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(24) Dasselbe gilt, glaube ich, auch von der Verbannung. Sie ist ein mit Schande verbundener Aufenthalt im Ausland. Wenn nun die Schande an sich kein Übel ist, so kann sie auch wohl die Verbannung nicht zu einem Übel machen. 2 Denn viele sind ja die meiste Zeit teils gezwungen, teils freiwillig außer Landes, andere wandern ihre Lebtage umher, als würden sie überall ausgestoßen, und es geht ihnen doch nicht schlecht dabei. 3 Ob man dies nun freiwillig oder unfreiwillig tut, was liegt daran? Einer, der wider Willen seinen Körper übt, kräftigt sich ebenso gut wie der, der es freiwillig tut, und wer unfreiwillig in die See geht, hat denselben Vorteil wie der andere. Zu dem sehe ich nicht, wie ein kluger Mann in die Lage kommen kann, etwas wider seinen Willen zu tun. 4 Wenn darin, dass nur das, was wir gern tun, leicht, was wir wider Willen tun, schwer ankommt, der Unterschied zwischen Glück und Unglück liegt, so ist dem leicht zu helfen. Denn wenn wir alles, was das Schicksal heischt, gerne hinnehmen und uns dadurch nicht niederdrücken lassen, so ist darin auch alles das begriffen, was einer sonst wohl zum Unfreiwilligen gerechnet hätte. 5 Ein alter und wahrer Spruch sagt: »Wir dürfen nicht verlangen, dass das, was wir wollen, geschähe, sondern sollen wollen, was das Schicksal will. Wir leben nicht nach eigener Wahl, hängen nicht von uns selbst ab, sondern müssen uns zu dem bequemen, was das Schicksal und der Dämon will, der jedem von uns als Vollstrecker seines Loses zugeteilt ist. Dies bleibt dasselbe, wir mögen wollen oder nicht.
(25) Wenn dich aber nicht so sehr diese Schande, diese Verbannung betrübt, sondern der Gedanke, dass du keiner Schuld gegen dein Vaterland dir bewusst bist, vielmehr, als dessen Wohltäter, entehrt und verstoßen wurdest – so bedenke, dass, wenn dies dir einmal vom Schicksal beschieden war, es am schönsten und besten für dich ist, dass es ohne dein Verschulden über dich verhängt wurde. 2 Du hast nicht als Privatmann, sondern als Konsul, nicht unbefugt, sondern den Beschlüssen des Senats gehorchend, nicht aus Parteisucht, sondern zum Wohle des Staates durch Rat und Tat deine Pflicht als Bürger erfüllt. 3 Wenn nun der und jener, aus Sucht zu herrschen und zu kränken, wider dich Ränke schmiedeten, so wird diese wegen ihres Unrechts ihr Gewissen strafen, dir aber ist es rühmliche Pflicht, in die Schickung der Gottheit dich männlich zu ergeben. 4 Denn du würdest doch wohl nicht lieber als Genosse Catilinas, als Mitverschwörer des Lentulus, als ein Mann, der in allem seinem Vaterland zum Verderben geraten hat, seinem Ruf ungehorsam ist, als ein Verräter zu Hause bleiben, statt als Retter desselben zu fliehen! 5 Ist es, wenn du an den Ruhm denkst, nicht um vieles wünschenswerter, schuldlos in der Verbannung, als schuldig unter den Deinen zu wohnen? Denn von allem anderen abgesehen, trifft Schande diejenigen, die einen ungerecht aus dem Vaterland verstoßen haben, und nicht den, der durch Hinterlist vertrieben wurde.
