Seewölfe - Piraten der Weltmeere 22

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Gebannt starrten die Männer in die Bucht.
Hasard kniff die Augen zusammen. Blitzschnell erfaßte er die Situation. Das Schiff, das die beiden Spanier angriff, war schon ziemlich gerupft. Der Großmast ragte wie ein kahler, vom Blitz gespaltener Baum in den Himmel. Die Vorderstenge fehlte. Das Schiff wurde mit dem Focksegel, der Blinde und dem Besansegel gefahren und hielt geradewegs auf die der „Isabella“ näher gelegene Galeone zu.
Ohne Zweifel waren die Angreifer Piraten, die ihre letzte Chance in einem Rammstoß sahen, um das andere Schiff entern zu können. Mit den wenigen Segeln, die ihnen noch zur Verfügung standen, konnten sie es niemals schaffen, sich von der Luvküste freizusegeln.
Als Ben Brighton von Dan O’Flynn hörte, daß die „Golden Hind“ von Francis Drake nicht in dieser Bucht war, zögerte er mit dem Befehl, die „Isabella“ abfallen zu lassen. Im Angesicht der kämpfenden drei Galeonen war es besser, aufs offene Meer hinauszusegeln und dem Gefecht zu entgehen.
„Abfallen, Ben!“ brüllte Hasard. Er hatte sich entschlossen, in diesen Kampf einzugreifen, der leichte Beute versprach, denn die Gegner hatten sich bereits gegenseitig geschwächt, daß Hasard der lachende Dritte sein wollte.
„Steuere zwischen der Küste und der ankernden Galeone hindurch!“
Ben Brighton kroch ein kalter Schauer über den Rücken, als er den Befehl an Pete Ballie und die Männer, die die Segel bedienten, weitergab.
Der Teufelsbraten schafft es noch mal, daß ich meinen Verstand verliere, dachte er.
„Backbordgeschütze feuerbereit!“
Hasards Stimme scholl fest und klar über das Deck des schnellen Seglers. Ohne Hast, aber dennoch in Sekundenschnelle hatte Ferris Tukker die drei Backbordneunpfünder richten lassen. Noch wiesen die Mündungen auf Fadenlänge ins Wasser, aber wenn Ben Brighton mit der „Isabella“ über Steuerbordbug ging und der Wind das Schiff zur Seite drückte, hatten sie ihr Ziel genau im Visier.
Hasard sah, daß die Piraten viel langsamer waren als die „Isabella“. Gleichzeitig erkannte er, daß auf der ankernden Galeone Zustand herrschte. Der Kapitän hatte befohlen, den Anker einzuholen und Segel zu setzen, obwohl es bei diesen Windverhältnissen Wahnsinn war. Ohne eigene Geschwindigkeit war die Galeone dazu verdammt, an die Küste zu treiben und an den Klippen zu zerschellen.
Der Kapitän schien das selbst schnell begriffen zu haben, denn als sich der Heckanker vom Meeresboden gelöst hatte, trieb die Galeone sofort ab.
Ferris Tucker fluchte. Er mußte seine Kanonen neu richten. Er ließ die Richtkeile über den Stellblöcken etwas anziehen, so daß die Mündungen der Geschütze höher wiesen.
Ben Brighton hatte auf das kurze Abtreiben der Galeone augenblicklich reagiert. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Lücke zwischen der Küste und der spanischen Galeone war noch enger geworden. Dann ging er über Steuerbordbug. Die Masten schienen sich im Wind zu biegen. Die Männer braßten die Rahen auf die Sekunde genau. Die Segel gaben keinen Ton von sich.
Im selben Augenblick schrie Ferris Tucker: „Feuer!“
Die Neunpfünder der „Isabella“ spuckten Feuer.
Hasard eilte aufs Quarterdeck zurück. Er sah, wie alle drei Kugeln in die Takelage der Galeone einschlugen und die herabstürzenden Spieren das Deck des Spaniers verwüsteten.
„Den Kurs halten, Ben!“ schrie Hasard durch den nachrollenden Donner der Geschütze. „Wir entern die andere Galeone! Stenmark und Batuti, nehmt euch noch fünf Mann und haltet euch bereit. Ferris, die Backbordgeschütze bereit zum zweiten Schuß?“
„Aye, aye, Sir!“
Eine Handbewegung genügte, um Ben Brighton zu erklären, was er zu tun hatte. Die „Isabella“ schoß parallel zur an Heck- und Buganker liegenden zweiten Galeone hinüber.
„Holt das Großsegel ein!“
Der Gaffelbaum rauschte am Großmast nieder, und die „Isabella“ verlor sofort an Geschwindigkeit. Ben Brighton preßte die Lippen aufeinander. Hoffentlich war die Bucht nicht so seicht, daß sie aufliefen, wenn er die „Isabella“ nach dem Entern in den Wind drehte und sie sich nach einer Halse wieder freikreuzen mußte.
Als der Bugspriet der „Isabella“ fast auf Höhe der Galeone war, ließ Ben Brighton beidrehen. Die Segel begannen zu killen. Es war, als hätte eine riesige unsichtbare Faust das Schiff gestoppt.
