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So entsteht also eine Wissensasymmetrie. Nicht nur zwischen Kunde und Dienstleister bzw. Leistungsanbieter, sondern auch zwischen Dienstleister und Dienstleister, zwischen Experte und Experte. Aus der Perspektive der industrialisieren Welt von vor 100 Jahren ist das bei genauer Betrachtung schon ein bisschen verrückt. Damals gab es Produzenten und Händler und Konsumenten. Heute gibt es so viele Abstufungen von Experten, dass viele Eltern – geschweige denn Großeltern – nicht mehr wirklich verstehen, was ihre Kinder und Enkel beruflich eigentlich wirklich tun.
Die Wissensasymmetrien haben die Welt ganz schön kompliziert gemacht. Und jeden einzelnen ganz schön abhängig von der Expertise anderer. Gut für die Experten. Gut für uns Faker.
DIE WISSENSEXPLOSION FÜHRT ZU EINER EXPERTENEXPLOSION

Halten wir fest: Wissen vervielfältigt sich. Jeden einzelnen Tag. Es explodiert. Deshalb braucht es Menschen, die sich in den einzelnen Fachgebieten auskennen. Experten. Die Zeit der Allrounder, der Generalisten ist vorbei. Genauso wie die Zeit der Egomanen und Einzelentscheider.
Als Experte und Individuum muss ich mich nun fragen: Wie gehe ich mit der Asymmetrie um? Wie nutze ich sie für mich? Es gibt darauf nur eine Antwort: Andere müssen mich sehen. Ganz entscheidend dabei: Nicht nur Kunden müssen mich sehen, sondern auch Kollegen. Andere Experten. Andere Berater. Denn Berater beraten Berater. Sichtbar werden ist deshalb ein entscheidendes Thema. Ich muss mich als Experte deutlich positionieren und dafür sorgen, dass mich sowohl meine Kunden als auch die anderen Experten als den Experten wahrnehmen und sehen, der ich bin oder der ich sein möchte und deshalb schon jetzt vorgebe zu sein – denn das ist ja die Idee des Fakes. Der Fake braucht die anderen. Die Nachfrager und die anderen Experten. Kunden und Kollegen. Schließlich brauchen wir Abnehmer für unsere Expertise. Aus dieser schlichten Erkenntnis ist die Kultur des Fakes geboren. Sie ist ganz einfach eine Notwendigkeit.
Die logische Folge: Die Wissens- und Informationsexplosion führt letztendlich auch zu einer Expertenexplosion. Es gibt täglich mehr. Es entsteht so etwas wie ein Wissensteppich. Was wiederum dazu führt, dass wir auch Experten dafür brauchen, wie man sich als Experte sichtbar macht. Die Themen Positionierung und Personal Branding explodieren gefühlt mindestens in ähnlichem Ausmaß wie das verfügbare Wissen. Alle Menschen, die etwas davon verstehen – die Experten –, empfehlen deshalb, sich mit seinem Dienstleistungsangebot auf eine Nische zu spezialisieren. Spezialisierung als Bewältigungsstrategie für Komplexität. Heute soll man sich auf ein Wissensfeld konzentrieren, je kleiner, desto besser. Brücken hinter sich abreißen, sich voll und ganz auf ein Thema, einen Bereich, einen Aspekt konzentrieren. Das ist der Königsweg. Ich denke: Damit liegen die Experten goldrichtig. Auch wenn ich mich selbst für einen etwas anderen Weg entschieden habe. Aber dazu gleich mehr.
Sich auf eine Nische zu spezialisieren, ist deshalb der richtige Weg, weil ihn trotz allem unter dem Strich doch eher wenige gehen. Denn: Die wenigsten Menschen bringen es übers Herz, das eigene Können und das eigene Wissen und die eigenen Potenziale auf die Nische zu reduzieren. Sich von Dingen und Wissen zu verabschieden, die sie im Lauf ihres Berufslebens angehäuft haben – das zwar oft nicht mehr aktuell und relevant ist, an dem sie aber wehleidig hängen.
