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Schonfeld erklärte sich bereit, während der acht Wochen andauernden Studie einmal wöchentlich ins Institut zu kommen, Fragen über ihr Befinden zu beantworten und sich ein paarmal erneut an das EEG anschließen zu lassen. Schon kurz nachdem sie mit der Einnahme der Pillen begonnen hatte, fühlte Schonfeld das erste Mal in ihrem Leben dramatische Verbesserungen ihres Befindens. Ihr war zwar auch übel, aber das war gut so, denn wie sie wusste, war Übelkeit eine der üblichen Nebenwirkungen des Testmedikaments. Sie dachte, angesichts der Besserung ihrer Depressionen und der Nebenwirkungen habe sie ganz bestimmt die wirksame Droge erhalten. Sogar die Krankenschwester, mit der sie bei ihren wöchentlichen Besuchen sprach, war wegen der Veränderungen überzeugt, Schonfeld nehme das echte Medikament ein.
Doch nach Abschluss der achtwöchigen Studie rückte einer der Forscher mit der schockierenden Wahrheit heraus: Schonfeld, die nicht mehr suizidgefährdet war und sich nach Einnahme der Pillen wie ein neuer Mensch fühlte, war in der Placebo-Gruppe gewesen. Schonfeld war platt. Der Arzt musste sich ganz bestimmt getäuscht haben. Sie konnte einfach nicht glauben, dass sie dem jahrelangen Würgegriff der Depressionen durch die Einnahme von Zuckerpillen entkommen war und sich so viel besser fühlte. Und sogar die Nebenwirkungen waren zutage getreten! Es musste einfach eine Verwechslung sein. Sie bat den Arzt, die Unterlagen noch einmal zu überprüfen. Mit einem gutmütigen Lachen versicherte er ihr: In dem Fläschchen, das sie mit nach Hause genommen und das ihr ihr Leben wiedergegeben hatte, waren lediglich Placebo-Pillen gewesen.
Schockiert saß sie da; der Arzt versichert ihr: Auch wenn sie kein wirksames Medikament eingenommen hatte, bedeutete das keineswegs, dass sie sich ihre depressiven Symptome und deren Besserung nur eingebildet habe. Die Besserung ihres Zustands war lediglich nicht auf Effexor zurückzuführen.
Und sie war nicht die Einzige: Laut den Studienergebnissen fühlten sich 38 Prozent der Placebo-Gruppe besser, verglichen mit 52 Prozent der Gruppe, die tatsächlich Effexor eingenommen hatten. Doch auch den Forschern stand eine Überraschung bevor: Wie die Auswertung der restlichen Daten offenbarte, hatten sich Patienten wie Schonfeld, deren Depression sich durch das Placebo gebessert hatte, dieses Gefühl keineswegs nur eingebildet; ihre Gehirnwellenmuster hatten sich verändert. Die EEG-Aufzeichnungen während der klinischen Studie zeigten eine signifikant erhöhte Aktivität im präfrontalen Kortex, welche bei Patienten mit Depressionen normalerweise sehr niedrig ist.3
Der Placebo-Effekt hatte also nicht nur Schonfelds Geist verändert, sondern auch echte physische, biologische Veränderungen bewirkt. Anders ausgedrückt, fand die Veränderung nicht nur in ihrem Geist, sondern auch in ihrem Gehirn statt. Sie fühlte sich nicht nur gut – ihr ging es tatsächlich besser. Ohne ein Medikament einzunehmen oder sich anders zu verhalten, hatte Schonfeld nach Abschluss der Studie buchstäblich ein anderes Gehirn. Ihr Geist hatte ihren Körper verändert. Über zwölf Jahre später fühlte sich Schonfeld immer noch viel besser.
Wie konnte eine Zuckerpille nicht nur die Symptome einer tiefsitzenden Depression zum Verschwinden bringen, sondern auch Nebenwirkungen wie Übelkeit hervorrufen? Und was bedeutet es, dass eine wirkungslose Substanz die Macht hat, die Aktivität der Gehirnwellen zu verändern und den Teil des Gehirns anzuregen, der bei Depressionen am meisten beeinträchtigt ist? Kann der subjektive Geist wirklich solche messbaren, objektiven physiologischen Veränderungen bewirken? Was geht in Geist und Körper vor, damit ein Placebo ein echtes Medikament so perfekt nachahmen kann? Könnte dieselbe phänomenale Heilwirkung womöglich nicht nur bei chronischen psychischen Krankheiten, sondern auch bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs auftreten?
