Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium

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2.3.1.2.2.4 Figurenanalyse der Jesusfigur in den synoptischen Evangelien
Rhoads und Michie1 analysieren in ihrer Untersuchung u.a. auch die Jesus-Figur im Markusevangelium.2 Als generelle Methodenschritte einer Figurenanalyse nennen sie die Einteilung von Figuren in bestimmte Charaktertypen,3 Standards der Beurteilung von Figuren4, Vergleich und Kontrast der Figur zu anderen Figuren5, zugeschriebene Persönlichkeitsmerkmale der Figur, durch die sich der Leser ein Bild von der Figur macht6, und die Frage nach der Identifizierung des Lesers mit der Figur.7
Im Hinblick auf die Figurenanalyse der Jesus-Figur im Markusevangelium skizzieren sie zunächst mit wenigen Worten das, was Jesus selbst sagt und tut8, was andere Figuren (Gott, seine Familie, die Autoritäten, die Menge, die Jünger) über ihn sagen und denken9, und welche Aussagen der Erzähler über ihn trifft.10 Anschließend untersuchen sie folgende ausgewählte Persönlichkeitsmerkmale (traits) der Jesus-Figur genauer: agent of the rule of God11, the authority of Jesus12, faith13, serving and not lording over others14, renouncing self, being least and losing life for others15, Jesus faces death16, the execution17, the meaning of Jesus’crucifixion18 und the empty grave.19 Dabei erläutern und verdeutlichen sie diese Jesus zugeschriebenen traits im Allgemeinen und auf das gesamte Markusevangelium bezogen und nennen nur einzelne Textbeispiele.
In ihrer Analyse der Jesus-Figur im Markusevangelium geht Malbon20 in Anlehnung an Chatman zunächst von den narrativen Größen realer Autor, impliziter Autor, Erzähler, Charaktere, Adressat, imlpizite Hörerschaft und reale Hörerschaft aus, wobei sie den realen Autor und die reale Hörerschaft aus ihrer narratologischen Untersuchung ausklammert.21 Den Fokus legt sie jedoch v.a. auf die Beziehung zwischen dem impliziten Autor, dem Erzähler und der Erzählfigur Jesus.22 Für die Charakterisierung des markinischen Jesus unterscheidet Malbon grundlegend zwischen Jesus und den anderen Erzählfiguren auf der einen Seite und zwischen dem, was Jesus und die anderen Figuren sagen und was sie tun auf der anderen Seite.23 Im Blick auf das Sprechen der Jesus-Figur unterteilt sie zusätzlich in „what Jesus says in response to other characters“24 und „what Jesus says instead of what other characters and the narrator say“25. Es ergeben sich somit für ihre Charakterisierung der Jesus-Figur im Markusevangelium fünf grundlegende Analyse-Schritte: 1. Enacted Christology: what Jesus does; 2. Projected Christology: what others say; 3. Deflected Christology: what Jesus says in response; 4. Refracted Christology: what Jesus says instead; 5. Reflected Christology: what others do.26
In seiner narratologischen Untersuchung von Joh 13,1–17,26 analysiert Tolmie27 ebenfalls die Jesus-Figur. Für seine Analyse übernimmt er verschiedene Modelle. Hauptsätzlich stützt er sich auf das narratologische Modell von Rimmon-Kenan, die u.a. die Figuren im Bereich der Handlung (story)28 und im Bereich der Darstellung (text) getrennt voneinander untersucht.29 Zum anderen greift er auch das Aktantenmodell von Greimas auf, nach dem sich die Figur in bestimmte Rollen einteilen lässt.30 Des Weiteren entscheidet er sich – wie Rimmon-Kenan – zur Klassifizierung von Charakteren für das Modell von Ewen, anstatt auf Forsters und Harveys Einteilungen zurückzugreifen.31 Im Rückgriff auf Ewen unterscheidet Tolmie somit zwischen den drei Bereichen complexity, development und penetration into inner life.32 Bei seiner Figurenanalyse von Jesus in Joh 13–17 beginnt er auf der Ebene der Story in Anlehnung an Chatman zunächst mit einer