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„Der Serpent muß um den Weg sein," sagte der Pfadfinder, welcher keinen Augenblick sein Auge von dem jungen Krieger abwandte. „Er sieht sich auf eine sonderbare Weise vor, wenn er einem solchen blutdürftigen Mingoteufel gestattet, so nahe zu kommen."
„Seht," unterbrach ihn Jasper, „da ist der Körper des Indianers, welchen der Delaware erschoß. Er wurde an einen Felsen getrieben, und die Strömung hat den Kopf und das Gesicht aus dem Wasser gedrängt."
«Ganz wahrscheinlich, Junge; ganz wahrscheinlich. Menschennatur ist wenig besser als ein Stamm Treibholz, wenn das Leben, das in ihrer Brust geathmet hat, gewichen ist. Dieser Irokese wird Niemanden mehr ein Leides thun; aber jener schleichende Wilde steht im Begriff, sich des Skalps meines besten und erprobtesten Freundes —"
Der Pfadfinder unterbrach sich plötzlich selbst und erhob seine Büchse, eine Waffe von ungewöhnlicher Länge, mit bewunderungswürdiger Genauigkeit und feuerte in dem Augenblick, wo sie die nöthige Höhe erreicht hatte. Der Irokese auf dem entgegengesetzten Ufer zielte eben, als ihn der verhängnißvolle Bote aus dem Laufe des Hirschetödters ereilte. Seine Büchse entlud sich allerdings, aber mit der Mündung in die Luft, indeß der Mann selbst in das Gebüsch stürzte, gewiß verwundet, wo nicht getödtet.
„Dieses schleichende Gewürm wollte es nicht besser," brummte der Pfadfinder, indem er sein Gewehr sinken ließ und wieder neu zu laden anfing. „Chingachgook und ich haben von Jugend auf in Compagnie gefochten, am Horican, am Mohawk, am Ontario, und an allen andern blutigen Pässen zwischen unserm und dem französischen Gebiete, und so ein thörichter Schuft glaubt, ich werde dabei stehen und zusehen, wenn mein bester Freund in einem Hinterhalt erlegt wird!"
„Wir haben dem Serpent einen so guten Dienst gethan, als er uns. Diese Schufte sind eingeschüchtert und werden in ihre Verstecke zurückgehen, zumal wenn sie finden, daß wir sie über den Fluß hinüber erreichen können."
„Der Schuß ist von keiner besondern Bedeutung, Jasper; er will nichts besagen. Fragt Einen von dem Sechszigsten, und er wird Euch erzählen, was der Hirschetödter thun kann, und was er gethan hat, selbst wenn die Kugeln wie Hagelsteine uns um die Köpfe sausten. Nein, dieser ist von keiner großen Bedeutung, und der gedankenlose Herumstreicher ist selber Schuld daran."
„Ist das ein Hund oder ein Hirsch, was auf unser Ufer zuschwimmt?" Der Pfadfinder fuhr auf, denn es war gewiß, daß irgend ein Gegenstand oberhalb der Stromenge über den Fluß setzte, aber immer mehr durch die Gewalt der Strömung der ersteren zugetrieben wurde. Ein zweiter Blick überzeugte beide Beobachter, daß es ein Mensch und zwar ein Indianer war, obgleich er im Anfang so tief im Wasser stak, daß man noch zweifeln mußte. Die Freunde fürchteten eine Kriegslist, und richteten deßhalb die schärfste Aufmerksamkeit auf die Bewegungen des Fremden.
„Er stößt etwas im Schwimmen vor sich hin, und sein Kopf' gleicht einem treibenden Busch," sagte Jasper.
„'s ist eine indianische Teufelei, Junge, aber christliche Ehrlichkeit wird alle ihre Künste umgehen."
Als der Mann sich langsam näherte, begannen die Beobachter die Richtigkeit ihrer ersten Eindrücke zu bezweifeln, und erst als er zwei Drittheile des Stromes zurückgelegt hatte, wurde ihnen die Wahrheit völlig klar.
