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Mabel erwiederte Nichts auf diese Berufung und blickte gegen das westliche Ufer, obgleich die Finsterniß auch ohne diese natürliche Bewegung ihr Antlitz verborgen hätte. Auch Jasper fühlte die Nothwendigkeit, hier zu sprechen, denn der Stolz der jugendlichen Männlichkeit empörte sich gegen den Gedanken, daß er nicht in der Lage sei, über die Achtung seiner Kameraden oder das Lächeln seiner Altersgenossinnen zu gebieten. Er wollte sich jedoch keine unfreundlichen Aeußerungen gegen Mabels Onkel erlauben, und so mochte vielleicht seine Selbstbeherrschung noch achtungswerther erscheinen, als seine Bescheidenheit und sein Geist.
„Ich mache keinen Anspruch auf Dinge, die ich nicht besitze," sprach er, „und habe nie gesagt, daß ich von dem Meere und einer Schifffahrt etwas verstehe. Wir steuern auf unsern Seen nach den Sternen und dem Compaß, und fahren von einem Vorgebirge zum andern, ohne uns der Figuren und Berechnungen zu bedienen, deren wir wenig bedürfen. Wir dürfen uns aber demungeachtet auch Etwas darauf zu Gute thun, wie ich oft von Solchen, welche sich Jahre lang auf dem Meere umgetrieben, gehört habe. Erstens haben wir überall das Land am Bord und oft an dem Legerwall, und dies macht, wie ich häufig gehört habe, kühne Segler. Unsere Winde sind plötzlich und heftig, und wir sind keine Stunde sicher, daß wir nicht nach einem Hafen eilen müssen —"
„Ihr habt Eure Lothe," unterbrach ihn Cap.
„Sie sind von geringem Nutzen und werden selten ausgeworfen."
„Das Tiefloth — «
„Ich habe von einem solchen Ding gehört, muß aber gestehen, daß ich nie eines sah."
„O! zum Henker!" rief Cap mit Heftigkeit. „Ein Schiffer und kein Tiefloth! Junge, Ihr könnt keinen Anspruch darauf machen, so ein Stück von einem Seemann zu sein. Wer, zum Teufel, hat je von einem Schiffer gehört ohne sein Tiefloth?"
„Ich mache keinen Anspruch auf irgend eine besondere Geschicklichkeit, Meister Cap—"
„Das Schießen über die Fälle und die Strömungen ausgenommen, Jasper," sagte Pfadfinder, der ihm zu Hilfe kam „in diesem Geschäft müßt auch Ihr, Meister Cap, ihm einige Gewandtheit zugestehen. Nach meinem Urtheil muß Jeder nach seinen Gaben geschätzt oder verurtheilt werden; und wenn Meister Cap bei dem Hinabschießen über die Oswegofälle zu Nichts nütze ist, so will ich nur daran erinnern, daß er gute Dienste zu leisten vermag, wenn er das Land aus dem Gesichte verloren hat. Wenn nun Jasper auch für die offene See nicht taugt, so vergesse ich dabei nicht, daß er ein treues Auge und eine sichere Hand hat, wenn er über die Fälle setzt."
„Aber Jasper taugt wohl — würde wohl für die offene See taugen," sagte Mabel mit einer Lebhaftigkeit in ihrer hellen und süßen Stimme, daß Alle mitten in der Stille dieser außerordentlichen Scene darüber erschraken. „Ich meine, ein Mann, der hier so viel zu leisten vermag, kann dort nicht untauglich sein, wenn er gleich nicht so mit den Schiffen vertraut ist, als mein Onkel."
"Ja, ja, unterstützt euch nur gegenseitig in eurer Unwissenheit," erwiederte Cap mit höhnischem Lächeln. Wir Seeleute haben immer die Mehrzahl gegen uns, wenn wir am Ufer sind, und können deßhalb selten zu unserem Recht kommen; aber wenn es die Vertheidigung gilt, oder die Führung des Handels, da sind wir dann doch der Gutgenug!"
„Aber, Onkel, die Bewohner des Landes kommen nicht, um unsere Küsten anzugreifen. Es treffen also die Seeleute nur mit Seeleuten zusammen."
„Da hat man wieder die Ignoranz! — Wo sind alle die Feinde, die in dieser Gegend gelandet haben, Franzosen und Engländer? Ich will nur das fragen."
