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Keine Frage, dass auch chinesische Politik da, wo es ihr im eigenen Interesse nötig erscheint, zu mehr oder weniger heftigen Erpressungen greift und dafür die Mittel einsetzt, die sie sich in den letzten Jahren erworben hat: die ökonomischen Abhängigkeiten anderer Staaten, die chinesische Waren oder Kredite brauchen oder an China verkaufen müssen. Keine Frage auch, dass es deshalb Unzufriedenheit mit den geschäftlichen Konditionen oder dem „arroganten“ Auftreten der Chinesen gibt. Das gibt das Material dafür ab, China für seinen „neuen Imperialismus“ anzuklagen. Allerdings: Das ist das übliche Geschäftsgebaren in einer Welt konkurrierender Kapitale und Staaten. Erneut gilt hier, dass die Beschwerden über ein China, das nicht anders handelt als die etablierten Macher der geltenden Weltordnung, weniger die Besonderheit des chinesischen Aufstiegsprojekts als die Anspruchshaltung von USA und EU charakterisieren: Sie wollen die Nutznießer der globalen Konkurrenz sein und verlangen unbedingte politische Gefolgschaft der Nationen, die sie sich in ihren ökonomischen und politischen Bündnissen zugeordnet haben. Und es ist auf alle Fälle das, was es braucht, wenn ein Staat auf dem Weltmarkt erfolgreich sein und in dieser Ordnung Weltmacht sein will; die USA machen es schließlich täglich vor. Auch die EU und insbesondere ihre ökonomische Führungsmacht Deutschland verfahren nach demselben Rezept, haben sich Ost- und Südeuropa untergeordnet und können es überhaupt nicht leiden, wenn Beijing diesen Staaten auch nur bessere Verhandlungsmöglichkeiten gegen die „alternativlosen“ Ansagen aus Brüssel und Berlin beschert.
China will das momentan geltende Resultat dieser Weltordnung, die die USA nach 1945 zu ihrem Vorteil eingerichtet und nach 1990 als alleinige Weltmacht vollendet haben, zu seinen Gunsten verändern. Mit seiner Neuen Seidenstraße will es die Bedingungen des weltweiten Geschäfts für die kommenden Jahrzehnte zu seinem Nutzen festklopfen. So will das frühere „Reich der Mitte“ endlich die „ihm gebührende“ Weltmachtstellung wiedergewinnen – das ist die Ebene 3 des Projekts. Dieses Verlangen ist eine ernsthafte Kampfansage an die USA als Hegemon der bisherigen Weltordnung – auch wenn es aus der Position der schwächeren Nation heraus bescheiden in den Antrag auf eine „multilaterale Welt“ gekleidet wird.
Chinas kommunistische Staatspartei sorgt im Inneren mit all ihrer Macht und dem bereits verdienten Geld dafür, möglichst schnell und intensiv alle Landesteile zu erschließen und Land und Volk zu einer ständig größer werdenden kapitalistischen ,Wachstumsmaschinerie‘ zu machen. Sie weiß, dass der Aufstieg des Landes schwerlich zu stoppen ist, wenn dieses Programm im Inneren ebenso ungestört weiter läuft wie die mit BRI in Angriff genommene Expansion. Und sie weiß, dass das auch den USA bewusst ist, die den lästigen Rivalen in Asien stoppen wollen und mit Handelskriegen, geostrategischer Einkreisung und der Befeuerung islamistischer oder tibetischer Separationsbestrebungen an seinen „empfindlichen“ Punkten ansetzen: seinen Weltmarkterfolgen und seiner staatlichen Hoheit. Deshalb wächst mit Chinas weltweiten Wirtschaftsinteressen auch sein Bedarf an militärischen Mitteln der „nationalen Sicherheit“, um den eigenen wirtschaftlichen Aufstieg gegen die Aggression des Westens abzusichern.41
Der Kampf der USA
Natürlich ist der Gegensatz zwischen den USA und China nicht mit der „Neuen Seidenstraße“ in die Welt gekommen, ebenso wenig übrigens wie mit dem Amtsantritt von Donald Trump. Auch wenn alle journalistischen oder wissenschaftlichen Beobachter nichts vom Grund des Gegensatzes dieser Großmächte wissen wollen – die Konkurrenz um den Nutzen aus dem Welthandel ist, bei aller Verflechtung von „Chimerica“ und bei allem Geschwätz vom globalisierten Welthandel „zum Nutzen aller“, in der letzten Instanz ausschließend, feindlich, kriegsträchtig! –, haben inzwischen doch alle irgendwie mitgekriegt: Dieser Konflikt ist nicht auflösbar; er ist da und er wird, auch ohne Trump, bleiben (bis es kracht).
