- -
- 100%
- +
10. Dio sagt in Bezug auf die Tyrrhener: So viel musste ich hier über sie berühren. Auch sonst werde ich, wenn es der Gang und die Ordnung der Geschichtserzählung verlangen, das Gehörige zur Zeit einreihen; auch bei anderem werde ich mich auf das Nötige beschränken, die römische Geschichte möglichst vollständig geben, die der anderen Völker aber nur, soweit sie sich auf jene beziehen.
Denn der Mensch kann nicht alles voraussehen noch, was da notwendig über ihn kommen wird, von sich abwenden. […]4 seien Rächer des von ihm verübten Unrechts von jener Jungfrau geboren.
11. Erbauung Roms.
Dass Remus5 und Romulus unter sich in Zwist gerieten […] aus dem Land verbannten […] dass es Menschen gibt, welche sich in Gefahren sicherer als im Glück benehmen […] lernten es selbst und lehrten es die anderen. – Dass auch solche, die an anderen Rache nehmen, nicht immer für das vorher erlittene Unrecht Genugtuung erhalten; noch diejenigen, welche von Mächtigeren etwas zurückverlangen, es erhalten, sondern das Übrige oft noch dazu verlieren.
12. Als Romulus auf dem Palatium die Gestalt der künftigen Stadt Rom beschrieb, jochte er einen Stier mit einer jungen Kuh zusammen, sodass der Stier nach außen, gegen das Feld, die Kuh aber gegen die Stadt gekehrt war, indem er hierdurch sinnbildlich den Wunsch ausdrückte, dass die Männer den Fremden furchtbar, die Frauen aber fruchtbare und treue Hausmütter werden möchten; und er nahm eine Scholle und warf sie von außen in die Stadt, und bat die Götter, also von Fremdem ihren Besitz zu mehren.
13. Als in Rom das Fundament zu einem Tempel gegraben wurde, fand man den mit Mordblut bedeckten Kopf (lateinisch: caput, Genitiv: capitis) eines gerade erst getöteten Mannes, woraus ein etruskischer Wahrsager prophezeite, dass die Stadt das Haupt vieler Völker werden würde, jedoch nicht ohne Blut und Mord; daher wurde der Tarpeische Berg jetzt der Capitolinische genannt.
14. Milliarium heißt ein je nach tausend Schritten gesetzter Stein. Denn milia bedeutet das griechische χίλια.
15. Die Sabinerinnen. Im Jahr der Stadt 7 (744 v.Chr.).6
Hersilia und die anderen stammverwandten Frauen rannten, als sie dieselben im Kampf einander gegenüberstehen sahen, mit ihren Kindern (denn schon waren einige geboren) auf dem Arm, von dem Palatium herab, stürzten sich plötzlich mitten in die Schlachtgasse, indem sie bald gegen diese, bald gegen jene gewendet durch Worte und Gebärden ihr Mitleid zu erregen strebten: »Was wollt ihr, Väter? Was ihr, Männer? Wie lange wollt ihr kämpfen? Wie lange euch hassen? Versöhnt euch mit euren Schwiegersöhnen! Versöhnt euch mit euren Schwiegervätern! Schont, beim Pan, eure Kinder! Schont, beim Quirinus, eure Enkel! Erbarmt euch der Töchter, erbarmt euch der Frauen! Wollt ihr aber unversöhnlich sein, behext, und treibt euch ein böswilliger Gott: so tötet zuvor uns, um die ihr kämpft, erwürgt und schlachtet die Kinder hier, dass kein Name, kein Band der Verwandtschaft mehr zwischen euch bleibe und ihr das größte der Übel gewinnt, dass ihr die Großväter der Kinder, die Väter der Enkel gemordet habt!« Mit diesen Worten zerrissen sie ihre Kleider, entblößten ihre Brüste und Leiber, und warfen sich und ihre Kinder den rings um sie gezückten Schwertern entgegen, sodass jene über diesem Anblick in Tränen ausbrachen und vom Kampf abließen. Sie standen aber mitten auf dem Comitium, das von eben diesem Vorfall seinen Namen erhielt; denn bei den Römern heißt comire zusammenkommen. – Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob etwas erst eingerichtet wird, oder vorher bestanden hat und nur eine besondere Benennung erhält.
