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»Oh happy night« habe ich dann den ganzen nächsten Tag gesungen, so überwältigt, so glückselig und freudetrunken war ich immer noch von unserer wundervollen Hochzeitsnacht – da gibt es einfach keine Worte für!
Nur gut, dass die Hotel-Suite schalldichte Fenster und Türen aufwies, die Matratze der Dauerbelastung standhielt und die Getränkebar, dem Anlass entsprechend, vorsichtshalber auch »Herztropfen« im reichlichen Angebot hatte!
Aber auch Schwester Maria hüpfte vor Freude das Herz, als wir ihr die Sonderspende für die Klosterküche, kurz vor unserer Abreise nach Hause, mit einem herzlichen »Vergelt’s Gott« überreichten.
Von München aus – wir hatten gerade noch Zeit, unsere Hochzeits- gegen die Urlaubsklamotten einzutauschen – starteten wir dann noch am selben Tage Richtung Paris, wo bereits die nächsten »happy days« auf uns warten sollten.
Tage voller Unbeschwertheit, voller Liebe und Amüsements!
Weniger »amused«, pardon: amüsiert, war ich allerdings an dem Tag, als ich am Kassenhäuschen unterm Eiffelturm meine Geldbörse öffnete und wie ein Buddha ins Leere blickte.
Statt nun auf das Wahrzeichen der Stadt raufzufahren, mussten wir, das konnte doch wohl nicht wahr sein, runter in die überfüllte Métro und zum Hotel zurück, um unsere Finanzen wieder aufzubessern!
Zugegeben: Die verführerischen Auslagen im Konsumtempel Lafayette können einem schwachen Weibe wie dir, Liebling, schon mal die Scheine aus der Tasche locken.
Und wenn es sich dann auch noch um ein Hochzeitsgeschenk für den frisch angetrauten Gatten handelt, welches letztendlich für die Ebbe im Portemonnaie verantwortlich war, ja dann kann man die Ehefrau wirklich nur noch um Vergebung für das eigene Unverständnis bitten: »Pardon Chérie, tut mir leid!«
Mit deinem Hochzeitspräsent um den Hals, eine sogar heute noch für Furore sorgende schwarze Seidenkrawatte mit silbernem Eiffelturmmotiv, bin ich dann an deiner Seite ins »Moulin Rouge« stolziert. Der uns angebotene Tisch war zwar nicht der totale »Brüller« – ich saß fast mit dem Rücken zur Bühne –, aber fürs Brüllen warst du ja zuständig!
Die Sache mit der Maus war jedenfalls absolut bühnenreif und für uns in jeder Hinsicht ein überwältigender Erfolg.
Seltsamerweise hatte dieses ominöse Nagetier niemand sonst zu Gesicht bekommen außer dir.
Dennoch waren die Kellner und ihr Oberboss außer sich und versuchten alles, um die »Viecherei« nicht vollends publik werden zu lassen.
Man geleitete uns beide an einen der schönsten Tische des Hauses und bat uns eindringlich, Stillschweigen über den Zwischenfall zu bewahren. »Aber ja doch, machen wir!«
Wir verhielten uns nun mucksmäuschenstill, genossen die uns entgegengebrachte Vorzugsbehandlung in Form diverser Gratisleistungen und erlebten einen unvergesslichen Abend mit einer fantastischen Bühnenshow – Maus sei Dank!
Wenn wir das nächste Mal nach Paris fahren, Liebling, dann bringst du die Maus-Nummer im »Lido«, abgemacht?
Wieder daheim in München, mussten wir zunächst die recht überschaubare Glückwunsch-Post sichten, angefangen bei deinen und meinen Eltern, über Tante Hella bis hin zu den Kolleginnen und Kollegen meiner Agentur und deiner Immobilienfirma.
Ausgerechnet diese letztgenannte Glückwunschkarte überraschte uns mit einer geradezu sensationellen Neuigkeit:
Deine Chefin machte uns das Angebot, ab kommendem Monat eine geräumige Penthouse-Wohnung in Schwabing zu beziehen!