„Der Big Serpent, so wahr ich lebe," rief Pfadfinder, indem er auf seinen Gefährten blickte, und dabei vor Wonne über den glücklichen Kunstgriff lachte, bis ihm die Thränen in die Augen traten. „Er hat Gesträuch um seinen Kopf gebunden, um ihn zu verbergen, und das Pulverhorn an die Spitze gehängt. Die Flinte liegt auf dem Stückchen Stamm, das er vor sich hertreibt und er kommt herüber, um sich mit seinen Freunden zu vereinigen. Ach! die Zeiten, die Zeiten, wo er und ich solche Schwänke gemacht haben, recht unter den Zähnen der nach Blut tobenden Mingo's, bei der großen Durchfahrt um den Ty herum!"
„Es kann genau betrachtet, doch nicht der Serpent sein, Pfadfinder; ich kann keinen Zug entdecken, dessen ich mich erinnere."
„Was Zug! wer sieht auf die Züge bei einem Indianer? — Nein, nein Junge, seine Malerei ist es, die spricht, und nur ein Delaware würde diese Farben tragen. Dieß sind seine Farben, Jasper, gerade wie Euer Fahrzeug auf dem See das Georgenkreuz trägt, und die Franzosen ihre Tafeltücher in dem Winde flattern lassen mit all' ihren Flecken von Fischgräten und Wildpretstücken. Ihr seht doch das Auge, Junge, und es ist das Auge eines Häuptlings. Wer, Eau-douce, so ungestüm es im Kampfe und so glänzend es unter den Blättern blickt" — hier legte der Pfadfinder seinen Finger leicht, aber mit Nachdruck aus den Arm seines Gefährten, „so habe ich es doch gesehen, wie es Thränen gleich dem Regen vergoß. Es ist eine Seele und ein Herz unter dieser rothen Haut, verlaßt Euch draus, obgleich diese Seele und dieses Herz Gaben haben, die von den unsrigen verschieden sind."
„Niemand, der den Häuptling kennt, hat daran gezweifelt." „Ich aber weiß es," wiederholte der Andere stolz, „denn ich war in Freud und Leid sein Gefährte, und habe in dem einen ihn als einen Mann gefunden, wir schwer es auch getroffen hatte, und in der andern als einen Häuptling, welcher weiß, daß selbst die Weiber seines Stammes anständig sind in ihrer Fröhlichkeit. Doch still! Es gleicht zu sehr den Leuten von den Ansiedelungen, schmeichelnde Reden in das Ohr eines Andern zu gießen, und der Serpent hat scharfe Sinne. Er weiß, daß ich ihn liebe, und daß ich gut von ihm spreche hinter seinem Rücken; aber ein Delaware trägt Bescheidenheit in seiner innersten Natur, obgleich er prahlen wird wie ein Sünder, wenn er an einen Pfahl gebunden ist."
Der Serpent hatte nun das Ufer gerade Angesichts seiner Kameraden erreicht, mit deren Stellung er schon, ehe er das östliche Ufer verließ, bekannt gewesen sein mußte. Als er sich aus dem Wasser erhob, schüttelte er sich wie ein Hund und rief in seiner gewohnten Weise — „Hugh!"
Sechstes Kapitel.
Ewiger Vater, die hier wechselnd sich gestalten,
Sind die andre Seite nur von Dir.
Thomson.
Als der Häuptling an das Land gestiegen war, und mit dem Pfadfinder zusammentraf, redete dieser ihn in der Sprache der Krieger seines Volkes an.
„War es wohlgethan, Chingachgook," sagte er vorwurfsvoll, „sich gegen ein Dutzend Mingo's ganz allein in einen Hinterhalt zu legen?" 's ist zwar wahr, der Hirschetödter fehlt selten, aber der Oswego ist breit, und dieser Schuft zeigte wenig mehr als den Kopf und die Schultern über dem Gebüsch, und eine ungeübte Hand und ein unsicheres Ange hätten ihn wohl fehlen mögen. Du solltest das bedacht haben, Häuptling! Du solltest hieran gedacht haben."
„Big Serpent ist ein Mohikanischer Krieger, und sieht nur die Feinde, wenn er auf seinem Kriegspfad ist. Seine Väter haben ihre Feinde im Rücken angegriffen, seit die Wasser zu fließen begannen."
„Ich kenne deine Gaben, ich kenne sie, und habe alle Achtung vor ihnen. Kein Mensch wird mich darüber klagen hören, daß eine Rothhaut der Rothhautnatur treu bleibt; aber Klugheit ziemt einem Krieger so gut als Tapferkeit, und hätten nicht diese Irokesenteufel auf ihre Freunde im Wasser gesehen, so möchten sie dir wohl heiß genug auf die Führte gekommen sein."
