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4 Dolmetschen in der Psychotherapie: Forschungsstand
Das folgende Kapitel soll – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen Überblick über die relevante Literatur zum Themenkomplex „Dolmetschen in der Psychotherapie“ bieten, wobei zunächst eine Kontextualisierung dieses Themas im Rahmen des Community Interpreting erfolgt.
4.1 Kontextualisierung in der Translationswissenschaft: Community Interpreting
„Interpreting is an ancient human practice“ (Pöchhacker 2016: 28). Diese Feststellung ist so simpel wie zutreffend und in einer komplexen Dienstleistungsgesellschaft, die auf Differenzierung und Arbeitsteilung aufbaut, alles andere als selbstverständlich. Bei dem in der vorliegenden Arbeit unternommenen Versuch, sich dem Phänomen des Dolmetschens in der Psychotherapie aus verschiedenen Blickwinkeln und mit einem möglichst hohen Grad an Differenzierung zu nähern, ist es notwendig, diese einfache Tatsache, nämlich dass es sich beim Dolmetschen um ein Phänomen handelt, das so alt ist wie die Menschheit selbst, stets im Hinterkopf zu behalten, gerade weil im psychotherapeutischen Kontext Sprache als eine Tür zu den mitunter verschütteten und sorgfältig gehüteten emotionalen Inhalten betrachtet wird. Aus der Sicht der Translationswissenschaft ist das Dolmetschen in der Psychotherapie im Bereich des Community Interpreting (Kommunaldolmetschen) zu verorten. Ein historischer Überblick über die Dolmetschwissenschaft ist bei Pöchhacker (2015: 62–76) zu finden. Unter der Bezeichnung Community Interpreting werden Dolmetschleistungen zusammengefasst, die in Behörden, Institutionen, Krankenhäusern, Gerichten, Polizeistationen u. Ä. erbracht werden, für Personen, die der Landessprache nicht im ausreichenden Maß mächtig sind, um die Dienstleistungen der genannten Einrichtungen in Anspruch nehmen zu können, ohne gröbere Missverständnisse zu riskieren. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Dolmetschbedarf immer einwandfrei festzustellen ist: Je nach Schwierigkeitsgrad der Kommunikation, also je nach Terminologie oder Wichtigkeit des jeweiligen Termins wird seitens der KlientInnen der Versuch unternommen, eine DolmetscherIn mitzubringen bzw. von der jeweiligen Einrichtung zur Verfügung gestellt zu bekommen.
Pöchhacker weist auf Auffassungsunterschiede über den Inhalt und Umfang von Community Interpreting hin, woraus unterschiedliche Definitionen resultieren (2007: 36ff.): Gemeint ist jedenfalls das Dolmetschen innerhalb einer Gesellschaft, also ein „intrasozietäres“ Dolmetschen, in Abgrenzung zum „internationalen“ Konferenzdolmetschen. Eine andere Unterscheidung betrifft die Ungleichheit der Kommunikationspartner: Während die eine Person als Privatperson mit ihren eigenen Anliegen auftritt, ist die andere Person in einer Institution (z. B. Polizei, Gericht oder Krankenhaus) verankert. Das rollenbedingte Machtgefälle betrifft auch den sozialen Status. Vor dem Hintergrund des Machtgefälles ist es für DolmetscherInnen nicht immer möglich, „neutral“ zu agieren, da eine bewusste oder unbewusste Vereinnahmung durch die Interaktionspartner durch die physische Präsenz und Nähe gefördert wird.