(26) Wie ich höre, hast du dich nicht gezwungen oder infolge einer Verurteilung entfernt, sondern freiwillig den Umgang mit diesen Menschen aufgegeben, unfähig sie zu bessern und nicht gewillt, mit ihnen unterzugehen. Nicht das Vaterland, nur dessen Feinde hast du gemieden. Jene vielmehr sind die Entehrten, die Verbannten, welche alles Gefühl für das Gute aus der Seele verbannt haben, 2 du aber bleibst der Geehrte und Glückliche, der es verschmäht, sich zum Sklaven zu erniedrigen und alles hat, was er braucht, mag er in Makedonien oder irgendwo sonst auf dem Erdkreis wohnen. Der Ort gibt weder Glück noch Unglück. Jeder schafft sich immer und überall sein Vaterland und seine Glückseligkeit. 3 So dachte Camillus und lebte zufrieden in Ardea, so Scipio und fand sein Linternum erträglich. Nicht bedarf es, einen Aristides, einen Themistokles zu nennen, welche die Verbannung noch berühmter gemacht hat. Was einen Annius,116 einen Solon? Der Letztere lebte freiwillig zehn Jahre außerhalb des Vaterlands? 4 Halte somit auch du, was weder die Seele, noch den Körper berührt, nicht für unerträglich und hadere mit dem Schicksal nicht wegen der Sache, die dich betroffen hat. Denn es steht nicht bei uns zu leben, wie wir wollen, wir müssen uns fügen in das, was die Gottheit über uns verhängt; 5 tun wir es freiwillig, so ersparen mir uns Kummer; wenn nicht, so entfliehen wir doch dem Verhängnis nicht und haben uns – was das Übelste von allem ist – umsonst gequält. 6 Dies lehrt die Erfahrung, denn solche, welche das traurigste Los mit leichtem Mut ertragen, finden kein Unglück darin; aber solche, die jede Kleinigkeit niederdrückt, wähnen mit allem Unglück der Welt zu kämpfen. Andere ferner, die sich in das Glück übel oder in das Unglück gut zu finden wissen, machen dasselbe durch die Art ihres Benehmens zu dem, wozu sie selbst es sich geschaffen haben.
(27) Wenn du dir nun die Sache so denkst, darfst du dich über deine Lage nicht grämen noch betrübt sein, dass du die Urheber deiner Verbannung im Glück siehst. Eitel und vergänglich ist das Glück der Menschen, je höher einer steigt, desto leichter schlägt es um wie der Wind, zumal bei innerlichen Stürmen. 2 Auf den Fluten einer bewegten und wechselvollen Politik dahingetrieben, werden sie wie die von Sturm auf der See Befallenen bald hinauf, bald hinab, bald dahin, bald dorthin geworfen und gehen oft, von dem geringsten Unfall betroffen, unrettbar zugrunde. 3 Nicht führe ich den Drusus, den Scipio, die Gracchen und andere als Zeugen auf, gedenke nur, wie Camillus der Verbannte, glücklicher als Manlius Capitolinus117 nachher starb; gedenke, wie Aristides später zu größeren Ehren als Themistokles gekommen ist. 4 So hoffe auch du zurückberufen zu werden; denn du bist keines Unrechts wegen verbannt, und, wie ich höre, werden selbst die Urheber deiner Verbannung dich wieder aufsuchen und alle sich nach dir sehnen. Wenn du aber auch in dieser Lage bliebest, so darfst du dich selbst so nicht bekümmern.