„Was hat der Delaware vor?" rief Jasper, welcher in diesem Augenblick bemerkte, daß der Häuptling plötzlich den Pfadfinder verließ und gegen den Rand des Wassers ging, anscheinend mit der Absicht, wieder in den Fluß zu steigen. „Er wird doch nicht so toll sein, wieder an das andere Ufer zurückzukehren, vielleicht um einer Kleinigkeit willen, die er vergessen hat?"
„Nein, gewiß nicht; er ist im Grunde so klug als tapfer, obgleich er in seinem letzten Hinterhalt sich vergessen hat. Hört Jasper" — er führte den Andern ein wenig auf die Seite, als man gerade den Indianer in das Wasser springen hörte: „hört, Junge; Chingachgook ist kein Christ, kein weißer Mann, wie wir, sondern ein Mohikanischer Häuptling, der seine eigenen Gaben hat, und den Ueberlieferungen folgt, welche ihm die Richtschnur seiner Handlungen vorschreiben: und wer sich zu Männern gesellt, die nicht so ganz von seiner Art sind, thut gut, sie der Leitung ihrer Natur und Gewohnheit zu überlassen. Ein Soldat des König? flucht und trinkt, und es wird von geringem Erfolg sein, es ihm abgewöhnen zu wollen; ein Gentleman liebt seine Leckerbissen, eine Dame ihren Federschmuck, und es fruchtet nicht viel, sich dagegen anzustemmen. Dazu sind Natur und Gaben eines Indianers weit tiefer gewurzelt , als diese Gewohnheiten, und ich zweifle deshalb nicht, daß sie ihm von dem Herrn zu einem weisen Zweck bescheert wurden, obgleich weder Ihr noch ich seinen Ratschlüssen zu folgen vermögen."
„Was soll das bedeuten? — Seht, der Delaware schwimmt auf den Körper zu, der dort an dem Felsen hängt. Warum begibt er sich in diese Gefahr?"
„Um der Ehre und des Ruhmes willen; wie die großen Herren ihre ruhige Heimath jenseits des Meeres verlassen, wo, wie sie sagen, das Herz ihnen nichts zu wünschen übrig ließ — das heißt solche Herzen, die mit den Lichtungen zufrieden sein können — und hierher kommen, um von der Jagd zu leben und gegen die Franzosen zu kämpfen."
„Ich verstehe Euch, Euer Freund ist hingegangen, um sich des Skalps zu versichern."
„'s ist seine Gabe, und er mag sich derselben freuen. Wir sind weiße Männer und können einen todten Feind nicht verstümmeln. Aber in den Augen einer Rothhaut erscheint dieß als ehrenhaft. Es mag Euch sonderbar vorkommen, Eau-douce, aber ich habe weiße Männer von großem Namen und Charakter ebenso merkwürdige Ideen von Ehre kundgeben sehen."
„Ein Wilder bleibt ein Wilder, Pfadfinder, mag er in was immer für einer Gesellschaft leben."
„Wir haben da gut reden, Junge, aber die Ehre des Weißen steht gleichfalls nicht immer im Einklang mit der Vernunft und dem Willen Gottes. Ich habe in den stillen Wäldern draußen manchen Tag in Gedanken über diese Gegenstände zugebracht, und bin nun zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Vorsehung, welche alle Dinge regelt, keine Gaben ohne weisen und vernünftigen Zweck verurtheilt. Wären Indianer zu Nichts nütze, so wären keine geschaffen worden, und ich glaube, daß am Ende auch die Stämme der Mingo's zu irgend einem vernünftigen und eigenthümlichen Zwecke vorhanden sind, obgleich ich bekenne, daß die Erkenntniß desselben über meine Einsicht geht."
„Der Serpent setzt sich bei diesem Skalpholen der größten Gefahr aus. Er kann uns den Tag verlieren."