Eine »Wunderheilung«: Mal sind die Tumore da, mal sind sie verschwunden
1957 publizierte der Psychologe Bruno Klopfer von der UCLA in einem Artikel in einer von Experten gegengeprüften Zeitschrift die Geschichte eines Mannes, den er als »Mr. Wright« bezeichnete und der unter einem fortgeschrittenen Lymphom, einer Krebserkrankung der Lymphdrüsen, litt.4 Er hatte riesige, teilweise orangengroße Tumore am Nacken, in der Leistengegend und in den Achseln. Der Krebs sprach auf konventionelle Behandlungen überhaupt nicht an. Mr. Wright lag wochenlang im Bett, »fiebrig, nach Luft schnappend, völlig bettlägerig«.
Sein Arzt, Philip West, hatte die Hoffnung aufgegeben – Wright allerdings nicht. Als er erfuhr, dass sein Krankenhaus (in Long Beach, Kalifornien) zufällig eines der zehn Hospitäler und Forschungszentren im Land war, welches mit einem aus Pferdeblut hergestellten Medikament namens Krebiozen experimentierte, erfasste ihn die Aufregung. Tagelang redete er auf Dr. West ein, bis der Arzt ihm schließlich das neue Heilmittel verabreichte (obwohl Wright nicht offiziell an der Studie teilnehmen konnte, weil die Voraussetzung für die Teilnahme eine mindestens dreimonatige Lebenserwartung war).
An einem Freitag wurde Wright das Krebiozen injiziert; am darauffolgenden Montag lief er herum, lachte und scherzte mit dem Pflegepersonal und verhielt sich wie ein ganz neuer Mensch. Laut Berichten von Dr. West waren die Tumore »wie Schneebälle auf einem heißen Herd weggeschmolzen«. Innerhalb von drei Tagen waren sie nur noch halb so groß wie am Anfang. Nach weiteren zehn Tagen wurde Wright als geheilt nach Hause geschickt. Es war wie ein Wunder.
Doch zwei Monate darauf berichteten die Medien, Krebiozen habe sich bei den zehn Versuchspersonen als Fehlschlag erwiesen. Als Wright dies las, sich die Ergebnisse klarmachte und den Gedanken akzeptierte, dass das Medikament wirkungslos war, erlitt er auf der Stelle einen Rückfall, und schon bald tauchten die Tumore wieder auf. Wie Dr. West vermutete, war Wrights anfängliche positive Reaktion auf den Placebo-Effekt zurückzuführen. Der Arzt wusste um die tödliche Erkrankung seines Patienten und hatte, wie er meinte, nichts zu verlieren, Wright dagegen alles zu gewinnen – wenn er seine Theorie auf den Prüfstand stellte. Also sagte er Wright, er solle nicht glauben, was in den Zeitungen stand, und er habe einen Rückfall erlitten, weil das Krebiozen, welches ihm injiziert worden war, zu einer Fehlcharge gehörte. Eine »neue, superwirksame, doppelt so starke« Version des Medikaments sei auf dem Weg ins Krankenhaus, und Wright könne damit behandelt werden, sobald sie da sei.
In Erwartung seiner bevorstehenden Heilung fasste Wright wieder Mut, und ein paar Tage darauf erhielt er die Injektion. Doch dieses Mal enthielt die Spritze keinerlei wirksame Arzneistoffe, sondern lediglich destilliertes Wasser.
Und erneut verschwanden Wrights Tumore wie durch ein Wunder. Er kehrte glücklich nach Hause zurück, zwei Monate lang ging es ihm gut, er hatte keine Tumore im Körper. Doch dann meldete die American Medical Association, also die amerikanische Ärztekammer, dass Krebiozen tatsächlich wirkungslos war. Die Ärzteschaft war übertölpelt worden. Die »Wunderdroge« war ein Schwindel, nur Mineralöl mit einer einfachen Aminosäure. Als Wright das hörte, erlitt er einen letzten Rückfall – er glaubte nicht mehr an eine mögliche Gesundung, kehrte ohne Hoffnung ins Krankenhaus zurück und war zwei Tage später tot.
Hat Wright womöglich seinen Seinszustand nicht nur ein-, sondern zweimal dahingehend verändert, dass er zu einem Mann wurde, der einfach keinen Krebs hatte – und zwar innerhalb von wenigen Tagen? Und hat sein Körper damit automatisch auf einen neuen Geist reagiert? Konnte er sich wirklich wieder in einen krebskranken Mann zurückverwandeln, nachdem er von der Wirkungslosigkeit des Medikaments gehört hatte, indem sein Körper genau diese chemischen Verbindungen produzierte und in die vertraute Befindlichkeit des Krankseins zurückkehrte? Ist es wirklich möglich, anders als durch Einnahme einer Pille, durch eine Spritze oder gar durch einen invasiven operativen Eingriff in einen solchen neuen biochemischen Zustand zu gelangen?