Schon vor Trump gab es diverse Anläufe der US-Präsidenten, den schnellen Aufstieg Chinas zu behindern: mit den Beitrittsverhandlungen zur und danach innerhalb der WTO; indem die USA im Zuge der Finanzkrise ein verstärktes Gewicht Chinas im IWF blockiert haben; mit der Konstruktion diverser Freihandelsabkommen, die sich gegen China richteten (TPP und TTIP). Dass einige außenpolitische US-Aktivitäten Staaten aufs Korn genommen und schwer geschädigt haben, die gute Handelsbeziehungen zu China unterhielten (Iran, Sudan, Libyen) ist sicher auch kein Zufall, sondern zumindest gewollter Kollateralschaden. Trump hat die Palette der US-Bemühungen dann erweitert: massive Schutzzölle, die chinesische Waren verteuern; Nötigung amerikanischer Unternehmen, ihre Investitionen in die US-Heimat (zurück) zu verlagern; ein Gesetz, das chinesische Firmenkäufe in den USA unter Aufsicht stellt; eine Neuauflage der Cocom-Liste, die im Kalten Krieg den Export militärisch nutzbarer Technologie verhindert hat. Er hat seine Experten eine Strategie des „Decoupling“ ausarbeiten lassen, um notfalls alle ökonomischen Beziehungen zum chinesischen Feindstaat zu unterbrechen. Und er bekämpft mit dem Technologiekonzern Huawei exemplarisch das modernste chinesische Kapital, das sich gerade angeschickt hat, viele westliche Staaten mit seiner 5-G-Technik auszurüsten, die für viele künftige Schritte bei der Digitalisierung von Produktion, Transport und Kommunikation gebraucht wird (Stichwort: Industrie 4.0) und als Schlüsselindustrie wie Herrschaftsinstrument in der künftigen Konkurrenz der Unternehmen wie Nationen deshalb unverzichtbar ist.
Die ersten Schritte des neuen US-Präsidenten Joe Biden machen deutlich, dass er die China-Politik seines „unmöglichen“ Vorgängers Trump konsequent weiterverfolgen wird.
Unmittelbar nach seiner Amtseinführung unterzeichnete Biden, der seine China-Politik unter das Motto „extremer Wettbewerb“ stellt, eine Verordnung, der zufolge US-Regierungsbehörden nur im eigenen Land erstellte Waren und Dienstleistungen kaufen sollen (dabei handelt es sich um einen Umfang von etwa 600 Mrd. Dollar). Der zulässige Anteil im Ausland hergestellter Bauteile wird gesenkt, Ausnahmegenehmigungen erschwert.42 Bemerkenswert an diesen Kämpfen der Weltmacht ist: Sie offenbaren, dass den USA ihr bisheriges Konkurrenzmittel abhandenkommt. Bisher waren sie die Macht, die auf Freiheit im Welthandel und dem Abbau aller (Zoll-)Schranken beharrt hat – weil sie als kapitalistisch produktivste Ökonomie auf diese Art und Weise überall in der Welt Geschäft machen oder finanzieren konnte, damit also sicher den meisten Profit erzielte. Bisher waren sie die Macht, die allen anderen Staaten modernste Technik verkaufen konnte – nun nötigen oder bestechen sie andere Nationen, nicht bei China zu kaufen. Die Vereinigten Staaten sind dabei durchaus in der Lage, einiges für diese Politik in die Waagschale zu werfen: Die Drohung mit ökonomischen Nachteilen ist für jedes Land dieser Welt eine heikle Frage angesichts dessen, was seine Kapitale und Banken in den USA erwirtschaften bzw. angesichts dessen, was ein eventueller Ausschluss vom internationalen Finanzmarkt bedeuten kann, auch wenn man gar nicht unmittelbar mit oder in den USA handelt.