„Wie er es betrachtet, nicht, Jasper. Dieser einzige Skalp gereicht ihm, nach seinen Begriffen vom Krieg, zu einer größeren Ehre, als ein ganzes Feld voll Erschlagener, welche ihre Haare auf dem Kopf haben. Da hat der seine junge Kapitän vom Sechzigsten bei dem letzten Gefecht, das wir mit den Franzosen hatten, sein Leben dem Versuch geopfert, einen feindlichen Dreipfünder zu nehmen, wobei er sich auch Ehre zu erwerben hoffte; dann habe ich noch einen jungen Fähndrich gekannt, der sich in seine Fahne wickelte, um darin den blutigen Todesschlaf zu schlafen. Mochte er sich wohl einbilden, daß er so sanfter ruhe, als auf einer Büffelshaut?"
„Ja, es ist ein anerkanntes Verdienst, seine Flagge nicht nieder zu halten."
„Und dieß sind Chingachgooks Fahnen — er wird sie aufbewahren, um sie seinen Kindeskindern zu zeigen." — Hier unterbrach sich Pfadfinder, schüttelte melancholisch den Kopf und fuhr fort. „Was sage ich! Kein Sprößling ist dem alten Mohikanischen Stamme geblieben. Er hat keine Kinder, die er mit seinen Siegeszeichen erfreuen könnte; keinen Stamm, der seine Thaten preist. Er ist ein einsamer Mann in dieser Welt, und doch hält er treu an seiner Erziehung und seinen Gaben! Es liegt etwas Ehrenwerthes und Achtbares hierin, Jasper, Ihr müßt es zugeben; ja, es liegt etwas Würdiges darin."
Hier erhob sich unter den Irokesen ein gewaltiges Geschrei, welchem schnell das Knallen ihrer Büchsen folgte. Die Feinde wurden in ihrem Bemühen, den Delawaren von seinem Opfer zurückzutreiben, so hitzig, daß ein Dutzend derselben in das Wasser stürzten, und Einige fast auf hundert Fuß in der schäumenden Strömung vordrangen, als ob sie wirklich an einen ernstlichen Ausfall dächten. Aber Chingachgook machte ruhig weiter, da er von den Geschossen unverletzt geblieben war, und beendete seine Aufgabe mit der Gewandtheit einer langen Uebung. Dann schwang er sein triefendes Siegeszeichen in der Luft und ließ seinen Schlachtruf in den furchtbarsten Intonationen erschallen. Eine Minute lang ertönten nun die Hallen des schweigenden Waldes und der tiefe, von dem Laufe des Stromes gebildete Einschnitt von einem schrecklichen Geschrei wieder, so daß Mabel in ununterdrückbarer Furcht ihr Haupt sinken ließ, während ihr Onkel einen Augenblick ernstlich auf Flucht bedacht war.
„Das übersteigt Alles, was ich je von diesen Elenden gehört habe," rief Jasper voll Entsetzen und Abscheu, indem er sich die Ohren zuhielt.
„'s ist ihre Musik, Junge; ihre Trommeln und Pfeifen; ihre Trompeten und Zinken. Es ist kein Zweifel, daß sie diese Töne lieben, denn sie erregen in ihnen ungestüme Gefühle und das Verlangen nach Blut," erwiederte Pfadfinder in vollkommener Ruhe. „Ich hielt sie für schrecklicher, als ich noch ein junger Bursche war; jetzt aber sind sie meinen Ohren nicht mehr, als das Pfeifen des Windfängers oder der Gesang des Spottvogels, und stünde dieses kreischende Gewürm von den Fällen an bis zur Garnison, Einer an dem Andern, so würde es jetzt keinen Eindruck mehr auf meine Nerven machen. Ich sage das nicht aus Prahlerei, Jasper; denn der Mann, der die Feigheit durch die Ohren eindringen läßt, hat jedenfalls ein schwaches Herz. Töne und Geschrei sind mehr geeignet, Weiber und Kinder zu beunruhigen, als einen Mann, der gewohnt ist, die Wälder zu durchspähen, oder dem Feinde in's Angesicht zu schauen. Ich hoffe, der Serpent ist nun zufrieden gestellt, denn da kommt er mit dem Skalp an seinem Gürtel.“
Jasper wandte voll Abscheu über das letzte Beginnen des Delawaren sein Gesicht ab, als dieser an's Land stieg. Pfadfinder aber betrachtete seinen Freund mit der philosophischen Gleichgültigkeit eines Mannes, dessen Geist sich gewöhnt hat, auf alle ihm außer wesentlich scheinenden Dinge ohne Vorurtheil zu blicken. Als der Delaware sich tiefer in das Gebüsch begab, um seinen ärmlichen Kattunanzug auszuringen und seine Büchse für den Dienst in Stand zu setzen, warf er einen triumphirenden Blick auf seine Gefährten, nach welchem jedoch alle auf seine vermeintliche Heldenthat Bezug habenden Gefühlsäußerungen verschwanden.