16. Einteilung in Tribus und Curien.
Tribus, Drittel oder dritter Teil. Denn die dreitausend Bewaffneten des Romulus waren, wie Dio im ersten Buch seiner Geschichte sagt, in drei Teile, Tribus, d.h. Drittel, eingeteilt, was die Griechen [Phyle] nennen. Ein Tribus enthielt zehn Curien, oder Phrontisterien. Denn das lateinische cura (dt. Sorge) heißt bei den Griechen Phrontis. In jeder Curie besorgten die Mitglieder in Zusammenkünften die etwa vorfallenden Geschäfte. Bei den Griechen hießen die Curien Phratrien oder Phatrien, gleichsam Gesellschaften, Brüderschaften, Innungen, Zünfte; weil die Mitglieder dieser Phratrien ihre Ansichten ungescheut und furchtlos gegeneinander aussprechen (phrazein) oder ins Licht setzen (phainein) durften. (Als solche, welche zu einer Phratria gehören, werden auch Väter, Verwandte, Lehrer Phratores genannt.) Vielleicht hat man aber auch diesen Ausdruck aus dem lateinischen Frater, welcher Bruder bedeutet, herübergenommen.
17. Im Jahr der Stadt 27 (727 v.Chr.).
Die Römer, welche in ihren fortwährenden Unfällen eine göttliche Heimsuchung sahen, ließen, nach hergebrachter Sitte, als Verursacherin der göttlichen Strafe eine Vestalin, weil sie ihre Jungfräulichkeit hingegeben und durch widergesetzlichen fleischlichen Verkehr die heiligen Gebräuche geschändet hat, lebendig begraben.
18. Romulus herrscht nach Willkür. Im Jahr der Stadt 39 (715 v.Chr.).
Romulus war auf den Senat erbost und behandelte ihn etwas tyrannisch. So gab er für sich, ohne vorherige gemeinschaftliche Beratung, den Vejentern ihre Geisel zurück. Als dies sich öfter wiederholte, und jene sich darüber beschwerten, wurde er aufgebracht und sprach unter anderen die folgenden harten Worte: »Ich wählte euch nicht, ihr Väter, damit ihr über mich herrschet, sondern um euch meine Befehle zu erteilen.
19. Numa Pompilius. 39–82 (715–672 v.Chr.).
Numa wohnte als Sabiner auf dem Quirinalischen Hügel.7 Seine Königsburg aber hatte er in der Via Sacra, und er hielt sich gern in der Nähe des Vestatempels auf, zuweilen aber lebte er auch auf dem Lande.
Da er nun wusste, dass die Menschen das Nahe und Verwandte gering und für nichts Besseres als sich selbst erachten, das dem Anblick Entrückte und Fremdartige aber als etwas Höheres und Göttliches betrachten und verehren, weihte er einen bestimmten Ort den Musen.
20. Durch sich selbst fügten sich jetzt die Römer geselliger Ordnung, da sie Kunde vom Göttlichen bekamen, lebten seit der Zeit während Numas ganzer Regierung unter sich und mit den anderen Völkern in Frieden und hielten jenen gleich Romulus für ein besonderes Geschenk der Götter. Die gründlichsten Kenner der sabinischen Geschichte geben an, dass er am Tag der Gründung Roms geboren sei. So war denn die Stadt durch sie beide in Kurzem mächtig und geordnet, indem der eine, wie es bei der neugegründeten Stadt notwendig war, sie im Krieg übte, der andere sie die Künste des Friedens lehrte; sodass sie in beiden sich gleich sehr hervortat.
21. Ianus.
Der Römer Dion gibt an, dass ein alter Heros Ianus wegen der Bewirtung des Saturn mit der Kenntnis der Zukunft und der Vergangenheit begabt worden sei und deshalb von den Römern mit zwei Gesichtern vorgestellt werde. Nach ihm sei der Monat Januar (Ianuarius) benannt und mit diesem beginne das Jahr.
22. Tullus Hostilius. 82–114 (672–640 v.Chr.).
Tullus galt als der tapferste Held gegenüber dem Feind, Götterdienst aber missachtete und vernachlässigte er ganz, bis er, bei einer ansteckenden Seuche, auch davon befallen wurde. Jetzt verehrte er die anderen Götter aufs Gewissenhafteste und setzte noch die Collinischen Salier ein.