„In der That, wo sind sie?" rief Pfadfinder aus. „Niemand kann das besser sagen, als die, welche sich in den Wäldern aufhalten, Meister Cap. Ich habe oft ihre Marschlinie verfolgt nach den Gebeinen, die im Regen bleichten; ich habe Jahre nachher ihre Spur bei Gräbern gefunden, nachdem sie und ihr Stolz lange verschwunden waren. Generale und Gemeine lagen durch das Land zerstreut, als eben so viele Beweise, was der Mensch ist, wenn ihn der Ehrgeiz und der Wunsch, mehr zu sein, als seine Nebenmenschen, leitet."
„Ich muß sagen, Meister Pfadfinder, daß Ihr bisweilen Meinungen äußert, die etwas merkwürdig klingen aus dem Munde eines Mannes, der stets unter dem Gewehr lebt und selten die Luft anders als mit Pulverdampf gemengt athmet — eines Mannes, der kaum seine Hängematte verläßt, ohne einem Feind zu Leibe zu gehen."
„Wenn Ihr glaubt, daß ich mein Leben im ewigen Krieg gegen mein Geschlecht zubringe, so kennt Ihr weder mich noch meine Geschichte. Der Mann, der in den Wäldern und an den Gränzen lebt, muß sich den Wechsel der Dinge, die ihn umgeben, gefallen lassen. Ich bin nur ein einfacher, machtloser Jäger, Kundschafter und Wegweiser, und dafür nicht verantwortlich. Mein wahrer Beruf ist jedoch, für die Armee auf dem Marsch sowohl als in Friedenszeiten zu jagen; obgleich ich eigentlich im Dienste eines Offiziers stehe, der aber abwesend und in den Ansiedlungen ist, wohin ich ihm nie folgen werde. Nein, nein: Blutdurst und Krieg sind nicht meine eigentlichen Gaben, sondern Mitleid und Friede. Dem Feinde aber blicke ich so gut als ein Anderer in's Gesicht, und was die Mingo's anbetrifft, so betrachte ich Jeden, wie man eine Schlange betrachtet — als ein Geschöpf, das man unter die Ferse tritt, sobald sich eine günstige Gelegenheit dazu darbietet."
„Wohl, wohl; ich habe mich in Eurem Beruf geirrt, den ich für so regelmäßig kriegerisch hielt, als den eines Schiffs-Constabels. Da ist nun auch mein Schwager; er ist von seinem sechszehnten Jahre an Soldat gewesen, und betrachtet sein Gewerbe jedenfalls als eben so respektabel, wie das eines Seefahrers. Das ist nun freilich ein Punkt, über den es kaum der Mühe werth ist, mit ihm zu streiten."
„Man hat meinen Vater gelehrt, daß es ehrenvoll sei, die Waffen zu tragen," sagte Mabel, „denn auch sein Vater war vor ihm Soldat."
„Ja, ja," fuhr der Wegweiser fort, „die meisten Gaben des Sergeanten sind kriegerisch, und er betrachtet die meisten Dinge dieser Welt nur über seinen Musketenlauf. So ist's auch einer von seinen Einfällen, ein königliches Gewehr einer regelmäßigen, langläufigen Büchse mit doppeltem Visirpunkt vorzuziehen. Aber solche Begriffe können wohl durch lange Gewohnheit aufkommen, und Vorurtheil ist vielleicht der allgemeine Fehler der Menschennatur."
„Am Lande, das geb' ich zu," sagte Cap. „Ich komme nie von einer Reise zurück, ohne dieselbe Bemerkung zu machen. Als ich das letztemal eingelaufen war, fand ich in ganz York kaum einen Mann, der im Allgemeinen über die Dinge und Gegenstände dachte wie ich. Jeder, mit dem ich zusammentraf, schien seine Ideen gegen den Wind aufgetaljet zu haben, und wenn er ein wenig von seinen einseitigen Ansichten abfiel, so war es gemeiniglich, um auf dem Kiel kurz umzuvieren, und so dicht als möglich auf einen andern Gang anzulegen."
„Versteht Ihr dich, Jasper?" flüsterte Mabel mit Lächeln dem jungen Manne zu, der sein eigenes Fahrzeug ganz dicht an ihrer Seite hielt.