Auflistung seiner traits33, die zuvor in Joh 1,1–12,50 begegnen. Dabei unterteilt er in generelle Eigenschaften34, in Eigenschaften, die seine Beziehung zum Vater35, zum Heiligen Geist36, zu seinen Jüngern37 und zur Welt38 verdeutlichen, und in Eigenschaften, die etwas über seine Handlungen39 und menschlichen Qualitäten40 aussagen.41 Anschließend untersucht Tolmie, ob in Joh 13,1–17,26 neue Eigenschaften hinzukommen oder bereits bestehende Eigenschaften verstärkt werden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass keine neuen Eigenschaften genannt werden, dass aber die Eigenschaften complete knowledge, love, authority, provider of spiritual life, close relationship to the Father und emotional behaviour verstärkt werden.42 In einem weiteren Schritt stellt er Jesus und die anderen Charaktere in Joh 13–17 in Greimas’ Aktantenmodell graphisch dar und zeigt damit, welche Rolle und Position Jesus einnimmt.43 Nach der Einteilung von Ewen bezeichnet Tolmie Jesus als einen sehr komplexen Charakter, im Gegensatz zu weniger komplexen Charakteren (wie Petrus und die Jüngergruppe).44
Lee45 führt eine narrative Figurenanalyse von Jesus im Lukasevangelium durch und kombiniert dabei Inhalte von Hans Frei mit narratologischen Methoden von Bal zu einem „theological narrative-critical reading“46.
Der lukanische Jesus wird bei Lee aus drei unterschiedlichen Perspektiven heraus beleuchtet: Zum einen geht es darum, welche Aussagen der Erzähler über Jesus trifft47, zum anderen geht es darum, was Jesus selbst über sich sagt und wie er handelt.48 Schließlich wird in einem weiteren Kapitel die Mitwirkung der kleineren Charaktere, der Dämonen, an der Charakterisierung von Jesus untersucht.49 Lee teilt hierfür das Lukasevangelium insgesamt in sieben unterschiedliche Akte ein50 und untersucht jeden Akt aus jeder Perspektive heraus. Im Bereich der Charakterisierung durch den Erzähler kommt Lee dabei zu dem Ergebnis, dass Jesus folgende (theologische) Beschaffenheiten aufweist: Er fügt sich dem Willen Gottes, er ist derjenige, durch den Gott handelt, er ist Gottes Gesandter zu den Völkern, er lehrt und spricht von Gott, er ist derjenige, der nun als Gott verehrt wird, er ist derjenige, durch den Gott in der Geschichte lebendig wird.51 „Jesus is both the literary character in the Lukan world and the one who can be present for the Christian reader.“52
Lee beleuchtet die Jesus-Figur in seiner Analyse von verschiedenen Perspektiven aus, die sich insgesamt unter die beiden Kategorien direkte und indirekte Charakterisierung fassen lassen.
Oko53 untersucht die Rolle der Jesus-Figur im Plot des Markusevangeliums. Dafür unterscheidet er generell zwischen den drei Kommunikationsebenen: Story54, Discourse55 und Historical and Theological Mediation. Im Verlauf seiner Arbeit untersucht er mit Ausnahme einiger Kapitel das gesamte Markusevangelium – aufgeteilt in 17 Textpassagen – unter den eben genannten drei Kommunikationsebenen. Seine Analysen zielen dabei auf die Darstellung der Jesus-Figur und die Frage nach seiner Identität innerhalb des Markusevangeliums. Unter den Bereich der Story fasst Oko das Setting sowie die Kommunikation und Beziehung zwischen den verschiedenen Charakteren „who occupy the stage in the world envisaged and portrayed by the narrative“56. Zur Ebene des Discourse zählt er die Kommunikationsabläufe zwischen dem narrativen Sender (dem Autor/Erzähler) und dem Empfänger (dem Leser/Publikum). Unter der dritten Ebene Historical and Theological Mediation untersucht Oko einige historische und kulturelle Hintergründe und Besonderheiten, die für das Verständnis des Textes hilfreich sein können. 57 Eine kurze Zusammenfassung bündelt jeweils die Ergebnisse aus den drei Ebenen.
