Seewölfe - Piraten der Weltmeere 35

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Valdez trat an das Schanzkleid. Einen Moment starrte er in die dunklen Fluten, auf denen sich das Schiff langsam hob und senkte.
„Nein, Senor, es war nicht sinnlos, die Karavelle zu besetzen. Es gibt da eine Möglichkeit ...“
Er konnte seinen Satz nicht zu Ende sprechen, denn in diesem Moment enterte eine der Wachen zum Achterkastell auf.
„Senor – da drüben in der Bucht – ich glaube, die Piraten wollen jetzt unser Schiff kapern, wir ...“
Mit ein paar Schritten war Valdez an der achteren Reling des Achterkastells. Wortlos starrte er auf die Wasserfläche der Bucht hinaus. Und richtig, auch er erkannte das große Boot, das eben mit allerlei Gerät beladen wurde. Deutlich sahen sie die Männer im Schein der Feuer hin und her eilen und Waffen und Geräte an Bord des Bootes verstauen.
„Du hast recht, Alfredo“, sagte er nach einer Weile. „Ich glaube auch, daß sie es jetzt versuchen wollen. Ganz bestimmt rechnen sie nicht damit, daß wir bereits an Bord sind. Aber wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten, den sie nicht so schnell vergessen werden.“
Der Generalkapitän trat auf Valdez zu.
„Was haben Sie vor, Valdez? Nein, das können wir nicht riskieren, uns mit diesen Piraten anzulegen. Die hängen einen nach dem anderen von uns an die Rahnock, wenn wir unterliegen. Es ist besser, wenn ich jetzt wieder das Kommando an Bord und die volle Verantwortung für das übernehme, was geschieht.“
Valdez trat hart an den Generalkapitän heran.
„Aufknüpfen werden sie uns sowieso, ganz gleich, ob wir unterliegen oder kapitulieren. Nein, das alles ist kein Ausweg für uns. Deshalb trete ich Ihnen das Kommando auch nicht wieder ab. Ich fühle mich für meine Männer verantwortlich. Wir werden kämpfen, Senor.“
Valdez versammelte sein Häuflein von Soldaten um sich und erklärte ihnen, was er vorhatte.
Die Männer überlegten einen Augenblick, aber dann stimmten sie zu.
„Valdez hat recht. Wir müssen den Kerlen einen heißen Empfang bereiten, nur dann, wenn wir sie jetzt zurückschlagen, haben wir eine Chance.“
Don Rodriguez hatte aber immer noch nicht begriffen.
„Und dann, wenn wir sie wirklich abgeschlagen haben? Sie werden einen zweiten Angriff versuchen, dann werden wir die Verlierer sein. Und überhaupt, was nutzt es uns denn, wenn wir erreichen, daß sie unser Schiff nicht entern? Wie sollen wir dann nach Spanien segeln? Sie haben doch selbst gesagt, Valdez, daß ...“
Valdez verlor die Geduld. Er wunderte sich jetzt nicht mehr, daß die Spanier solche Schlappen gegen El Draque und den legendären Seewolf einstekken mußten, wenn solche Trottel zu Generalkapitänen ernannt wurden, die derartig begriffsstutzig waren.
„Warten Sie es ab, Senor. Ich versichere Ihnen, daß ich genau weiß, wie ich erreichen werde, was ich erreichen will. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, wir müssen unsere Vorbereitungen treffen.“
Valdez verließ das Achterkastell und eilte mit seinen Männern über das Deck. Wenige Augenblicke später herrschte an Bord der ehemaligen „Isabella IV. – ex Cartagena“ geschäftiges Treiben. Aber die Männer vermieden jedes laute Kommando, kein offenes Licht wurde an Deck gezeigt.
Für Caligu und seine Piraten erweckte die Karavelle den Anschein, als ob sie nach wie vor völlig verlassen daläge.
Als das Boot vom Strand abstieß, saß Caligu wieder am Ruder. Neben ihm Maria Juanita, die wie versessen darauf gewesen war, mit von der Partie zu sein. Auch sie hielt ein langes Entermesser in der Hand.