„Es ist kein so großer Unterschied zwischen Salz- und Frischwasser, daß wir, die wir unsere Zeit aus denselben zubringen, uns nicht gegenseitig sollten verstehen können. Ich halte es für kein großes Verdienst, Mabel, die Sprache unseres Gewerbes zu verstehen."
„Selbst die Religion," fuhr Cap fort, „liegt nicht mehr an derselben Stelle vor Anker, wie in meinen jungen Tagen. Sie vieren und holen sie am Lande an, wie sie es mit andern Dingen auch machen, und es ist kein Wunder, wenn sie hin und wieder fest zu sitzen kommen. Alles scheint zu wechseln, nur der Compaß nicht, und auch der hat seine Abweichungen."
„Wohl," entgegnete Pfadfinder, „ich habe aber immer das Christenthum und den Compaß für etwas ziemlich Beständiges gehalten."
„Ja, wenn sie auf dem Meere sind, mit Ausnahme der Abweichungen. Die Religion auf dem Meere ist heute noch dasselbe, was sie war, als ich zum ersten Mal meine Hand in den Theekessel tauchte. Niemand wird mir das bestreiten, der die Gottesfurcht nicht aus den Augen läßt. Ich kann an Bord keinen Unterschied zwischen dem heutigen Zustand der Religion und dem aus der Zeit, da ich noch ein junges Bürschlein war, erkennen. So ist es aber keineswegs am Ufer. Nehmt mein Wort dafür, Meister Pfadfinder, es ist schwer, einen Mann zu finden — ich meine auf dem Festlande — dessen Ansichten über diesen Gegenstand noch genau dieselben wären, wie er sie vor vierzig Jahren hatte."
„Und doch ist Gott unverändert; Seine Werke sind unverändert; Sein heiliges Wort ist unverändert; es muß daher auch Alles, was zum Preise und zur Ehre Seines Namens dient, unverändert sein."
„Nicht am Lande. Es ist das gerade das Miserabelste von dem Lande, daß es beständig in Bewegung ist, obgleich es fest aussieht. Wenn Ihr einen Baum pflanzt, ihn verlaßt, und nach einer dreijährigen Reise wieder zurückkommt, so findet Ihr ihn nicht wieder, wie Ihr ihn verlassen habt. Die Städte vergrößern sich; neue Straßen thun sich auf, die Kojen werden verändert; und die ganze Oberfläche der Erde erleidet einen Wechsel. Ein Schiff aber, das von einer Indienfahrt zurückkommt, ist noch gerade so, wie es aussegelte, wenn man den fehlenden Anstrich, die Abnützung der Schiffsgeräthschaften und die Zufälligkeiten der Schifffahrt abrechnet."
„Das ist nur zu wahr, Meister Cap, und daher um so mehr zu beklagen. Ach! die Dinge, welche die Leute Verbesserungen nennen, dienen zu nichts, als das Land zu untergraben und zu verunstalten. Die herrlichen Werke Gottes werden täglich niedergeworfen und zerstört, und die Hand des Menschen scheint erhoben zu sein in Verachtung Seines mächtigen Willens. Man hat mir gesagt, es seien schreckenerregende Zeichen dessen, was noch kommen solle, in dem Süden und Westen der großen Seen anzutreffen; denn ich selbst bin in diesen Gegenden noch nie gewesen."
„Was meint Ihr damit, Pfadfinder?" fragte Jasper bescheiden.
„Ich meine die Stellen, welche die Rache des Himmels bezeichnete, oder die sich vielmehr als feierliche Warnungszeichen dem Gedankenlosen und Ueppigen in den Weg stellen. Man nennt sie die Prairien, und ich habe einen so wackern Delawaren, als ich nur je einen kannte, erzählen hören, die Hand Gottes liege so schwer auf ihnen, daß nicht ein Baum dort gedeihe. Eine solche Heimsuchung der unschuldigen Erde muß Scheu erregen und kann nur die Absicht haben, zu zeigen, zu welchen schrecklichen Folgen eine unbesonnene Zerstörungssucht führen mag."
„Und doch habe ich Ansiedler gesehen, welche sich viel von diesen offenen Plätzen versprachen, weil sie ihnen die Mühe der Lichtung ersparten. Euer Brod schmeckt Euch, Pfadfinder; und doch kann der Waizen dazu nicht im Schatten reisen."