Danove58 charakterisiert neben Gott und den Jüngern auch Jesus im Markusevangelium.59 Dabei verfährt er nach einer speziellen Methodik: Er untersucht die semantische und narrative Rhetorik der Charakterisierung von Jesus und die Auswirkungen, die diese Charakterisierung auf anderen narrativen Entwicklungen hat.60 Zunächst beschäftigt er sich mit den „preexisting beliefs about Jesus evoked by both vokabulary and designations“61.
Anschließend untersucht er durch die Prüfung der semantischen und narrativen Rhetorik die Vorstellungen, die sich das narrative Publikum von der Jesus-Figur macht. Hierbei legt er den Fokus auf im Text begegnende Wiederholungen von Wörtern, Kontexten und Strukturen.62 Zunächst überprüft er die sich im Text wiederholenden Aussagen darüber, was Jesus tut. Dabei zählt er verschiedene Verben auf, die etwas über ihn aussagen und analysiert diese in ihren jeweiligen Kontexten; so u.a. vergeben, lehren, segnen, heilen, beten, retten.63 In einem weiteren Schritt untersucht Danove die sich im Text wiederholenden Wörter, die etwas über die Jesus zugeschriebenen Attribute aussagen; so u.a. wissen, wollen, Mitgefühl zeigen, Autorität, Tod, Gott, Jünger. 64 Als drittes listet er Titulierungen auf, die etwas über ihn und seine Person aussagen; so u.a. Menschensohn, Rabbi, Christus, Jesus von Nazareth.65 Nach der Analyse der sich auf Jesus beziehenden und im Text an vielen Stellen begegnenden Wörter untersucht Danove die Wiederholung von Kontexten, in denen Jesus dargestellt wird und nennt hier u.a. den eucharistischen Kontext.66 Anschließend widmet er sich den im Text wiederholt begegnenden Strukturen, in denen Jesus agiert und nennt hier u.a. die Verbindung von Voraussagungen (Mk 8,31–32a), Kontroversen (Mk 8,32b-33) und Lehre (Mk 8,34–9,1).67
Eine anschließende Analyse der narrativen Rhetorik der Charakterisierung68 macht die narrative Funktion seiner Charakterisierung und seinen Beitrag zur narrativen Entwicklung deutlich.69 Dabei kommt Danove letztlich zu dem Fazit, dass die Charakterisierung Jesu maßgeblich dazu beiträgt, die Verlässlichkeit der Erzählung in Bezug auf ihr Publikum zu stützen und zu stärken.70
In dem Sammelband „Character Studies and the Gospel of Mark“ von Skinner/Hauge71, in dem verschiedene Figuren im MkEv analysiert werden (so u.a. Gott, der Satan, Petrus und die Frauen), untersucht Williams72 die Jesus-Figur als den Kyrios im MkEv, also unter einem speziellen Gesichtspunkt. Dafür gibt er zunächst einen Überblick der Verwendung des Begriffs κύριος im MkEv.73 Anschließend geht er der Frage nach, wie Figuren im MkEv generell charakterisiert werden.74 „People in a narrative exist within the flow of an overall plot. They play particular roles within the overall sequence of events, while themselves are also influenced and shaped by those events.“75 In einem weiteren Schritt bündelt er die beiden vorhergehenden Ergebnisse in dem Abschnitt „Mark’s Use of 'Lord' and His Characterization of Jesus“.76 Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis in Bezug auf die Jesus-Figur als κύριος im MkEv: „For Mark, Jesus is Lord in that he is uniquely exalted in his authority, even though at the present time that authority may not be recognized by all. Jesus is also Lord in that his life serves as the defining paradigm for his followers, so that in following Jesus’ example they choose a life of sacrificial service. These prominent themes within Mark’s characterization of Jesus – his authority, his exemplary life, and his hiddenness – are potentially overlook as long as the final goal remains simply to isolate the most important title for Jesus in Mark.”77
2.3.1.3 Fazit
Wie im Vorhergehenden ausführlich gezeigt, bestehen in der Literatur- und Filmwissenschaft sowie in der Exegese viele unterschiedliche Ansätze zur Analyse von Figuren. Es existiert jedoch bislang kein einheitliches Verfahren zur Analyse von Figuren innerhalb von Erzählungen, was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, da unterschiedliche Verfahren unterschiedliche Beobachtungen zutage aufzeigen.