23. Weder Tullus noch Mettus wollte sich zu einer Veränderung seines Wohnsitzes verstehen. Jeder besorgte die Angelegenheiten seines Staates; Tullus hielt sich auf den durch Romulus erworbenen Ruhm und die Macht der Stadt, Fuffetius aber auf Albas Alter und darauf, dass es die Mutterstadt vieler anderer und selbst der Römer war, nicht wenig zugute. So gerieten sie in jenen Streit und kämpften um die Oberherrschaft. – Denn sie sahen, dass sie ohne Streit bei gleichen Rechten unangefochten nebeneinander leben konnten. – Das dem Menschen angeborene Wohlwollen gegen den Ebenbürtigen und die Sucht, über andere zu herrschen […] – Sie sprachen sich über diesen Gegenstand vielfach aus, wie der eine Teil sich mit dem anderen vertragen sollte, ohne die Sache zu einem Ende zu führen, und beschlossen daher, die Entscheidung dem Kampf zu überlassen.
24. Ancus Marcius. 115 (639 v.Chr.).
Marcius, der sich überzeugt hatte, dass, wer im Frieden leben wolle, sich nicht begnügen dürfe, anderen nichts zuleide zu tun, dass Ruhe ohne Kampf nicht heilsam sei, dass einer, je mehr er der Ersteren begehre, desto mehr Angriffen sich bloßstelle, änderte seinen Entschluss. Denn er sah ein, dass ohne kräftige Vorkehrung zum Krieg die Liebe zur Ruhe keinen wirksamen Schutz gewähre und die Reize der Muße denen, die sie unzeitig suchen, leicht verderblich würden; weshalb er, den Krieg für die rühmlichste und sicherste Schutzwehr des Friedens erachtend, den Latinern alles, was sie seinen gerechten Anforderungen versagten, mit bewaffneter Hand entriss.
25. Ancus Marcius und Tarquinius Priscus. 156 (598 v.Chr.).
Tarquinius wusste durch zeitigen Gebrauch seines Reichtums, durch Klugheit und Geschmeidigkeit den Marcius so für sich zu gewinnen, dass dieser ihn unter die Patrizier und in den Senat aufnahm, öfters an die Spitze des Heeres stellte und ihm die Vormundschaft über seine Kinder, ja selbst die Verwaltung der Regierung übertrug. Denn auch bei anderen wusste er sich ebenso beliebt zu machen, sodass man ihm gerne den Vorrang zugestand.
Bei allem Streben nach Macht nämlich wurde er niemals übermütig, sondern spielte selbst auf der höchsten Stufe von Einfluss den Anspruchslosen. Mühevolle Geschäfte übernahm er auch für andere und öffentlich, die angenehmen überließ er mit Vergnügen anderen, denn er selbst zog aus denselben keinen oder nur wenig Gewinn, und auch dies nur unter der Hand. Bei gelungenem Unternehmen schrieb er jedem anderen, lieber als sich selbst, das Verdienst zu und überließ den Preis solchen, die dessen bedürftig waren; was aber missglückte, legte er keinem auch nur ansatzweise zur Last.
Außerdem machte er sich am Hofe des Marcius alle und jeden durch Rat und Tat zu Freunden. Seine Schätze standen jedem zu Gebote, für jeden, der ihn anging, machte er seinen Einfluss geltend. Gegen niemanden sprach oder handelte er schlecht und wurde nie mit Absicht jemandes Feind. Dienste, die ihm einer erwies, würdigte er selbst über Gebühr; Beleidigungen aber beachtete er entweder gar nicht oder setzte sich über sie als unbedeutend hinweg und war so weit entfernt, sich dafür zu rächen, dass er ihm so lange Gutes erwies, bis er auch ihn für sich gewonnen hatte.
Durch dieses Benehmen gewann er Marcius und dessen ganzen Hof und erwarb sich den Ruhm der Weisheit; durch seine späteren Handlungen aber erregte er fast allgemein den Verdacht, dass er entweder von Natur tückisch sei oder nach Maßgabe seiner Macht und seines Glücks auch seine Gesinnung geändert habe.