(28) Wenn du mir folgst, so bist du froh, wenn du dir ein abgelegenes Landgut am Meer suchst und dich in Ruhe und Frieden mit dem Landbau und den Wissenschaften beschäftigst, wie Xenophon und Thukydides es in der Verbannung getan haben. 2 Denn diese Art von Weisheit dauert am längsten und passt für jeden Menschen, in jede Staatsverfassung, und die Verbannung gewährt die fruchtbarste Muße. Willst du gleich jenen unsterblich werden, so nimm sie dir zum Muster. 3 Du hast hinlänglichen Lebensunterhalt, und auch an Ehre gebricht es dir nicht. Wenn jetzt auch diese ein Gut ist, so bist du ja Konsul gewesen und die, welche es zum zweiten, dritten und vierten Mal gewesen sind, haben nichts als leere Zahlen verdoppelt, die weder im Leben noch im Tod etwas nützen. 4 Und gewiss möchtest du nicht lieber Corvinus oder Marius, der siebenmal Konsul war, als Cicero sein. Auch wünschst du keine Statthalterschaft, da du die dir gegebene abgelehnt, die daraus kommenden Vorteile verschmäht und die kurze jedem Schuft zur Verleumdung preisgegebene Gewalt für nichts geachtet hast. 5 Dies alles erwähnte ich, nicht weil es zum Glück erforderlich wäre, sondern um zu zeigen, dass du dich in bürgerlichen Händeln, wo es nottat, genug bewährt hast, um die verschiedenen Lebensweisen kennenzulernen und die eine zu wählen, die andere zu verwerfen, der einen nachzugehen, die andere zu meiden. Denn kurz ist unser Leben und du darfst nicht nur für andere leben, sondern nun auch dir einen Teil davon gönnen. 6 Bedenke, wie viel die Ruhe vor der Verwirrung, die Behaglichkeit vor beständigen Stürmen, die Freiheit vor der Knechtschaft und die Sicherheit vor den Gefahren wert ist. Dann wirst du dir selbst das Leben wünschen, zu dem ich dir rate. Dann wirst du glücklich und dein Name groß im Leben wie im Tod sein.
(29) Wenn du dich aber nach der Rückkehr sehnst und nach neuem Glanz im Staat trachtest, so will ich dir zwar nichts Ungünstiges weissagen, befürchte aber, wie ich den Stand der Dinge ansehe und deinen Freimut bedenke, die Macht und die Menge deiner Gegner betrachte, du dürftest zum zweiten Mal zu Falle kommen. 2 Wenn du dann wieder fliehen müsstest, quälte dich die Reue und träfe dich noch etwas Schlimmeres, so würde selbst Reue unmöglich werden. Ist es nicht grauenvoll, nicht schmählich, wenn einem der Kopf abgehauen, auf dem Markt zur Schau gestellt und von Männern, ja selbst von Frauen verhöhnt wird? 3 Zürne mir nicht als einem, der nur Schlimmes weissagt, sondern beachte meine Weissagung, als wäre sie von den Göttern gekommen. Täusche dich nicht damit, dass du Mächtige zu Freunden hast; diese vermeintlichen Freunde nützen dir nichts wider deine Gegner, wie du selbst schon erfahren hast. 4 Die Herrschsüchtigen opfern alles der Erreichung ihrer Zwecke auf; die besten Freunde, die nächsten Verwandten geben sie oft den erbittertsten Feinden preis.«
(30) Diese Vorstellungen erleichterten den Zustand Ciceros. Seine Verbannung dauerte jedoch nicht lange; und Pompeius selbst, der dieselbe hauptsächlich herbeigeführt hatte, beförderte jetzt seine Rückkehr. Clodius nämlich, durch Geld bestochen, hatte den jüngeren Tigranes, der noch in Haft bei dem Prätor Lucius Flavius Nepos war, entführt und in Freiheit gesetzt, 2 Pompeius und Gabinius, die darüber ihr Missfallen zeigten, beleidigt, ihre Begleiter geschlagen und verwundet, dem Konsul Gabinius die Fasces zerbrochen und sein Vermögen den Göttern zugesprochen. 3 Hierüber aufgebracht, zumal dass Clodius die Macht, die er selbst den Tribunen wiedergegeben hatte, gegen ihn missbrauchte, beschloss er Cicero zurückzurufen und begann sogleich dessen Rückkehr durch Ninnius zu betreiben. 4 Dieser nutzte die Abwesenheit des Clodius, um seinen Vorschlag im Senat vorzutragen, da sich ihm aber ein anderer Volkstribun118 widersetzte, schlug er denselben, um ihn auch vor das Volk zu bringen, öffentlich an und trat mit einem Mal in allem als des Clodius Gegner auf. Hierüber kam es zwischen den Parteien zu Streitigkeiten und blutigen Auftritten. 5 Clodius wollte, um seine Absicht leichter durchzusetzen, bevor es dazu kam, Cato auf die Seite schaffen und sich an Ptolemaios, der damals im Besitz von Zypern war und ihn früher von den Seeräubern nicht loskaufen wollte, rächen. Er erklärte deshalb diese Insel zum Eigentum des Staates und brachte es dahin, dass Cato, ganz gegen seinen Willen, zur Verwaltung derselben abgeschickt wurde. Dies geschah in der Stadt.