Es lässt sich darüber hinaus eine Entwicklung festmachen: Ihren Ausgangspunkt nimmt die Figurenanalyse in den 20er Jahren im Bereich der Literaturwissenschaft. Figuren werden zunächst unter dem Aspekt ihrer Rolle und Funktion innerhalb von Handlungsmustern betrachtet und in bestimmte Kategorien eingeteilt (Forster, Propp, Harvey, Greimas). Im Laufe der Zeit werden vermehrt die ihnen im Text zugeschriebenen Eigenschaften (traits) analysiert (Barthes, Chatman). Wenig später werden diese beiden Verfahren zusammengebracht und miteinander kombiniert (Bal, Rimmon-Kenan). Im Zuge der kognitiven Wende werden Figuren in der neueren Forschung oftmals als mentale Modelle verstanden, die vom Leser gebildet und konstruiert werden (Jannidis, Eder).
Der in der Literaturwissenschaft vollzogene Wandel hinsichtlich der Figurenanalyse hat sich auch in der Analyse und Auslegung biblischer Texte vollzogen. So finden sich Ansätze, die ihren Schwerpunkt auf die Kategorisierung von Figuren legen (u.a. Poplutz, Eisen). Wieder andere lehnen sich in ihren Figurenanalysen an Chatman an und untersuchen hauptsächlich die einer Figur zugeschriebenen traits (u.a. Powell, Rhoads/Michie, Tolmie). Darüber hinaus existieren in der Forschung auch Modelle, die versuchen, alle Aspekte miteinander zu kombinieren (u.a. Marguerat/Bourqin, Thompson, Schultheiss, Zimmermann). In der letzten Zeit hat auch die kognitive Wende in der Analyse biblischer Figuren vereinzelt Anklang gefunden (u.a. Finnern). Im Unterschied zur Literaturwissenschaft stellt sich in der Theologie zudem vermehrt die Frage, den narrativen Ansatz historisch auszuweiten und den Text historisch zu verorten (u.a. Fehribach, Hartenstein, Bennema, Darr, Thompson, Finnern).
2.3.2 Zur figurenanalytischen Untersuchung in dieser Arbeit
Nach der Vorstellung unterschiedlicher Figurenanalysemodelle aus verschiedenen Bereichen sowie der konkreten Durchführung von Figurenanalysen in den Evangelien und der Apostelgeschichte folgt nun eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Verfahren. Sie dient letztlich dazu, die Figurenanalysekategorien herauszuarbeiten, die im Hinblick auf die geplante Analyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium sinnvoll und ergiebig erscheinen.
2.3.2.1 Kritische Auseinandersetzung mit den vorgestellten Vorgehensweisen der Figurenanalyse
Die im Vorherigen vorgestellten Verfahren zur Figurenanalyse sind nun hinsichtlich ihres Nutzens für das Ziel, ein möglichst präzises und differenziertes Bild des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium aus dem Text heraus zu erheben, zu befragen.