Logischerweise haben wir uns gleich am nächsten Tag die »Hütte« angeschaut und, aufgrund der idealen Raumaufteilung sowie der Top-Lage, begeistert zugegriffen.
Allerdings hat uns die Höhe der Miete weniger begeistert, aber nach Rücksprache mit Tante Hella, deren verstorbener Mann, mein Onkel Heinz, ihr ein beträchtliches Vermögen hinterlassen hatte, wurde auch dieses Problem gelöst.
Wir waren zwar nicht auf den Eiffelturm gekommen, doch dafür thronten wir jetzt über den Dächern von München, in unserem endgültigen »Amora«!
Welch ein Aufstieg – Nora und Nick Marchant waren am Ziel ihrer Träume angekommen!
Sagen wir lieber fast angekommen, denn wie ihre berühmten Vorbilder Nora und Nick Charles wollten sie sich nun einen letzten Traum erfüllen – den Traum von einer eigenen Familie. Aber bitte ohne Hund, wegen meiner Allergie!
Du bist dran, Frau Marchant!
Bussi,
dein Nick
Amora, den 26.11.2010
Hallo Nick, mein Süßer,
ich hatte einen furchtbaren Vormittag. Meine neuen Kunden, ein junges Schickimicki-Ehepaar, haben mich schier in den Wahnsinn getrieben. Sie, eine aufgebrezelte Tussi ohne Verstand, und er ein eingebildeter, besserwisserischer Schnösel mit zentimeterdicker Pomade im Haar. Diese zwei Hübschen suchen nun die schnuckelige kleine Villa mit jedem erdenklichen luxuriösen Schnickschnack, am besten mitten in der Stadt, aber doch im Grünen, zum Schnäppchenpreis wie im Billig-Discounter. Ich musste die Zähne zusammenbeißen, schön höflich bleiben und lächeln und darf nun quasi alle leerstehenden Häuser in München und Umgebung abklappern. Meine Chefin hat Angst, ein paar potenzielle Kunden zu verlieren, und die hübsche Provision, die ich schon für einen neuen Wintermantel eingeplant habe, wäre auch weg.
Ich brauch jetzt erst mal eine schöne Tasse Kaffee und was zum Naschen dazu. Selbstverständlich habe ich dabei an dich gedacht, mein Süßer, aber du hast schon dein »Nick in wichtiger Mission, bitte nicht stören!« – Schild an die Arbeitszimmertür gehängt. Wahrscheinlich solltest du gestern schon einen Text abgeben für ein Produkt, das heute erst erfunden wurde.
Weißt du noch, als Lukas und Leonie klein waren, da hast du die Tür immer mit bunten Punkten gekennzeichnet. Rot stand für »Achtung, bei Eintritt Lebensgefahr, Papa darf auf gar keinen Fall gestört werden, sonst gibt’s im nächsten Monat nur Brotsuppe zum Essen«. Grün hieß soviel wie »Papa relaxt gerade auf seinem kleinen Sofa und freut sich über jeden familiären Besuch«.
Auf jeden Fall darf und will ich nun deinen gedanklichen Erguss nicht unterbrechen und habe somit genug Zeit, dir auf deine Hauspost zu antworten. Heute Abend machen wir es uns aber richtig schön. Ich hab schon einen Tisch in unserem Lieblingsrestaurant reserviert. Nach deinem schrecklichen Lokal-Erlebnis in Stuttgart wird es dir dort doppelt gut schmecken. Anschließend können wir noch in die Cocktailbar gehen und hinterher … – na mal sehen, wie du drauf bist!
Wir hatten wirklich riesiges Glück und zwei gute Engel zur Seite, nämlich meine Chefin, mittlerweile Seniorchefin, und deine Tante, dass wir diese phantastische Wohnung, unser zweites »Amora«, mieten konnten.
Mit den Tücken des Alltags bzw. des Haushalts hatten wir allerdings allein zu kämpfen. Nach einigen Wochen hatten deine weißen Hemden alle einen gewissen Rotoder Blauschimmer angenommen. Meine T-Shirts waren zum Teil auf Kindergröße geschrumpft, und die meisten Sockenpaare sind zum Einzelgänger geworden.