Internationale Handels- und Investitionsabkommen
China versucht, mit dem Abschluss von internationalen Handels- und Investitionsabkommen dagegen zu halten. Mitte November 2020 wurde in Hanoi RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) unterzeichnet und damit die weltweit größte Freihandelszone begründet (2,2 Mrd. Menschen, rund 30 % des Welthandels). Zu den Unterzeichnern gehören die zehn ASEAN-Staaten, China, Japan, Südkorea sowie Australien und Neuseeland; Indien zog sich kurz vor Vertragsabschluss aus dem Projekt zurück, da es befürchtet, der chinesischen Konkurrenz in vielen Wirtschaftszweigen nicht gewachsen zu sein. Damit ist es China gelungen, die Staaten, die die USA zuvor in ihre transpazifische Partnerschaft gegen China einbinden wollten (TPP, das Donald Trump zu Beginn seiner Präsidentschaft abrupt gekündigt hat), nun seinerseits zu einer Freihandelszone zusammen zu schließen.
Ende Dezember 2020 haben die EU und China ein Investitionsabkommen unterzeichnet. In öffentlichen Stellungnahmen betont die chinesische Seite, dass der Vertrag das Interesse beider Parteien an weiter wachsenden Investitionen (bisher betragen die EU-Investitionen in China 180 Mrd. Dollar, die Chinas in die EU 138 Mrd. US-Dollar) auch gegen US-amerikanischen Druck zum Ausdruck bringe – das ist ein Zeichen, auf das die Volksrepublik zurzeit viel Wert legt.1 Tatsächlich wäre die EU und gerade Deutschland empfindlich getroffen, wenn „Decoupling“ ernsthaft durchgesetzt würde. Die Europäische Handelskammer in China hatte deshalb angesichts der ersten bereits eingeleiteten Maßnahmen auf US-amerikanischer Seite und den Reaktionen aus der Volksrepublik in einer Studie gewarnt: „Direkte Marktzugangshindernisse wie Negativlisten und nationale Sicherheitsmaßnahmen werden durch indirekte Hindernisse wie nationale Standards oder Lizenzanforderungen ergänzt. Die Studie, betonte EUCCC-Präsident Jörg Wuttke auf der Pressekonferenz, wolle auch darauf hinwirken, dass Administrationen in China und in den USA erkennen, wie schädlich Decoupling für die Wirtschaft sei.“2
Die EU ihrerseits lobt am Investitionsabkommen, dass sie durch harte, sieben Jahre dauernde Verhandlungen weitgehende Zugeständnisse erreicht habe (neue Regeln für den „Zwangstransfer“ von Technologie, Öffnung vieler Wirtschaftszweige, darunter „Fahrzeuge, Cloud- und Finanz-Dienstleistungen, Gesundheitsversorgung“). Es ist zu vermuten, dass die feindselige Haltung der USA gegenüber der Volksrepublik der EU Verhandlungsvorteile verschafft hat.
Mit dieser Politik untergraben die amerikanischen Politiker allerdings die Prinzipien der Weltordnung, die sie selbst nach Weltkrieg II eingerichtet haben: Souveräne Staaten, die in freier kapitalistischer Konkurrenz nach ihrem Vorteil streben.