Pöchhacker unterscheidet zwischen intersozietären und intrasozietären Einsatzbereichen und liefert eine Aufzählung der Kontexte, in denen gedolmetscht wird (Pöchhacker 2004: 13ff.), wobei Community Interpreting folgendermaßen beschrieben wird:
It was only in the 1980s and 1990s, in the face of mounting communication problems in public-sector institutions (health-care, social services), that ‚interpreting in the community‘ (community-based interpreting) acquired increasing visibility. Thus community interpreting, also referred to as public service interpreting (mainly in the UK) and cultural interpreting (in Canada) emerged as a wide new field of interpreting practice, with healthcare interpreting (medical interpreting, hospital interpreting) and legal interpreting as the most significant institutional domains. (Pöchhacker 2004: 15)
In einer schematischen Darstellung des konzeptuellen Spektrums des Dolmetschens bietet Pöchhacker eine Gegenüberstellung des Konferenzdolmetschens und des Kommunaldolmetschens, allerdings unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Arbeitstechnik des Dialogdolmetschens auch bei Konferenzen zur Anwendung kommen kann, es also Überschneidungen zwischen diesen beiden Kategorien gibt (2016: 17). Das Konferenzdolmetschen findet meist in einem internationalen Zusammenhang statt, während das Kommunaldolmetschen im intrasozietären Bereich angesiedelt ist. Das Konferenzdolmetschen findet typischerweise dort statt, wo sich Menschen in einem multilateralen Umfeld in ihren jeweiligen professionellen Rollen begegnen, mit vergleichbarem Status ausgestattet sind und größtenteils als RednerInnen („one-to-many“) kommunizieren. Das Kommunaldolmetschen dagegen findet dann statt, wenn in einem bilateralen Umfeld ein Fachmann bzw. eine Fachfrau mit einem Individuum kommuniziert („face-to-face“) und ein Machtungleichgewicht der Gesprächssituation immanent ist. In der differenzierten schematischen Darstellung findet der Umstand Berücksichtigung, dass auch im Konferenzdolmetschbereich dialogische Situationen stattfinden können, etwa wenn zwei Staatsoberhäupter ein dolmetschervermitteltes Gespräch führen. Zusammenfassend hebt Pöchhacker das wichtigste Alleinstellungsmerkmal für den Bereich des Community Interpreting mit folgenden Worten hervor: „In particular, the nature of community interpreting is best understood by bearing in mind that one of the parties involved is an individual human being, speaking and acting on his or her own behalf.“ (2016: 17). Die Betonung des Individuums ist im psychotherapeutischen Bereich von größter Relevanz.
Bancroft fasst die Bezeichnungen für die Tätigkeit im Bereich des Community Interpreting zusammen (2015: 218):
Public service interpreting
Liaison interpreting
Bilateral interpreting
Dialogue interpreting
Community-based interpreting
Bidirectional interpreting
Triangle interpreting
Cultural interpreting
Cultural (or intercultural) mediation
Consecutive interpreting
Contact interpreting
Face-to-face interpreting
Triad interpreting
Discourse interpreting
Social or intra-social interpreting
Language mediation
Es gibt also eine beträchtliche Anzahl an Bezeichnungen, um eine Tätigkeit zu beschreiben, die laut Bancroft auf einem simplen Konzept beruht: „Community interpreting is founded on a simple concept: giving a voice to those who seek access to basic services but do not speak the societal language“ (Bancroft 2015: 217). Die Vielzahl an Bezeichnungen ist Ausdruck der Vielfalt ebenso wie Ausdruck der fehlenden Regulierung bzw. Standardisierung dieser Tätigkeit.
Hale betont die hohe Verantwortung von KommunaldolmetscherInnen für die Lebenssituationen der KlientInnen und stellt mit Bedauern fest, dass der niedrige soziale Status der Klientel gewissermaßen auf die KommunaldolmetscherInnen abfärbt, während im Gegenzug KonferenzdolmetscherInnen in den Genuss eines erhöhten Status kommen, da ihre KlientInnen in der Regel mit einem stärkeren finanziellen Hintergrund und höherer gesellschaftlicher Anerkennung ausgestattet sind (Hale 2007: 27).