Unsere ersten Kochversuche kosteten uns etliche Flaschen Kräuterlikör und Magentropfen. Meine Spaghetti bolognese liegen uns gedanklich heute noch schwer im Magen. Die Nudeln waren matschig und geschmacklos, die Hackfleischsoße dagegen extra scharf gewürzt. Nachdem wir mühsam ein paar Gabeln voll hinuntergewürgt hatten, haben wir eine ganze Kiste Mineralwasser geleert. Am darauffolgenden Abend wolltest du mich mit Steak und Salat überraschen. Leider hatte ich mich etwas verspätet und so konnten wir das Fleisch am nächsten Tag als Frisbeescheibe verwenden. Der Salat war auch nicht mehr zu retten, er ist in deiner sauren Essig-Öl-Marinade förmlich ertrunken. Daraufhin haben wir uns verschiedene Kochbücher zugelegt, und zudem konnte ich meiner Mutter ein paar Küchentipps entlocken, immerhin ist sie gelernte Köchin. Inzwischen sind wir so fit, dass wir locker bei einer der zahlreichen Kochshows im Fernsehen, die neuerdings wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, mitwirken könnten. Jeden Tag läuft auf jedem Programm so ein »Herd-Highlight« mit echten oder selbsternannten Starköchen. In einer klinisch sauberen Studioküche, mit strahlend weißen Kitteln und Schürzen bekleidet, bereiten sie exotische Menüs mit unaussprechlichen Namen zu und verwenden dabei Zutaten, die höchstens der teuerste Delikatesswarenladen führt. Da sind mir meine Tagliatelle mit Lachs – von wegen Pizza-Service, nur das Tiramisu war gekauft! – doch wesentlich lieber.
An den Wochenenden dagegen blieb die Küche daheim kalt. Unser Lieblings-Italiener hat uns dann regelmäßig mit kulinarischen Köstlichkeiten, z.B. Thunfischsalat als Vorspeise und Tiramisu als Nachtisch, verwöhnt. Schade, dass Alfonso vor drei Jahren seine Trattoria zugemacht hat, nachdem seine Frau bei Nacht und Nebel mit einem Jüngeren abgedampft ist.
Nach einem genussvollen Mahl stürzten wir uns dann ins Nachtleben. Damals kannten wir jede Bar und Musikkneipe in und um München. Wir waren überall bekannt wie die bunten Hunde und kamen oft erst zum Frühstück nach Hause.
Mit der Zeit hat das wilde Leben seinen Reiz verloren. Wir hatten langsam den Wunsch, aus unserer intimen Zweisamkeit eine kleine Familie zu machen. Haustiere waren dabei von Anfang an wegen deiner Allergie, aber auch mangels »Tiersitter« in der Urlaubszeit, kein Thema.
Kurz und gut, nach ein paar Monaten war ich schwanger und unsere Freude darüber riesig. Liebenswerterweise, vielleicht auch aus Neugier, hast du mich zum Arzt begleitet. Während des Ultraschalls hat er dann plötzlich ausgerufen: »Das sind ja zwei! Sie bekommen Zwillinge!«
Er wollte dir eben noch das Bild erklären, als du mit einem leisen Seufzer ohnmächtig vom Stuhl gerutscht bist. Unter Mithilfe seiner Assistentin hat er dich auf die nächste Liege verfrachtet und dir einen kalten Waschlappen auf die Stirn gedrückt. Langsam hast du dich vom Schreck deiner doppelten Vaterschaft wieder erholt. Ich als Frau hab das eher praktisch gesehen, eine Schwangerschaft und gleich zwei Babys – am besten Nick und Nora junior –, das war doch mehr als perfekt! Seit der Geburt von Lukas und Leoni im April 1988 war Familie Marchant komplett. Die beiden Wonneproppen haben uns ganz schön auf Trab gehalten. In den ersten Wochen sind wir nur mit Sonnenbrille außer Haus gegangen. Die tiefen Augenringe, entstanden durch permanenten Schlafentzug, waren nicht so vorteilhaft. Glücklicherweise hattest du von deinem Chef Sonderurlaub bekommen, um mich tatkräftig zu unterstützen. Hilfe bekamen wir auch von Tante Hella, die, auch wenn sie keine eigenen Kinder hat, eine liebevolle mütterliche Art ausstrahlte. Sie ist öfter aus Köln angereist und hat für ein paar Tage unseren verlotterten Haushalt in Schuss gebracht. Meine ehemalige Studienkollegin Heike ist so manches Mal als Babysitter eingesprungen, wenn ich mit meinen Kräften am Ende war und Entspannung nötig hatte oder wir gemeinsam wenigstens eine Stunde allein zum Essen gehen wollten.
