Seewölfe - Piraten der Weltmeere 236

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Hasard hatte die Blicke der Spanier gesehen, mit denen sie Carberry und Dan betrachteten. Carberry schien sie stark zu beeindrucken. Der große, hart-gesichtige Mann mit dem Kreuz eines Kleiderschrankes und Pranken, die die Größe von Blöcken hatten, verströmte die Kraft eines unbesiegbaren Goliaths. Selbst die Männer, die mit Ketten an die Ruderbänke gefesselt waren, blickten mit einer seltsamen Scheu auf ihn, obwohl er sie doch von ihrem elenden Los befreien wollte.
Carberry brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, und der fette Mann, der neben dem Tabernakel stand, warf ihm wortlos die Schlüssel zu, mit denen er das Schloß öffnen konnte, das die Laufkette mit einem mächtigen eisernen Ring in den Wassergang-Anschlußplanken verband.
Carberry wartete. Er drehte sich nach dem Seewolf um, der immer noch neben dem Kommandanten auf der Espale stand, und Hasard wußte, was sein Profos wollte.
Mit ein paar Worten rief er den angeketteten Männern zu, daß er ihnen die Freiheit schenken wolle. Sie hätten die Wahl, mit den Angreifern auf der beschädigten Schebecke das Weite zu suchen oder aber auf der Galeere zu bleiben.
Einen kurzen Augenblick blieb es still, aber dann stieg ein wilder Schrei des Triumphes auf, und als Carberry die ersten Ruderer losgeschlossen hatte, begannen auch die anderen, daran zu glauben, daß sie keinen Traum erlebten.
Die meisten der Sklaven waren dunkelhäutige Gestalten, die denen ähnlich sahen, die die Galeere angegriffen hatten. In Hasard verstärkte sich die Gewißheit, daß es sich um Sarazenen handelte, um Nachkommen der in Südeuropa ansässigen Mauren, die das Mittelmeer einst beherrscht hatten.
Die ersten von ihnen bewegten sich unbeholfen über die Corsia zum Bug der Galeere. Ketten klirrten an ihren Füßen. Diese hatten Carberry und Dan ihnen nicht abnehmen können, denn sie waren festgeschmiedet. Die Soldaten bildeten eine Gasse, durch die die Männer gehen mußten. Die Angst war vielen von ihnen in die Gesichter geschrieben. Offensichtlich trauten sie dem Frieden nicht und erwarteten, jeden Augenblick einen Pfeil in den Rücken zu kriegen.
Erst als einige von ihnen die Schebecke heil erreicht hatten, schöpften die anderen Hoffnung. Sie konnten nicht schnell genug die Laufketten durch die eisernen Ringe an den Manschetten ihrer Fußfesseln ziehen.
Hasard schätzte die Anzahl der Ruderer auf etwa hundertzwanzig Mann. Er verstand die Angst der Soldaten, die jetzt alle ihre Waffen auf die Sklaven gerichtet hatten. Wenn nicht die Bedrohung durch die englische Galeone gewesen wäre, hätten die Sarazenen der Schebecke sicher zum zweitenmal einen Angriff auf die Galeere gewagt.
Rasselnd lief die Laufkette zwischen den Galeerensklaven entlang. Fast die gesamte Steuerbordseite war nun befreit, und Dan O’Flynn marschierte auf dem Kampfsteg zurück, um die ersten Bänke der Backbordseite von der Laufkette zu befreien.
Fast gierig zerrten die Männer an den Ketten, so schien es Dan. Es sah aus, als befürchteten sie, nicht mehr rechtzeitig auf die Schebecke zu gelangen, die sich von der Steuerbordseite der Galeere befreit hatte und nur noch an dem spitzen Sporn hing, der sich tief in ihr Achterschiff gebohrt hatte.