Zahlreiche Publikationen und Arbeiten, die sich mit dem Thema Community Interpreting befassen, sind für den Bereich der Psychotherapie relevant und liefern wertvolle Anregungen, etwa gesammelte Aufsätze zum Thema Sprache und Translation in der Rechtspraxis, in denen die AutorInnen sich mit unterschiedlichen Aspekten der verdolmetschten Kommunikation im Asylverfahren und bei Behörden auseinandersetzen, wie z. B. Rienzner & Slezak (2010). Eine kompakte Zusammenschau der Situation des Community Interpreting in Deutschland bietet Slapp 2004. Ein Überblick über die Forschung zum Kommunaldolmetschen in Österreich ist bei Grbić & Pöllabauer (2006) zu finden.
4.1.1 Vergleich mit dem Konferenzdolmetschen: Faktor Professionalisierung
Die Betrachtung des Community Interpreting erfolgt häufig unter dem Blickwinkel des hoch entwickelten Konferenzdolmetschbereichs, wodurch die Defizite im Bereich Community Interpreting stark zu Tage treten: fehlende Standards, fehlende Zertifizierungsverfahren, fehlende Karrieremöglichkeiten, niedrige Löhne.1 Die Grenzen zwischen dem professionellen Dolmetschen und dem nichtprofessionellen oder natürlichen Dolmetschen sind fließend (Pöchhacker 2016: 23).
Bahadır ortet im Hinblick auf Professionalisierungsbestrebungen im Community Interpreting die Tendenz, das „Problematische“ dieses Kontexts „korrigieren“ zu wollen, und zwar in Anlehnung an das etablierte und anerkannte Berufsbild des Konferenzdolmetschers (2007: 218). Sie selbst zieht ebenfalls einen Vergleich zwischen dem Konferenzdolmetschen und dem Community Interpreting und spricht – polemisierend – von der „großen Schwester, die es geschafft hat“ (2007: 219), im Unterschied zum „enfant terrible“ Community Interpreting, das „weder drinnen noch draußen ist, die Tätigkeit des Simmelschen Fremden, eine Dazwischentätigkeit, weder so richtig Konferenzdolmetschen noch so richtig etwas Anderes“ (2007: 220). Die Professionalisierungsbestrebungen im Community Interpreting im Hinblick auf Standardisierungsverfahren, Formulierung von Normen und Bildung von Verbänden werden von Bahadır als ein sinnloses „Hinterher-Rennen“ charakterisiert. Einerseits ist es wohl tatsächlich vergeblich, im Asyl- und Migrationsbereich ähnliche Standards erreichen zu wollen wie im hochdotierten, hochfunktionalen und hochentwickelten Konferenzbereich (insofern hat Bahadır wohl nicht unrecht, wenn sie vom „sinnlosen Hinterher-Rennen“ spricht). Andererseits sind Professionalisierungsbestrebungen unbedingt zu begrüßen, da alle Beteiligten davon profitieren: die KlientInnen, die deutschsprachigen AbnehmerInnen der Dolmetschdienstleistung und die DolmetscherInnen selbst, denn ein höherer Grad an Professionalisierung führt zu mehr Selbstbewusstsein, einem breiteren Entscheidungsspielraum im Falle von berufsethischen Dilemmata und möglicherweise irgendwann auch zu höheren Honoraren und besseren Beschäftigungsverhältnissen. Was den letzten Punkt anbelangt, scheint sich derzeit im Sozialbereich jedoch keine solche Tendenz abzuzeichnen, wenn auch davon auszugehen ist, dass durch den Zustrom von Flüchtlingen der Asyl- und Migrationsbereich als solcher einen „Boom“ erleben wird bzw. derzeit bereits einen Boom erlebt; ob dies zu einer Erhöhung der Löhne in dem Bereich führen wird, bleibt abzuwarten bzw. zeichnet sich derzeit nicht ab.