Ich kenne eine Projektmanagerin, die schon seit zwanzig Jahren sehr erfolgreich in ihrem Beruf arbeitet, schon viel gemacht und ganz verschiedene Themen bearbeitet hat. Immer wenn sie ihre Website überarbeitet und sich im Zuge dessen mit ihrer eigenen Positionierung beschäftigt, ist sie wild entschlossen, sich nur auf das Thema Change Management zu spezialisieren. Wenn sie mir dann jedoch nach getaner Arbeit stolz ihre überarbeitete Website präsentiert, sehe ich darauf nicht nur ihr Spezialgebiet Change Management, sondern immer auch noch mindestens vier andere. Wenn ich sie dann damit ein bisschen necke, sagt sie regelmäßig: „Ja, aber ich kann halt auch Kundenorientierung, und Prozesse auch, das war das Thema meiner Doktorarbeit, das kann ich doch nicht einfach so unter den Tisch fallen lassen! Und überhaupt: Wenn ein neuer Kunde nach einer Projektmanagerin sucht, die Change Management kann, und dann feststellt, dass ich auch noch gut in Kundenorientierung und Prozessen bin, kann das doch nur von Vorteil sein, oder?“
In solchen Gesprächen stelle ich immer wieder fest: Sich von dem zu trennen, was man sich einmal intensiv angeeignet hat, fällt den Menschen schwer. Unerträglich schwer. Damals, als wir uns nur zwischen Jagen und Sammeln entscheiden mussten, war das Leben des Berufstätigen doch um einiges einfacher.
FREUNDE NEHMEN DEN HINTEREINGANG

Die Kunst besteht darin, sich zwar mit einem speziellen Nischenthema zu positionieren, aber diesen Begriff gleichzeitig so zu wählen, dass er noch Spielräume offen lässt. Und diesen Spielraum dann auch noch zu schärfen. Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, Sie überlegen, ob Sie sich als Kommunikationsexperte oder als NLP-Experte positionieren. Auf den ersten Blick scheint die Antwort auf diese Frage eindeutig: Kommunikationsexperte ist viel zu breit und unspezifisch, deshalb kommt nur der NLP-Experte in Frage. Richtig? Falsch! Ich würde mich niemals als NLP-Experte positionieren, denn NLP ist lediglich ein Werkzeug, ein Tool unter vielen. Hier gilt es zu überlegen, wie man das übergeordnete Thema Kommunikation noch weiter spezifizieren kann.
Die Frage stellt sich heute in jeder Branche: Bin ich Anbieter von Schlüssel und Schloss, oder bin ich Experte für Zutrittssysteme? Bin ich ein Schottertransportdienst oder Experte für Schüttgutlogistik? Ich weiß: Leicht ist das nicht. Vor allem die Suche nach dem richtigen Überbegriff!
Mit meiner eigenen Positionierung bin ich deshalb einen anderen Weg gegangen. Dabei habe auch ich mich von einem Coach unterstützen lassen – eine sehr wertvolle Hilfe. Als ich mit dem Coaching begann, stellte ich mich ihm als Experte für Expertenorganisationen vor. Damals war ich mir sicher, damit ins Schwarze getroffen zu haben. Ich beriet Krankenhäuser, und was war denn ein Krankenhaus anderes als ein System, eine Organisation voller Experten? Und ich war derjenige, der sich mit diesem System bestens auskannte und es dabei beriet, noch besser zu werden. Experte für Expertenorganisationen also. Großartig!
Mein Coach zeigte sich davon allerdings nur leidlich beeindruckt. „Was ist denn eine Expertenorganisation?“, fragte er mich als Erstes, „Noch nie gehört. Ich kann mir genau gar nichts darunter vorstellen.“ Mein Gesicht hätte ich in diesem Moment gerne selbst sehen wollen.
Nun gut. War ich eben nicht mehr Experte für Expertenorganisationen. Wir haben dann gemeinsam viel hin und her überlegt und letztendlich kam ich zu dem Schluss, mich auf meiner Website als „Stratege und Speaker“ vorzustellen. Ich weiß: Das ist sehr weit gefasst. Und Sie könnten jetzt sicherlich sagen: Ah, der Zulehner. Da hat er selber Schwierigkeiten gehabt, auf den Punkt zu bringen, was er für ein Experte ist. Mag sein. Ich habe auf dem Weg zu dieser Positionierung jedoch festgestellt: Ich bin ja kein Berufsanfänger, der sich erst noch einen Ruf aufbauen muss. Vor allem habe ich gelernt, sehr genau zu unterscheiden, was ich kommuniziere und was ich tatsächlich tue.
Es ist nämlich so, und zwar nicht nur bei mir: Den größten Teil meines Einkommens verdiene ich nach wie vor als Berater im Gesundheitswesen. Und das wird vielleicht auch weiterhin so bleiben. Auf meiner Website ist das allerdings nicht ersichtlich. Dort steht, dass ich Stratege und Speaker bin. Und jetzt kommen wir auf das Wesen des Fakes zurück: Ich habe keine Ahnung, ob ich das tatsächlich bin. Aber das ist die Richtung, in die ich mich entwickeln will. Das ist der Fake. Ich gebe vor, etwas zu sein, obwohl ich es noch nicht wirklich bin – aber indem ich es öffentlich mache, verspreche ich mir selbst und dem Markt, dass ich es sein werde. Viele wollen das nicht „Fake“ nennen, weil sie sagen: Das klingt unaufrichtig. Stattdessen nennen sie es „Positionierung“. Ist das aufrichtiger?