„Aber ein redlicher Wille, einfache Wünsche und die Liebe Gottes können's, Jasper. Selbst Meister Cap wird Euch sagen, daß eine baumlose Ebene einer öden Insel gleichen muß."
„Kann sein," warf Cap ein; „indeß haben öde Inseln auch ihren Nutzen, denn sie dienen dazu, die Kursberechnungen zu corrigiren. Wenn es auf meinen Geschmack ankommt, so habe ich nie etwas gegen eine Ebene wegen ihres Mangels an Bäumen einzuwenden. Da einmal die Natur dem Menschen Augen zum Umherblicken und eine Sonne zum Scheinen gegeben hat, so kann ich, wenn es nicht wegen des Schiffbaues oder hin und wieder wegen Errichtung eines Hauses wäre, in einem Baum keinen besondern Nutzen entdecken, zumal, wenn keine Affen oder Früchte auf demselben sind."
Auf diese Bemerkung antwortete Pfadfinder nur durch einen leisen Ton, welcher die Absicht hatte, seine Gefährten zum Stillichweigen zu veranlassen. Während die eben erwähnte wechselnde Unterhaltung mit gedämpfter Stimme geführt wurde, waren die Kähne unter den tiefen Schatten des westlichen Ufers langsam mit der Strömung abwärts gegangen, ohne daß man sich der Ruder anders, als um ihnen die erforderliche Richtung und die geeignete Lage zu geben, bediente. Die Kraft des Stromes wechselte so bedeutend, daß das Wasser stellenweise ganz still zu stehen schien, indeß die Geschwindigkeit desselben an andern Orten mehr als zwei oder drei Meilen in der Stunde betragen mochte. Besonders drängte es an den Stromengen mit einer Eile vorwärts, welche ein ungeübtes Auge erschrecken konnte. Jasper war der Meinung, daß sie mit der Strömung die Mündung des Flusses in zwei Stunden, von der Zeit ihrer Einschiffung an gerechnet, erreichen dürften, und er und Pfadfinder hatten es für geeignet gehalten, die Kähne eine Zeit lang, oder wenigstens, bis sie über die ersten Gefahren ihres neuen Kursus hinaus waren, für sich schwimmen zu lassen. Der Dialog war in leise gehaltenen Tönen geführt worden; denn obgleich eine tiefe einsame Ruhe in diesem weiten und fast endlosen Forste herrschte, so sprach doch die Natur mit tausend Zungen in der beredten Sprache einer Nacht in den Wäldern. Die Luft seufzte durch Myriaden von Bäumen; das Wasser rieselte und brauste stellenweise an den Ufern; dann hörte man hin und wieder das Knarren eines Zweiges oder eines Stammes, der sich unter wogenden Bebungen an ähnlichen Gegenständen stieß. Aber alles Leben schwieg. Nur einmal glaubte Pfadfinder das Geheul eines entfernten Wolfes, deren einige durch diese Wälder streiften, zu vernehmen: dieser Ton war jedoch sehr vorübergehend und zweifelhaft, daß seine Deutung wohl auf Rechnung der Einbildungskraft kommen konnte. Als er aber gegen seine Gefährten den Wunsch des Stillschweigens in der eben erwähnten Weise ausdrückte, hatte sein wachsames Ohr den eigenthümlichen Ton erfaßt, der durch das Zerbrechen eines trockenen Baumzweiges hervorgebracht wird, und der, wenn ihn seine Sinne nicht täuschten, von dem westlichen Ufer herkam. Wer einen solchen Ton öfters gehört hat, weiß, wie leicht ihn das Ohr erkennt, und wie gut der Tritt, welcher den Zweig zerbricht, von jedem andern Geräusch des Waldes zu unterscheiden ist.
„Es ist der Fußtritt eines Mannes am Ufer," sagte Pfadfinder zu Jasper mit einer Stimme, die zwar nicht flüsternd, «jedenfalls aber nicht laut genug war, um in einiger Entfernung gehört zu werden. „Können die verfluchten Irokesen schon mit ihren Waffen und ohne ein Boot über den Fluß gesetzt haben?"