Die Knieoperation, die gar keine war
1996 publizierte der Orthopäde Bruce Moseley vom Baylor College of Medicine, einer von Houstons führenden Spezialisten für orthopädische Sportmedizin, eine klinische Fallstudie über seine Erfahrungen mit zehn freiwilligen Probanden – lauter Männer, die beim Militär waren und an einer Knie-Arthrose litten.5 Manche der Männer hinkten aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung, gingen am Stock oder brauchten zum Laufen eine Gehhilfe.
Die Studie befasste sich mit den häufig durchgeführten arthroskopischen Eingriffen. Dem narkotisierten Patienten wird dabei über einen kleinen Schnitt ein faseroptisches Instrument, ein sogenanntes Arthroskop, für eine Gelenkspiegelung eingeführt. Damit schaut sich der Chirurg das Knie des Patienten genauer an. Während der OP kratzt und spült der Chirurg das Gelenk aus, um eventuell vorhandene Fragmente von degeneriertem Knorpelgewebe zu entfernen, die als Ursache für die Entzündung und die Schmerzen gelten. Zum Zeitpunkt der Studie unterzogen sich jährlich etwa eine Dreiviertelmillion Patienten einer solchen Operation.
Im Rahmen von Dr. Moseleys Studie sollte an zweien der zehn Männer eine Standardoperation ausgeführt werden, die sogenannte Wundausschneidung (dabei kratzt der Chirurg Knorpelstränge vom Kniegelenk). Drei der Versuchspersonen sollten eine Spülung erhalten (d.h. es wird Wasser unter Hochdruck in das Kniegelenk injiziert und verschlissenes arthritisches Gewebe ausgespült). An fünf Männern wurde eine Scheinoperation durchgeführt; dabei wurde die Haut mit einem Skalpell geschickt aufgeschnitten und dann einfach wieder zusammengenäht, ohne einen medizinischen Eingriff durchzuführen. Diese fünf Männer wurden weder mit dem Arthroskop untersucht, noch wurde ihr Gelenk ausgekratzt. Es wurden auch keine Knochenfragmente entfernt oder ausgewaschen – es wurde nur ein Schnitt getätigt und dann wieder zugenäht.
Bei allen zehn Probanden wurde anfangs gleich vorgegangen: Der Patient wurde im Rollstuhl in den Operationssaal gefahren und erhielt ein Narkosemittel, während Dr. Moseley sich die Hände schrubbte. Wenn der Chirurg dann den OP-Saal betrat, wartete dort ein versiegelter Umschlag auf ihn mit Informationen darüber, welcher der drei Gruppen der jeweilige Patient auf dem OP-Tisch randomisiert zugewiesen worden war. Erst wenn Dr. Moseley den Umschlag aufriss, wusste er, was darin stand. Vorher hatte er keine Ahnung.
Nach der Operation waren alle zehn Patienten laut eigenen Aussagen mobiler und hatten weniger Schmerzen. Den Männern, die »scheinoperiert« worden waren, ging es genauso gut wie den Patienten, die eine Wundausschneidung bzw. eine Spülung erhalten hatten. Selbst sechs Monate nach der OP unterschieden sich die Ergebnisse nicht. Und sechs Jahre später sagten zwei der Männer, an denen die Placebo-Operation ausgeführt worden war, sie könnten nach wie vor ganz normal und ohne Schmerzen laufen, seien mobiler und könnten all die alltäglichen Dinge tun, die sie vor der Operation sechs Jahre zuvor nicht mehr tun konnten.6 Sie hatten das Gefühl, sie hätten ihr Leben wiedergewonnen.
Dr. Moseley war von diesen Ergebnissen fasziniert und veröffentlichte 2002 eine weitere Studie mit 180 Patienten, die man zwei Jahre lang nach ihrer Operation begleitete.7 Und wieder zeigten sich bei allen drei Gruppen Besserungen; die Patienten konnten direkt nach der Operation schmerzfrei gehen und hinkten nicht mehr. Und wieder konnten bei den beiden Gruppen, die tatsächlich operiert worden waren, keine stärkeren Verbesserungen festgestellt werden als bei den Patienten, die scheinoperiert worden waren – selbst nach zwei Jahren war das noch der Fall.
