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«Warum?», meinte der beleidigt, «du hast doch gesagt, es seien ein Junge und ein Mädchen.»
Hektor zündete sich eine Zigarette an, doch als er Pacos Blick sah, schnippte er sie weg und zertrat sie. «Findest du es gut, dass die Kinder unsere Namen wissen?»
Paco nahm ein Messer und eine Packung Kabelbinder aus der Reisetasche. «Schon vergessen? Wenn das hier vorüber ist, sind wir nicht mehr in diesem Land. Es spielt absolut keine Rolle, wer unsere Namen kennt. Und ausserdem» – er schaute zu den Kindern hinüber und sagte feixend – «wird es vielleicht gar niemanden mehr geben, der das weitererzählen kann. Nicht wahr?»
«Sie sind ein Scheusal!», rief Lorena. «Unser Vater wird uns retten!»
«Das bezweifle ich.» Paco zerschnitt die Fesseln der Kinder und warf sie in den Abfalleimer. «Und jetzt zieht diese Kleider an. Wir wollen ja nicht, dass ihr euch bei dem garstigen Wetter noch eine Erkältung holt. Danach kriegt ihr feine, neue Fesseln.» Er zählte vier Kabelbinder ab und wartete.
Lukas schlüpfte aus seinem Pyjama und zog Jeans, T-Shirt, Pulli und Socken an. Dann schnürte er sich die Turnschuhe zu. Lorena stand stocksteif daneben, hielt die Arme vor der Brust verschränkt und kniff den Mund zusammen. Caleb reichte ihr das weisse Röckchen wie eine heilige Gabe und leckte sich hastig über die Lippen.
10
Jeff stand unter der Dusche, als er die nervige Melodie eines Telefons klingeln hörte. Fluchend schlang er sich ein Tuch um die Hüften und tappte mit nassen Füssen aus dem Badezimmer. Das Gedudel wurde leiser. Erstaunt eilte er zurück ins Bad. Kam es von hier? Aber wo war das Handy? Er lauschte. Das Geräusch schien direkt aus der Wand zu kommen. Jeff schaute im Apothekerschränkchen nach – leer, ausser Tabletten gegen Kopfschmerzen und Ersatzrasierklingen. Er schaute im Toilettenspülkasten nach, klopfte die Kacheln ab, da verstummte das Telefon. Neben dem Spiegel hing ein mit Klebestreifen an der Wand befestigtes Plastikposter im A4-Format, das einen Tiger im Sprung zeigte. Jeff riss es weg. Dahinter war ein Hohlraum, nicht grösser als eine Hand. Ein Mobiltelefon lag darin, ein Taschenmesser und ein Pass. Es war seiner. Seltsam berührt betrachtete er das Foto, das einige Jahre alt zu sein schien; er war etwas voller im Gesicht gewesen und hatte sogar ein Lächeln zustande gebracht. Er erfuhr, dass er 1,78 Meter gross war, aus Schaffhausen stammte und dass sein Name Jonas Leemann lautete. Jonas, nicht Jeff.
Er untersuchte das Handy. Einige Nummern waren gespeichert, doch die Angaben waren noch dürftiger als diejenigen in seinem Adressbuch und bestanden nur aus Anfangsbuchstaben. Unter «zuletzt gewählte Nummern» stand «Anrufliste gelöscht». Er wählte den Ordner «empfangene Anrufe» und las «unterdrückte Rufnummer». Na toll. Irgendeiner hatte ihn vor zwei Minuten angerufen, und es war unmöglich herauszufinden, wer es gewesen war.
In diesem Moment quietschte die Wohnungstür. Jeff stopfte die Sachen in die Tasche seiner Hose, die über dem Waschbecken hing, pappte das Tigerbild notdürftig über den Hohlraum und trocknete sich die Haare, als Paddy hereinkam.
«Na, Alter, von den Toten auferstanden? Du hast ja einen richtigen Abgang gemacht nach dem letzten Knall. Jesus, ist das ein Dampf! Hast du einen auf Sauna gespielt oder was? Reiss das Fenster auf, sonst gibt’s Schimmel im Badezimmer!»
«Paddy, wie heisse ich?», fragte Jeff und hängte das Badetuch über die Heizung.
«Mann, auch das weisst du nicht mehr?»
«Ich meine, wie lautet mein richtiger Name? Kennst du den?»
«Den will ich nicht kennen, Alter! Ich bin Paddy, du bist Jeff, das reicht. Je weniger wir voneinander wissen, desto weniger kriegen die Bullen aus uns raus. So haben wir’s immer gehalten.»
«Und uns nennst du Freunde?», bemerkte Jeff spöttisch. «Wir wissen nicht mal unsere Namen?» Er zog einen sauberen Pulli und frische Socken an. Dann öffnete er das Fenster und liess die kühle Winterluft herein. «Das find ich irgendwie erbärmlich.»
Paddy zuckte mit den Schultern und sagte: «Mehr liegt nicht drin. Andere haben nur Feinde. Wir haben wenigstens einander. Übrigens: du trägst meinen Pulli.» Er ging aus dem Badezimmer. Auf dem Gang drehte er sich nochmals um und sagte: «Und du hast das Tigerbild verkehrt rum aufgehängt.»
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