„Es kann der Delaware sein. Möglich, daß er unsern Kurs an dem Ufer abwärts verfolgt, da er weiß, wo er uns zu finden hat. Laßt mich dichter an's Ufer fahren und recognosciren."
„Geht, Junge, aber seid leicht mit dem Ruder, und in keinem Fall wagt Euch auf’s Unsichere an's Ufer."
„Ist das klug?" fragte Mabel mit einer Heftigkeit, welche sie die Vorsicht, ihre süße Stimme zu dämpfen, vergessen ließ.
„Sehr unklug, meine Liebe, wenn Sie so laut sprechen. Ich liebe zwar ihre sanfte und angenehme Stimme, nachdem ich so lange nur die der Männer gehört habe; aber sie darf sich im gegenwärtigen Augenblick doch nicht zu viel und zu frei vernehmen lassen. Ihr Vater, der wackere Sergeant, wird Ihnen sagen, daß Schweigen auf einer Fährte eine doppelte Tugend ist. Geht, Jasper, und benehmt Euch klug in der Sache."
Zehn drückende Minuten folgten dem Verschwinden von Jaspers Kahn, welcher von dem des Pfadfinder so geräuschlos weg glitt, daß er in der Dunkelheit verschwunden war, ehe noch Mabel glauben konnte, der junge Mann werde wirklich ein Unternehmen wagen, welches die Phantasie ihr mit so gefährlichen Farben malte. Während dieser Zeit fuhr die Gesellschaft fort, mit der Strömung zu schwimmen, ohne einen Laut, man möchte fast sagen, ohne einen Athemzug sich zu gestatten, um ja den leichtesten Ton, der vom Ufer herkäme, nicht zu überhören. Aber es herrschte dieselbe feierliche oder vielmehr erhabene Stille, wie früher. Nur das Plätschern des Wassers, wenn es gegen ein leichtes Hinderniß anstieß, und das Seufzen der Bäume unterbrach den Schlummer des Forstes. Am Ende des erwähnten Zeitraums wurde das Knacken dürrer Zweige wieder schwach gehört, und es war dem Pfadfinder, als ob er, den Ton gedämpfter Stimmen vernähme.
„Vielleicht irre ich mich, denn die Gedanken malen einem gerne, was das Herz wünscht; aber ich glaube, diese Töne gleichen der gedämpften Stimme des Delawaren."'
„Gehen die Wilden auch im Tode noch umher?" fragte Cap.
„Ja, und jagen dazu — in ihren glücklichen Jagdgründen, aber nirgends anders. Mit einer Rothhaut ist's auf der Erde aus, sobald der letzte Athemzug ihren Leib verlassen hat. Es ist keine von ihren Gaben, bei ihrer Hütte zu weilen, wenn ihre Stunde vorüber ist."
„Ich sehe einen Gegenstand auf dem Wasser," flüsterte Mabel, welche ihre Augen nicht von der dunkeln Hülle abgewendet hatte, seit Jasper in ihr verschwunden war.
„Es ist der Kahn," erwiederte Pfadfinder mit großer Erleichterung. „Es muß Alles gut stehen, sonst würden wir von dem Jungen gehört haben."
„In der nächsten Minute schwammen die zwei Kähne, welche den Führern, erst als sie sich näher kamen, sichtbar wurden, wieder Seite an Seite, und man erkannte Jaspers Gestalt in dem Stern seines Bootes. Die Figur eines zweiten Mannes saß in dem Bug, und da der junge Schiffer sein Ruder in einer Weise regierte, daß das Gesicht seines Gefährten dem Pfadfinder und Mabeln unter die Augen trat, so erkannten Beide den Delawaren.
„Chingachgook mein Bruder!" sagte der Pfadfinder in der Sprache des Andern mit einem Beben in seiner Stimme, welches die Gewalt seiner Gefühle verrieth „Häuptling der Mohikaner! Mein Herz ist hoch erfreut. Oft sind wir mit einander durch Blut und Streit gegangen! aber ich habe gefürchtet, es werde nie wieder geschehen."
„Hugh! — Die Mingo's sind Weiber! — Drei von ihren Skalpen hängen an meinem Gürtel. Sie wissen nicht die große Schlange der Delawaren zu treffen. Ihre Herzen haben kein Blut und ihre Gedanken sind auf dem Rückweg über die Wasser des großen See's."