26. Tarquinius Superbus. 220–245 (534–509 v.Chr.).
Als sich Tarquinius hinlänglich vorbereitet hatte, um auch wider den Willen [der Römer] zu herrschen, ließ er die Mächtigsten, zuerst von den Senatoren, dann auch andere, ergreifen und viele, auf die er einen glaubhaften Schein von Schuld bringen konnte, öffentlich, viele aber auch heimlich umbringen und verbannte andere. Nicht nur etwa solche, die es mehr mit Tullius als mit ihm gehalten hatten, nicht nur solche, die sich durch Adel, Reichtum, ehrenhafte Gesinnung, Mut oder auch Einsicht auszeichneten, ließ er, teils um sich zu rächen, teils um ihnen zuvorzukommen, teils aus Missgunst, Argwohn und Hass gegen andere Sinnesart hinrichten, sondern auch seine besten Freunde, mit deren Hilfe er zur Herrschaft gelangt war, schaffte er nicht weniger als die anderen beiseite, aus Furcht, sie möchten mit derselben Kühnheit und Neuerungssucht, womit sie ihm auf den Thron verhalfen, einen anderen an seine Stelle setzen.
So schaffte er den Kern des Senats und des Ritterstandes aus dem Wege, ohne die Stellen der Ermordeten mit anderen zu versehen. Denn vom ganzen Volk glaubte er sich gehasst, und er wollte jene Stände durch Verminderung ihrer Zahl so weit wie möglich schwächen. Den Senat wollte er völlig auflösen, da er jede Körperschaft für höchst gefährlich für einen Tyrannen hielt, zumal von auserwählten Männern, die das Ansehen einer Obrigkeit von alters her beanspruchten. Aus Furcht jedoch, das Volk oder selbst seine Leibwache, da sie gleichfalls aus Bürgern bestand, könnte sich, im Unwillen über die Veränderung der Staatsverfassung, gegen ihn empören, ging er nicht offen zu Werke, wusste aber seine Absichten auf eine andere zweckdienliche und arglistige Weise zu erreichen; er nahm nämlich keinen mehr in denselben auf und zog die noch Übrigen über nichts Wichtiges mehr zurate. Zwar rief er sie noch immer zusammen, aber nicht, um notwendige Angelegenheiten mit ihnen zu besprechen, sondern vielmehr, um ihnen ihre geringe Zahl und damit ihre Ohnmacht und Verächtlichkeit vor Augen zu stellen. Das meiste tat er selbst oder mit seinen Söhnen, teils damit kein anderer mächtig würde, teils auch, weil er seine Schandtaten nicht offensichtlich werden lassen wollte.
Es war schwer, Zutritt und Gehör bei ihm zu finden. Mit solchem Übermut und solcher Grausamkeit verfuhr er überall, dass man ihn den Übermütigen (Superbus) nannte. Unter anderen von ihm oder seinen Söhnen verübten Gräueltaten ließ er auch einmal auf offenem Markt und unter den Augen des Volkes einige Bürger nackt an Pfähle binden und mit Ruten zu Tode geißeln; eine Strafe, die, von ihm erfunden, später oft angewendet wurde.
27. Brutus. Ab 221 (ab 533 v.Chr.).
Lucius Iunius, Schwestersohn des Tarquinius, stellte sich, nachdem dieser seinen Vater getötet und sein Vermögen an sich gezogen hatte, dumm (brutus), um so sein Leben zu retten; weil er wohl wusste, dass jedes Anzeichen von Verstand, zumal mit hoher Geburt verbunden, den Machthabern verdächtig werde; und da er einmal diesen Plan gefasst hatte, wusste er seine Rolle aufs Genaueste durchzuführen und wurde deshalb auch Brutus genannt, denn so hießen bei den Latinern die Geistesschwachen. Dem Titus und Aruns wurde er auf ihrer Gesandtschaft nach Delphi als Possenreißer mitgegeben, und er sagte, er bringe dem Gott als Weihgeschenk einen Stock, der dem Anschein nach nichts von Bedeutung enthielt. Sie nun spotteten über des Brutus Geschenk, nämlich seinen Stab; und als der Gott den Abgesandten auf ihre Frage, wer von ihnen ihrem Vater auf dem Thron folgen würde, erwiderte, welcher zuerst seine Mutter küsse, der werde die Herrschaft über die Römer haben, fiel er [nach der Landung in Italien] wie von ungefähr zu Boden und küsste die Erde, weil er sie für die Mutter aller Sterblichen hielt.
