Seewölfe - Piraten der Weltmeere 240

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Ihnen allen stockte der Atem, als sich die Gestalt auf den Planken auf den Rücken wälzte. Eine Flut von Haaren breitete sich um das kleine, bleiche Gesicht aus. Unter dem nassen weißen Hemd zeichneten sich deutlich die schwellenden Hügel weiblicher Brüste ab, die sich unter heftigen Atemstößen hoben und senkten.
„Starrt sie nicht an wie Mondkälber, verflucht noch mal!“ brüllte Hasard. „Bringt sie in meine Kammer! Dan bleibt bei ihr! Gib ihr was von meinen Sachen anzuziehen, wenn sie wieder bei Sinnen ist!“
Damit wandte er sich ab und lief ein paar Schritte zu den anderen hinüber, die es immer noch nicht geschafft hatten, ihren Mann zu bergen.
„Es sind zwei Mann!“ schrie Stenmark. „Achtung! Laßt Tau …“
Es war zu spät, ein Wellenkamm schleuderte die beiden Schiffbrüchigen von der „Isabella“ fort. Ein harter Ruck ging durch das Tau. Stenmark wurde gegen das Schanzkleid gezerrt, prellte sich die Schulter, konnte aber das durch seine Hände gleitende Tau noch rechtzeitig wieder packen, bevor das Ende ihm entwischte. Die anderen hatten schon geglaubt, daß die beiden Männer im Wasser verloren waren. Sie waren sofort wieder heran und halfen Stenmark, sein Gleichgewicht wiederzufinden.
Hasard übernahm das Kommando. Er merkte, daß er nicht mehr so laut schreien mußte, um sich zu verständigen. Irgendwie schien die Wucht des Orkans gebrochen zu sein. Jetzt fiel ihm auch auf, daß in den letzten Minuten kein Brecher mehr über die Kuhl gefegt war.
Ein gischtender Wellenkamm trug die beiden Schiffbrüchigen wieder heran. Der Kopf des einen befand sich unter Wasser. Der Seewolf hatte den Eindruck, als sei er nicht mehr bei Bewußtsein. Er sah, wie der andere seinen linken Arm um den Körper des Mannes geschlungen hatte, während die rechte Hand in der Schlinge des Taus hing.
Ungeheure Kräfte mußten am Arm des Mannes zerren, und Hasard fragte sich, wie lange der Mann die Doppelbelastung noch würde aushalten können.
Sie zerrten mit vier Mann an dem Tau. Jetzt verschwanden beide Männer unter Wasser, und Hasard schrie: „Zieht! Bob und Smoky, los, rüber nach Backbord!“
Die beiden schnappten sich das Ende des Taus und rannten vor dem Großmast nach Backbord hinüber.
Die beiden Männer schossen aus der Tiefe des Meeres hoch. Jedenfalls schien es den Männern an Bord der „Isabella“ so. Ehe jemand etwas unternehmen konnte, waren sie heran. Ein kurzer, harter Wellenschlag schleuderte die Schiffbrüchigen gegen die Bordwand, und jeder der Retter hörte den fürchterlichen, klatschenden Laut.
Sie zerrten wie die Verrückten an dem Tau, und als sie den Arm des einen Mannes über dem Schanzkleid auftauchen sahen, der in der Schlinge des Taus hing, dachten sie, daß sie es dennoch geschafft hatten.
Stenmark reagierte als erster. Er hatte gesehen, daß der Mann, der den anderen gehalten hatte, nicht mehr bei Bewußtsein war. Der andere, den er mit dem linken Arm umklammert hatte, rutschte in die aufgewühlte See zurück.
Der Schwede stand schon auf dem Schanzkleid und hechtete in das kochende Wasser. Hasard stockte für einen Moment der Atem, bis er erkannte, daß Ferris Tucker und Batuti das Tau hielten, das sich um Stenmarks Leib schlang.
Endlos lange war nichts von ihm zu sehen. Hasard überlegte schon, ob er Ferris Tucker nicht den Befehl geben sollte, das Tau, an dem Stenmark hing, wieder einzuholen, als der Schwede auftauchte.
Die Männer begannen zu schreien. Sie sahen, daß Stenmark es geschafft hatte, sich den zweiten Schiffbrüchigen zu schnappen, bevor die See ihn verschlingen konnte.
Sie zerrten wie die Verrückten an dem Tau, und ehe der nächste Brecher den Schweden und den Geretteten gegen die Bordwand schleudern konnte, hatte Stenmark mit der rechten Hand eins der Berghölzer packen können und zog sich daran hoch.
Ferris Tucker hatte sich über das Schanzkleid geschwungen. Seine kräftige Faust schloß sich um Stenmarks Handgelenk und zog den Schweden, der mit dem linken Arm einen schlanken, offensichtlich noch sehr jungen Mann umklammerte, mit einem Ruck hoch.