„Jasper," begann nun der Wegweiser, „geht zu Meister Caps Station hinunter, und ersucht ihn, sich mit uns zu vereinigen. Wir haben nur wenig Zeit zur Berathung und müssen daher schnell unsern Plan entwerfen; denn es wird nicht lange anstehen, bis diese Mingo's neues Unheil spinnen."
Der junge Mann gehorchte, und in wenigen Minuten waren die Viere in der Nähe des Ufers versammelt, um über ihre nächsten Bewegungen Rath zu schlagen, wobei sie sich jedoch vorsichtig verbargen und ein wachsames Auge auf das Beginnen ihrer Feinde hielten.
Mittlerweile hatte sich der Tag zu seinem Ende geneigt und weilte noch einige Minuten zwischen dem scheidenden Lichte und einer Dunkelheit, welche tiefer als gewöhnlich zu werden versprach. Die Sonne war bereits hinter den Horizont gesunken, und die Dämmerung ging schon in das Dunkel der tiefen Nacht über. Die meiste Hoffnung unserer Gesellschaft hing an diesem begünstigenden Umstand, obgleich er auch nicht alle Gefahr beseitigte, denn wiewohl er ihrer Flucht Vorschub that, so verhehlte er auch zugleich die Bewegungen ihrer verschmitzten Feinde.
„Männer," begann der Pfadfinder, „der Augenblick ist gekommen, wo wir mit Besonnenheit unsere Pläne entwerfen müssen, um gemeinschaftlich und nach bester Würdigung unserer Gaben handeln zu können. In einer Stunde werden diese Wälder so dunkel als um Mitternacht sein, und wenn wir je die Garnison erreichen wollen, so muß es unter dem Schutze dieses günstigen Umstandes geschehen. Was sagt Ihr, Meister Cap? Denn obgleich Ihr in den Kämpfen und Rückzügen der Wälder nicht unter die Erfahrensten gehört, so berechtigen Euch doch Eure Jahre, zuerst im Rathe und in dieser Sache zu sprechen."
„Und meine nahe Verwandtschaft zu Mabel, Pfadfinder, die doch auch als etwas anzuschlagen ist."
„Ich weiß das nicht, ich weiß das nicht. Rücksicht ist Rücksicht, und Zuneigung ist Zuneigung, ob sie eine Gabe der Natur ist, oder ob sie aus dem eigenen Urtheil und einer freiwilligen Anhänglichkeit fließt. Ich will hier nicht von Serpent sprechen, der für die Weiber keinen Sinn mehr hat, aber wohl von Jasper und mir, wir sind eben so bereit, uns zwischen des Sergeanten Tochter und die Mingo's zu stellen, als es ihr eigener braver Vater thun würde. Sag' ich nicht die Wahrheit, Junge?"
„Mabel kann bis zum letzten Tropfen Bluts auf mich rechnen," sprach Jasper, zwar mit verhaltenem Tone, aber mit tiefem Ausdruck des Gefühls.
„Gut, gut," erwiederte der Onkel, „wir wollen über diesen Gegenstand nicht streiten, da Alle bereit scheinen, dem Mädchen zu dienen; und Thaten sind besser als Worte. Nach meinem Gutachten können wir nichts Anderes thun, als an den Bord des Kahnes gehen, sobald es dunkel genug ist, daß uns die feindlichen Ausluger nicht sehen können, und gegen den Hafen rennen, so schnell es Wind und Zeit erlaubt."
„Das ist leicht gesagt, aber nicht leicht gethan!" entgegnete der Wegweiser. „Wir werden in dem Fluß weit mehr Gefahren ausgesetzt sein, als wenn wir unsern Weg durch die Wälder verfolgen, und dann ist die Stromenge des Oswego vor uns. Ich glaube nicht, daß selbst Jasper einen Kahn in der Dunkelheit wohlbehalten darüber wegbringen wird. Was sagt Ihr, Junge, da ich das Eurem Urtheil und Eurer Geschicklichkeit überlassen muß."