Für dieses Prinzip steht inzwischen der chinesische Präsident Xi Jingping ein – ein deutlicher Ausdruck dessen, welche Nation im Augenblick den Nutzen aus dieser von den USA geschaffenen Weltordnung zieht …
Insofern hat der amerikanische Verteidigungsminister Mark Esper nicht überraschend auf der Münchener Sicherheitskonferenz des Jahres 2020 Bilanz gezogen und die Nato-Alliierten zu einer klaren Entscheidung gedrängt.43 Esper hat an den WTO-Beitritt Chinas vor 20 Jahren erinnert (den er mitverhandelt hat): Ein Teil der US-Delegation hätte gehofft, durch verstärkte ökonomische Liberalisierung auch die politische voranzutreiben und China zu einem „verantwortungsbewussten globalen Akteur“ zu machen. Nun sei zu konstatieren, dass unter Präsident Xi Jinping das Gegenteil eingetreten sei: „mehr interne Unterdrückung, räuberischere wirtschaftliche Praktiken, mehr Härte und – für mich am besorgniserregendsten – eine aggressivere militärische Haltung“. China habe sich „durch Diebstahl, Zwang und Ausnutzung freier Marktwirtschaften“ Vorteile verschafft und sinne darauf, das System „zu untergraben und zu zersetzen“, das ihm seinen Aufstieg ermöglicht hat. Es strebe überall auf der Welt „neue strategische Beziehungen“ an und übe „Druck auf kleinere Nationen“ aus. Das sagt allen Ernstes der Vertreter der Weltmacht USA – Kommentar überflüssig. Während die USA in konventionelle und moderne Raketenabwehrsysteme investieren, „um unser Heimatland, unsere Interessen und unsere Verbündeten zu schützen“, habe man es in der Volksrepublik mit einem Land zu tun, das „Langstreckenraketen entwickelt und bereitstellt, um Nachbarländer zu bedrohen“. Und so weiter und so fort – das Weltbild ist klar: Hier die Guten, die die Werte beschützen, dort die Bösen, die mit fiesen Methoden überall Unheil und Unterdrückung anrichten. Dann wörtlich: „Verstehen Sie mich nicht falsch, wir suchen den Konflikt mit China nicht. Das ist es nicht, was wir wollen – keineswegs. Wir streben vielmehr einen fairen und offenen ökonomischen Wettbewerb an. Und ganz allgemein verlangen wir von Peking nur das, was wir von jedem Land verlangen: sich an die Regeln zu halten, internationale Normen einzuhalten und die Rechte und die Souveränität anderer zu achten. Das US-Verteidigungsministerium leistet seinen Teil, um eine gerechte Basis wiederherzustellen. Wir konzentrieren uns darauf, von Fehlverhalten abzuschrecken, unsere Freunde und Verbündeten zu beruhigen und die globalen Gemeinschaftsgüter zu verteidigen. Um den Frieden durch Stärke zu wahren, setzen wir die Nationale Verteidigungsstrategie der Vereinigten Staaten um.“
Zum Glück sind die europäischen Verbündeten gegen Russland schon weitgehend auf Linie! Gerade deshalb müssen sie – so Esper – darauf achten, im Falle Chinas wegen seiner tückischen ökonomischen Nützlichkeit keine Fehler zu machen und sich rechtzeitig auf die richtige Seite zu stellen.
Chinas Aufrüstung und der „Inselstreit“ im südostasiatischen Meer
Chinas Rüstungsetat hat nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI im Jahr 2019 den russischen überholt, liegt allerdings noch weit hinter den USA.44 Das Ziel der chinesischen Führung besteht darin, eine von bisherigen Rüstungszulieferern (insbesondere Russland und Israel) unabhängige Rüstungsproduktion in allen Sparten auf die Beine zu stellen – von modernen Kampffliegern bis zu atomgetriebenen U-Booten und Flugzeugträgern. Besonderen Wert wird auf den Ausbau der Marine gelegt, denn China will die bis jetzt unangefochtene Monopolmacht der USA im Südpazifik bestreiten.