Helfende Fäuste packten zu, und Sekunden später lag Stenmark mit keuchenden Lungen auf den Planken der Kuhl und spuckte eine Menge Wasser.
Hasard befahl Batuti, den jungen Mann, der kein Lebenszeichen von sich gab, unter die Back zu bringen, wo sich der Kutscher schon um Gary Andrews kümmerte. Dann sah er mit Ferris Tucker nach dem Geretteten, der gegen die Bordwand geschleudert worden war.
Sie schauten sich nur kurz an. Ein Blick in das Gesicht des Mannes hatte ihnen genügt, um zu wissen, daß für diesen Mann wahrscheinlich alle Hilfe zu spät kommen würde.
Ein dünner Blutfaden zog sich vom linken Mundwinkel über das Kinn bis zum Hals hinunter.
Hasard nickte Ferris Tucker zu, und sie bückten sich, um den Mann aufzuheben. Ferris wollte an den Beinen anpacken, doch er ließ gleich wieder los. Er war grau im Gesicht, als er den Seewolf anschaute.
„Er hat sich das Bein gequetscht“, sagte er, packte mit beiden Händen zu und hob den Mann allein auf.
Hasard sah, daß das linke Bein des Mannes herunterbaumelte, als ob es nur noch durch das Hosenbein gehalten würde. Mit zusammengepreßten Lippen folgte er Ferris Tukker unter die Back. Ein kurzer Blick zum Himmel zeigte ihm, daß die Kraft des Orkans endgültig gebrochen schien. Er wollte Ben Brighton den Befehl geben, das Großsegel zu setzen, als dessen Stimme schon über Deck hallte und die Großmastgasten in die Wanten jagte.
Der Seewolf ging zu Gary Andrews hinüber, der ganz grün im Gesicht war.
„Was ist mit ihm?“ fragte er den Kutscher.
„Er ist mit dem Rücken irgendwo gegengeknallt“, erwiderte der Kutscher. „Ich hab ihn gestreckt, und jetzt geht es ihm schon besser.“
„Danach sieht er aber gar nicht aus“, meinte Hasard skeptisch.
„Du meinst sein grünes Gesicht?“ fragte der Kutscher. „Der markiert nur. Ich wette, wenn er einen Rum kriegt, ist er schnell wieder auf den Beinen.“
Hasard wandte sich zu Ferris Tukker um, der den Schwerverletzten sanft auf eine Seegrasmatratze bettete. Der Kutscher kniete sich neben dem jungen Mann hin und begann, dessen Arme zu bewegen, um ihm das Wasser aus der Lunge zu pumpen. Es dauerte nur Sekunden, dann begann der Junge zu würgen und zu husten. Er übergab sich, aber es war nur Wasser, was er hervorwürgte. Er hatte offensichtlich lange nichts mehr in den Magen gekriegt. Der Kutscher überließ ihn Batuti und glitt dann zu Ferris Tucker hinüber.
Ein kurzer Blick genügte auch ihm.
„Innere Verletzungen“, murmelte er. „Wenn der überleben will, muß schon ein Wunder geschehen.“
„Sieh mal nach seinem linken Bein“, sagte Ferris Tucker mit gepreßter Stimme.
Der Kutscher holte ein Federmesser hervor und schlitzte das Hosenbein des Mannes auf. Er wurde blaß wie die anderen, als er das kurz oberhalb des Knies abgequetschte Bein sah. Knochensplitter stachen durch die Haut.
Der Kutscher hob den Kopf und blickte Hasard an.
„Da ist nichts mehr zu machen“, sagte er. „Ich müßte sein Bein abnehmen, wenn er nicht an den inneren Verletzungen sterben wird.“
„Grazie, Signori!“ Die Stimme war in den immer noch tobenden Gewalten nur ein Hauch, aber die Männer hatten sie trotzdem gehört. Hasard beugte sich zu dem Schwerverletzten hinunter. Er blickte in zwei dunkle, vom Tod gezeichnete Augen und wollte den Mann etwas fragen, aber er ahnte, daß es keinen Sinn hatte. Reden konnte er mit dem Jungen und der Frau.
„Giovanni – Giannina …“ flüsterte der Mann.
„Sie leben“, sagte Hasard dicht neben seinem Ohr. „Vivere …“
Ein gequältes Lächeln glitt über die bleichen, ausgemergelten Züge, und mit diesem Lächeln wich das Leben aus dem Körper des Schwerverletzten. Es schien Hasard, als hätte der Mann sich aufgegeben, nachdem er wußte, daß seine beiden Begleiter gerettet waren.
Der Seewolf richtete sich auf. Er sah, daß das Großsegel gesetzt war und die „Isabella“ wieder Fahrt aufnahm. Ben ging jedoch so hart an den Wind, daß die „Isabella“ nahezu beilag. Es hatte keinen Sinn, bei diesem Sturm viel Fahrt zu laufen. Sie wußten nicht, wohin der Orkan sie getrieben hatte, und die Strecke, die sie jetzt zurücklegten, mußten sie vielleicht wieder in entgegengesetzter Richtung segeln, wenn der Sturm sich gelegt hatte.