Ging es diesen Patienten womöglich einfach deshalb besser, weil sie dem Können des Chirurgen, dem Krankenhaus und auch dem glänzenden, modernen Operationssaal vertrauten und fest daran glaubten? Stellten sie sich vielleicht ein Leben mit einem vollkommen gesunden Knie vor, ließen sich auf dieses potenzielle Resultat ein und liefen dann buchstäblich genau in dieses Potenzial hinein? War Dr. Moseley eigentlich nichts weiter als ein moderner Medizinmann in einem weißen Laborkittel? Und ist es möglich, solche Heilerfolge auch bei bedrohlicheren Krankheiten, zum Beispiel einer riskanten Herzoperation, zu erzielen?
Die Herzoperation, die keine war
Ende der 1950er-Jahre, lange vor der Entwicklung der heute üblichen koronaren Bypass-Operationen, führten zwei Forschergruppen Studien zum Vergleich der damals vielfach praktizierten Angina-Operation mit einer Placebo-Operation durch.8 Zu jener Zeit wurden die meisten Herzpatienten durch Ligatur einer Brustwandarterie behandelt, wobei die geschädigten Arterien freigelegt und dann gezielt abgebunden wurden, in der Meinung, ein so blockierter Blutfluss würde den Körper dazu veranlassen, neue Blutgefäße hervorzubringen und so den Blutfluss zum Herzen zu verstärken. Für die große Mehrheit der Patienten war das eine sehr erfolgreiche Operation; sie ließen sich auf diese Weise behandeln, obwohl es medizinisch keinen handfesten Beweis für die Bildung neuer Blutgefäße gab – das war auch der Grund für die oben genannten Vergleichsstudien.
Beide Forschergruppen, eine in Kansas City und eine in Seattle, gingen gleich vor: Sie teilten die Probanden in zwei Gruppen auf, von denen eine mit der standardmäßigen Ligatur der Brustwandarterie und die andere mit einer Scheinoperation behandelt wurde. Dabei wurden den Patienten die gleichen kleinen Einschnitte in der Brust wie bei der richtigen OP zugefügt und die Arterien freigelegt; doch danach wurden sie ohne irgendwelche weitere Behandlung einfach wieder zugenäht.
Beide Studien kamen zu auffallend ähnlichen Resultaten: 67 Prozent der Patienten, die tatsächlich operiert worden waren, hatten nicht mehr so starke Schmerzen und brauchten weniger Medikamente – ebenso wie 83 Prozent der scheinoperierten Patienten. Die Placebo-OP war also tatsächlich sogar erfolgreicher als die wirkliche Operation!
Glaubten die scheinoperierten Patienten womöglich so fest an eine Besserung, dass es ihnen wirklich besser ging – nur indem sie etwas erwarteten, das für sie dem bestmöglichen Resultat entsprach? Und wenn das möglich ist: Was sagt das über die Auswirkungen unserer positiven wie negativen alltäglichen Gedanken auf unseren Körper und unsere Gesundheit aus?
Die Einstellung ist alles
Wie Unmengen an Forschungsarbeiten inzwischen belegen, wirkt sich unsere Einstellung tatsächlich auf unsere Gesundheit und sogar auf unsere Lebenserwartung aus. 2002 veröffentlichte beispielsweise die Mayo-Klinik eine Studie, bei der 447 Probanden über 30 Jahre lang begleitet wurden und die aufzeigte, dass Optimisten sowohl körperlich als auch geistig gesünder waren.9 Der Begriff Optimist leitet sich von lateinisch »optimum«, deutsch »das Beste«, ab. Optimisten beschäftigen sich also vermutlich mit dem besten Zukunftsszenario. Der Studie zufolge hatten sie aufgrund ihres körperlichen und geistigen Befindens meistens weniger Probleme mit ihrem Alltag, litten seltener unter Schmerzen, fühlten sich energiegeladener, hatten es im sozialen Leben einfacher und fühlten sich glücklicher, ruhiger und mehr im Frieden. Diese Studie kam direkt nach einer anderen Studie der Mayo-Klinik heraus, welche über 800 Menschen 30 Jahre lang begleitet hatte und nachwies, dass Optimisten länger leben als Pessimisten.10
Forscher der Yale-Universität begleiteten bis zu 23 Jahre lang 660 Menschen im Alter von 50 Jahren und älter. Ihre Erkenntnis: Diejenigen mit einer positiven Einstellung zum Älterwerden lebten über sieben Jahre länger als jene, die das Altern eher negativ betrachteten.11 Die Einstellung hatte auf die Langlebigkeit mehr Einfluss als der Blutdruck, der Cholesterinspiegel, Rauchen, Körpergewicht oder sportliche Betätigung.