„Ich bin, die Benützung des Kahnes anlangend, mit Meister Cap einer Meinung. Mabel ist zu zart, um in einer Nacht, wie diese zu werden scheinet, durch Sümpfe und unter Baumwurzeln zu gehen, und dann fühle ich mein Herz immer kräftiger und mein Auge treuer, wenn ich mich auf dem Wasser befinde."
„Kräftig mag Euer Herz immer sein, Junge, und Euer Auge erträglich treu, wenigstens treu genug für Einen, der so viel im hellen Sonnenscheine und so wenig in den Wäldern gelebt hat. Freilich, der Ontario hat keine Bäume, sonst würde er eine Fläche sein, die das Herz eines Jägers erfreuen könnte. Aber was Eure Meinung anbelangt, Freunde, so hat sie viel für sich und viel gegen sich. Einmal ist es richtig! das Wasser hinterläßt keine Fährte —"
„Was ist denn das Kielwasser anders?" unterbrach ihn der hartnäckige und überkluge Cap.
„Wie?"
„Macht nur fort," sagte Jasper, „er bildet sich ein, er sei auf dem Meere — Wasser hinterläßt keine Fährte —"
„Es hinterläßt keine, Eau-douce, wenigstens bei uns nicht, obgleich ich mir nicht anmaße, zu sagen, was es aus dem Meere hinterläßt. Ein Kahn ist schnell und bequem, wenn er mit der Strömung schwimmt, und den zarten Gliedern der Sergeantentochter wird diese Bewegung gut bekommen. Andererseits aber hat der Fluß keine Verstecke, als die Wolken des Himmels. Die Stromenge ist sogar bei Tage für einen Kahn ein kitzliches Wagestück; und dann ist es zu Wasser sechs wohlgemessene Meilen von hier an bis zur Garnison. Eine Landspur dagegen findet man in der Dunkelheit nicht leicht auf. Es beunruhigt mich, Jasper, denn wirklich ist hier guter Rath theuer."
„Wenn der Serpent und ich in den Fluß schwimmen und den andern Kahn aufbringen könnten," erwiderte der junge Schiffer, „so möchte unser sicherster Weg der zu Wasser sein."
„Ja, wenn! — Und doch ließe sich's vielleicht thun, wenn es erst ein wenig dunkler geworden ist. Gut, gut, wenn ich des Sergeanten Tochter und ihre Gaben betrachte, so weiß ich nicht, ob es nicht doch das Beste sein mag. Ja, wenn es blos eine Partie von Männern wäre, so möchte es eine lustige Hatz werden, wenn wir mit jenen schuftigen Burschen ein wenig Versteckens spielten. Jasper," fuhr der Wegweiser fort, in dessen Charakter keine Spur von eitlem Gepränge oder Bühneneffekt Raum fand, „wollt Ihr es unternehmen, den Kahn aufzubringen?"
„Ich will Alles unternehmen, was zu Mabels Dienst und Schutz dienen kann, Pfadfinder."
„Das ist ein rechtschaffenes Gefühl, und ich denke, es ist Natur. Der Serpent, der bereits fast entkleidet ist, kann Euch helfen. So wird diesen Teufeln wenigstens eines der Mittel abgeschnitten, mit denen sie Unheil stiften könnten."
„Nachdem dieser wichtige Punkt im Reinen war, bereiteten sich die verschiedenen Glieder der Gesellschaft vor, ihn zur Ausführung zu bringen. Die Schatten des Abends fielen dicht über den Forst, und als es so dunkel geworden war, daß man unmöglich mehr die Gegenstände am jenseitigen Ufer unterscheiden konnte, war Alles zu dem Versuche bereit. Die Zeit drängte; denn die indianische Schlauheit konnte so manches Mittel ersinnen, um über einen so schmalen Strom zu setzen, so daß der Pfadfinder mit Ungeduld darauf drang, den Ort zu verlassen. Während Jasper und sein Helfer, blos mit Messern und dem Tomahawk des Delawaren bewaffnet, in den Strom gingen und die größte Sorgfalt anwandten, um keine ihrer Bewegungen zu verrathen, holte der Wegweiser Mabel aus ihrem Verstecke, hieß sie und Cap am Ufer hin bis an den Fuß der Stromschnellen gehen, und bestieg selbst den andern Kahn, um ihn an dieselbe Stelle hinzubringen.