28. Die Veranlassung der Vertreibung der Tarquinier durch Brutus war folgende. Als bei der Belagerung von Ardea die Söhne des Tarquinius mit Collatinus und Brutus, ihren Jugendgenossen und Vettern, zusammen speisten, kamen sie auf die Tugend ihrer Frauen zu sprechen, und gerieten in Streit, weil jeder der seinigen den Vorzug gab. Da keine derselben im Lager gegenwärtig war, beschlossen sie, sogleich in der Nacht sich aufs Pferd zu setzen, und ehe jene von ihrer Ankunft etwas erfahren konnten, alle der Reihe nach zu überraschen. Sie taten es und fanden die anderen in Unterhaltung, des Collatinus Gattin aber mit Wollarbeit beschäftigt.
Sie wurde überall dafür gerühmt, und den Sextus kam die Begierde an, sie um ihre Ehre zu bringen; vielleicht, dass er sie auch liebte, denn sie war äußerst schön; jedoch war es mehr seine Absicht, ihren Ruhm als ihre Keuschheit zu beflecken. Er ersah sich einmal die Zeit, da Collatinus im Land der Rutuler war und eilte nach Collatia. Wie er in der Nacht bei ihr als einer Verwandten ankam, erhielt er Tisch und Obdach.
Anfangs suchte er sie zur freiwilligen Erfüllung seiner Wünsche zu bereden, als er aber nichts ausrichtete, brauchte er Gewalt. Da es ihm aber auch so nicht glückte, erfand er eine neue Art, durch die er sie in sonderbarer Weise zwang, sich freiwillig der Entehrung hinzugeben. Dass er ihr drohte, sie niederzustoßen, beeindruckte sie nicht. Auch dass er einen Sklaven neben ihr töten wollte, stimmte sie nicht um. Als er aber drohte, den Leichnam des Sklaven neben sie zu legen und überall zu verbreiten, er habe sie beieinander schlafend gefunden und getötet, fand sie sich nicht mehr stark genug. Aus Furcht, er möchte Glauben finden, zog sie es vor, sich ihm hinzugeben und nach diesem Vorgang zu sterben, als durch augenblicklichen Tod Schande zu hinterlassen. Aus dieser Rücksicht ließ sie den Ehebrecher gewähren.
Sie schob sodann einen Dolch unter ihr Kopfkissen und ließ ihren Mann und ihren Vater holen. Sie erschienen in Eile, sie zerfloss in Tränen. Tief aufseufzend sprach sie: »Vater, – dir gestehe ich’s mit minderer Scham als dem Manne: Heute Nacht habe ich Schlimmes begangen. Aber Sextus zwang mich dazu, indem er drohte, einen Sklaven über meiner Leiche zu töten und vorzugeben, er habe mich im Beischlaf mit ihm überrascht. Diese Drohung zwang mich zur Sünde, damit ihr ihm nicht glaubtet, es sei dem wirklich so. Und ich als Frau tue jetzt, was einer Frau ziemt. Ihr aber, wenn ihr Männer seid und für eure Frauen und Kinder Sorge tragt, rächet mich! Befreiet euch und zeigt den Tyrannen, welche Frau welcher Männer sie schändeten! Mit diesen Worten zog sie, ohne Antwort zu erwarten, den Dolch, und stieß ihn sich in die Brust.
29. Das Volk beurteilt insgemein die Angelegenheiten nach den Lenkern derselben, und wie es diese findet, so erscheinen ihm auch jene. Immer zieht man das Unbekannteste der ungünstigen Erfahrung vor, indem man dem verhassten Gegenstand gegenüber große Hoffnung auf das Ungewisse setzt. Alle Veränderungen sind höchst gefährlich, vor allem aber die politischen. Denn sie schaden am häufigsten und meisten den Einzelnen wie den Staaten selbst; weshalb die Verständigen lieber in demselben Zustand bleiben, wenn er auch nicht der beste ist, als dass sie sich von einer Veränderung in die andere werfen lassen. Neigungen und Begierden wechseln mit den Glücksumständen; und je nach der Gegenwart bildet sich die Gesinnung. Das Regieren erfordert nicht nur Tugend, sondern auch Einsicht und vor allem Erfahrung; denn ohne sie weiß sich einer nicht zu mäßigen. Viele, auf eine unerwartete Höhe gehoben, ertrugen diese nicht, sondern stürzten schwindelnd herab und rissen ihre Untertanen mit sich ins Verderben.