„Community Interpreting takes the interpreter into the most private spheres of human life“ stellt Hale fest – im Unterschied zu Konferenzen und Geschäftsverhandlungen, bei denen politische Entscheidungen oder neueste wissenschaftliche Entdeckungen diskutiert werden (2007: 25). In einer schematischen Darstellung fasst Hale die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen dem Konferenzdolmetschen und dem Community Interpreting zusammen, wobei sie unter anderem Merkmale wie Sprachregister, Dolmetschmodus (simultan, konsekutiv, Flüsterdolmetschen, Vom-Blatt-Dolmetschen) berücksichtigt. Die Konsequenzen einer ungenauen Wiedergabe werden für das Konferenzdolmetschen als „mittelgradig“ eingestuft, bei Community Interpreting jedoch als „hochgradig“. Hale kritisiert die signifikant schlechtere Entlohnung im Community Interpreting, mit dem Hinweis darauf, dass bei Konferenzen die wichtigsten Entscheidungen ohnehin am Rande des Geschehens, ohne die DolmetscherInnen, gefällt würden, die DolmetscherInnen also eher Teil der Inszenierung seien als tatsächlich unabdingbar für die Verständigung; im Unterschied dazu wären die KlientInnen im Asyl- und Migrationsbereich gar nicht in der Lage, ohne die Hilfe der DolmetscherInnen zu kommunizieren, noch dazu, wo es z.T. um Angelegenheiten von großer Bedeutung für das weitere Schicksal der KlientInnen gehe. Hale zieht daraus die Schlussfolgerung:
This suggests that the onus on the community interpreter to perform a high quality job is much greater than a conference interpreter because of what is at stake. Yet community interpreters, with much greater demands than conference interpreters, recieve much lower pay and have little status as professionals. (Hale 2007: 33)
Dieser Aussage ist grundsätzlich zuzustimmen – die Arbeit der DolmetscherInnen im Kommunalbereich sollte auf jeden Fall besser entlohnt werden – und dennoch gibt es auch einen gewichtigen Einwand gegen die von Hale vorgebrachte Schlussfolgerung: Wie unter 3.3.2.3 festgestellt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass ein qualifizierter Konferenzdolmetscher die sprachlichen Herausforderungen im Bereich des Community Interpreting gut bewältigen kann. Der Umkehrschluss gilt jedoch nicht: die sprachlichen, kognitiven, terminologischen und arbeitstechnischen Anforderungen in der Dolmetschkabine können sehr hoch sein, auch dann, wenn die Dolmetschung bloß Teil einer „Inszenierung“ ist: Es ist die Aufgabe des Dolmetschers in diesem Moment, diese „Inszenierung“ aufrecht zu erhalten, und dazu benötigt er nun einmal das nötige Wissen und Können, sowie auch die nötige Erfahrung – das sind Faktoren, die man bei Community Interpreters nicht voraussetzen kann.
Eine Zusammenschau relevanter Faktoren des Community Interpreting ist bei Ahamer zu finden (2013: 53-140): Darin setzt sie sich kritisch mit der Problematik des Terminus „Community Interpreting“ in Theorie und Praxis auseinander und geht der Frage nach, wo „laienhaftes“ Dolmetschen aufhört und „professionelles“ beginnt. Ein Ausdruck der mangelnden Professionalisierung im Kommunaldolmetschen ist jedenfalls der Umstand, dass mitunter auch Kinder2 und Jugendliche zum Dolmetschen herangezogen werden – der Hauptgegenstand von Ahamers Untersuchung: Ahamer hat untersucht, wie jugendliche Migranten diese Aufgabe bewältigen, und kommt unter anderem zu folgenden Erkenntnissen: mehrsprachige Kommunikation in öffentlichen Institutionen wird in einem hohen Ausmaß von Kindern bestritten, und das Dolmetschen birgt für die betroffenen Kinder, ihre Eltern und die Institutionen Risiken in sich; zugleich kann das Dolmetschen eine Ressource für die Kinder und Jugendlichen sein, im Sinne der Sprachförderung und als ein positiver Impuls für die Persönlichkeitsentwicklung (2013: 368ff.). Bei psychotherapeutischen Gesprächen kommt es sehr selten vor, dass Familienangehörige als DolmetscherInnen eingesetzt werden, allerdings sind solche Einzelfälle nicht auszuschließen. Beispielsweise kommt es vor, dass in tschetschenischen Familien nicht alle Familienmitglieder der russischen Sprache in einem ausreichenden Maße mächtig sind, um sich über alle für sie relevanten Themen unterhalten zu können. Die Sprechfähigkeit kann auch durch körperliche Verletzungen oder angeborene Sprechschwierigkeiten beeinträchtigt sein – in solchen seltenen Fällen kann es vorkommen, dass eine Person nicht alleine die psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nimmt, sondern mit Hilfe eines nahestehenden Familienmitglieds, unter Umständen eines Jugendlichen. Die Präsenz von quasi zwei DolmetscherInnen im Raum erfordert viel Feingefühl seitens der PsychotherapeutIn aber auch seitens der DolmetscherIn, zum einen um sicherzustellen, dass die Wortmeldungen tatsächlich von derjenigen Person stammen, an welche die Fragen gerichtet wurden (und nicht etwa von dem ad-hoc als DolmetscherIn eingesetzten Familienmitglied), und zum anderen um eine Situation herzustellen, in der alle Beteiligten das Gefühl haben, sich im ausreichenden Maße Gehör verschaffen zu können.