(31) Caesar fand inzwischen in Gallien keinen Feind, sondern alles in tiefster Ruhe. Doch blieb es nicht lange in Frieden; sobald er Anlass zu einem Krieg fand, entspann sich alsbald ein anderer, sodass er, seinem Wunsch gemäß, überall Krieg bekam und diesen mit dem besten Erfolg führte. 2 Die Helvetier nämlich, deren Bevölkerung so sehr zugenommen hatte, dass ihr Land die Volksmenge nicht mehr fasste, konnten sich nicht entschließen, einen Teil derselben zur Gründung einer Kolonie auszuschicken, um sich nicht durch Vereinzelung den Angriffen ihrer beleidigten Feinde preiszugeben, und fassten daher den Entschluss, alle auszuwandern, um sich in einem größeren und fruchtbareren Land niederzulassen. Sie verbrannten daher ihre Städte und Dörfer, sodass keiner versuchen konnte, den Aufbruch rückgängig zu machen, 3 verbanden sich mit anderen im gleichen Fall befindlichen Völkerschaften und zogen unter ihrem Führer Orgetorix119 aus, in der Absicht über den Rhodanus zu gehen und sich an den Alpen irgendwo niederzulassen. Als aber Caesar die Brücke120 abbrechen ließ und andere Vorkehrungen traf, ihnen den Übergang zu wehren, schickten sie Gesandte und baten um freien Durchzug mit dem Versprechen, in dem Gebiet der Römer keinen Schaden zu tun. 4 Caesar traute ihnen nicht und wollte sie nicht weiter vordringen lassen; weil er aber noch nicht gehörig vorbereitet war, erwiderte er, er wolle sich mit seinen Unterbefehlshabern über ihr Ansinnen beraten und an einem bestimmten Tag Antwort geben; ja er machte ihnen sogar einige Hoffnung, dass er den Durchzug vielleicht gestatten könnte. In dieser Zwischenzeit aber befestigte er die zugänglichsten Punkte mit Gräben und Schanzen, um ihnen den Weg zu versperren.
(32) Die Barbaren warteten eine Zeit lang, als sie aber die verabredete Antwort nicht erhielten, brachen sie auf und zogen, anfangs ihre Absicht verfolgend, durch das Land der Allobroger, wendeten sich aber, als sie auf die genannten Hindernisse stießen, zu den Sequanern, 2 zogen durch dieser und der Haeduer Gebiet, welche ihnen, gegen das Versprechen, sich aller Gewalttätigkeiten zu enthalten, freien Durchmarsch gestattet hatten, hielten aber ihr Wort nicht, sondern plünderten das Land. Die Sequaner und Haeduer schickten nun Gesandte an Caesar und baten ihn um Hilfe, um sie vor dem Untergang zu schützen.
3 Obgleich ihre Worte ihrem bisherigen Benehmen nicht entsprachen, gab Caesar dennoch ihrer Bitte nach; dann zog er aus Besorgnis, die Helvetier möchten sich gegen Tolosa wenden, es vor, sie mithilfe jener abzuwehren, statt sie, vereinigt mit denselben (was zu erwarten stand), bekriegen zu müssen. 4 Er überfiel also die Helvetier bei ihrem Übergang über den Fluss Arar,121 hieb die Letzten in der Furt selbst zusammen, die Vorausgezogenen aber setzte er durch die unerwartete und schnelle Verfolgung sowie durch die sichere Kunde ihres Verlustes so in Schrecken, dass sie über Zuweisung eines Landstrichs mit ihm verhandeln wollten.