Einer der Sklaven war ein ziemlich junger Mann. Dan schätzte ihn auf höchstens achtzehn Jahre. Sein kräftiger, aber abgezehrter Oberkörper war von Wind und Wetter tief gebräunt. Als einziger der Männer war ihm keine Nervosität anzumerken. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet.
Dan bemerkte, daß er zur Espale hinüberschaute, wo Hasard und der Kommandant der Galeere nebeneinander standen und die Befreiungsaktion verfolgten.
Dan kümmerte sich nicht mehr um den Jungen. Er sah, wie die letzten Sklaven von der Steuerbordseite über den Galionslieger der Galeere zur Schebekke hinüberturnten. Carberry stampfte über die Corsia heran und hatte Mühe, den bereits von Dan befreiten Ruderern auszuweichen. Wie es aussah, hatte keiner der Ruderer die Absicht, bei den Spaniern zu bleiben. Dan konnte es ihnen nicht verdenken. Wenn er daran dachte, mit Eisen und Ketten an eine Ruderbank gefesselt zu sein, dann stieg das kalte Grauen in ihm hoch. Das hieß für ihn, jeden Tag zu sterben.
Er sah eine kurze, huschende Bewegung an seiner Seite. Etwas berührte seine Hüfte, und ehe er begriff, daß ihm jemand sein Messer aus der Scheide am Gürtel gezogen hatte, hörte er den wütenden Schrei des Fettkloßes, der die Hand mit der Peitsche hob, um auf den Jungen einzuschlagen.
Dan wirbelte herum. Der Junge war schon zwei Schritte von ihm entfernt. Er lief auf das Tabernakel zu, die rechte Hand, in der er Dans Messer hielt, zuckte in einer kurzen Ausholbewegung zurück.
Dan erkannte, was der Junge vorhatte. Die Peitsche des fetten Aufsehers zischte durch die Luft, aber die neun mit kleinen Eisenkugeln bewehrten Lederriemen waren nicht lang genug, den Jungen zu erwischen.
Mit einem gewaltigen Sprung hechtete Dan vor. Er sah noch, wie Hasard auf der Espale einen Schritt auf den Kommandanten zutrat, dann verdeckte der Rücken des Jungen ihm die Sicht. Seine Hände kriegten die zerrissene Hose des Burschen zu fassen, und mit aller Macht zerrte er daran.
Ein Aufschrei ging durch die Reihe der Soldaten.
Dan spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er wußte, daß der kleinste Funke das Pulverfaß, das die Galeere in diesem Augenblick war, zur Explosion bringen konnte.
Er spürte, wie der Junge ins Straucheln geriet, dennoch schaffte er es, das Messer zu schleudern. Gleich darauf krachte er aufs Tabernakel, und Dan war über ihm. Er drückte dem Burschen das rechte Knie ins Kreuz und riß seine Arme auf den Rücken. Dann erst hob er den Blick.
Der Kommandant war in die Knie gegangen. Der Seewolf hatte ihn unter den Armen gepackt und zerrte ihn wieder auf die Beine.
Der Spanier schüttelte die helfenden Arme widerwillig ab und zog seinen Degen. Mit einem geschmeidigen Satz flankte er von der Espale hinunter und blieb neben Dan stehen, der den jungen Burschen fest im Griff hatte.
Die Spitze des Degens bewegte sich auf den Hals des Jungen zu.
Der Junge hatte keuchend den Kopf gedreht. Haß sprühte aus seinen Augen, als er den Spanier sah. Er spuckte aus und stieß ein paar Verwünschungen hervor. Dan verstand nicht, was der Bursche sagte, aber seine Worte schienen den Kommandanten ziemlich zu beeindrucken. Er nahm den Degen zurück. Seine dunkle Gesichtsfarbe war einem schmutzigen Grau gewichen. Seine Züge verzerrten sich zu einer Grimasse, als er den Degen anhob, um zum tödlichen Stoß anzusetzen.
Eine Pranke legte sich wie ein Schraubstock um seinen Unterarm.
