keine Zeit und das habe er doch deutlich gesagt. Doch dann wird die Tür zugezogen. Wozu? Damit er nicht sieht, wie sie sich irgendwo hinhockt? Er wartet. Nichts passiert, nur seine Erregung klingt ab. Er schaut auf seine Uhr. Fünf nach halb vier. Er wird zu spät kommen, selbst wenn es jetzt vollends schnell geht, wenn es überhaupt noch geht. Die Gedanken an seine Frau haben die an diese Frau mit ihrem Harndrang verdrängt. Irgendwas wird er sich einfallen lassen müssen. Parkplatz ist vielleicht doch nicht so gut. Besser dringender Anrufe im Büro, im letzten Moment, gerade als er gehen wollte. Ja, das ist besser. Und dass er seine Frau nicht angerufen und sein Zuspätkommen angekündigt hat, lässt sich mit dem leeren Akku vom Handy begründen, das wäre ja nicht einmal gelogen. Wo bleibt nur die Tussi? Die wird sich noch die Seele aus dem Leib pinkeln. Die Tür bleibt zu, das schwarze Glück kommt nicht zurück und seine Erregung ist jetzt gar nicht mehr vorhanden. Er flucht, wie soll er jetzt wieder auf Touren kommen. Wie soll er das in den paar Minuten schaffen, die ihm noch bleiben. Er steht auf, will einen Blick aus dem Heckfenster hinaus werfen, schauen, wo sie ist, ob sie immer noch in den Büschen hockt, doch in diesem Moment wird der Motor angelassen und der Wagen setzt sich rumpelnd in Bewegung.
Der Waldweg
„Was soll der Scheiß“, brüllt er und will die Tür öffnen. Doch es geht nicht, sie rührt sich nicht, sie ist abgeschlossen, er ist eingeschlossen. Er geht zum Fenster und zieht einen der Vorhänge zur Seite. Das Fenster ist von außen mit dunkler Folie beklebt, es lässt sich nicht öffnen. Er trommelt an die Wand zur Fahrerkabine. Brüllt sich die Seele aus dem Leib. Als Antwort wird das rote Licht ausgeschaltet und es ist nun stockdunkel in dem Kabuff. Er versucht sich nochmals an der Tür, an dem Fenster. Beide sind sehr stabil. Der Wagen fährt, erst langsam, dann schneller, dann merkt er, dass es kurvig wird. Ein paarmal hält der Bus, fährt kurz darauf wieder an, er hört andere Autos, laute Startgeräusche, es müssen wohl Ampeln gewesen sein. Irgendwann hat der Wagen die Stadt anscheinend verlassen, denn jetzt fährt er gleichmäßig, nur selten Kurven, keine Stopps. Er flucht weiter, trommelt, rüttelt. Die Hitze wird immer unerträglicher. Genauso wie die Gedanken an seine Lage, an die Probleme, die auf ihn zukommen werden, seine Frau, sein Auto, Polizei. Erschöpft setzt er sich auf das Bett. Da fällt ihm sein Handy ein, vielleicht geht es doch noch, vielleicht ist noch genug Saft im Akku, um die Polizei anzurufen. Doch das Display zeigt nur noch einen matten Schein, eine Verbindung zur Außenwelt nicht mehr möglich. Er tastet die Taschen seines Anzugs ab. Es ist noch alles da, der Geldbeutel, die Brieftasche, der Schlüsselbund mit Auto-, Wohnungs-, Büroschlüssel, sogar der Parkschein für sein Auto. Dann zieht er die Hose an, die Socken, die Schuhe, das Hemd, nur das Jackett nicht. Er schaut auf die Uhr, die Leuchtziffern glimmen. Der Zug ist schon längst angekommen, trotz Verspätung, aber das ist im Moment nicht sein Problem.