Die Taufe fand selbstverständlich in Marienfelde statt.
Als Paten hatten wir Tante Hella für Leonie, und meinen Cousin Thomas für Lukas ausgesucht. Thomas war als Kind mein liebster Spielgefährte gewesen und selbst als Erwachsene haben wir immer Telefonkontakt gehalten. Nach der Hochzeit hat er uns ein paar Mal besucht und du fandest ihn wirklich sehr sympathisch.
Auch unsere Eltern und die noch lebenden Großeltern – meine Oma Josephine sowie deine Opa Karl und Oma Inge – waren anlässlich der »feuchten Festlichkeit im Doppelpack« mit von der Partie. Die frischgebackenen Großeltern durften die anschließende Feier mit Übernachtung bezahlen, welche natürlich in dem Hotel stattfand, in dem wir unsere unvergessliche Hochzeitsnacht verbracht hatten.
Pater Anselm und Schwester Maria waren während der Tauffeier auffallend nervös, wahrscheinlich hatten sie noch die Pannen unserer Trauung im Kopf. Die Zeremonie verlief jedoch erstaunlich reibungslos, abgesehen von ein paar Schönheitsfehlern. Deine Tante konnte die Taufkerze nicht ruhig halten, und der Parkettboden der Kapelle sah hinterher wie ein Streuselkuchen aus, übersät mit Wachstropfen.
Thomas bekam auch sein Fett weg. Lukas, der kurz vorher noch sein Fläschchen leer getrunken hatte, hat wohl das ständige Wiegen nicht vertragen. Als sein Patenonkel ihn über das Taufbecken heben wollte, hat er ihm mit einem kräftigen Schwall Milch seinen dunklen Anzug extrem aufgehellt.
Das anschließende Festmahl fiel sehr feucht-fröhlich aus. Unsere Väter hatten es gut gemeint und gleichzeitig mehrere erlesene Flaschen Wein und Champagner bestellt. Weißt du noch, wie sie sich nach einigen Gläsern untergehakt haben und schunkelnd lauthals altbekannte Wein- und Trinklieder zum Besten gaben? Hella ist begeistert aufgesprungen, hat sich den verdutzten Thomas geschnappt und eine kesse Sohle aufs Parkett gelegt. Die Großmütter haben den ganzen Nachmittag und Abend selig verzückt ihre Enkelkinder geschaukelt und sich alte Storys über die Baby- und Kleinkindzeit ihrer eigenen Kinder – also Nick und Nora – erzählt. Wir haben uns köstlich amüsiert und jede Menge Fotos geschossen für unsere zwei Lieblinge.
Inzwischen sind wir wieder allein zu zweit in »Amora«. Unsere Zwillinge sind längst flügge und in die weite bzw. nähere Welt gezogen.
Leonie hat dein künstlerisches Talent geerbt. Sie hat sich schon als kleines Mädchen für Mode interessiert und mit Hingabe ihre Puppen und Barbies angekleidet. Später hat sie auf der alten Nähmaschine meiner Mutter selbstentworfene Kleider für sich selbst und auch für mich genäht.
Das Studium an der Akademie für Mode & Design ist genau das richtige für sie. Wir sind beide fast geplatzt vor Stolz, als wir erfuhren, dass unsere Tochter die Beste ihres Jahrgangs war und somit ein Stipendium fürs Ausland bekam. Ein Jahr darf sie nun in Paris das mondäne Reich der »Haute Couture« kennen lernen.