Ferris Tucker war längst wieder auf dem Achterdeck und hatte mit Carberry, Smoky, Blacky und Matt Davies den Treibanker eingeholt. Es war eine Knochenarbeit. Ferris war drauf und dran, die Trosse einfach zu kappen, aber er wollte die Gräting und die Spieren ungern aufgeben.
Schließlich hatten sie es geschafft, und Carberry versprach den Männern eine große Portion Rum, wenn sie diesen verfluchten Orkan endlich abgeritten hätten.
Der Kutscher und Hasard stützten den jungen Mann, der immer noch benommen war, und überquerten schwankend mit ihm die Kuhl. Sie hatten Mühe, den Jungen die Stufen zum Achterdeck hochzukriegen, denn er hatte plötzlich seinen Verstand wiedergefunden und begann um sich zu schlagen.
„Giannina!“ rief er. „Giannina …“
Hasard krallte seine Hand grob um den dünnen Oberarm des Jungen und zerrte ihn die Stufen hoch. Er zeigte zum Niedergang unter der Poop hinüber und sagte dabei: „Giannina!“
Der Junge begriff. Er riß sich von Hasard los und lief zum Niedergang hinüber. Er wollte die Tür aufreißen, aber er hatte nicht die Kraft dazu. Schluchzend ging er in die Knie. Seine Schultern zuckten.
Hasard sprach kurz mit Ben Brighton und ging dann zu dem Jungen hinüber. Der Kutscher versuchte, ihn von der Tür wegzuzerren, aber der junge Mann hatte seine Finger in das Holz des Niedergangs gekrallt.
Der Seewolf packte ihn am Kragen des Hemdes und riß ihn zurück. Er wußte, daß der Junge Schlimmes durchgestanden hatte, aber langsam mußte er wieder zu sich finden.
Der Kutscher öffnete die Tür, und Hasard schob den Jungen hinein und die Stufen hinunter. Der Gang war schwach erleuchtet von dem Licht einer Lampe, das aus dem Spalt der offenstehenden Tür zur Kapitänskammer drang.
Hasard hörte ein helles Schluchzen. Auch der Junge hatte es vernommen. Er war nicht mehr zu halten. Er begann, wild um sich zu schlagen, weil er glaubte, Hasard hielte ihn noch immer fest, traf dabei aber nur die Wand und jaulte vor Schmerzen auf. Dann rannte er auf den Lichtspalt zu und zog die Tür zur Kapitänskammer mit einem Ruck auf.
Die beiden jungen Leute lagen sich in den Armen, streichelten sich gegenseitig die Gesichter und heulten, daß es zum Gotterbarmen war. Sie redeten aufeinander ein, und Hasard war überzeugt, daß er auch dann kein Wort verstanden hätte, wenn ihm Italienisch geläufig gewesen wäre.
Es dauerte Minuten, bis die beiden merkten, daß sie nicht allein in der Kammer waren. Der Blick des Jungen fiel auf Dan O’Flynn, der neben der Koje stand, auf der das Mädchen gelegen hatte, als der Junge in die Kammer gestürzt war.
Die dunklen Augen schossen Blitze. Sie zuckten zwischen dem Mädchen und Dan hin und her, und schließlich stieß er ein paar heftige Worte hervor, die an das Mädchen gerichtet waren.
Hasard konnte sich denken, was der Junge vermutete, und er schüttelte den Kopf über soviel Unvernunft.
„Spricht einer von euch beiden Englisch oder Spanisch?“ fragte er.
Der Kopf des Jungen ruckte herum.
„Ihr seid Engländer?“ fragte er in einem ziemlich holprigen Englisch. „Keine Spanier?“
„Sehen wir so aus?“ fragte Hasard lächelnd.
Der Junge preßte die Lippen aufeinander. Sein Blick war immer noch mißtrauisch. Er ließ die Tür der Kammer nicht aus den Augen, als erwarte er, daß jeden Moment sein Todfeind dort auftauchen könne.
„Zieh dir trockene Kleider an, Junge“, sagte Hasard. „Ihr könnt euch hier unten in meiner Kammer ausruhen. Wenn der Sturm vorüber ist, haben wir immer noch Zeit genug, uns zu unterhalten.“
Er gab Dan O’Flynn und dem Kutscher einen Wink, die Kammer zu verlassen. Nachdem sie an ihm vorbeigegangen waren, zögerte er noch einen Augenblick, weil er erwartete, daß die beiden jungen Leute nach ihrem Begleiter fragen würden. Doch sie waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie keinen Gedanken an etwas anderes fassen konnten.
Hasard drehte sich um, verließ seine Kammer und schloß die Tür hinter sich.
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