Auch bei Kadrić et al (2005) ist eine Auseinandersetzung mit der Unterscheidung zwischen professioneller und unprofessioneller Translation zu finden (S. 21ff.). Es wird auf „eine schleichende und systematische Abwertung des Berufs“ (S. 21) hingewiesen, die unter anderem damit zu tun hat, dass zahlreiche Übersetzungen und Verdolmetschungen von Laien angefertigt werden, wodurch sich eine zunehmende Kluft zwischen dem Qualitätsanspruch professioneller TranslatorInnen und der Realität am Markt bildet. Die zunehmende Präsenz von Laien am Markt ist auf zwei Gründe zurückzuführen: Zum einen nehmen viele Auftraggeber an, eine Person, die eine Fremdsprache spricht, wäre automatisch imstande zu übersetzen oder zu dolmetschen.3 Zum anderen sind die Honorare im Asyl- und Sozialbereich für professionell ausgebildete DolmetscherInnen nicht attraktiv, da diese in anderen Kontexten wesentlich besser entlohnt werden. Dieses Dilemma ist schwer lösbar, da der Umstand, dass soziale und „helfende“ Berufe tendenziell schlecht entlohnt sind, dazu führt, dass ganze gesellschaftliche Segmente davon betroffen sind, sodass die DolmetscherInnen keine Ausnahme bilden.
Aus der Tatsache, dass der Dolmetscherberuf nicht geschützt ist und somit professionell ausgebildete DolmetscherInnen neben Laien am Markt vertreten sind und viele AuftraggeberInnen sich dieser Unterscheidung gar nicht bewusst sind, erwachsen Anforderungen an den Berufsstand:
Der Berufsstand spricht für sich und über sich, er stellt sich selbst dar, indem er seine Werte und Standards, seine Stärken und Kompetenzen, seine Überzeugungen und andere besondere Merkmale, die für den Berufsstand als Ganzes und Besonderes stehen, entwickelt und definiert. Durch die Möglichkeiten, sich als eigenständige und professionell agierende Berufsgruppe in der Gesellschaft zu positionieren und sich damit nicht zuletzt von den Laien klar zu distanzieren und zu unterscheiden, wird auch ein Beitrag zur öffentlichen Bewusstseinsbildung über den Beruf der Translatorin geleistet. (ebda., S. 25)
„Sich von den Laien klar zu distanzieren und zu unterscheiden“ ist eine nachvollziehbare und notwendige Forderung an einen professionellen Berufsstand, jedoch gilt es zu bedenken, dass in der Praxis – beispielsweise in den von mir untersuchten Traumabehandlungszentren – Laien und Profis Seite an Seite, als gleichberechtigte Mitglieder eines Teams arbeiten. In solchen Zentren ist es im Alltag nicht nur nicht möglich, „sich von den Laien klar zu distanzieren und zu unterscheiden“, es wäre auch nicht wünschenswert, da das Arbeitsklima massiv darunter leiden würde. Berechtigterweise kann man die Frage stellen: Ist es denn nicht ungerecht, dass ausgebildete DolmetscherInnen, die viel Zeit und Mühe in ihre Ausbildung investiert haben, gleich viel verdienen wie Laien? In der Praxis, also direkt vor Ort in den betreffenden Einrichtungen, würde eine solche Frage zahlreiche andere Fragen (nach der Qualitätskontrolle etc.) nach sich ziehen und für Sprengstoff sorgen. Eine