Hast du eigentlich schon ein passendes Hotel für uns gefunden? Wir wollten Leonie doch zu ihrem Geburtstag im April besuchen. Der Eiffelturm wartet immer noch auf uns. Es wäre schön, wenn Lukas auch mitfahren könnte. Witzigerweise studiert er ausgerechnet Jura, und noch dazu an der gleichen Uni wie ich damals. Er macht es bestimmt besser als seine Mutter, die nach drei Semestern das Handtuch geworfen hat. Ich glaube, es war auch gut für ihn, dass er vor einem Jahr mit zwei Studienkollegen in eine WG nach Giesing gezogen ist. Seitdem ist er viel selbstständiger geworden und jobbt sogar am Wochenende und in den Semesterferien in einem Bistrot, so ähnlich wie du damals.
Ich wundere mich immer, wie er bei all dem Stress noch Zeit für seine Freundin Sandra findet.
Nick, ich hab noch eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Zuerst die schlechte: Am Sonntag ist der erste Advent und somit beginnt, wie alle Jahre wieder, die »staade Zeit«. Das heißt Geschenke-Marathon in einer überfüllten Innenstadt, permanent schnulziges Weihnachtsliedergedudel in allen Kaufhäusern, und Glühwein mit Lebkuchen bis zum Erbrechen. Nun die gute Nachricht: Schon in vier Wochen haben wir das alles überstanden und freuen uns dann auf eine rauschende Silvesterparty.
»Huch«, schon so spät, ich muss mich noch umziehen und stylen. Du bist hoffentlich mit deinem Text über, was war es doch gleich, fertig geworden.
Ich hab jedenfalls einen Mordshunger, heute Mittag gab’s nur einen Joghurt für mich.
Bussi,
deine Nora
Amora, den 29./30.11.2010
Geliebte Nora,
ist das nicht herrlich – das erste Adventswochenende ist schon rum, und dank des vielen Tees mit Rum war es sogar für mich einigermaßen erträglich. Ich frage mich nur, wann ich mir diese lästige Erkältung zugezogen habe – ich tippe mal auf vergangenen Freitag als Ankunftszeitpunkt.
Nein, ich habe da nachmittags nicht mit hochrotem Kopf über einem Text gebrütet, wie du fälschlicherweise vermutetest, sondern ich lag bleich und blutleer auf meinem Sofa, wie von Dracula ausgesaugt.
Am Vormittag hatte ich noch ein Meeting in der Agentur, anschließend stand ein zweistündiges Tennis-Match mit Georg auf dem Programm und danach wurde ich für einen guten Zweck bei einem Wohlfahrtsverband erwartet.
Aber, du kennst ja Georg – wenn der ins Erzählen kommt, kann man einpacken, im wahrsten Sinne des Wortes.
Wir hatten gerade den ersten Satz beendet, da fing er mit dem ersten Satz an, dem ersten Gesprächssatz!
Wir beschlossen daher, unser Match zu beenden, packten Schläger und Bälle wieder ein und wechselten an die Club-Bar, wo er dann bei einigen Gläsern Mineralwasser so richtig lossprudelte – ich hatte hinterher ganz feuchte Backen!
Georg, der tags zuvor im Auftrag der Agentur in Nürnberg unterwegs war, berichtete mir nun in aller Ausführlichkeit, mit welcher Mühe er sich durch die Fußgängerzone hatte quälen müssen, um abends noch rechtzeitig seinen ICE nach München zu erhaschen. Was ihn so maßlos in Rage versetzte, war weniger der Rummel am Christkindlmarkt – obwohl der noch gar nicht eröffnet hatte –, nein, seine unbändige Wut richtete sich vielmehr gegen die Armada von Spenden-Aktivisten, die aus ihren provisorischen Partyzelten schossen und direkt Kurs auf ihn nahmen, mit dem Ziel, sein zügiges Voranschreiten Richtung Bahnhof zu unterbinden.