Der Kommandant zuckte herum wie eine zustoßende Schlange. Mit einer heftigen Bewegung versuchte er, sich von Carberrys Hand loszureißen, aber sein Bemühen war vergebens. Carberrys Griff lockerte sich nicht um einen Deut.
„Bleibt ruhig, Männer!“ rief Hasard von der Espale über das Ruderdeck. Er hatte gesehen, daß die Soldaten drauf und dran waren, die Gasse auf der vorderen Plattform, durch die die Sklaven auf die Schebecke gelangten, zu schließen und die befreiten Männer anzugreifen.
Hasard wußte, daß damit die Katastrophe über die Galeere hereinbrechen würde. Er zog seine Pistole und jagte einen Schuß in den Himmel.
Eine plötzliche, unheimliche Ruhe folgte dem dünnen, peitschenden Knall.
„Laßt die restlichen Männer durch!“ rief Hasard. „Eurem Kommandanten ist nichts geschehen!“
Da sie von niemandem Befehle erhielten, wagten sie nicht, einen Pfeil von der Sehne zu lassen. Einige von ihnen hatten auch zur Schebecke hinübergeblickt und gesehen, daß die Sarazenen bereit waren, beim ersten Toten die Galeere ein zweites Mal zu entern.
Unbehelligt verließen auch die Ruderer von der Backbordseite die Galeere. Einer der Sklaven, ein fast sieben Fuß großer Mann, der Carberry noch um einen halben Kopf überragte und nicht minder breit in den Schultern war als dieser, blieb einen Augenblick auf der Corsia stehen und starrte zur Epsale hinüber. Dann bahnte er sich einen Weg durch seine Leidensgefährten und ging mit erhobenem Haupt auf das Tabernakel zu, auf dem immer noch Carberry den Arm des Kommandanten und Dan O’Flynn den hitzigen jungen Burschen festhielt.
Leise klirrten die Ketten zwischen den Füßen des Riesen. Der fette Aufseher begann, heftig zu schnaufen und verdrehte die Augen vor Angst. Er wagte nicht, die Peitsche gegen den Mann zu erheben, der eine ungeheure Ruhe und Selbstsicherheit ausstrahlte.
Zwei Schritte vor Carberry blieb er stehen. Sie maßen sich mit einem langen Blick, und sie erkannten beide, daß sie Männer vom gleichen Kaliber waren. Dann hob der Riese, der ein Sarazene war wie die meisten der Rudersklaven, den Kopf und blickte zu Hasard hinauf.
„Ihr hättet den Jungen nicht zurückhalten sollen“, sagte er mit einer dunklen, volltönenden Stimme auf Spanisch. „Wenn ein Mann den Tod verdient hat, dann der Conde de Bosay Stuardo. Er ist die Pest, die Sardinien dahinsiechen läßt, schlimmer noch als das Wechselfieber, das viele von uns im Sommer dahinrafft. Tötet ihn, und ihr rettet Tausenden von Menschen das Leben.“
Er wartete die Antwort des Seewolfes nicht ab. Die Kette zwischen seinen Füßen klirrte im Rhythmus seiner Schritte. Er war der letzte der Rudersklaven, der über den Galionslieger die Schebecke betrat.
Gleich darauf löste sich das kleine Schiff knirschend von der eisenbewerten Rammspitze der Galeere. Die Sarazenen hatten das Großsegel gesetzt. Die Fock flatterte immer noch zerfetzt und nutzlos an der langen Lateinerrahe, bis die volltönende Stimme einige Befehle rief und ein paar Männer die Fockrah mit dem von den Splittern der zerborstenen Riemen durchlöcherten Segel abfierten.
Dan O’Flynn war überrascht aufgestanden und hatte den jungen Burschen losgelassen.
„He!“ rief er zum Seewolf hinauf. „Wollen die ihn nicht …“
Seine Hand packte wieder zu. Der Bursche hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich wieder auf den Kommandanten zu werfen. Dan erwischte ihn am Hosenbund und riß ihn zurück.
