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Dominique Crisand
MEIN KLAGEBUCH
Unverschämt ehrliche Poetry-Slam-Texte
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel
Impressum
Das Internet-Date
Meine Freundin wurde verlassen
Du kannst mit mir über alles reden
Schatz, ich schenk dir einen Ring ... Fleischwurst
Der Konflikt
Im Wartezimmer
Ein Brief an die Absender meines Spam-Mail-Postfaches
Quizshows
Was ist schon verrückt?
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag
Depressiv, dick und hässlich
Teigwaren mit Migrationshintergrund
Halt’s Maul und rede mit mir!
Bulimie find’ ich zum Kotzen
Amerikaner sind wie Schildkröten
Meine Katze, das blöde Vieh, hat Asthma
Sieg Heil & Birkenstock – Die Waldorf-Nazis
Ich weiß nicht, was du über mich gehört hast
Ich will keinen Hund, ich will einen Wellensittich
Der glatt rasierte Vollbart
8 gute Gründe, bei der nächsten Bundestagswahl mich zu wählen
Die Polizeikontrolle
Ein Widerspruch an die Münchner Bußgeldbehörde
Als ich bei meiner Therapeutin war
Aufgrund steigender Strompreise zur Prostitution gezwungen
Meine 10 goldenen Regeln der Kindererziehung
Freiheit bei Burger King
Gut
Hunden das Bellen abgewöhnen
Runder Geburtstag
Am Ticketschalter
Ich wollte die Welt verändern
Im Glashaus
Der Zeuge Jehovas
Meine Theorie über den immer wachsenden Fleischkonsum
Ist Facebook kaputt
Als ich im Starbucks eine Latte hatte
Media Markt
Ja, ich spende auch!
Hänsel und Gretel Revival 2.0
Alle Menschen sind gleich
Bonus
Liebe am Hähnchenstand
Wer andere beleidigt, ist ein Vollidiot!
Zwei schlecht gelaunte Ärzte
Tabletten gegen Tabletten
Warum hast du das getan?
Montag, 19.01.
Das Internet-Date
Ich traf mich mit „HeißeBiene83“.
Bis zum Aufeinandertreffen in der „Echt-Welt“ dachte ich, dass das „83“ in ihrem Namen für ihr Geburtsjahr stünde. Doch innerhalb der ersten fünf Minuten wurde mir klar, dass „83“ für die Anzahl der Dinge stand, die sie in ihrem Online-Profil verschwiegen und auf den Fotos erfolgreich wegretuschiert hatte. Zum Bearbeiten ihres Profilbildes hatte sie mehr Filter benutzt als der Melitta-Mann.
Ihre Online-Profil-Selbstbeschreibung: „spontan, verlässlich, naturgeprägt“ hat sie wohl verwechselt mit:
„spontan verlassen und ungepflegt“.
Ihr Motto: „Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken.“
Das sei „voll lyrisch und so“.
Lyrisch? Hätte ich das früher im Deutschunterricht genau so kundgetan, hätte mein Lehrer gesagt: „Nimm die Finger vom Klebstoff!“
Als ich sie kurz darauf mit ihrem Namen „Steffi“ ansprach, so wie sie sich tags zuvor telefonisch vorstellte, erwiderte sie, dass sie zwar gerne „Steffi“ heißen wollen würde, aber eigentlich „Erika Astrid Braun“ hieß. Ich wollte den Small Talk nicht unterbrechen und fragte:
„Braun? Wie die Farbe?“ Sie entgegnete: „Nein, wie die Gesinnung!“
Des Weiteren habe sie keine zwei Golden Retriever, sondern lediglich einen Goldfisch. Wolfgang.
Auch zog sie nicht von Frankfurt in den Harz mit 4. Sondern bezog in Frankfurt Hartz IV.
Weiterhin habe sie bereits 4 Kinder, doch noch eines möchte sie auf keinen Fall, da sie gelesen habe, dass in Deutschland jedes fünfte Kind geschlagen wird.
Was soll ich sagen? Ein IQ von 8 – und bei 9 fängt Wurst an zu riechen und bei 10 fällt die Walnuss vom Baum!
Wäre Ignoranz eine Geschlechtskrankheit, würde sie beim Pinkeln brüllen.
Ihre angegebene Körpergröße von einzweiundsiebzig wurde vermutlich von jemandem gemessen, der das Maßband quer hielt, das Ergebnis mit ihrem IQ multiplizierte und so lange verdoppelte, bis einszweiundsiebzig dabei herauskam.