»Es war der reinste Spießrutenlauf, alle wollten meinen Geldbeutel entern!«
Er lief jetzt zur Hochform auf:
»Pausenlos standen dir ein paar ‚Hampelmänner’ im Weg, die mit Händen und Füßen fuchtelnd auf sich aufmerksam machten und dich mit simplen Fangfragen zum Stehenbleiben nötigten!« Rate mal, wie unser armer Georg diese aggressiven Anpöbeleien abkonterte?
Als man ihn fragte, ob er Tiere möge, entgegnete er freundlich: »Nur gut durchgebraten!«
Dieselbe Antwort gab er übrigens auch ein paar Schritte weiter auf die Frage, ob er Kinder liebe! So erreichte er schließlich doch noch pünktlich das rettende Bahnhofs-Ufer!
Irgendwie verstehe ich meinen Kollegen und seinen heiligen Zorn auf diese unselige Inflation des Spendeneintreibens.
Vor allem, wenn man weiß, dass er selber drei Kinder, vier Haustiere und fünf Patenschaften in Asien und Afrika zu betreuen hat, dafür aber nur eine Frau!
Außerdem überweist er regelmäßig, so wie wir ja auch, Spendenbeträge an diverse Hilfsorganisationen, und das ohne viel Worte darüber zu verlieren. Mehr geht nicht!
Ein verstohlener Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es nun aber wirklich allerhöchste Eisenbahn war, mich von Georgs spritzigem Redeschwall abzukoppeln, um noch halbwegs pünktlich beim nächsten Date zu erscheinen.
»Wohin musst du denn noch so dringend?«, fragte er mich etwas ungnädig, als ich recht abrupt und hektisch vom Barhocker aufstand und mir dabei die Wangen abtrocknete.
»Zur Blutspende«, erwiderte ich nüchtern!
Ich hatte es mir gerade auf der Entnahmeliege so richtig gemütlich gemacht, da tanzten auch schon zwei nicht mehr ganz so taufrische Krankenschwestern wie die Vampire um mich herum – eine hatte wirklich stechende Augen und Eckzähne der Kategorie »extralang« –, vermutlich auf der Suche nach einer geeigneten Biss-, sorry, ich meine natürlich Einstichstelle!
Die Blutentnahme selbst verlief problemlos, nur war ich mir danach nicht mehr so ganz sicher, ob man mir statt der vereinbarten 500 ml eventuell versehentlich 5 Liter abgesaugt hatte.
Allerdings, ich hätte es mir eigentlich denken können, stieß meine scherzhafte Nachfrage bezüglich der tatsächlichen Entnahmemenge nicht wirklich auf verständnisvolle Ohren.
Der »Vampir« mit dem Röntgenblick und den auffälligen Eck-Beißerchen machte mir in aller Schärfe klar, dass solch ein Versehen bei ihr unmöglich sei!
Aus meinem kleinen Scherz wäre beinahe noch blutiger Ernst geworden. Daher schien es mir nun unangebracht, die anschließend vorgesehene Entspannungsphase mit kleinem Imbiss in Anspruch zu nehmen – die »Bissgurke« auf zwei Beinen lag mir schon schwer genug im Magen!
So habe ich mich also in einem günstigen Moment aus »Draculas Reich« verdünnisiert und die Flucht nach Amora angetreten. Matt und müde bin ich aufs Sofa im Arbeitszimmer geplumpst und sehnte mich nach einem üppigen Abendessen – eine Sehnsucht, die sich schon zwei Stunden später erfüllte.
Da saßen wir nämlich an unserem Lieblingstisch im »Etoile« und haben ausgiebigst geschlemmt!
Gut gestärkt und bestens gelaunt ging’s dann noch auf ein paar Cocktails zu Toni an die Bar.
Tja und dann …
Man muss sich wirklich wundern, welch ungeahnte Kräfte der Genuss dreier »Latin Lover« bei mir freisetzte!
Am Samstagmorgen war ich nach unseren nächtlichen »Leibesübungen« noch dermaßen ausgelaugt, dass beim Aufstehen mein Blutdruck richtig in den Keller sackte und ich alles doppelt sah – genauso wie vor über 23 Jahren!
Nur damals war meine Sichtweise korrekt, wie das Ultraschallbild zweifelsfrei zu erkennen gab.