(33) Sie wurden jedoch nicht mit ihm einig. Denn dass man Geiseln von ihnen verlangte, brachte sie auf, nicht weil man ihnen misstraute, sondern weil sie es für unter ihrer Würde hielten, anderen Geiseln zu geben. Sie wollten nichts weiter von Unterhandlungen hören, rückten vor, empfingen Caesars Reiterei, welche dem Fußvolk zu weit vorgesprengt war und selbst ihre Nachhut hinter sich gelassen hatte, mit ihren Reitern und besiegten sie. 2 Hierdurch ermutigt und in der Meinung, Caesar fliehe, weil er sich sowohl wegen seines Verlustes als auch aus Mangel an Lebensmitteln zu einer abgelegenen Stadt122 hingewendet hatte, zogen sie nicht weiter, sondern setzten ihm nach. 3 Als Caesar dies sah und ihr Ungestüm und ihre Überzahl fürchtete, besetzte er mit dem Fußvolk eine Anhöhe und warf ihnen die Reiter entgegen, um sie so lange hinzuhalten, bis er sich an einem tauglichen Ort in Schlachtordnung aufgestellt hätte. Als jene sie noch einmal warfen und mutig auf die Anhöhe stürmten, brach er plötzlich gegen sie los und trieb sie von oben her, mit geschlossenen Gliedern die Zerstreuten angreifend, ohne Mühe zurück. 4 Als diese flohen, fielen andere, die noch nicht gekämpft hatten (denn ihrer Menge und ihres Ungestüms wegen waren nicht alle zugleich angelangt), den Verfolgern in den Rücken und brachten sie in Unordnung, richteten aber sonst weiter nichts aus, 5 denn Caesar überließ den Reitern die Flüchtigen, warf sich mit den Legionen auf jene, besiegte und verfolgte sie bis zu ihrer Wagenburg, wohin beide Heeresteile sich geflüchtet hatten, und schlug sie nach mutiger Gegenwehr noch einmal. Nach diesem Verlust trennten sich die Barbaren in zwei Parteien. 6 Die einen verhandelten mit Caesar, kehrten in ihre Heimat zurück und bauten ihre Städte wieder auf, die anderen wollten ihre Waffen nicht niederlegen und zogen zum Rhein, als könnten sie von da in ihr Vaterland zurückkehren, wurden aber von den Bundesgenossen der Römer, durch deren Gebiet sie vordrangen, schwach an Zahl und gerade erst besiegt, mit wenig Mühe aufgerieben. So beendigte Caesar seinen ersten Krieg.
(34) Nach einem solchen Anfang ruhte er nicht mehr, sondern suchte die eigenen Pläne auszuführen und zugleich den Bundesgenossen einen Dienst zu erweisen. Denn die Sequaner und die Haeduer, welche seine Lust zum Krieg und seine Hoffnungen von so glücklichem Erfolg begleitet sahen, wünschten, sich ihm gefällig zu zeigen und sich zugleich an ihren Nachbarn, den Kelten zu rächen. 2 Diese waren vor langer Zeit über den Rhein gegangen, hatten sie nach Wegnahme eines Landstrichs zinsbar gemacht und Geiseln von ihnen genommen. Deshalb kamen sie mit der Bitte um Beistand ganz seinen Wünschen entgegen.
3 Über jene Kelten herrschte Ariovist,123 die Römer hatten ihn als König bestätigt und unter Caesars Konsulat unter ihre Freunde und Bundesgenossen aufgenommen. Lüstern nach Kriegsruhm und daraus erwachsender Macht nahm er darauf nicht weiter Bedacht, als dass er von ihnen selbst Anlass zum Streit bekommen wollte, um den Schein zu vermeiden, als habe er den ersten Schritt wider sie getan. 4 Deshalb lud Caesar ihn zu sich ein, als habe er etwas mit ihm zu besprechen. Da dieser nicht gehorchte, sondern erwiderte: »Wenn Caesar mit mir sprechen will, so komme er zu mir. Wüsste ich doch nicht, dass ich weniger wäre als er! Wer des anderen bedarf, muss zu ihm gehen!«, 5 war jener sehr darüber aufgebracht, als hätte er damit alle Römer beschimpft, forderte sogleich die Geiseln der Bundesgenossen zurück und verbot ihm, weder deren Land weiter zu betreten, noch auch Verstärkungen aus der Heimat an sich zu ziehen. Damit wollte er ihn nicht so sehr einschränken, als vielmehr aufreizen, um dadurch einen gültigen und scheinbaren Vorwand zum Krieg zu erhalten, was denn auch geschah. 6 Denn entrüstet über diese Befehle ließ ihm Ariovist viel Unangenehmes melden, worauf Caesar alle Unterhandlungen abbrach und sogleich Vesontio,124 die Hauptstadt der Sequaner, bevor man es vermutete, besetzte.