Dieß war leicht bewerkstelligt. Der Kahn wurde an das Ufer getrieben, und Mabel und Cap stiegen ein, um ihre vorigen Sitze wieder einzunehmen. Der Pfadfinder stand im Stern aufrecht und hielt bei einem Gebüsche, um zu verhüten, daß das schnelle Wasser sie nicht in die Strömung reiße. Einige Minuten gespannter und athemloser Aufmerksamkeit folgten, während welcher sie den Erfolg des kühnen Versuches ihrer Kameraden erwarteten.
Es muß bemerkt werden, daß die zwei Abenteurer sich genöthigt sahen, über das tiefe und reißende Fahrwasser zu schwimmen, ehe sie den Theil der Stromenge erreichen konnten, welcher ihnen das Waten gestattete. So weit war jedoch die Unternehmung bald gediehen, und Jasper und Serpent erreichten in dem gleichen Augenblick Seite an Seite den Grund. Als sie nun festen Fuß gewonnen hatten, nahmen sie sich gegenseitig bei der Hand und wateten langsam und mit der äußersten Vorsicht in der Richtung fort, in welcher sie den Kahn vermutheten. Aber die Tiefe der Finsterniß brachte sie zu der Ueberzeugung, daß ihnen der Gesichtssinn hier nur wenige Hülfe gewähre, und daß ihr Suchen durch jene Art von Instinkt geleitet werden müsse, welche die Jäger in den Stand setzt, ihren Weg unter Umständen zu finden, wo keine Sonne und kein Stern einen Leitpunkt abgibt, und wo einem Neuling in den Labyrinthen der Urwälder Alles nur wie ein Chaos erscheinen würde. Unter solchen Verhältnissen ergab sich Jasper darein, sich von dem Delawaren leiten zu lassen, dessen Gewohnheiten ihn am ehesten geeignet machten, die Führung zu übernehmen. Es war jedoch keine kleine Aufgabe, in dieser Stunde mitten durch das brausende Element zu waten, und alle Oertlichkeiten dem Geiste so einzuprägen, daß ihnen die nöthige Erinnerung daran blieb. Als sie sich in der Mitte des Stromes glaubten, waren die Ufer blos noch als dunkle Massen zu unterscheiden, deren Umrisse am Himmel kaum durch die Einschnitte der Baumwipfel angedeutet wurden. Ein oder zweimal veränderten die Wanderer ihren Curs, weil sie unerwartet in das tiefe Wasser gekommen waren; denn sie wußten, daß der Kahn an der seichtesten Stelle der Stromenge sich befand. Dieß war auch überhaupt ihr einziger Leitpunkt, und Jasper und sein Gefährte tappten nun schon nahezu eine Viertelstunde im Wasser herum, eine Zeit, welche dem jungen Mann gar kein Ende zu nehmen schien, und doch waren sie scheinbar dem Gegenstand ihres Suchens nicht näher, als sie es im Anfang gewesen waren. Gerade, als der Delaware anhalten wollte, um seinem Kameraden mitzutheilen, daß sie besser thun würden, an's Land zurückzukehren und von dort aus einen neuen Versuch zu machen, sah er in einer Entfernung, die er mit dem Arme erreichen konnte, die Gestalt eines Menschen sich im Wasser bewegen. Jasper stand neben Serpent, dem es nun auf einmal klar wurde, daß die Irokesen die gleiche Absicht mit ihnen hatten.
„Mingo!" wisperte er in Jaspers Ohr — „Big Serpent wird seinem Bruder zeigen, wie man schlau ist."
Der junge Schiffer warf in diesem Moment einen Blick auf die Gestalt und die erschreckende Wahrheit blitzte auch in seiner Seele auf. Da er die Nothwendigkeit erkannte, sich hier ganz dem Delawarenhäuptling anzuvertrauen, so hielt er sich zurück, indeß sein Freund sich vorsichtig in der Richtung fortbewegte, in welcher die fremde Gestalt verschwunden war. Im nächsten Augenblick wurde sie wieder sichtbar und bewegte sich augenblicklich auf unsere beiden Abenteurer zu. Die Wasser tobten in einer Weise, daß von dem gewöhnlichen Ton der Stimme nichts zu besorgen stand; der Indianer wendete daher den Kopf rückwärts und sprach hastig: „Ueberlass' dieß der Schlauheit der großen Schlange."