Chinas Marine
„Im jüngsten Bericht des Pentagons zur militärischen Rüstung der Volksrepublik China wird bestätigt, dass deren Marine zahlenmäßig die amerikanische Navy erstmals übertrifft. Sie wird Ende 2020 über 360 Kriegsschiffe verfügen, darunter 130 moderne Kreuzer, Zerstörer, Fregatten und Korvetten sowie 62 U-Boote, darunter 12 atomar betriebene. Zwei Flugzeugträger mit eingeschränktem Potenzial sind in Betrieb, sie dienen vor allem als Testplattformen. Der dritte steht im Bau und wird ein mit amerikanischen Flugzeugträgern vergleichbares Schiff mit Katapulten sein, das vermutlich 2024 einsatzbereit sein wird. Drei weitere Träger dieser Art werden bis in die Dreißigerjahre erwartet.
Im Inventar der Marine figurieren neuerdings große amphibische Helikopterträger, eigentliche Kopien der amerikanischen Wasp-Klasse. Diese und weitere moderne Docklandungsschiffe sind für das im Aufbau befindliche chinesische Marinekorps bestimmt, das dereinst bis zu 100.000 Mann umfassen soll.“1 Im Unterschied zur Darstellung der ökonomischen Potenzen lautet die Devise bei Militär und Aufrüstung offenbar, den chinesischen Gegner groß und gefährlich zu machen – eine aus dem Kalten Krieg und der Darstellung der sowjetischen Militärkräfte wohlbekannte Tradition. Die US-Navy verfügt nach eigenen Angaben zwar „nur“ über 280 Schiffe, allerdings über 11 Flugzeugträger und hat aktuell 340.000 Soldaten im Dienst.2 Zudem verfügen die USA nach offiziellen Angaben über 761 Stützpunkte auf der ganzen Welt – wobei nur die gezählt werden, auf denen aktuell US-Soldaten stationiert sind. Nimmt man die Anzahl der vertraglich vereinbarten und im Krisenfall nutzbaren, sind es nach Experten-Schätzungen etwa 1.000.
Bis jetzt gilt hier (wie auf der ganzen Welt), dass sich die US-Navy zur Schutzmacht der „Freiheit der Meere“ erklärt hat und sich selbst das Recht zuerkennt, diese Freiheit auf dem gesamten Planeten mit ihren Kriegsschiffen, Flugzeugträgern und Stützpunkten zu sichern. Diese Absicht trifft im südchinesischen Meer auf das Interesse der neuen Handels-Großmacht China. Deren Führung verlangt Sicherheit für ihre Im- und Exportrouten und will sich diese nicht durch eventuelle Boykott-Maßnahmen der USA stören lassen, wie sie aus vielen Fällen der jüngeren Geschichte bekannt sind und wie Chinas Strategen sie angesichts der zunehmenden Konkurrenz der beiden Mächte vorhersehen. Der Ausbau kontinentaler Verbindungswege im Zuge der BRI ist ein Teil des chinesischen Umgangs mit diesem Problem; der andere liegt in der Aufrüstung der Marine und dem Versuch, mit einer vorgelagerten Stützpunktpolitik zumindest einige Verteidigungslinien in relativer Nähe zu ziehen. Das ist der Kern des vor etwa zehn Jahren neu eröffneten „Inselstreits“, bei dem China einige völkerrechtlich umstrittene Inseln in Besitz genommen und militärisch ausgerüstet hat, wogegen diverse Nachbarstaaten (Japan, Vietnam, Philippinen) protestieren.45 Die USA „verteidigen“ in diesem Konflikt den Status quo, in dem sie ganz unangefochten die Oberhoheit haben, gegen den unangenehmen Aufsteiger, der zwar dasselbe macht wie sie, aber gerade deshalb ein Störenfried ihrer Ordnung ist.
In der Konsequenz ermuntern sie die Anrainerstaaten (Japan, Südkorea, Philippinen, Vietnam) in ihren Ansprüchen gegen China, was die Konflikte in der Region anheizt. Die Amerikaner vereinbaren, als dafür nötige Rückendeckung der „kleinen und schwachen“ Staaten, mit ihnen neue militärische Zusammenarbeit, zeigen mit ihren Aufklärungsflugzeugen Präsenz und traten auf der Shangrila-Konferenz 2015, einer regionalen (!) Sicherheitskonferenz, zu der die USA selbstverständlich dazu gehören (ebenso übrigens Deutschland, vertreten durch die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen) mit harten Angriffen gegen China auf: „Push back“ schrieb die New York Times und fand eine kompromisslose Haltung der damaligen Obama-Regierung für unbedingt notwendig.