Das Boot stieß ab, die Piraten tauchten die Riemen ein. Caligu hatte seine besten Männer ausgewählt – und er konnte eigentlich gar nicht sagen, warum. Er rechnete mit keinem Widerstand, dennoch warnte ihn sein Instinkt immer wieder. Irgend etwas mit dem Schiff da draußen auf der anderen Seite der Bucht stimmte nicht.
Juanita sah, wie er in die Dunkelheit lauschte, während die Piraten die umwickelten Riemen nahezu geräuschlos ins Wasser tauchten – eine Maßnahme, über die sie gemurrt und gelästert hatten, aber Caligu war unerbittlich geblieben.
„Du siehst Gespenster, Caligu“, sagte Juanita, „Auf diesem Kahn hockt nur der feiste Generalkapitän, und der ist nun wirklich nicht zum Fürchten.“ Sie stieß ein gurrendes Lachen aus. „Also, wenn ich mir wieder vorstelle, wie er mich oder eine von uns ...“ Sie schüttelte sich vor Lachen.
Aber dann wurde sie plötzlich wieder ernst. „Dennoch, ein Gutes hat dieser lächerliche Popanz doch, Caligu“, sagte sie zu dem riesigen Piraten.
Aber der schien ihr gar nicht zuzuhören, und Juanita packte die Wut. Wenn sie alles vertragen konnte – das nicht. Sie hieb ihm ihren Ellenbogen in die Seite, daß Caligu wie der Blitz herumfuhr. Wütend funkelte er sie an, aber wieder schnitt sie ihm sofort das Wort ab.
„Hör mir zu, du Büffel, wenn ich mit dir rede. Denn was ich zu sagen habe, ist wichtig, kapiert?“
Caligu starrte sie wütend an. Dann packte er sie und zog sie dicht an sich heran.
„Du nimmst dir reichlich viel heraus“, sagte er, und seine Stimme hatte dabei einen Klang, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Jede andere hätte ich längst den Haien zum Fraß vorgeworfen, hüte deine Zunge, Weib!“
Juanita wußte, daß sie hoch spielte, aber sie dachte gar nicht daran, aufzugeben.
„Wenn ich dir sage, daß es wichtig ist, was ich mit dir besprechen will, dann ist es das auch, und dann kannst du mir gefälligst zuhören. Oder glaubst du, daß wir uns Fehler leisten können, die uns einen Haufen Geld kosten?“
Caligu blickte sie verständnislos an. „Geld? Wieso das?“
Juanita nickte. „Ich weiß, du hättest diesen Generalkapitän einfach erschlagen und über Bord geworfen. Das wäre falsch, Caligu, denn dieser Kerl bringt uns von den Spaniern ein dickes Lösegeld ein. Er mag eine so lächerliche Figur sein, wie er will, aber er ist aufgrund seiner Informationen für die spanische Krone wichtig. So bescheuert sind die Dons auch nicht, daß sie ihn für nichts und wieder nichts in eine solche Stellung aufrücken lassen!“
Caligu hatte sie längst losgelassen. In seinem Kopf arbeitete es. Er war nicht dumm, aber er hatte auch nicht die Intelligenz, über die Maria Juanita verfügte. Caligu war gerissen, ein Mann, der nie um einen Trick verlegen war. Er verließ sich auf seine Stärke, auf seine Schnelligkeit, auf seinen Mut.
„Verdammt, Juanita“, sagte er schließlich. „Du hast recht, und ich Idiot wollte diesen Goldfisch über die Klinge springen lassen.“
Er gab seinen Männern durch Zeichen zu verstehen, daß sie sofort mit Pullen aufhören sollten.
„Hört mir alle gut zu“, sagte er leise zu den Männern im Boot. „Auf dem Schiff dort drüben befindet sich ein Generalkapitän der Spanier. Diesem Kerl wird kein Haar gekrümmt. Aber wer ihn entwischen läßt, ist ein toter Mann. Der Bursche wird uns ein kräftiges Lösegeld einbringen, außerdem kann er uns vielleicht noch als Geisel nützlich werden, für den Fall, daß die Dons uns doch noch mal mit ein paar ihrer schweren Schiffe stellen. Immerhin stehen wir auf ihrer Wunschliste ganz oben!“ Caligu lachte leise vor sich hin, und seine Männer fielen ein.