Durch die Mehrzahl der Figurenanalyseverfahren1 zieht sich eine generelle Unterscheidung zwischen einer direkten Charakterisierung (telling) und einer indirekten Charakterisierung (showing).2 Diese beiden Kategorien scheinen auch im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen von Nutzen zu sein, da sie grundsätzliche Beobachtungen im Text zutage fördern. Lediglich hinsichtlich der Frage, welche Aspekte unter diesen beiden Kategorien zu verhandeln sind, besteht in der Forschung Uneinigkeit. Die eine Position3 versteht unter der direkten Charakterisierung Aussagen des Erzählers sowie anderer Figuren über die Figur und unter der indirekten Charakterisierung das Handeln und Reden einer Figur. Eine andere Position4 zählt zu der Kategorie der indirekten Charakterisierung noch weitere Aspekte wie z.B. die Umwelt der Figur5 hinzu. Wenn aber die Definition des showing wortwörtlich verstanden wird als die Art und Weise, wie sich eine Figur im Text selbst zeigt und präsentiert, dann kann das showing nur Aspekte umfassen, auf die die Figur selbst einen Einfluss hat (also ihr Reden und Handeln, ihre Gestik, Mimik und ihre Gefühle). Der für die Analyse des Auferstandenen sicherlich ebenso relevante Aspekt der Umwelt einer Figur wird daher in einem eigenen separaten Methodenschritt verhandelt. Zum besseren Verständnis wird in dieser Arbeit jedoch anstelle des Begriffs showing der Begriff der Selbstcharakterisierung einer Figur gewählt, da hierdurch der Bezug auf die Figur selbst und ihr Reden und Handeln m.E. noch deutlicher wird. In Entsprechung dazu wird anstelle des Begriffs telling von der Fremdcharakterisierung einer Figur gesprochen, um zu kennzeichnen, dass es unter diesem Aspekt um (fremde) Aussagen des Erzählers oder anderer Figuren über die Figur geht. Eine Alternative zur Einteilung in direkte und indirekte Charakterisierung bietet u.a. Finnern, der auf eine solche Unterscheidung verzichtet und stattdessen alle Figurenmerkmale zusammenfasst und in einem weiteren Schritt der Frage nachgeht, ob diese Merkmale direkt oder indirekt vermittelt worden sind. Jedoch scheinen viele seiner aufgelisteten Fragen nach Figurenmerkmalen wie z.B. Wissen, Erleben, Wünsche und Pflichten der Figur im Hinblick auf den Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium nicht sehr ergiebig zu sein. Eine grundsätzliche Unterteilung in indirekte und direkte Charakterisierung bzw. in Selbst- und Fremdcharakterisierung ist m.E. an dieser Stelle sinnvoller. Ähnlich wie Finnern verfahren auch Chatman, Rhoads und Michie und Tolmie, indem auch sie auf eine Unterteilung in direkte und indirekte Charakterisierung verzichten und sich in ihrer Figurenanalyse hauptsächlich auf die Zusammenstellung und Untersuchung aller einer Figur im Text zugeschriebenen Merkmale (traits) beschränken. Jedoch bleibt eine solche Figurenanalyse, die nur aus einer Aneinanderreihung von Persönlichkeitsmerkmalen einer Figur besteht, m.E. recht einseitig und oberflächlich, da sie die Figur statisch als Summe verschiedener traits und nicht dynamisch in ihren vielfältigen Funktionen und Beziehungen innerhalb einer Erzählung wahrnimmt.