„HeißeBiene83“ – treffender wäre wohl gewesen:
„HohleHummel3000“!
Die Aufzählung der Lebensmittel, die sie nicht esse, entsprach etwa der Jahresinventurliste von Edeka. Daher änderte ich mein Vorhaben „3-Gänge-Menü bei Antonio“ spontan in: „Uschis Wurst-Bude“. Currywurst mit Pommes, Erika Astrid lächelte zufrieden.
Auf einmal fing sie jedoch an, mit ihren langen künstlichen Fingernägeln nervös an ihrer Wurst herumzupfriemeln. Als ich neugierig nach dem Hintergrund jener Handlung frug, sagte sie: „Ich mache die Haut ab, die schmeckt mir nicht!“
Ich entgegnete ihr: „Das ist keine Haut, das ist Darm! Da war mal Kacke drin!“
Ihrem Blick entnahm ich, dass ihr Humor-Sumpf bereits erfolgreich trockengelegt wurde.
Weniger trocken, dafür umso feuchter war ein plötzliches und durch die ganze Wurst-Bude hallendes Rülpsen – von Erika Astrid. An der Stelle, an der ich nun ein zutiefst beschämtes „Entschuldigung“ erwartete, rief sie jedoch nur laut: „Schulz!“, fasste sich an die eigene Stirn, und als ich dies nicht erwiderte, schlug sie mir auf selbige.
Ich möchte ja per se nichts Schlechtes über das Online-Dating sagen, aber nach knapp einem halben Jahr kann ich zusammenfassend zusammenfassen: Die Wahrscheinlichkeit, beim Wasserkochen etwas anbrennen zu lassen, liegt weit, ganz weit über der Wahrscheinlichkeit, beim Online-Dating eine Frau zu treffen, die ihre Sätze nicht nach dem Prinzip aufbaut: „Subjekt, Provokation, Objekt“ oder bei der du nicht das Gefühl loswirst: Die hat doch im Spiegellabyrinth laufen gelernt!
Nächste Woche treffe ich mich mit „HoneyBunny69“. Ich bin gespannt, für was die Zahl diesmal steht.
Mittwoch, 28.01.
Meine Freundin wurde verlassen
Meine Freundin wurde verlassen. Jetzt bin ich also wieder Single und überlege mir, mit einem Mann zusammenzuziehen. Das würde einiges erleichtern. Bestimmt auch das Sexleben. Ohne ständige Ausreden wie „Migräne“, „Menstruation“ oder „Ich hatte gerade einen Autounfall“.
Ein Mann wäre die ideale Lösung. Aber ich mag Penisse nicht! Ich mag sie wirklich nicht. Ich mag ja noch nicht mal Calippo-Eis – den Penis unter den stiellosen Eissorten.
Ich wäre gerne beim Meeting des Produktmanagements von Langnese dabei gewesen, als sie das Calippo-Eis vorgestellt, ausgeteilt und getestet haben. Ein Raum voller studierter Anzugträger, vermutlich primär männlich, die alle an einem eiskalten Schwanz lutschen.
„Mmmh, lecker! Pimmel-Eis!“
Die erste Sorte: Calippo Cola.
„Mmmh lecker! Schwarzes Pimmel-Eis.“
Man kann dieses Eis gar nicht normal essen. Man muss es tief in den Mund nehmen. Und dann entweder daran saugen oder vorsichtig reinbeißen. Lecker!
Wenn ich ein Date habe, kaufe ich ihr immer ein Calippo-Eis und beobachte sie dabei ganz genau. Man erspart sich spätere unangenehme Überraschungen. Wenn sie den Calippo-Test bestanden hat, empfehle ich Stufe 2. Wir alle kennen noch den Flutschfinger.
Du sitzt also Händchen haltend im Park, während sie ihre Lippen an einem eisigen Zeigefinger schamlos in der Öffentlichkeit hoch und runter bewegt. Aber zu Hause dann: „Ich hab Migräne, ich mag nur kuscheln.“ Wo ist da bitte die Relation?
„Bum-Bum“! Das Konkurrenz-Eis von Schöller. Ein Raum voller hochbezahlter Produktmanager sowie dem gesamten Vorstand. Die Namensfindung einer neuen Eissorte steht auf der Tagesordnung.