Die freudige Nachricht, dass sich bei uns Zwillinge ankündigten, hatte mich tatsächlich ohnmächtig werden lassen! Oder lag es doch eher an dem fürchterlichen Mundgeruch der Arztassistentin?
Wie dem auch sei, ohnmächtig fühlte ich mich auch neun Monate später, genauer gesagt am 17.04.1988 um 15.15 Uhr, als du so tapfer und bravourös Leonie und Lukas ans Tageslicht befördertest – ein doppelter »Glückswurf«!
Ich durfte die beiden Sonntagsbabys dann baden, wodurch sie unfreiwilligerweise baden gingen und ihren ersten Tauchkurs absolvierten – ein Glück, dass die Hebamme sofort zur Stelle war und rettend eingriff. Nach diesem traumatischen Erlebnis, das beinahe zum persönlichen »Waterloo« für mich geworden wäre, bin ich schnurstracks zu Toni an die Bar geflüchtet und habe mir hastig zwei »Baby Pool« reingezogen!
Ach Nora, wenn ich daran zurückdenke, fangen meine Hände wieder an zu zittern.
Verstärkt wird dieses momentane Tremolo sicher auch durch den grippalen Infekt, der mir seit gestern noch intensiver zusetzt und mich mal vor Hitze zerfließen, mal vor Kälte schlottern lässt. Dazu noch der Weihnachtsbazillus!
Wie viele Hektoliter Tee mit Rum, oder eher Rum mit Tee, hast du mir eigentlich schon eingeflößt, Liebling? Mein Bauch fühlt sich mittlerweile wie eine Rumkugel an!
Liegt gewiss auch an den ersten Weihnachtsplätzchen, die wir gestern Abend zusammen mit Lukas vernascht haben.
Ich war echt überrascht, als er plötzlich vor der Tür stand und fragte, ob er dir beim Backen helfen dürfe.
Da war es dann auch nicht weiter schlimm, dass du eigentlich gar kein Weihnachtsgebäck Marke Eigenproduktion mehr herstellen wolltest und ich mich nun ebenfalls genötigt sah, tatkräftig beim Teigausrollen mitzuwirken. Nein, das war wirklich nicht tragisch zu nennen.
Tragisch war höchstens, dass die ersten beiden mit Vanillekipferln bestückten Bleche nach wahrscheinlich zu langem Aufenthalt im Ofen eher wie geschrumpfte »Schwarzwälder Kohlrouladen« aussahen und folgerichtig keinen von uns zum Verzehr animierten!
Ab dem dritten Blech konnte man sich dann mit positiver Grundeinstellung auf das vierte freuen.
Die Kipferl des fünften und letzten Durchgangs bildeten den Höhepunkt des Abends, zumal sie einhellig als »genießbar« eingestuft und dementsprechend heißhungrig beim Sonntagabend-Krimi verschlungen wurden!
Etwas Gutes hatte die gemeinsame Küchen-Aktion trotz aller »Ofen«-sichtlichen Widrigkeiten:
Wir erfuhren, dass Lukas von Sandras Eltern eingeladen worden war, den Jahreswechsel zusammen mit ihnen und ihrer Tochter in Wien zu feiern.
Kein Wunder, dass uns das letzte Vanillekipferl fast im Halse stecken geblieben wäre, als wir hörten, wo diese Familienparty mit ausgewählten Gästen stattfinden sollte: nämlich in einer der größten Discotheken der Stadt, die natürlich, wir ahnten es bereits, Sandras Vater gehört.
Also, wenn ich wieder auf den Beinen bin, Liebling, dann müssen wir unbedingt mal auf ne Ü40-Party gehen, nach dem Motto: »Let it swing, let it swing, let it swing«!
Aber nun schwinge ich mich erstmal in die Wanne, um bei einem Erkältungsbad cool zu relaxen. Anschließend dann noch einen Glühwein und ab ins Bett! Die Hotelreservierung zu Leonies Geburtstag habe ich übrigens in die Wege geleitet – so, und jetzt leite ich heißes Badewasser ein.
Das war’s für heute, Fortsetzung folgt …