Auf die Zukunft werdet ihr aus früheren Handlungen und nicht aus den Reden des Hilfeflehenden untrügliche Schlüsse ziehen, denn Frevel verübt jemand mit Vorbedacht; schöne Worte aber sind leicht gefunden, weshalb einer beurteilt wird nach dem, was er getan hat, nicht nach dem, was er gesprochen hat.
30. Valerius. 245 (509 v.Chr.).
Konsul Valerius, den Kollegen des Brutus, hätte das Volk, obgleich er jenem sehr zugetan war, beinahe in Stücke zerrissen. Es beargwöhnte ihn, als strebe er nach Alleinherrschaft, und hätte ihn umgebracht, wenn er nicht zeitig genug der Macht des Volkes geschmeichelt hätte. Er trat mit gesenkten fasces, die er bisher aufrecht tragen ließ, in die Versammlung und nahm die darin eingebundenen Beile ab. In diesem demutsvollen Aufzug stand er lange mit trauriger Miene und weinte. Als er aber zu reden begann, tat er es mit gedämpfter, bebender Stimme.
Dass man die Pläne geheim hält, zur rechten Zeit tatkräftig einschreitet, mit sich allein zurate geht, sich nicht auf fremde Hilfe verlässt und die Folgen des Verlaufs auf sich selbst nimmt, trägt sehr viel zu günstigen Resultaten bei.
31. Im Jahr der Stadt 245 (509 v.Chr.).
Dass in Rom zwei Konsuln gewählt wurden, damit man, wenn der eine untauglich wäre, zu dem anderen eine Zuflucht hätte.
Tribunus heißt (bei den Griechen) δήμαρχος, Diktator ε
32. Horatius. 245 (509 v.Chr.).
Die Einweihung des Iupitertempels fiel durch Los dem Horatius zu. Obgleich ihm Valerius den Tod seines (des Horatius) Sohnes meldete und auch andere schickte, die ihm dasselbe während der Einweihung verkünden mussten, damit er in der Betrübnis, und weil es überhaupt nicht erlaubt war, in der Trauer ein heiliges Amt zu verrichten, ihm die Einweihung des Gebäudes überließe, so hielt er die Nachricht zwar für wahr, welche ihm von vielen glaubwürdigen Männern bestätigt wurde, nahm aber doch nicht von der Einweihung Abstand; vielmehr befahl er einigen, die Leiche des Knaben – als wäre sie eine fremde, damit sie mit seiner Weihehandlung in keiner Berührung zu stehen scheine – unbeerdigt zu lassen, und vollzog, was seines Amtes war.
33. Im Jahr der Stadt 256 (498 v.Chr.).
So gerieten sie in Zerwürfnis. Die Reichen nämlich wollten, als die Herren der Ärmeren, überall Vorrang haben, die Ärmeren dagegen, als Gleichberechtigte, nicht im Geringsten gehorchen; die Armen, unersättlich in der Freiheit, trachteten nun auch nach den Schätzen der Reichen. Diese hielten sich mit übertriebener Strenge an die Schätzung und missbrauchten selbst die Leiber der Armen; so trennten sie sich, die früher unter wechselseitiger Dienstleistung in Eintracht gelebt hatten, voneinander und schieden das Heimische nicht mehr vom Fremden; das Maß überschreitend, hier nach der höchsten Macht, dort nach unbeschränktester Unabhängigkeit strebend, verfehlten beide das Ziel und begingen, die einen, indem sie sich wehrten, die anderen einem Angriff zuvorkommend, mancherlei Ungebühr gegeneinander. Wenn nicht in den beständigen Kriegen eben um dieses Zwiespalts willen ihnen die höchste Gefahr drohte, lagen sie in ewigem Zwist; woher denn auch viele der Großen dieselben oft geflissentlich veranlassten; seit der Zeit litten sie weit größeres Ungemach durch sich als von fremden Völkern; und diese Vorgänge lassen mich schließen, dass sie einst auf keine andere Weise ihrer Macht oder Herrschaft verlustig gehen werden, als wenn sie sich selbst zu Falle bringen.