Herr Schmitt startet seine PowerPoint-Präsentation, stellt ein knallrotes Eis mit Kaugummi im Arsch vor und ruft laut: „Bum-Bum!“ Der Vorstand applaudiert und zahlt Herrn Schmitt eine extra Prämie für die kreative Namensfindung.
Lieber Herr Langnese, lieber Herr Schöller,
ich möchte mich bewerben! Ich habe da ein paar sehr gute Ideen. Ein Eis in Form einer riesen Brust, Geschmacksrichtung „Deine Mudda-Milch“. Ich nenne es „Uuuuuuh!“.
Ich freue mich, von Ihnen zu hören!
Mit freundlichen Grüßen
PS: Das Calippo-Eis hat mein Bild der Frau revolutioniert. Vielen Dank dafür.
Dienstag, 03.02.
Du kannst mit mir über alles reden
Ich habe für vieles kein Verständnis
Es gibt Menschen, die behaupten, ich sei intolerant. Nur, weil ich keine Laktose vertrage. Ich und intolerant!? Ich traue mich ja noch nicht mal, ein „Dingens da“ zu essen, ich weiß ja gar nicht, wie ich es nennen soll. Eine „nicht sesshafte Fleischspeise“. „Zigeunerschnitzel“ darf man ja nicht mehr sagen.
Tolerant oder nicht tolerant. Das fängt doch schon beim Italiener um die Ecke an.
Wenn der eine keinen Käse in den Pizzarand einarbeitet, ein anderer aber schon, dann kann man doch nur von dem einen behaupten: toller Rand.
Ich bin mehr so der Typ für die bodenständigen Dinge des Lebens. Ich gehe gerne in den Wald, suche mir einen Stock und beobachte ihn. Vielleicht umarme ich auch einen Baum und spiele mit meinen Fingern an seiner Rinde. Oder ich ahme den Balzruf eines Kolibris nach. Und sobald sich das erste geile Kolibri-Weibchen auf meine Schulter gesetzt hat, ändere ich meinen Facebook-Status von „Single“ auf „Es ist kompliziert“.
Einfach mal anstatt erhobenen Hauptes mit gesenktem Kopf durchs Leben gehen. Bodenständig. Denn so schaut man auf den Boden ständig.
Einfach mal ein Snickers kaufen, die Erdnüsse herauspulen und auf Facebook posten: „Lecker. Mars.“
Wer mich als Freund nicht will, weiß, was er verpasst. Ich schwimme nicht mit dem Strom. Ich bin ein gesellschaftlicher Geisterfahrer.
Wenn du jemanden willst, der dir Honig ums Maul schmiert, such dir ’n Imker!
Es kommt immer auf die Sichtweise an. Wer „After Shave“ falsch übersetzt, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Arsch brennt.
Apropos Übersetzen.
Vor noch nicht allzu langer Zeit hat die CSU gefordert, dass Migranten zu Hause Deutsch sprechen sollen. Am Anfang habe ich gedacht: Was für eine scheiß Idee!
Dann habe ich mich mal näher damit befasst und festgestellt: Was für eine scheiß Idee!
Und Deutschlands größtes bunt bebildertes Käseblatt schlachtet diese geistige Unzurechnungsfähigkeit auch noch bis aufs Letzte aus und greift täglich immer tiefer in die Niveau-Schublade auf Knöchelhöhe.
„Mallorca soll deutsch werden!“ und „Macht Harry Potter schwul?“ sind keine erfundenen Schlagzeilen, sondern gingen millionenfach an die Leser.
Was für eine Bullshit-Scheiße kommt als Nächstes? „Skandal an Berliner Grundschule: Rollstuhlfahrer zum dritten Mal sitzen geblieben!“ oder: „Vierzehnjährige Pfälzerin schwanger, weil Pille gerissen!“
Auf einer Skala von Mannheim bis Heidelberg ist das Ludwigshafen.
Da fühle ich mich doch als zumindest in regelmäßigen Abständen vernünftig denkender Mensch komplett verarscht!
Genauso, als wenn OBEN auf einem Lebensmittel steht: „haltbar bis: siehe UNTEN“.
Und unten steht: „siehe Seitenaufdruck“!
Bis du herausgefunden hast, wie lange die Eier noch haltbar sind, sind sie durch die Rotationsbewegungen geplatzt oder hart gekocht.
Bloß nichts mehr selbst entscheiden. Entscheide niemals eigenständig und individuell, ob der grüne Erdbeerjoghurt noch gut ist.