Übrigens: Nicht lange, nachdem ich meine Website veröffentlicht hatte, wurde ich darüber tatsächlich als Speaker gebucht – beim Europäischen Forum Alpbach Pflege. Und das ist ja nun nicht nichts. Das Forum Alpbach ist seit 1945 eine international bedeutsame Plattform, auf der Referenten und Teilnehmer aus allen Teilen der Welt, aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammenkommen, um aktuelle Fragen der Zeit zu diskutieren und interdisziplinäre Lösungsansätze zu finden. Dort habe ich zum Thema „Ko-Kompetenz. Die Zukunft der Zusammenarbeit“ gesprochen. Ich wage mal zu behaupten, dass diese Buchung ausgeblieben wäre, wenn ich mich auf meiner Website als „Berater im Gesundheitswesen“ vermarktet hätte.
Ich denke, dass jeder Experte diese Entscheidung treffen muss: Was kommuniziert er nach außen, und was tut er tatsächlich? Er sollte Brücken abbrennen, wenn es um die Kommunikation geht, aber nicht wenn es um den Broterwerb geht. Gefährden Sie Ihre Existenzgrundlage nicht radikal!
Stellen Sie sich einfach ein Haus vor – mit einem repräsentativen Vordereingang und einem unspektakulären Hintereingang. Zum Vordereingang gehen alle diejenigen hinein, die Sie offiziell und zu einem bestimmten Termin eingeladen haben. Den Hintereingang benutzen Ihre Freunde – sie wissen vielleicht noch nicht mal, wie repräsentativ Ihr Vordereingang aussieht, aber das ist ihnen auch egal. Sie wissen genau, was sie von Ihnen erwarten dürfen und wie Sie in Jogginghosen aussehen. Genauso sollten Sie auch Ihre Positionierung betrachten: Sie haben einen repräsentativen „Vordereingang“ mit einem glänzend polierten Firmenschild – dort gehen die Menschen hinein, die Sie noch nicht kennen. Ihre Kunden werden genau das von Ihnen haben oder wissen wollen, was Sie auf Ihrem Schild anbieten. Und das ist, bis zu einem gewissen Grad, Fake. Den Hintereingang benutzen Ihre „Freunde“, sprich: Menschen, die schon seit Jahren mit Ihnen zusammenarbeiten, die genau wissen, was sie von Ihnen wollen und denen es egal ist, ob das nun auch zu Ihrem offiziellen Portfolio gehört oder nicht.
Und wenn Sie jetzt sagen: Ja Moment mal, auf dem Türschild meines Hausarzts steht „Facharzt für Allgemeinmedizin“, und da weiß ich, was ich bekomme – das ist doch wohl kein Fake! Dann denken Sie an den Wissenstransfer in der modernen Medizin, den ich oben beschrieben habe, und dessen Notwendigkeit, und überlegen Sie noch einmal: Auch dieses Schild enthält einen guten Teil Fake.
DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN: DER FAKE ALS ORIENTIERUNGSHILFE

Es gibt also immer mehr Experten, und Experten müssen sich deutlich gegenüber Kunden und Kollegen positionieren, wenn sie sichtbar sein wollen. Inwieweit sind diese beiden Faktoren nun Markttreiber? Welche Prozesse stecken dahinter? Und wer auf dem Markt hat etwas davon?
Zunächst einmal gibt es hier zwei Märkte – den Markt im Sinne der Anbieter und den Markt im Sinne der Kunden, die beim Anbieter Produkte und Dienstleistungen kaufen. Der Kunde profitiert davon, wenn es Experten gibt und diese sich deutlich sichtbar positionieren: Er bekommt Orientierung, Transparenz und Überblick. Er erfährt schnell, welche Experten es zu dem Thema gibt, für das er sich interessiert, und was diese Experten ihm anbieten beziehungsweise was sie können. Er bekommt sein Problem zügig gelöst.
Aber auch der Experte kann sich schnell Orientierung verschaffen – nämlich darüber, wer auf demselben Gebiet Experte ist wie er selbst und wer das eigene Wissensfeld ergänzt, sprich: mit wem er als Experte zusammenarbeiten möchte und gegenüber wem er sich stärker abheben muss.