China war und ist nicht gewillt, in diesem Konflikt einzulenken – auch nicht um den Preis der angedrohten Verschlechterung der Beziehungen und einer eventuellen militärischen Konfrontation. Es machte zwar gewisse diplomatische Angebote, indem es den militärischen Charakter des Inselausbaus kleinredete und umweltpolitische Zielsetzungen betont hat, um die Situation von sich aus nicht zu verschärfen. In der Sache aber blieb es hart. China lässt sich keine Eindämmung von Ansprüchen bezüglich dieser Inseln bieten – nicht von seinen Nachbarn und auch nicht von der existierenden Weltmacht. Auch die Volksrepublik agiert in diesem Streitfall sehr prinzipiell. Sie exerziert daran exemplarisch ihr ungehindertes Recht auf ihren weiteren weltpolitischen Aufstieg und dessen militärische Absicherung durch und will dieses Vorgehen international anerkannt bekommen.
Letztes Update:
Die neue US-Regierung wiederum hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen eine „Flugzeugträgergruppe“ unter Führung der „USS Theodor Roosevelt“ ins Südchinesische Meer geschickt, um dort das Manöver „Navigationsfreiheit“ abzuhalten.
So stehen auf beiden Seiten Rechte gegeneinander – und da entscheidet letztlich bekanntlich die Gewalt. Auch wenn momentan tatsächlich keine der Parteien die „große Auseinandersetzung“ will, ist das der sehr gewaltträchtige Kern ihres Verhältnisses (von dem es dann irgendwann wieder heißen wird, dass die Mächte in ihren Krieg „reingeschliddert“ sind ...).46
Fazit:
Erstens: China ist ein einzigartiger Sonderfall der Weltgeschichte. Die Volksrepublik, die sich immer noch sozialistisch nennt, hat geschafft, was die großen westlichen Staaten den „Entwicklungsländern“ immer so generös als Resultat ihres Einstiegs in den Weltmarkt verheißen hatten: Sich zu entwickeln, reich und mächtig zu werden und ihnen auf Augenhöhe entgegenzutreten! An den Reaktionen der „Etablierten“ ist abzulesen: Ein solches Resultat war und ist so nicht vorgesehen.
Zweitens: Das heutige China ist geradezu ein Lehrstück über den notwendigen Zusammenhang von Geschäft und Gewalt in der Weltordnung. Seine Führer haben ihre frühere sozialistische Planwirtschaft Stück für Stück und mit viel staatlicher Betreuung transformiert in eine kapitalistische Ökonomie. Die immanenten Notwendigkeiten des kapitalistischen Geschäfts bescheren ihnen inzwischen eine ganze Agenda an außenpolitischen Tätigkeiten. Ein bedauernswerter „Sachzwang“ der Globalisierung ist das keineswegs gewesen. Zunächst hatte der „freie Westen“ die Existenz eines kommunistischen Staatenblocks nicht hingenommen und mit einem Kalten Krieg darauf geantwortet, d. h. die sozialistische Staatenwelt mit seiner Aufrüstung zu enormen Rüstungsanstrengungen gezwungen, denen sie letztlich nicht gewachsen war. In diesem Konflikt hat China aus seinen nationalen Berechnungen heraus freiwillig die Seiten gewechselt, sich in die kapitalistische Konkurrenz gestellt und mit diesem Entschluss entscheidend dazu beigetragen, dass die Welt heute tatsächlich „globalisiert“ ist, sprich: dass überall die Freiheit des Kapitals herrscht.