„Nicht so wild, Kerl!“ sagte er scharf. „Sonst schneiden dir die Dons doch noch den Hals durch.“
Hastige Worte sprudelten über die Lippen des Burschen. Soweit Hasard auf der Espale verstand, sprach er ein eigenartiges Italienisch, wahrscheinlich eine sardische Mundart.
„Paß auf ihn auf, Dan“, sagte er. „Wir nehmen ihn mit an Bord der ‚Isabella‘, bevor sie ihm hier den Hals durchschneiden.“
Der Kopf des Kommandanten ruckte zum Seewolf herum. Sein rechter Unterarm saß immer noch im Schraubstock von Carberrys Hand, doch den Degen hatte er nicht fallen lassen.
„Ich habe eine Schatulle mit kostbaren Juwelen in meiner Kammer, Engländer!“ stieß er hervor. „Ich werde sie dir geben, wenn du ihn“, er nickte kurz zu dem Burschen hin, „hier zurückläßt.“
Hasard begann zu lächeln.
„Du bist in einer schlechten Position, Schotte, um zu verhandeln“, erwiderte er. „Der Junge scheint dir eine Menge zu bedeuten. Denn sonst würde ein Stuart nicht mit einem Engländer schachern.“
Das Gesicht des Kommandanten verzerrte sich vor Wut.
„Denk dran, was ich dir prophezeit habe, Engländer“, sagte er zischend. „Vorhin hätte ich noch gewartet, daß uns der Zufall eines Tages ein Wiedersehen beschert hätte, aber jetzt werde ich dich suchen. Du unterschätzt meine Macht. Du weißt es vielleicht noch nicht, aber du bist schon so gut wie tot!“
Hasards Lächeln vertiefte sich.
„Mit Worten bist du gut, Schotte“, erwiderte er. „Ich hoffe, du bist es auch mit deinem Degen, wenn wir uns wieder gegenüberstehen.“
„Du kannst dich darauf verlassen, Engländer!“
Hasard nickte Dan zu, und dieser stieß den jungen Burschen, der sich verzweifelt gegen Dans harten Griff wehrte, vorwärts auf die Espale zu. Inzwischen hatte Hasard das verabredete Zeichen gegeben, und das Boot näherte sich mit raschen Ruderschlägen der Galeere.
Der Seewolf lud in aller Ruhe seine Pistole nach und richtete sie dann auf den Kommandanten. Bevor Carberry den Spanier losließ, nahm er ihm mit der anderen Hand den Degen weg und schleuderte ihn über Bord, was ihm ein paar Flüche des Conde einbrachte.
Als er einen Schritt auf den fetten Aufseher mit der neunschwänzigen Peitsche zutrat, ließ dieser vor Schreck seine Menschenschinderwaffe fallen, und Carberry überlegte einen Moment, ob er das fürchterliche Folterinstrument mit an Bord der „Isabella“ nehmen solle, um seinen Affenärschen mal zu zeigen; wie human er eigentlich mit ihnen umging, wenn er ihnen nur einen Belegnagel über den Scheitel zog.
Er sagte: „Buh!“ Und der Fettarsch plumpste erschrocken auf die Planken.
Mit einem Satz war Carberry auf der Espale und baute sich neben Hasard und Dan auf, der immer noch den jungen Burschen festhielt. Doch dieser hatte aufgehört, sich gegen seine Retter zu wehren. Der haßerfüllte Blick aber war geblieben. Seine dunklen Augen fraßen sich in dem grauen Gesicht des Spaniers mit schottischer Vergangenheit fest.
Der Seewolf war froh, als das Boot endlich anlegte und sie die Galeere verlassen konnten. Mit kräftigen Ruderschlägen entfernten sie sich von der Galeere. In die dunklen Augen des Jungen kehrte erst Ruhe ein, als er das Deck der „Isabella“ betreten hatte.
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