Dabei sehnen wir uns doch aber alle nach Individualität. Obwohl darin das Wörtchen „Indivi“ steckt. Das gibt es zwar nicht, aber dessen muss man sich erst mal bewusst werden. Das Bewusstmachen mancher Dinge verändert oft die Sichtweise um 370 Grad. Ohne Umluft.
Wenn ich beispielsweise meine Exfreundin und den Rotwein, den ich gestern Abend trank, beschreiben müsste, hätte das einen großen Vorteil, denn ich könnte es mit den drei gleichen Worten tun: schwer, trocken und sauer.
Ich will ja öffentlich gar nicht schlecht über sie reden – aber ich muss! Wenn man ihre Intelligenz verdoppeln würde, würde sie anfangen zu bellen! Ich muss die anderen doch warnen, während sie in ihrer Pippi-Langstrumpf-Welt auf einem Einhorn reitet und Glitzer verstreut.
Wäre die Menschheit ein Blumenmeer, wäre sie … Moos!
Meine Oma hat immer gesagt: Es gibt Dinge, die kannst du ändern, und es gibt Dinge, die kannst du nicht ändern.
Okay, sie war Schneiderin.
Aber eines steht fest:
Wenn man Scheiße einfriert, wird sie zwar haltbarer, aber nicht besser.
Samstag, 07.02.
Schatz, ich schenk dir einen Ring ... Fleischwurst
Warum wir über Bodylotion reden müssen
Mein Opa hatte im Badschrank neben Zahnbürste und Zahnpasta lediglich ein Döschen Nivea Creme. Für und gegen alles. „Nivea hält jung, mein Jung“, pflegte er stets zu sagen. Unbestätigten Gerüchten zufolge wurde er auf der Feier seiner Goldenen Hochzeit beim Bestellen eines Glases Rotwein vom Kellner nach seinem Ausweis gefragt, nachdem man ihm einen Malblock gebracht hatte.
Heute ist die Auswahl an Pflegeprodukten nicht nur endlos, auch jeden erdenklichen abartigen Zutatenkreationen sind keine Grenzen gesetzt.
Da gibt es Bodylotion, in der Mango und Papaya enthalten sind, Shampoo mit Gurkenextrakt, Koffein und Vanille sowie Toilettenpapier mit einem pflegenden Hauch Kamille. Insbesondere Letzteres ist sowieso für’n Arsch, aber extrem praktisch bei Magenschmerzen.
„Hast du grad kein Tee mehr hier,
lutsche einfach Klopapier.“
Mal ganz abgesehen davon möchte ich keine Bodylotion, in der Mango oder Papaya enthalten ist. Bodylotion schmiert man sich auf den ganzen Körper. Und es gibt Regionen eines Mannes, die niemals und unter keinen Umständen nach Mango oder Papaya riechen dürfen!
Du trägst bei deinem ersten Date extra ein muskelbetontes Oberteil sowie männlich herbes Aftershave. Auch der Dreitagebart ist gewollt, nicht vergessen. Beim Betreten der Wohnung hebst du mit angespanntem Bizeps dein Date über die Türschwelle und entzündest das Feuer im Kamin mit bloßen Händen. Und jetzt stell dir mal vor, sie öffnet deine Hose und es riecht da unten nach einem verdammten scheiß Obstsalat!
Ein Mann riecht nach Mettbrötchen oder Schraubenschlüssel. Nicht nach Chiquita oder Pink Lady. Und wenn er nach Lady riecht, dann NACH und nicht VOR dem Date.
„Das Leben im Einklang mit der Natur ist wichtig. Und richtig.“
Kann ja sein, aber warum soll ich mir für unzählige Euro eine Creme mit Ringelblumenblüten kaufen „für den anspruchsvollen Mann nach seiner Intimrasur“, wenn die Natur doch etwas viel Logischeres und wesentlich Tolleres erfand: kratzen!
Wenn ich Durst habe, trinke ich.
Wenn ich Hunger habe, esse ich.
Wenn ich müde bin, dann schlafe ich.
Und wenn es verdammt noch mal juckt, dann kratz ich mir den Sack!
„Das Leben im Einklang mit der Natur.“
Wer sieht denn den ganzen Sachverhalt mal aus der Sicht einer Ringelblumenblüte!? Niemand! (außer ich) Daher habe ich eine Petition gestartet:
Ringelblumenblüten,
ihr seid uns nicht egal!