Das Mittel zu diesem Zweck ist wieder: der Fake. Er dient dem Experten dazu, sich seinen Kunden auch dann schnell sichtbar zu machen, wenn er noch ganz am Anfang seiner Karriere steht. Er hilft ihm außerdem dabei, sich von den Experten mit ähnlichem Spezialgebiet abzugrenzen und Kontakt zu denjenigen herzustellen, die sein eigenes Wissen sinnvoll ergänzen.
Vom Fake haben also beide Seiten etwas – Anbieter und Markt. Beide verschaffen sich Orientierung, Markttransparenz und Sichtbarkeit. Was im Ergebnis bedeutet: schnelle Problemlösungen. Und gerade Letzteres ist wichtig – angesichts der immer noch stattfindenden Wissensexplosion. Beim Fake geht es um zielgerichtete Kommunikation. Wenn ich richtig fake, werde ich gefunden, wenn nach mir gesucht wird. Gleichzeitig mache ich dem Abnehmer das Leben leichter, wenn ich für ein ganz bestimmtes Thema stehe und er nicht lange nach mir suchen muss. Alles ist eindeutig. Oder kämen Sie auf die Idee, für ein Candlelight-Dinner zu McDonalds zu gehen? Sehen Sie. Das ist der Vorteil einer eindeutigen Positionierung.
Dieses Sich-sichtbar-machen, die Positionierung unter Zuhilfenahme des Fakes, ist nicht nur für Selbstständige und Freiberufler wichtig. Menschen, die in Unternehmen angestellt sind, profitieren genauso davon. Auch sie wollen gesehen werden – von Vorgesetzten, Führungskräften, Kollegen, Kunden. Auch sie können ihre Expertise – also das Spezialgebiet, in dem sie sich profilieren wollen – durch den Fake aktiv beeinflussen. Sich die eigene Expertise bewusst zu machen und sinnvoll zu steuern, zu reflektieren und sich damit intensiv auseinanderzusetzen, sehr gezielt Energie zu investieren, um sich zu dem zu entwickeln, der man sein möchte – all diese gezielte Filterarbeit gegenüber dem vorhandenen und verfügbaren Wissen, die kein Abnehmer mehr ohne Hilfe der Anbieter bewältigen kann, gehört zur Kunst des Fakes. Wie Sie das konkret bewerkstelligen – dazu mehr im nächsten Kapitel.
DYNAMISCHER WISSENSTEPPICH

Wir haben schon festgestellt: Durch die Wissensexplosion entsteht gleichzeitig eine Expertenexplosion. Experten, wohin man schaut. Ein eng geknüpftes Netzwerk – so eng, dass man die Maschen mit bloßem Auge gar nicht mehr wahrnehmen kann. Mehr noch: Dieser Wissensteppich, das viele Wissen, ist nicht statisch. Es unterliegt einer unglaublichen Dynamik.
Dieser Dynamik hecheln wir als Experten hinterher. Wir müssen uns in dieser Flut von Information und Desinformation, unvorhergesehener Ereignisse und sich allmählich vollziehender Entwicklungen permanent neu verorten. Aus ihrem Expertenfeld andere, neue Felder machen, die besser zum Zeitgeist passen. Andere Akzente setzen, um in einer Welt voller Experten weiterhin wahrgenommen zu werden. Sich von einem Religionsexperten zu einem Nahostexperten zu einem IS-Experten entwickeln – um es mal an einem Beispiel festzumachen. Vor ein paar wenigen Jahren gab es noch keinen IS, aber nun gibt es ihn, und so ein Experte für Religionen des Nahen Ostens kann sich nicht auf seiner Expertise ausruhen, die er sich vor zwanzig Jahren einmal zugelegt hat. Als ich begonnen habe, als Berater im Gesundheitswesen zu arbeiten, war ich Experte für Prozesse. Danach kräht heute kein Hahn mehr. Später war ich Experte für Betriebsorganisation. Heute bin ich Experte für Strategie. Das Wissen dieser Welt verändert sich täglich, und die Experten müssen sich dieser Dynamik laufend anpassen, wenn sie noch etwas zu melden haben wollen. Oft auch dann, wenn die Veränderung sich weitgehend auf die Begrifflichkeit beschränkt. Denn eigentlich kann ein Experte für die Religionen des Nahen Ostens sicher sehr viel dazu sagen, wer der IS ist, was er will und wie es dazu kommen konnte. Nur will das eben niemand von ihm wissen, wenn er sich nicht eindeutig als IS-Experte ausweist.