(35) Als aber die Kunde kam, dass Ariovist sich gewaltig rüste, dass viele andere Kelten teils schon über den Rhein gesetzt waren, um ihm zu helfen, teils sich dicht am Fluss gesammelt hätten, um plötzlich über sie herzufallen, sank den Soldaten der Mut. 2 Denn die Körpergröße, die Menge, der Mut und die daraus sich ergebenden Drohungen derselben hatten sie dermaßen in Furcht gesetzt, dass sie nicht mehr mit Menschen, sondern mit wilden, unbändigen Tieren zu tun zu haben glaubten. Sie ließen verlauten, sie hätten einen unrechtmäßigen, vom Senat nicht beschlossenen Krieg für den Ehrgeiz Caesars zu führen, und drohten ihn zu verlassen, wenn er auf seinem Plan bestünde. 3 Als er dies vernahm, sprach er nicht an die Masse des Heeres (denn er hielt es für unpassend, darüber mit der Menge zu verkehren, zumal es dem Feind zugetragen werden könnte; auch fürchtete er, sie möchten, wenn er sie nicht überreden könnte, sich auflehnen und Gewaltschritte unternehmen). Dagegen berief er die Unterbefehlshaber und die untergeordneten Hauptleute und hielt an sie folgende Rede:
(36) »Ganz anders, ihr Freunde, müssen wir meines Erachtens über die eigenen als über die Staatsangelegenheiten zurate gehen; denn die Einzelnen haben für sich und die Gesamtheit hat für den Staat verschiedene Ziele. Wir für uns haben das Billigste und Sicherste, das Volk hat das Beste zu wählen und in Ausführung zu bringen. 2 Zwar darf man auch in privaten Dingen nicht nachlässig sein, da sonst auch ein mäßiger Glücksstand nicht bestehen bliebe, doch glaubt sich der Einzelne, wenn er nichts unternimmt, am gesichertsten; ein Staat aber, zumal wenn er nach außen herrscht, würde dadurch gar bald zugrunde gehen. 3 Denn dies ist keine Satzung von Menschen, sondern ein Gesetz der Natur, welches galt, gilt und gelten wird, so lang es Menschen gibt. Ist dem so, so darf auch keiner von euch die eigene Bequemlichkeit oder Sicherheit mehr als aller Römer Ehre und Vorteil vor Augen haben. 4 Denn bedenkt vor allem, dass wir, so befähigt und in solcher Zahl aus dem Senat und den Rittern mit so vielen Streitern und Geldmitteln nicht hierhergekommen sind, um zu tändeln, um die Hände in den Schoß zu legen, 5 sondern der Untertanen Angelegenheiten wohl zu ordnen, die Verbündeten zu schützen, die Eingriffe der Feinde zurückzuweisen und unsere Macht zu vergrößern. 6 Wenn wir nicht so gesinnt hierhergekommen sind – warum sind wir überhaupt ausgezogen und nicht lieber zu Hause bei den Unseren geblieben? Denn immer war es noch besser, in den Kriegsdienst gar nicht einzustehen, als die uns nun obliegende Pflicht zu verraten. 7 Wenn nun aber die einen von den Gesetzen zur Erfüllung der Gebote des Vaterlands berufen, die anderen und meisten von uns freiwillig, der Ehren und Vorteile wegen, die der Krieg erwirbt, zugegen sind, wie vertrüge es sich mit Ehre und Pflichtgefühl, die Hoffnungen derer, die uns ausgesandt haben, aber unsere eigenen nicht zu erfüllen? 8 Denn keiner ist wohl so vom Glück gestellt, dass das Verderben des Staats nicht das seinige würde; das Glück des Ganzen aber hebt alles Unglück, selbst das der Einzelnen, auf.