Ferris Tucker brüllte den Befehl zum Feuern, und die noch heißen Kanonen jagten zum zweitenmal ihre tödliche Ladungen dem Feind entgegen.
Zwei der drei Kugeln schlugen in Höhe des Schanzkleides ein und fegten die Kuhl praktisch leer. Auf diese geringe Entfernung hatten sie eine verheerende Wirkung. Die dritte Kugel rasierte den Vormast ab, der der Länge nach über das Deck der Galeone krachte und in tausend Teile zersplitterte.
Stenmark, Matt Davies, Batuti, Dan O’Flynn, Gary Andrews, Blacky und Karl von Hutten hielten ihre Enterhaken bereit und schleuderten sie zur Galeone hinüber, als die Back der „Isabella“ dicht an das Achterdeck des schwer beschädigten Schiffes heranfuhr.
Wie die Affen turnten die Männer hinüber. Sie trafen auf wenig Widerstand. Der Kapitän lag unter einer Spiere begraben. Sie hatte ihm das Rückgrat zerschmettert. Die anderen Spanier, die den Beschuß durch die „Isabella“ unverletzt überstanden hatten, ergaben sich mit bleichen Gesichtern.
Dan O’Flynn starrte in die Kuhl des Spaniers hinunter. Er mußte sich schnell abwenden, als er das Ausmaß der Zerstörung erkannte. Er hatte schon oft dem Tod ins Auge blicken müssen, seit er mit Hasard Killigrew und Francis Drake auf Kaperfahrt war, aber er konnte sich an den fürchterlichen Anblick nicht gewöhnen.
Innerhalb weniger Minuten hatten die sieben Männer von der „Isabella“ die spanische Galeone in ihre Gewalt gebracht. Batuti winkte zu Hasard und Ben Brighton hinüber, doch die hatten keine Zeit, den Erfolg der Männer abzuwarten.
Sobald die Entermannschaft die „Isabella“ verlassen hatte, war das Gaffelsegel wieder gehißt worden. Ben Brighton schien es, als dauere es eine Ewigkeit, bis das Schiff wieder Geschwindigkeit aufnahm. Die zurückgebliebenen sieben Männer arbeiteten wie die Berserker, um die Segel zu brassen und die Schoten im richtigen Augenblick zu belegen. Mit einem anderen Schiff wäre die gewagte Halse niemals gelungen, doch die „Isabella“ schaffte es, als sei es eine Leichtigkeit, bei Legerwall so dicht unter Land auf Kreuzkurs zu gehen. Hasard atmete auf und grinste Ben Brighton zu, dessen Gesicht von der Aufregung gerötet war. Im Vormars schrie der Schimpanse Arwenack und hüpfte begeistert auf und ab.
„Ich dreh dem Schreihals noch mal den Hals um“, sagte Al Conroy unten in der Kuhl brummend.
„Und dann stecken wir ihn in den Topf“, sagte der Kutscher und blickte grinsend zu Smoky hinüber. „Affenfleisch soll eine Delikatesse sein.“
„Versuch’s mal“, erwiderte Smoky wütend. „Hinterher schneide ich dich in kleine Stücke und hau dich in die Pfanne.“
„Schnauze halten!“ brüllte Ferris Tucker und warf mit einem Belegnagel, dem der Kutscher nur mit Mühe ausweichen konnte.
Ferris Tucker hatte keine Zeit, sich weiter um die Streithähne zu kümmern. Er wollte seine drei Geschütze feuerbereit haben, wenn Al Conroy an Steuerbord gefeuert hatte und Hasard wenden ließ.
Sie sahen, wie das Piratenschiff die spanische Galeone rammte. Der Kapitän des Freibeuters hatte im letzten Moment Hartruder befohlen, so daß das Schiff jetzt Seite an Seite mit dem Spanier lag.
Die Dons nutzten ihre letzte Chance und feuerten noch einmal ihre Kanonen ab. Sie trafen das Piratenschiff tödlich, doch es war zu spät. Immer mehr Männer schwangen sich an Brassen, Schoten und Gordings auf die Galeone und stürzten sich mit wütendem Geheul auf die Spanier.
Ein Kampf ohne Erbarmen entbrannte. Beide Seiten wußten, daß es nur eines gab: Siegen oder sterben.
Hasard kniff die Augen zusammen. Noch nie hatte er Männer mit solcher Grausamkeit kämpfen gesehen. Verwundete Spanier wurden erschlagen und über Bord geworfen. Das Deck der Galeone wurde in ein Meer von Blut getaucht.
Im grünen Wasser tauchten die ersten Finnen von Haien auf. Die blutrünstigen Raubfische stürzten sich auf die Toten und Verwundeten und zerrissen ihre Körper innerhalb von Sekunden. Das Meer färbte sich rot und schien zu kochen.
Das Grauen kroch. Hasard den Rücken hoch. Zum erstenmal, seit er die Klippen im Süden der Bucht umschifft hatte, fragte er sich, ob er nicht einen Fehler begangen hatte, als er sich entschloß, den Piraten gegen die Spanier zu Hilfe zu eilen.