Die Dynamik des Wissensteppichs ergibt sich aber nicht nur durch die Wissensexplosion – sie entsteht auch dadurch, dass sich für etliche Themen und Wissensgebiete einfach zu viele Experten am Markt tummeln. Das führt zu einer Experteninflation. Die Experten auf einem solchen Gebiet können sich dann nicht mehr so sichtbar machen, wie es für sie erforderlich ist, und müssen nach neuen Mitteln und Wegen suchen. Manchmal finden sie nur neue Namen für das, was sie sowieso schon immer getan haben – aber manchmal müssen sie sich komplett neu erfinden und ihre Expertise so verpacken, dass sie wieder marktkompatibel ist. Auch das funktioniert am besten mit der Methode des Fakes.
„Marktkompatibel“ heißt in diesem Fall, vom Markt wahrgenommen werden – denn darum geht es ja bei der bewussten Inszenierung des Fakes: sich im Markt mit einer bestimmten Expertise, einem bestimmten Angebot sichtbar zu machen. Dabei muss man sich eines immer vor Augen halten: „Der Markt“ ist ein sehr kapriziöses Wesen. Seine Aufmerksamkeitsmechanismen sind launisch und unkalkulierbar.
Warum wurde beispielsweise Paypal, die Experten-Mafia, weltweit so erfolgreich, dass sie es sogar an den Anfang dieses Kapitels geschafft hat? Das amerikanische Online-Bezahlsystem hatte bei seiner Einführung durchaus eine solide Existenzberechtigung in den USA – weil dort Überweisungen von einem Bundesstaat in den anderen verboten waren. Am deutschen Markt und vielen anderen hingegen gab es für das eigentliche Dienstleistungsmodell schon längst eine Lösung: den bargeldlosen Zahlungsverkehr über Lastschriftverfahren abzuwickeln, gehört seit vielen Jahren zum Standard. Trotzdem gelang es Paypal, sich über seine Positionierung – als „guter Freund“ für alle Bezahlsituationen – sehr erfolgreich auch auf dem deutschsprachigen Markt zu etablieren und zu behaupten. Es ist für uns eigentlich ein überflüssiges und ineffizientes System, das überdies völlig unnötig Intermediäre reich macht. Eigentlich. Wahrnehmung und Aufmerksamkeitsmechanismen des Marktes haben dafür gesorgt, dass es trotzdem funktioniert. Und wie.
Je stärker die „Attention Economy“ (Aufmerksamkeits-Wirtschaft) unseren Markt bestimmt, desto attraktiver muss sich ein Experte machen, um in der Expertenschwemme überhaupt noch die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen – selbst wenn andere Experten oder andere Lösungen substanziell betrachtet besser dafür in Frage kämen. Paypal hat das sehr gut gemacht. So gut, dass wir auch hierzulande ein System benutzen, das wir eigentlich gar nicht brauchen.
SPEZIALISIERUNG ALS ÜBERLEBENSSTRATEGIE

Um es noch einmal zusammenzufassen: Die Wissens- und Informationsexplosion kann mich als Experten vernichten. Ich überlebe nur, wenn ich dem etwas entgegensetze. Also spezialisiere ich mich. Das ist meine Strategie, mit der ich der Wissensexplosion begegne. Schließlich habe ich existenzielle Bedürfnisse: Ich muss meinen Lebensunterhalt verdienen! Und auch psychisch und sozial als Marktteilnehmer überleben. Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust sind der ohnehin überforderten Seele nicht gerade zuträglich. Wenn ich also nicht verzweifeln und mich in dem oft genug undurchschaubaren und hyperdynamischen Wissensteppich als Experte und Dienstleister positionieren will, greife ich auf den Fake zurück. Gerade weil ich (noch) viel zu wenig weiß, tue ich so, als wüsste ich mehr. Ich suche meine Position auf dem Spielfeld. Und schaue in die Welt, als hätte ich immer noch einen Trumpf im Ärmel.
Übrigens: Es gibt noch einige wenige Positionen, die unter den vielen Experten und Dienstleistern nicht durchgängig besetzt sind – die der Meta-Berater. Ja, Sie haben richtig gelesen. Meta-Berater. Schließlich muss es ja noch jemanden geben, der das Wissen der ganzen Experten überschaut, zusammenbringt und in Richtung Ziel vorantreibt. Berater beraten Berater. In einer Welt voller Experten braucht es den Super-Experten. Auch der weiß natürlich nicht alles. Er weiß vielmehr besonders genau, was er nicht weiß und nicht wissen muss. Überschauen und wissen ist nicht dasselbe.
Was der Meta-Experte ganz genau weiß, ist, was er zu tun hat. Und Sie wissen das jetzt auch.


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