(37) Ich spreche dies nicht vor allem gegen euch, ihr Genossen und Freunde, die ihr hier zugegen seid (denn weder verkennt ihr dies, um der Belehrung, noch verachtet ihr es, um der Ermahnung zu bedürfen), sondern weil ich höre, dass einige der Soldaten sich äußern, dass der Krieg nicht rechtmäßig sei, und die anderen zum Ungehorsam anstiften, 2 auf dass ihr selbst durch meine Rede euren Eifer für das Vaterland bestärkt und jene auf ihre Pflicht verweist. Denn mehr nützt es, wenn sie es von euch einzeln und wiederholt erfahren, als wenn ich sie einmal darüber zu belehren suche. 3 Stellt ihnen vor Augen, dass unsere Vorfahren nicht durch Daheimsitzen, durch Scheu vor dem Kriegsdienst, durch Furcht vor Kriegen, durch sorgloses Hindämmern unsere Stadt zu solcher Größe erhoben haben, sondern dadurch, dass sie mit dem Geist jede kühne Tat erfassten und mit dem Körper die gefassten Beschlüsse aufs Eifrigste ausführten, 4 dass sie das Ihrige, als wäre es Fremdes, dafür einsetzten und über den Besitz der Nachbarn, als wäre es der ihrige, verfügten, dass sie kein anderes Glück als die Erfüllung ihrer Pflichten und kein anderes Unglück kannten, als im Glück müßigzugehen. 5 Auf diese Weise haben sie, eine Handvoll Leute in der kleinsten Stadt, die es im weiten Umkreise gab, die Latiner überwunden, die Sabiner besiegt, die Tyrrhener (Etrusker), Volsker, Opiker, Lucaner, Samniten überwältigt, in kurzer Zeit das ganze Land diesseits der Alpen bezwungen und alle fremden Völker, die sie angriffen haben, aus dem Felde geschlagen.
(38) Ihnen nacheifernd haben die späteren Römer, unsere Väter, sich nicht mit dem begnügt, was sie besaßen und ererbt hatten, sondern in der Überzeugung, dass träge Ruhe ihr gewisses Verderben, ihr sicherstes Heil aber Mühe und Beschwerde sei, aus Furcht, ihre Macht möchte durch Stillstand sinken und altern, und aus Scham, zu dem großen Erbteil nicht noch mehr zu erwerben, noch weit mehr und glänzendere Eroberungen gemacht. 2 Was nenne ich Sardinien, Sizilien, die Makedonier, die Illyrier, Hellas, das um Ionien liegende Asien, die Bithynier, die Hispanier, die Afrikaner! Viele Schätze hätten ihnen die Karthager gegeben, wenn sie jene Regionen gemieden, viele Philipp und Perseus, wenn sie nicht wider sie zu Felde gerückt, viele Antiochos, viele dessen Söhne und Nachkommen, wenn sie in Europa geblieben wären! 3 Aber jene zogen Ruhm und Herrschaft ruhmloser Trägheit und sicherem Reichtum vor; desgleichen die Älteren unter uns, die noch jetzt am Leben sind. Überzeugt, dass auf demselben Wege der Besitz erworben und erhalten wird, haben sie den ererbten befestigt und noch vieles dazuerworben. 4 Was brauche ich im Einzelnen Kreta, den Pontos, Zypern, Iberien, Asien, das dortige Albanien, beide Syrien, beide Armenien, Arabien oder Palästina aufzuführen? Länder, die wir früher kaum dem Namen nach gekannt und die wir jetzt entweder selbst beherrschen oder anderen geschenkt haben, sodass wir aus ihnen neue Einkünfte, neue Macht, neuen Ruhm, neue Bundesgenossen gewonnen haben.