Diskussion um eine unterschiedliche, ausbildungsbezogene Entlohnung innerhalb einer Einrichtung, in der die DolmetscherInnen in der Regel gegenseitig für einander einspringen, um Fehlstunden zu vermeiden, was im Grunde bedeutet, dass sie „die gleiche Arbeit“ leisten, bzw. dass ihnen die gleichen Aufgaben „zugemutet“ werden, oder, anders gesagt, dass ihre Arbeitsleistung den KlientInnen und den PsychotherapeutInnen gleichermaßen „zugemutet“ wird, müsste mit sehr viel Taktgefühl geführt werden, um die Entstehung einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ und einer daraus resultierenden „Neiddebatte“ unter den DolmetscherInnen innerhalb einer einzelnen Einrichtung zu verhindern.
4.1.2 Anforderungen an die DolmetscherInnen im Bereich Community Interpreting
Welche Anforderungen werden an die DolmetscherInnen im Kommunalbereich gestellt? – Diesem Thema widmet sich Pöchhacker ausführlich (2007: 237ff.), ausgehend von einer breit angelegten Studie in Wiener Gesundheits- und Sozialeinrichtungen. Die Anforderungen an die KommunaldolmetscherInnen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen an die KonferenzdolmetscherInnen. Allerdings wird von KommunaldolmetscherInnen erwartet, dass sie gegebenenfalls eine aktivere Rolle einnehmen und, wenn nötig, ihren Beitrag zur Klärung von eventuell auftretenden Missverständnissen leisten. Ein Stichwort in diesem Kontext ist advocacy (Fürsprecherrolle), ein Begriff, der für Kontroversen sorgt (2007: 242).
Es stellte sich heraus, dass die wichtigste Anforderung seitens der NutzerInnen an die DolmetscherInnen „Diskretion und Verschwiegenheit“ ist, gefolgt von einem „absolut neutralen Verhalten“ (S. 248f.). Es ergibt sich insgesamt das Bild eines komplexen Aufgabenprofils, im Rahmen dessen die DolmetscherInnen nicht „nur“ dolmetschen sollen, sondern auch erklärend zusammenfassen, die Ausdrucksweise des medizinischen Personals vereinfachen und Fachbegriffe erklären sollen. Damit wird den DolmetscherInnen gewissermaßen die Verantwortung auferlegt, sicherzustellen, dass die KlientInnen (PatientInnen) auch tatsächlich alles verstehen.
Anderson räumt ein, dass der Dolmetscher als ein „man in the middle“ beiden KlientInnen gegenüber verpflichtet ist, allerdings sind diese Verpflichtungen nicht zwangsläufig miteinander kompatibel: „The interpreter’s role is always partially undefined“ (2002: 211), und zudem kommt es zu einem „role overload“, insofern als vom Dolmetscher häufig mehr erwartet wird als „nur“ zu dolmetschen. Anderson betont, dass der Dolmetscher mitunter Druck von beiden Seiten verspürt und mit der Situation umgehen muss, dass es nicht möglich ist, allen Beteiligten (einschließlich sich selbst) gerecht zu werden: „No matter what he does, one of them is apt to be displeased“ (2002: 211). Rollenkonflikte scheinen also vorprogrammiert zu sein, wobei die Rollenambiguität die Position des Dolmetschers einerseits schwächt, die Unentbehrlichkeit des Dolmetschers jedoch wiederum mit einer gewissen Macht einhergeht.