Ab in die Natur,
nicht aufs Genital!
Wir hören heute doch nur noch auf den Arzt oder Apotheker, keiner mehr auf sein Bauchgefühl. „Herr Schmidt, Sie sind gerade aufgrund von Flüssigkeitsmangel zusammengebrochen. Ich hätte da eine Salbe mit Leck-mich-am-Arsch-Extrakt! Das Zeug können Sie sich in die Haare schmieren! Hilft nicht, sieht aber scheiße aus!“
Das Leben im Einklang – von mir aus.
Aber nur dann, wenn ...
... ein Pärchen nach stundenlangem Akt der Fortpflanzung am Boden kriecht
und es anschließend im Schlafzimmer nach ejakuliertem Lust-Schweiß und nicht nach Mango oder Papaya riecht.
... der Mann im Januar oberkörperfrei mit der flachen Hand das Brennholz schlägt
und die Frau ihn blutend mit letzten Kräften zwölf Kilometer zum nächsten Doktor trägt.
... die Liebe zweier Verbundener selbst dann noch hart zusammenschweißt,
wenn SIE gerade duscht, während ER sich im selben Raum die Seele aus dem Leibe scheißt.
Das Leben fickt jeden,
auch im Einklang mit der Natur.
Sei kritisch und hinterfrage,
doch stell dich nicht stur.
Mittwoch, 18.02.
Der Konflikt
Es war an einem lauen Herbstnachmittag, als mich in den gemeinsamen vier Wänden meiner Beischlafpartnerin und mir ein inneres Bedürfnis überfiel, welches jeder Mann in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zu verspüren vermag. Oder, um es etwas greifbarer zu formulieren: Ich musste auf den Lokus, mein Steißbein hatte Husten.
Nach vollbrachter Arbeit verließ ich erleichtert die „Festung der Einsamkeit“ und begab mich in unser beider Wohngemach. Kaum hatte ich mich zufrieden auf dem Sofa abgelegt, erklang ihre zärtliche, engelsgleiche Stimme durch den Flur – vergleichbar mit einem Schmetterling, der in der Abendsonne zwischen rötlichbraun herabfallenden Blättern strotzend vor Leichtigkeit hin- und herfliegt:
„Du Drecksau! Die Klobürste steht nicht zur Dekoration da. Man kann die auch benutzen, oder bist du zu doof dazu?“
Drücken wir metaphorisch „Pause“ und betrachten das Faktum et Orbitum.
Bis zu den Worten „Man kann die auch benutzen“ befinden wir uns bezüglich eines Konfliktes noch im Bereich der Ordnungswidrigkeit. Ein verbales Bußgeld, und der Schnee von morgen wäre heute von gestern.
Die nun unterschwellig subtil vorhandene Missstimmung drohte erst dann weiter massiv zu kippen, als sie sich entschied, die eben genannten Worte in einem Nebensatz noch mit einer Frage zu schmücken, die sie unmissverständlich formulierte: „oder bist du zu doof dazu?“
Da es sich hier, im dichten Nebel der Fragetechniken, um eine sogenannte „geschlossene Frage“ handelt, hat der Antragsgegner per Definition drei klar vorgegebene Antwortmöglichkeiten: „Ja“, „Nein“ und „Weiß ich nicht“.
Präferiere man intuitiv Erstere, laute die Antwort: „Ja Schatz, ich bin doof“, zuzüglich optional: „sonst wäre ich ja nicht mit dir zusammen.“
Da Frauen, mit einer solchen Äußerung konfrontiert, gerne zu unkontrollierten, cholerischen Ausbrüchen neigen, stellen wir diese Antwortmöglichkeit vorerst hinten an.
Betrachten wir Option 2. „Nein, ich bin nicht doof.“
Neben dem leicht brüskierenden Aspekt dieser Aussage zieht sie des Weiteren automatisch unzählige „offene W-Fragen“ nach sich: „Warum tust du dann dies? Weshalb machst du dann das? Wer ist diese Frau, die dir per WhatsApp ständig ihre Brüste schickt?“
In einem Konflikt ist es existenziell wichtig, den Brandherd so klein wie möglich zu halten. Machen wir also aus einem Teelicht keinen unkontrollierbaren Schwellbrand.