Für die Analyse des Auferstandenen werden somit grundsätzlich die beiden Kategorien indirekte und direkte Charakterisierung übernommen, in Selbst- und Fremdcharakterisierung umbenannt und dabei inhaltlich beschränkt auf eine Selbst-Präsentation der Figur v.a. durch ihr Handeln und Sprechen (Selbstcharakterisierung) und auf Aussagen über die Figur durch den Erzähler oder anderer Figuren sowie (nonverbaler) Reaktionen anderer Figuren auf die Figur (Fremdcharakterisierung). Um die Figur als dynamisch in ihren vielschichtigen Beziehungen und Funktionen innerhalb einer Erzählung wahrzunehmen, werden diese beiden Kategorien durch eine Reihe weiterer Kategorien ergänzt:
Wie u.a. Finnern, Anderson, Thompson und Zimmermann deutlich gemacht haben, ist auch die Beziehung der Figur zu anderen Figuren von großer Bedeutung und Aussagekraft für die Darstellung einer Figur. Zum einen treten im direkten Vergleich der Figur zu anderen Figuren Ähnlichkeiten, Gegensätze und Konflikte stärker hervor, schärfen also das Profil der Figur; zum andern sagt die Beziehung einer Figur zu anderen Figuren viel über die Figur selbst aus. Daher wird in Anlehnung an Finnern die Kategorie Figur und Figuren als eigenständiger Analyseschritt betrachtet. Ein Aktantenmodell, wie Greimas und andere es verwenden, kann zur Veranschaulichung der vielschichtigen Beziehungen einer Figur dienen. Jedoch ist es im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen m.E. ergiebiger, kein bereits feststehendes Raster zu verwenden, sondern jede Beziehung des Auferstandenen zu einer anderen Figur oder Figurengruppe individuell zu beschreiben und daraus ein eigenes Beziehungs-Modell zu entwickeln.
Auch der in der Forschung oft ausgeklammerte und allenfalls am Rande behandelte Aspekt der Umwelt und Umgebung, in der Figuren dargestellt werden (so u.a. bei Rimmon-Kenan, Anderson und Hur), scheint im Hinblick auf die Figurenanalyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium kein unwichtiger Aspekt zu sein. Finnern liefert zwar nützliche Kriterien zur Umweltanalyse6, setzt diese jedoch nicht in Bezug zur Figurenanalyse. Er unterscheidet in seiner Umweltanalyse zwischen zeitlichen, räumlichen und sozialen Settings7 und macht darüber hinaus deutlich, dass die Umwelt auch als Symbol für etwas dienen und Stimmungen erzeugen kann.8 Für die Analyse des Auferstandenen werden daher Finnerns Kriterien zur Umweltanalyse in die Figurenanalyse integriert und in Beziehung zur Figur des Auferstandenen gesetzt.
Um auch die Ebene der Handlung für die Figurenanalyse zu berücksichtigen (wie es v.a. Bal, Rimmon-Kenan und Finnern deutlich gemacht haben), wird in einem weiteren Analyseschritt die Figur in Beziehung zur Handlung gesetzt, um so ihre Funktion, Rolle und Bedeutung für die Handlung herauszustellen. Greimas, Harvey, Bal, Finnern, Eisen, Tolmie und andere liefern hierzu Modelle, in denen die Figuren gemäß ihrer Rollen und Funktionen innerhalb einer Handlung eingeteilt und zugeordnet werden. Der Vorteil solcher Modelle ist u.a. die Übersichtlichkeit über das Zusammenspiel verschiedener Figuren innerhalb einer Handlung. Jedoch erweist sich die Verwendung eines solchen eher starr erscheinenden Rasters im Hinblick auf die Analyse einer einzelnen Figur (in diesem Fall des Auferstandenen) nicht von großem Nutzen. Denn ein solches Aktantenmodell ist m.E. nicht in der Lage, die komplexe Rolle des Auferstanden in der Handlung zu untersuchen, da sich ein Modell auf pauschale und grobe Kategorien und Einteilungen beschränken muss. Fragen wie „wie wird die Figur in die Handlung eingeführt?“ oder „treibt die Figur die Handlung voran?“ können durch ein solches Modell nicht beantworten werden. Ein Aktantenmodell eignet sich daher im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen besser zur Veranschaulichung der Beziehung des Auferstandenen zu anderen Figuren und wird daher unter der Kategorie Figur und Figuren verhandelt.