Noch mehr brachte sie auf, dass die Väter nicht nach wie vor der Erreichung dessen, wessen sie sie bedurften, gleichen Sinnes blieben. Im Augenblicke der Gefahr machten sie ihnen viele und große Verheißungen, war die Not vorbei, so erfüllten sie nicht das Geringste davon.
34. Im Jahr der Stadt 258 (496 v.Chr.).
Damit sie, nicht zusammen kämpfend, sondern jeder vereinzelt für sein Haus streitend, leichter zu besiegen wären, teilten sie das Heer.
35. Im Jahr der Stadt 261 (493 v.Chr.).
Als der Diktator Valerius sein Amt niedergelegt hatte, brach der heftigste Volksaufstand aus, sodass sogar die Form des Staats verändert wurde; die Reichen, welche sich mit der größten Härte an die Schuldgesetze hielten und nicht das Geringste nachlassen wollten, bekamen nicht nur ihr Geld nicht, sondern büßten noch andere Vorteile ein; weil sie nie davon überzeugt werden konnten, dass grenzenlose Armut das gewaltsamste Ungeheuer wird und dass die Verzweiflung in ihrem Gefolge, zumal wenn sie die Überzahl auf ihre Seite bekommt, unkontrollierbar wird. Weshalb denn auch viele Staatsmänner gleich aus freien Stücken das Billige dem strengsten Recht vorziehen. Denn gar oft unterliegt das Letztere der menschlichen Natur und wird zuweilen gänzlich aufgehoben, während jenes Geringes opfert, um die größere Masse zu retten. Diese Härte der Mächtigeren gegen die Schwächeren hat den Römern viel Unheil gebracht. Noch manches andere war ihnen gegen die säumigen Schuldner nach den Gesetzen gestattet. Wenn es mehrere Gläubiger gab, durften sie den Schuldner in Stücke zerhauen und je nach dem Betrag ihrer Schuld unter sich verteilen. Wenn dies auch ganz gesetzlich war, so wurde es doch nie angewendet. Wie hätten sie sich auch eine solche Grausamkeit erlaubt, sie, die selbst bei Verbrechern oft noch den Rettungsweg öffneten und die vom Capitolinischen Felsen Gestürzten, wenn sie davonkamen, am Leben ließen?
36. Im Jahr der Stadt 261 (493 v.Chr.).
Die Verschuldeten stellten, nachdem sie einen Hügel besetzt hatten, einen gewissen Gaius Sicinius an die Spitze; sie versorgten sich aus der Umgebung mit Lebensmitteln wie aus Feindesland, indem sie damit zeigten, dass die Waffen mehr als die Gesetze, die Verzweiflung mehr als das Recht vermögen. Die Väter aber [d.h. die Senatoren], die einen noch schwierigeren Kampf und unter den gegenwärtigen Umständen zugleich einen Angriff der Nachbarn fürchteten, boten ihnen durch eine Gesandtschaft an, all ihren Wünschen nachkommen zu wollen. Anfangs nun führten sie dreiste Reden, wurden aber auf seltsame Weise zur Ruhe gebracht. Wie sie nämlich so ohne Ordnung durcheinanderschrien, bat sie einer der Abgeordneten, [Menenius] Agrippa, eine Erzählung anzuhören, erhielt Aufmerksamkeit und sprach so: »Die anderen Körperteile des Menschen empörten sich einst wider den Magen: Sie selbst äßen und tränken nicht und hätten stets Mühe und Arbeit, ihm alle Dienstleistungen zu verrichten, er allein hätte keine Beschwernisse und ließe sich nur immer mit Speise füllen; endlich beschlossen sie, weder die Hände sollten die Speise zum Mund führen, noch der Mund sie annehmen, damit der Magen, der Speise und des Tranks ermangelnd, zugrunde ginge. Wie dies aber beschlossen und ausgeführt wurde, geriet erst der ganze Körper ins Stocken, dann fiel er ab und wurde ganz matt. Als die Glieder nun übel dabei fuhren, erkannten sie allesamt, dass von ihm auch ihr Heil abhinge, und gaben ihm seine Speise wieder.«