4.2 Das psychotherapeutische Setting: grundsätzliche Überlegungen
Alexieva unterscheidet dolmetscherunterstützte Gesprächssituationen je nach dem, welches Ziel beim Gespräch primär verfolgt wird, ob es also darum geht, Wissen auszutauschen, eine kollektive Entscheidung zu fällen (z. B. eine gemeinsame Strategie erarbeiten) oder konfligierende Zielvorstellungen zu diskutieren (2002: 229).
Das psychotherapeutische Setting lässt sich nicht eindeutig einer der gebotenen Kategorien zuordnen, jedoch bietet Alexievas Typologie ein brauchbares Schema, um die Eckpunkte der kommunikativen Situation in der psychotherapeutischen Triade zu beschreiben: Es findet ein Wissensaustausch statt, insofern als die PsychotherapeutIn durch gezieltes Nachfragen Informationen über das Leben und Erleben der KlientIn in Erfahrung bringt und sich das nötige Wissen aneignet, um Entscheidungen über das weitere Vorgehen im psychotherapeutischen Arbeiten zu treffen. Da eine stark ausgeprägte Machtasymmetrie der psychotherapeutischen Gesprächssituation immanent ist, erfährt die KlientIn nichts oder nur sehr wenig über das Leben der PsychotherapeutIn. Dennoch ist die KlientIn selbstverständlich nicht ausgeschlossen vom Wissenstransfer, da das gezielte Nachfragen der PsychotherapeutIn einen Prozess des Sich-selbst-besser-Kennenlernens initiiert: Indem die KlientIn auf die Fragen der PsychotherapeutIn eingeht (oder auch bewusst darauf verzichtet, diese wahrheitsgemäß zu beantworten), nähert er/sie sich den eigenen (belastenden) Inhalten und Erinnerungen, für die im Alltag wenig Raum zur Verfügung gestellt wird.
Die zweite Kategorie bei Alexieva, also die Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie, trifft ebenfalls auf das psychotherapeutische Setting zu, auch wenn es sich, wie bereits erwähnt, um eine asymmetrische Gesprächssituation handelt. Jede Psychotherapie ist anders, und auch jede Therapiestunde ist anders. Es handelt sich um nicht wiederholbare, nicht standardisierte Gesprächssituationen, die keiner bestimmten Routine folgen, was aber nicht bedeutet, dass die Gespräche der Beliebigkeit preisgegeben oder dem Zufall überlassen werden. Die PsychotherapeutInnen kommunizieren – oder sollten es jedenfalls tun – auf eine reflektierte, bewusste Weise, während die KlientInnen keinem solchen Anspruch genügen müssen. Die Tatsache, dass es den PsychotherapeutInnen obliegt, das Gespräch zu lenken und gewissermaßen die Oberhand zu behalten, bedeutet nicht, dass der KlientIn eine passive Rolle zukommt. Vielmehr ist eine Therapie immer Ergebnis gemeinsamer Bemühungen von TherapeutIn und KlientIn gleichermaßen. Auch wenn eine Therapie kurz- oder langfristig der KlientIn Erleichterung verschaffen kann und soll, ist Erleichterung nicht das primäre Ziel einer Therapie; insofern ist es wichtig, auch für die DolmetscherIn, nachzuvollziehen, dass eine Therapie kein „Wohlfühlprogramm“ sein kann, auch wenn das Wohlbefinden und das Wohlfühlen der KlientIn selbstverständlich anzustreben sind. Zu einer Therapie gehören auch Irritationen und Konflikte, und es ist Aufgabe der DolmetscherInnen, diese zu transportieren und zu ermöglichen und dabei der Versuchung zu widerstehen, Unangenehmes „unter den Teppich zu kehren“ oder „glattzubügeln“. Um wieder auf Alexievas Typologie zurückzukommen, die therapeutische Strategie wird stets gemeinsam mit der KlientIn ausgearbeitet, oder, um es anders auszudrücken, eine Therapie kann niemals gegen den Willen und gegen den Widerstand der KlientIn erfolgen, sondern nur auf freiwilliger Basis und mit einer aktiven Beteiligung der KlientIn.