„Bist du unter ihnen gewesen, Häuptling? und was wurde aus dem Krieger, der im Fluß war?"
„Er ist zum Fisch geworden und liegt auf dem Grunde mit den Aalen. Laß seine Brüder die Angelhaken nach ihm auswerfen. Pfadfinder, ich habe die Feinde gezählt und ihre Büchsen berührt."
„Ah! Ich dachte, er würde verwegen sein," rief der Wegweiser in englischer Sprache. „Der waghalsige Bursche ist mitten unter ihnen gewesen, und hat uns ihre ganze Geschichte mitgebracht. Sprich, Chingachgook, damit ich unsern Freunden mittheilen kann, was wir selbst wissen."
Der Delaware erzählte nun in gelassener und ernster Weise das Wesentliche der Entdeckungen, welche er gemacht, seit wir ihn zuletzt im Flusse mit den Feinden haben ringen sehen. Von dem Schicksal seines Gegners sprach er nicht mehr, da es gegen die Gewohnheit eines Kriegers ist, bei mehr in's Einzelne gehenden Berichterstattungen groß zu thun. Sobald er aus diesem furchtbaren Kampfe als Sieger hervorgegangen war, schwamm er gegen das östliche Ufer, stieg mit Vorsicht an's Land, und nahm seinen Weg unter dem Schutze der Finsterniß unentdeckt und im Grunde auch unbeargwohnt, mitten durch die Irokesen. Einmal wurde er angerufen; da er sich aber für Arrowhead ausgab, so wurden keine weitern Fragen an ihn gemacht. Aus ihren Reden war ihm bald klar geworden, daß der Haufen ausdrücklich auf Mabel und ihren Onkel lauerte, über dessen Rang sie jedoch augenscheinlich im Irrthum waren. Er hatte auch genug erfahren, um den Verdacht zu rechtfertigen, daß Arrowhead sie ihren Feinden verrathen habe, obgleich ein Beweggrund hiezu nicht leicht auszufinden war, da er die Belohnung für seine Dienste noch nicht empfangen hatte.
Pfadfinder theilte von diesen Nachrichten seinen Gefährten nicht mehr mit, als er zu Milderung ihrer Besorgnisse für nöthig erachtete, indem er zugleich andeutete, daß es nun Zeit sei, ihre Kräfte zu brauchen, ehe die Irokesen sich von der Verwirrung erholt hätten, in welche sie durch ihre Verluste gerathen waren.
„Wir werden sie ohne Zweifel an der Stromenge wieder finden," fuhr er fort, „und dort müssen wir an ihnen vorbei oder in ihre Hände fallen. Die Entfernung von der Garnison ist nur noch geringe, und ich habe daran gedacht, mit Mabel zu landen, sie auf einigen Seitenwegen weiter zu geleiten und die Kähne ihrem Schicksal in den Stromschnellen zu überlassen."
„Es wird nicht, gelingen, Pfadfinder," unterbrach ihn Jasper lebhaft. „Mabel ist nicht stark genug, um in einer solchen Nacht durch die Wälder zu gehen. Setzt sie in meinen Kahn, und ich will mein Leben verlieren, oder sie über die Stromenge glücklich wegführen, so dunkel es auch sein mag."
„Ich zweifle nicht, daß Ihr das werdet, Junge; Niemand zweifelt an Eurem guten Willen, der Tochter des Sergeanten einen Dienst zu leisten; aber das Auge der Vorsehung muß es sein und nicht das Eurige, welches in einer Nacht, wie diese, Euch glücklich über den Stromschuß des Oswego bringen kann."
„Und wer wird sie denn zu Land glücklich nach der Garnison bringen? Ist die Nacht am Ufer nicht so dunkel, als auf dem Wasser? Oder glaubt Ihr, ich verstehe mich weniger auf meinen Beruf, als Ihr Euch auf den Eurigen?"
„Kühn gesprochen, Junge; aber angenommen, ich verlöre meinen Weg in der Finsterniß — und ich glaube, es kann mir Niemand in Wahrheit nachsagen, daß mir das je begegnet ist — angenommen, ich verlöre den Weg, so würde daraus kein anderes Unglück entspringen, als daß wir die Nacht im Walde zubringen müßten; indeß eine falsche Wendung des Ruders oder ein breiteres Streichen des Kahns Euch und das junge Frauenzimmer in den Fluß werfen kann, aus dem, aller Wahrscheinlichkeit nach, des Sergeanten Tochter nicht mehr lebendig kommen wird."