Er wandte sich ab und befahl Ben Brighton, zur zweiten Galeone hinüber zu segeln, die von den Männern der „Isabella“ erobert worden war. Er wollte von dem Gemetzel nichts mehr sehen. Ihm war klar, daß kein Spanier an Bord der Galeone überleben würde.
Ben Brighton segelte zur anderen Galeone hinüber und legte in Lee an.
Als Hasard sah, daß dieses Schiff acht Geschütze an jeder Seite führte, wurde er für einen Moment ziemlich blaß. Zum Glück hatten sich die Spanier nur auf die zur See weisenden Steuerbordkanonen konzentriert, sonst hätte vielleicht ein Schuß genügt, um die „Isabella“, die immer noch die Pulverladung in ihrem Rumpf trug, in den Himmel zu blasen.
Die Entermannschaft der „Isabella“ hatte die überlebenden Spanier auf dem Quarterdeck zusammengetrieben. Karl von Hutten, der Deutsche, den Hasard aus spanischer Gefangenschaft befreit hatte, unterhielt sich mit einem Mann, der der Erste Offizier zu sein schien. Als er Hasard an Bord der Galeone steigen sah, unterbrach er sein Gespräch und stieß den Spanier auf Hasard zu.
„Der Kapitän ist tot“, sagte von Hutten. „Er wurde von einer Spiere erschlagen. Das hier ist der Erste Offizier. Die Galeone ist als Geleitschutz für den Handelsfahrer dort drüben eingesetzt, der eine Ladung Silberbarren aus den chilenischen Bergwerken nach Porto Bello bringen soll.“
Hasard nickte grimmig. So war nun mal der Lauf der Welt. Er hatte mit seinem riskanten Manöver die Entscheidung in diesem Kampf herbeigeführt, und die anderen, die schon verloren gewesen waren, hatten ihm die große Beute unter der Nase weggeschnappt.
Er blickte hinüber zur anderen Galeone, auf der sich die siegreichen Piraten jubelnd in den Armen lagen. Hasard sah, wie ein Mann vom Besanmast des Piratenschiffes losgebunden und mit gefesselten Händen hinüber an Bord der spanischen Galeone gebracht wurde. Dann wurden die Anker eingeholt, und die Galeone trieb ein Stück von dem sinkenden Piratenschiff weg.
Nachdem das Piratenschiff abgesoffen war, ließen die Piraten die Anker der Galeone wieder zu Wasser. Wahrscheinlich würden sie jetzt erst einmal das Schiff durchsuchen und dann ihre Beute feiern.
„Bringt die Spanier an Land“, befahl Hasard. „Wer Widerstand leistet, wird über Bord geworfen. Dann kann er sich mit den Haien auseinandersetzen.“ Karl von Hutten übersetzte Hasards Worte grinsend ins Spanische. Er gab dem Ersten Offizier einen Tritt in den Hintern und drängte ihn hinunter in die Kuhl, in der kaum ein Stück Holz heilgeblieben war.
Schweigend stiegen die Spanier in das Boot, das die Männer der „Isabella“ zu Wasser gelassen hatten. Sie hatten das Massaker an Bord des Handelsfahrers ebenfalls verfolgen können, und sie waren froh, daß sie nicht das gleiche Schicksal erleiden mußten.
Hasard blickte zur Siedlung hinüber, die aus ein paar Steinhäusern und einer Menge Hütten bestand. Er glaubte einen Zug von Menschen zu sehen, der sich ins Landesinnere flüchtete. Wahrscheinlich befürchteten die Bewohner von Puerto de Caldera, daß die Angreifer ihre Stadt plündern würden, nachdem sie die beiden Galeonen erobert hatten.
Hasard rief Ben Brighton und Ferris Tucker zu sich.
„Schaut euch um, was wir von diesem Schiff gebrauchen können“, sagte er. „Auf jeden Fall nehmen wir die sechs Drehbassen mit. Die Achtzehnpfünder sind für die ‚Isabella‘ sowieso zu schwer.“
„Aye, aye“, sagte Ferris Tucker und jagte die Männer unter Deck, um nachzusehen, was alles an brauchbaren Sachen für die „Isabella“ zu finden war.
Hasard war zur Steuerbordreling hinübergegangen und blickte zu dem Handelsfahrer. Dort war inzwischen Ruhe eingekehrt. Auf dem Quarterdeck schritten die Männer hin und her. Ein Mann mit einer seltsamen Kopfbedeckung wurde wieder an den Besanmast gebunden. Es schien Hasard, als begänne dort drüben eine Gerichtsverhandlung, aber das interessierte ihn nicht. Er überlegte, wie er den Piraten die Beute abjagen konnte, ohne das Leben eines seiner Männer aufs Spiel zu setzen.
Er wußte, daß es nicht leicht sein würde.
Er verzog die Lippen zu einem Lächeln.
Ben Brighton würde sagen, daß es unmöglich wäre. Aber für Hasard gab es nichts, was unmöglich war, bevor er es nicht ausprobiert hatte.
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