In Anlehnung an Gun und Fewell, Marguerat und Bourqin, Finnern, Nicklas, Oko und im übertragenen Sinne auch an Eder soll in einem weiteren Schritt die bisher in der Forschung eher vernachlässigte Beziehung des Erzählers zur Figur untersucht werden. Es soll hierbei die Art und Weise, in der der Erzähler Aussagen über die Figur trifft, näher beleuchtet werden (bei Eder ist dies z.B. die Art und Weise der Kameraführung). Denn bei den vorherigen Kategorien handelt es sich insgesamt um „Inhalte“ des Erzählers, also um das, was er über eine Figur sagt, an welchen Orten und zu welchen Zeiten er sie darstellt, wie er die Figur ins Verhältnis zu den anderen Figuren setzt und welche Rolle er der Figur innerhalb der Handlung zuschreibt. In der Analysekategorie Figur und Erzähler soll es aber nicht um Inhalte des Erzählens, sondern vielmehr um die Art und Weise der Präsentation dieser Inhalte gehen. Finnern verhandelt unter dem Analyseschritt Figurendarstellung u.a. folgende für die Beziehung des Erzählers zur Figur relevante Fragen: „Wie ist die Charakterisierung über den Text verteilt (z.B. Blockcharakterisierungen)? Wie ausführlich ist die Charakterisierung?“9 Genau wie die Umweltanalyse stellt die Perspektivanalyse bei Finnern wiederum einen eigenständigen Bereich dar, der bei ihm nicht mit der Figurenanalyse verknüpft ist. Hier verhandelt Finnern u.a. Fragen nach der Perspektive des Erzählers.10 Unter der Kategorie Figur und Erzähler wird somit bei der Figurenanalyse des Auferstandenen vorrangig (in Bezug auf Eder, Marguerat/Bourqin und Finnerns Perspektivanalyse) die Perspektive des Erzählers zur Figur sowie die Art und Weise der Charakterisierung analysiert.
Forster, Harvey, Ewen, Rimmon-Kenan, Gun und Fewell, Finnern, Powell, Bennema, Anderson, Poplutz, Eisen und Tolmie erstellen bestimmte Kategorien, nach denen Figuren beurteilt, bewertet und eingeteilt werden. Sie richten sich dabei vornehmlich entweder nach Forsters Einteilung in flache und runde Charaktere11 oder nach Ewens Einteilung in complexity, development und penetration to inner life.12 Forsters Einteilung kann mit Rimmon-Kenan zu Recht als zu grob und damit ungenügend bezeichnet werden, da zwischen den beiden Polen rund und flach noch zahlreiche Zwischenstufen bestehen, die durch sein Modell nicht erfasst werden. Ewens Einteilung scheint hier schon besser geeignet zu sein, jedoch ist auch sie in ihren Kategorien limitiert. Hinsichtlich der Aus- und Bewertung einer Figur sind daher Finnerns Kriterien, die er in Anlehnung an Eder formuliert, am effektivsten. Er unterscheidet zwischen statisch oder dynamisch, knapp oder detailliert, eindimensional oder mehrdimensional, typisch oder untypisch, geschlossen oder offen, realistisch oder unrealistisch, kohärent oder inkohärent und macht damit eine präzise Auswertung einer Figur möglich. In Bezug auf die Analyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium wird jedoch bewusst auf eine abschließende Beurteilung der Figur in Bezug auf die eben genannten Kriterien verzichtet, da sie im Hinblick auf den Auferstandenen nicht sehr ertragreich erscheint. Dennoch werden die Kriterien implizit in den jeweiligen Analyseschritten mitberücksichtigt, v.a. der Aspekt der Kohärenz ist im Rückblick auf die Darstellung des irdischen Jesus von großer Bedeutung.