„Wir wollen das Mabel selbst überlassen; ich bin überzeugt, daß sie sich in dem Kahne sicherer fühlen wird."
„Ich habe ein großes Vertrauen zu euch Beiden," antwortete das Mädchen, „und zweifle nicht, daß Jeder thun wird, was er kann, um meinem Vater zu beweisen, wie werth er ihm ist. Aber ich bekenne, daß ich nicht gerne den Kahn verlassen möchte, da wir die Gewißheit haben, daß Feinde, wie wir sie gesehen, in dem Walde sich befinden. Doch mein Onkel mag in dieser Sache den Ausschlag geben."
„Ich liebe die Wälder nicht, so lange man eine so schöne Bahn, wie hier aufdem Fluß, vor sich hat. Außerdem, Meister Pfadfinder, um von den Wilden nichts zu sagen, Ihr überseht die Hayfische."
„Hayfische! wer hat je von Hayfischen in der Wildniß gehört?"
„Ach! Hayfische, oder Bären, oder Wölfe — es ist gleichgültig, wie Ihr das Ding nennt. Es ist eben Etwas, was die Lust und die Macht hat, zu beißen."
„Hilf Herr! Mensch, fürchtet Ihr ein Geschöpf, das in einem amerikanischen Forste gefunden werden kann? Ich will zwar zugeben, daß eine Pantherkatze ein ungeberdiges Thier ist; doch was will das heißen, wenn ein geübter Jäger bei der Hand ist? Sprecht von den Mingo's und ihren Teufeleien, so viel Ihr wollt; aber macht mir keinen falschen Lärm mit Euren Bären und Wölfen."
„Ja, ja, Meister Pfadfinder, das ist wohl Alles gut genug für Euch, der Ihr wahrscheinlich den Namen einer jeden Kreatur, mit der Ihr zusammen trefft, kennt. Gewohnheit ist schon Etwas, und macht einen Mann kühn, wo er sonst vielleicht schüchtern wäre. Ich habe in der Nähe des Aequators die Matrosen stundenlang unter fünfzehn bis zwanzig Fuß langen Hayfischen herumschwimmen sehen, und sie hatten dabei keine andern Gedanken, als die ein Landbewohner sich macht, wenn er Sonntags Nachmittags unter Seines Gleichen aus der Kirchthüre geht."
„Das ist außerordentlich!" rief Jasper, welcher in seiner Treuherzigkeit sich jenen wesentlichen Theil seines Gewerbes, den man die Fähigkeit „ein Garn zu spinnen" nennt, noch nicht angeeignet hatte. „Ich habe immer gehört, daß der Tod gewiß sei, wenn man sich in das Wasser unter die Hayen wage."
„Ich vergaß, zu sagen, daß die Jungen immer Spillenbäume, Kanonenspacken oder Kuhfüße mit sich nahmen und die Bestien auf die Nase schlugen, wenn sie ihnen lästig wurden. Nein, nein, ich finde kein Behagen an Bären und Wölfen, obgleich ich mir aus einem Walfisch so wenig mache, als aus einem Häring, wenn er getrocknet und gesalzen ist. Mabel und ich halten besser Stich in dem Kahne."
„Mabel würde gut thun, das Fahrzeug zu wechseln," fügte Jasper bei. „Das meine ist leer, und der Pfadfinder wird zugeben, daß auf dem Wasser mein Auge sicherer ist, als das seine."
„Das thue ich mit Freuden, Junge. Das Wasser gehört zu Euren Gaben, und Niemand wird in Abrede ziehen, daß Ihr sie auf’s Beste erprobt habt. Ihr habt Recht, wenn Ihr glaubt, daß des Sergeanten Tochter in Eurem Kahne sicherer sei, als in dem meinigen, und obgleich ich gerne selber in ihrer Nähe wäre, so liegt mir doch ihre Wohlfahrt zu sehr am Herzen, um sie nicht aufrichtig zu berathen. Bringt Euren Kahn dicht an unsere Seite, Jasper, damit ich Euch das, was Ihr als einen kostbaren Schatz betrachten müßt, übergeben kann."