Beleuchten wir Antwortmöglichkeit 3:
„Ich weiß es nicht ... Ich weiß nicht, ob ich doof bin“, scheint auf den ersten Blick perfekt, denn es beinhaltet all das, was eine Frau an einem Mann zu schätzen vermag: Selbstoffenbarung, Verletzlichkeit, Einsicht, Wehmut – und das alles ohne Schuldbekenntnis!
Zustimmung, ohne „Ja“ zu sagen. Das sind quasi fünf parallel nebeneinander stehende Kirschen auf dem goldenen Rubbellos der Konfliktlösung!
Der Gordische Knoten im Ei des Kolumbus ist das Verständnis. Zeige Verständnis. Gib ihr das Gefühl, sie zu verstehen, ungeachtet der Haltbarkeit des Tatbestandes.
Gib ihr das Gefühl, sie habe beispielsweise gewissermaßen, im Gegensatz zu dir, die Abseits-Regel verstanden, während du „Pretty Woman“ in den VHS-Rekorder schiebst und diesen großartigen Film bei einem Gläschen Lambrusco dem Champions-League-Finale vorziehst und im Anschluss daran sie darum bittest, in eurer Beziehung endlich mehr über deine Gefühle sprechen zu dürfen.
Zeige Verständnis.
Wenn die Stimme im Navigationsgerät „links“ sagt, während sie darauf besteht, rechts auf einen ungeteerten und höchstens von Spezialkräften der Bundeswehr befahrbaren Feldweg abzubiegen, sage ihr, dass die Dame im Navi sich ja schließlich in ganz Europa auskennen müsse und hier auf der Landstraße zwischen Wald-Michelbach und Siedelsbrunn durchaus einmal falsch liegen könne ... während du mit glücklichem Gesichtsausdruck dein Fahrzeug rechts durch haufenweise Kuh-Kot manövrierst.
Verständnis zeigen heißt Liebe bekommen.
Es geht doch im Konflikt zweier Liebender nur darum, wie es wäre, wenn es anders sein könnte, während man dächte, dass der andere einem persönlich gegenüber fälschlicherweise anderer Meinung gewesen sein würde, unter der Voraussetzung, dass man sich in einer Beziehung weniger verstellt als eine Funkuhr und im wahren Kern sowie im Wechselbad der Gefühl doch sowieso nur den anderen im Kopf hätte, ließe man sich gleichermaßen aufeinander ein.
Konjunktiv 4 – mit Apostroph.
Oder anders formuliert:
Jeder Mann hat seine Macken,
doch benutz die Bürste, warste kacken!
Donnerstag, 26.02.
Im Wartezimmer
Ich saß im gut gefüllten Wartezimmer beim Arzt und las eines der dort ausliegenden Hochglanzmagazine, die Bunte – Ausgabe 21. Dezember 2011.
Als das Umblättern der nächsten Seite kurz bevorstand, stellte ich fest, dass diese an der übernächsten festklebte. Dieses fast ausschließlich in Arztpraxen vorkommende Phänomen entsteht dadurch, dass viele Mitpatienten sich vor jedem Umblättern den Mittelfinger ihrer linken Hand ablecken.
Laut einer Studie werden in Arztpraxen auf diese Art und Weise täglich auf jeder Seite vier verschiedene Speichelreste hinterlassen.
Das Jahr hat 52 Wochen. Abzüglich Urlaub und Feiertagen hat die Arztpraxis also an ca. 220 Tagen im Jahr geöffnet. Rechnen wir mal bis zum 21. Dezember 2011 zurück. Nein. Rechnen wir lieber nicht zurück!
Beuge ich mich also trotzdem diesem gesellschaftlichen Druck und lecke mich vor all diesen fremden Menschen selbst, nur um die beiden Seiten voneinander trennen zu können?
Ich sah keinen anderen Ausweg und leckte. Ganz heimlich. Meinen Mittelfinger.
Nun war ich also offiziell auch ein sogenannter Zeitungslecker.
Aufgrund mangelnden Erfolges wiederholte ich diesen Vorgang sieben Mal, steckte schlussendlich meine komplette Hand bis zum Anschlag in den Hals, bis ich keine Geduld mehr hatte und anfing, die Seite selbst abzulecken.
Nachdem ich bereits ein Drittel der angefeuchteten Seiten im Mund hatte und sie unter den staunenden Blicken des kompletten Wartezimmers zwischen Gaumen und Zunge hin und her rieb, stieß ich plötzlich einen Lustschrei aus: „Die Seite hat sich gelöst!“