Er gab das Zeichen zum Weiterpullen, und wieder glitt das Boot durch die Dunkelheit auf die Karavelle zu. Etwa eine halbe Stunde später lagen sie in einer Entfernung von nur knapp hundert Yards achterlich von der Karavelle. Caligu lauschte in die Dunkelheit, und immer noch schien ihm die ganze Sache nicht recht geheuer. Sein Instinkt warnte ihn, aber diesmal war es Juanita, die ihn antrieb.
„He, Caligu“, höhnte sie. „Hast du plötzlich Angst vor einem alten Mann? Oder auf was wartest du noch? Soll ich rüberschwimmen und ihn dir von oben ins Boot werfen?“
Caligu spürte wieder, wie die Wut in ihm hochstieg, aber die Worte Juanitas gaben den Ausschlag. Er wies die Männer durch Zeichen an, weiterzupullen.
Das Boot glitt langsam an die Karavelle heran. Es erreichte das Heck, umrundete es und schor gleich darauf längsseits.
Wie der Blitz sprang Caligu auf, das breite Entermesser zwischen den Zähnen. Er erreichte das Schanzkleid mittschiffs im Sprung. Seine Männer waren ebenfalls aufgesprungen und wollten ihm folgen, als Caligu sich bereits emporzog, um an Bord zu entern. Da brach plötzlich die Hölle los.
„Drauf, gebt es diesen Hunden, besorgt es ihnen!“ zerschnitt plötzlich Valdez’ Stimme die tückische Stille.
Laute Kommandos ertönten, Flüche wurden laut und dann kippten Valdez und seine Männer die Kübel mit kochendem Wasser auf die Angreifer hinunter.
Die Piraten brüllten auf, viele ließen sich einfach fallen, halb verrückt von dem Schmerz, der ihre Körper durchzuckte und ihnen fast die Besinnung raubte.
Caligu hatte das Schanzkleid erreicht, da traf auch ihn der Guß aus einem der Kübel und verbrühte ihm die rechte Schulter.
Der riesige Pirat stieß einen Wutschrei aus, in den sich auch der wahnsinnige Schmerz mischte, der sich von der Schulter über seinen ganzen Oberkörper fortpflanzte. Gleichzeitig traf ihn ein Belegnagel in die Seite. Caligu glaubte für einen Moment, jemand hätte ihn mittendurchgeschlagen.
Der Stoß einer Lanze, dessen Spitze ihm die Haut über den Rippen aufschlitzte, gab ihm den Rest. Caligu ließ los und stürzte neben dem Boot ins Wasser zurück. Noch halb benommen klammerte er sich an der Bordwand fest, die er mit ein paar mehr im Unterbewußtsein ausgeführten Schwimmbewegungen erreicht hatte.
Um ihn herum war die Hölle los. Männer brüllten, spanische Flüche durchschnitten die Nacht, einer seiner Männer lag im Boot, und in seinem Körper steckte der abgebrochene Schaft einer Lanze.
Caligu war rasend vor Wut und Schmerz, aber er begriff, daß sie in eine Falle geraten waren und daß ihr Angriff gescheitert war. Es war unmöglich, einen weiteren Versuch zu wagen, die Karavelle zu entern.
Juanita packte ihn an den Armen und half ihm ins Boot. Auch sie blutete aus einer Kopfwunde.
Caligu hatte jedoch in diesem Moment kein Auge für sie.
„Zurück!“ schrie er. Gleichzeitig bückte er sich und warf den Toten kurzerhand aus dem Boot.
Als abermals ein Guß kochenden Wassers das Boot mittschiffs traf und den riesigen Piraten nur knapp verfehlte, hieb er mit seinem Entermesser die Leine los, mit der sie das Boot an der Karavelle vertäut hatten. Dann stieß er das Boot ab, und bei diesem Stoß setzte er alle seine gewaltigen Kräfte ein, obwohl ihn dabei von der Schulter her ein Schmerz durchzuckte, der sogar ihn aufbrüllen ließ. Aber das Boot schoß ins offene Wasser hinaus und verschwand gleich darauf in der schützenden Dunkelheit.