Seitdem ist seine Regierung damit befasst, die „Eigengesetzlichkeiten“ eines erfolgreichen Kapitalismus machtvoll durchzusetzen. Denn wer sich einmal dafür entscheidet, auf die „kapitalistischen Produktivkräfte“ zu setzen, der muss die Wachstumsbedürfnisse des Kapitals a) respektieren und b) nach Kräften fördern, wenn die Sache Erfolg haben soll – ganz egal, wie „antiimperialistisch“ oder „friedliebend“ er bis gestern agiert hat. Dementsprechend sehen die Aktivitäten aus: Sie reichen von der Förderung des Warenexports bis zur militärischen Sicherung der Handelswege und sie schließen eine Verteidigung der – mit jedem Erfolg wachsenden – „vitalen Interessen“ ein, gegen Eindämmungsbestrebungen, die die herausgeforderte Weltmacht Amerika China selbstverständlich entgegensetzt. So geht es eben zu, wenn eine neue Macht in der Konkurrenz kapitalistischer Staaten aufsteigt – eine friedliche Angelegenheit ist das nicht.
Mit diesen Überlegungen sollten zugleich einige gängige Vorstellungen widerlegt sein:
Es ist sachlich falsch, Chinas außenwirtschaftliche oder -politische Konkurrenzpraktiken als besonders bösartig zu charakterisieren. Sie haben ihren Grund in den marktwirtschaftlichen Prinzipien des Umgangs mit Land und Leuten, die im Westen entwickelt, allen sozialistischen Ländern immerzu gepredigt wurden und die das asiatische Land nun eben auch bei sich installiert hat. Die erneute Rede von einer „gelben Gefahr“ drückt insofern zuallererst den umfassenden westlichen Anspruch auf diese Welt, ihre Ressourcen und den Nutzen aus dem globalen Handel aus.
Es ist ein unangebrachter Idealismus, zu glauben, man könne den Kapitalismus einsetzen zur Entwicklung von Technik und Produktion zum Segen für Land und Leute und seine hässlichen Seiten irgendwie außen vorhalten. Die Analyse von Chinas Ökonomie und seiner Außenpolitik, die zu dieser Ökonomie gehört und sich keineswegs jenseits, auf irgendwelchen luftleeren Feldern politologischer Kategorien von „Macht und Interesse“ abspielt, macht deutlich, dass der Kapitalismus „System“ hat bzw. eines ist.
C. Zur Feindschaft das Feindbild: Ein neues
„Reich des Bösen“
Mit den wachsenden Erfolgen Chinas kommt auch das Feindbild in großen Schritten voran. Aktuell vergeht kaum ein Monat, ohne dass ein neuer „Skandal“ in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wird: Chinas „neokoloniale Politik“ der „Neuen Seidenstraße“, Spionageaktivitäten seiner IT-Kapitale, die Behandlung der Protestbewegung in Hongkong, die angeblich in Konzentrationslagern internierten Uiguren, die vom Standpunkt westlicher Werte indiskutablen Methoden zur Eindämmung der Corona-Epidemie, die Verdächtigung, dass China überhaupt schuld sei am Corona-Virus und seinen Folgen usw. usf. Diese Art öffentlicher Feindbildpflege trifft nicht nur China – auch Russland und der Iran sind in dieser Hinsicht Dauerbrenner der westlichen Öffentlichkeit. Und sie ist natürlich auch nicht neu. Erinnern wir uns: In den Mao-Zeiten galt das damals noch sozialistische Land als „gelbe Gefahr“, und seine Einwohner firmierten als „blaue Ameisen“ – was heute vielleicht als „politisch inkorrekt“ gelten würde.
Die Wende der kommunistischen Staatspartei hin zum Kapitalismus wurde im Westen dann erleichtert bis euphorisch begrüßt. Deutsche Unternehmer und Politiker waren ganz vorne dabei, als es darum ging, Beziehungen zu knüpfen und erste Joint-Ventures zu gründen. Kaum aber stellte sich heraus, dass an diesen Geschäften auch chinesische Firmen verdienten und sich zu weltmarktfähigen Konkurrenten entwickelten, kaum wurde deutlich, dass Chinas Regierung sich keineswegs so behandeln ließ, wie man es von anderen „Dritte-Welt-Staaten“ gewohnt war, gingen die Beschwerden los.