Nach und nach fanden sich seine Männer ein. Jedenfalls der größere Teil von ihnen. Und sie beeilten sich höllisch, ins Boot zu gelangen, denn sie dachten an die Haie, die in diesem Augenblick bestimmt aus der Tiefe zu ihnen heraufschossen.
Dann begannen sie zu pullen, so gut es ging. Etliche von ihnen hatten verbrühte Schultern, Gesichter oder Arme, aber sie bissen die Zähne zusammen. Das Boot nahm Fahrt auf, und hinter ihnen her tönte das höhnische Geschrei der Sieger. Etliche Männer blieben an der Kampfstätte zurück – ertrunken oder erschlagen – und dort, wo sie im Wasser trieben oder untergegangen waren, begann bereits Minuten später die See zu kochen, und ihre Fluten färbten sich rot.
Die Haie waren da.
Caligu und seine Männer erreichten den Strand mehr tot als lebendig. Sie stöhnten vor Schmerzen und wurden von ihren Kameraden, die zurückgeblieben waren, um die Spanier in Schach zu halten, aus den Booten gezogen.
Auch Juanita wankte an den Strand. Ein Belegnagel hatte sie am Kopf erwischt. Aber im Gegensatz zu vielen der Piraten dachte sie nur an eins: an Rache für diese Schmach, für diese Niederlage. Ihre dunklen Augen glühten, und ihre Züge verzerrten sich vor Wut, als Caligu sie einfach wegschob und den Strand hinaufging.
Aber sie sagte nichts, denn dieser Riese war in diesem Augenblick bestimmt zu allem fähig, wenn man ihn reizte. Darin glichen sie sich wie ein Ei dem anderen – die spanische Hure und der Pirat: Das Todesurteil über Valdez und seine Soldaten war gesprochen! Und es würde vollstreckt werden, so sicher wie an jedem Morgen die Sonne wieder aufging.
Aber während Caligu seinen Zorn nach außen hin zu beherrschen wußte und zunächst dafür sorgte, daß die Schwerverletzten unter seinen Männern versorgt wurden wie auch seine eigene Schulter, steigerte sich Juanita in ihrem ohnmächtigen Haß Stunde um Stunde weiter hinein. Sie merkte nicht, daß die Wut, die sie beherrschte, ihr den klaren Blick für die Gefahren trübte, die sie heraufbeschwor.
Jedesmal wenn ihr bewußt wurde, daß der Vorsprung, den der Seewolf durch diesen verpatzten Angriff gewann, ebenfalls Stunde um Stunde, die sie hier tatenlos in der Bucht verbrachten, weiterwuchs, knirschte sie mit den Zähnen und ballte die Hände. Denn mit jeder Meile, die der Seewolf zurücklegte, wurde die Wahrscheinlichkeit geringer, daß es Caligu und ihr noch gelingen würde, ihm seine Schätze abzujagen, mit denen sein Schiff bis unter das Oberdeck vollgestopft war.
Maria Juanita wußte nur eins: es mußte etwas geschehen. Nicht morgen, nicht erst in ein paar Tagen, nein, sofort! Diese Kerle sollten nicht lange ihre Wunden lecken, sondern sie sollten einen neuen Angriff wagen.
Sie warf sich in wirren Träumen hin und her. Ihr Schädel schmerzte, und als die Morgendämmerung ihren ersten Schimmer über die Bucht warf, da hatte sie ihren Entschluß gefaßt. Sie sprang auf, warf sich ein paar Kleidungsstücke über und trommelte gleich darauf ihre Mädchen zusammen. Diesem Caligu und seinen Kerlen mußte man einheizen, es wäre doch gelacht, wenn ihr das nicht gelänge. Und zwar genauso, wie sie sich das vorstellte und mit genau dem Erfolg, den sie bezweckte.
Juanita ahnte nicht, daß sie einen schwerwiegenden Fehler beging. Sie hätte wissen müssen, daß bei einem Mann wie Caligu so etwas nicht zog. Sie hätte einkalkulieren müssen, daß er vielleicht ganz anders reagieren würde, als ihr das lieb sein konnte. Aber Maria Juanita tat das nicht, denn ihr Zorn und ihre Gier trübten ihren sonst so scharfen Verstand.
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