Andere Studien konzentrierten sich speziell auf den Zusammenhang zwischen Einstellung und der Gesundheit des Herzens. Ungefähr zur selben Zeit berichtete eine Studie der Duke University, an der 866 Herzpatienten teilnahmen, dass diejenigen, die normalerweise eher positive Emotionen verspürten, eine um 20 Prozent höhere Chance hatten, weitere elf Jahre zu leben, als diejenigen, die gewohnheitsmäßig eher negative Emotionen verspürten.12 Noch auffälliger sind die Ergebnisse einer Studie mit 255 Medizinstudenten des Medical College of Georgia, die 25 Jahre lang begleitet wurden: Jene, die am ablehnendsten waren, hatten ein fünffach höheres Risiko, eine koronare Herzerkrankung zu bekommen.13 Und wie eine Studie der Johns Hopkins Universität aufzeigte, die 2001 anlässlich der »Scientific Sessions« der American Heart Association vorgelegt wurde, bietet eine positive Zukunftserwartung bei Erwachsenen, die aufgrund ihrer Familiengeschichte entsprechend gefährdet sind, womöglich den stärksten bekannten Schutz vor Herzkrankheiten.14 Die richtige Einstellung, so die Annahme dieser Studie, kann genauso gut (oder sogar noch besser) funktionieren wie die richtige Ernährung, die richtige Menge an sportlicher Betätigung und Idealgewicht.
Wie kann unsere geistige Einstellung im alltäglichen Leben – also ob wir eher liebevoll und voller Freude sind oder ablehnend und negativ – über unsere Lebenserwartung bestimmen? Können wir unsere derzeitige Einstellung verändern? Und wenn ja, kann eine neue Einstellung die alten Konditionierungen aus vergangenen Erfahrungen überschreiben und außer Kraft setzen? Oder könnte die Erwartung einer sich wiederholenden negativen Erfahrung tatsächlich eben zu dieser negativen Erfahrung führen?
Übelkeit durch Gedanken
Laut Aussage des National Cancer Institute leiden etwa 29 Prozent der Chemotherapie-Patienten unter der sogenannten antizipatorischen Übelkeit, wenn sie Gerüche wahrnehmen und etwas sehen, was sie an ihre Chemotherapie erinnert.15 Circa elf Prozent wird vor der Behandlung so übel, dass sie sich tatsächlich erbrechen müssen. Manchen Krebspatienten wird übel, wenn sie mit dem Auto unterwegs zur Chemotherapie sind, also noch bevor sie überhaupt einen Fuß ins Krankenhaus setzen; andere übergeben sich schon im Wartezimmer.
2001 publizierte das Krebszentrum der University of Rochester im »Journal of Pain and Symptom Management« eine Studie, die zu dem Schluss kam, dass die Erwartung von Übelkeit der stärkste Indikator für ihr tatsächliches Auftreten ist.16 Wie die Daten belegen, wurde 40 Prozent der Chemotherapiepatienten und -patientinnen, die meinten, ihnen würde schlecht – weil ihre Ärzte ihnen gesagt hatten, das wäre wahrscheinlich nach der Behandlung der Fall –, schon übel, bevor sie behandelt wurden. Weiteren 13 Prozent, die sich nicht sicher waren, was sie zu erwarten hätten, wurde ebenfalls übel. Doch von den Patienten, die keine solchen Erwartungen hegten, litt keiner unter Übelkeit.
Wie können manche Leute so davon überzeugt sein, ihnen würde von der Chemotherapie übel, dass sie schon krank werden, bevor ihnen die Medikamente verabreicht werden? Ist es womöglich die Macht ihrer Gedanken, die sie krank macht? Und wenn das auf 40 Prozent der Chemotherapiepatienten zutrifft, könnten sich dann nicht ebenso 40 Prozent der Leute wieder besser fühlen, wenn sie einfach in Gedanken andere Erwartungen über ihre Gesundheit oder ihren Alltag hegen? Könnte ein einziger Gedanke, wenn er akzeptiert wird, den Zustand der betreffenden Person tatsächlich verbessern?
Verdauungsprobleme lösen sich in Luft auf
Vor nicht allzu langer Zeit, als ich in Austin darauf wartete, aus dem Flieger auszusteigen, lernte ich eine Frau kennen, deren Lektüre meine Aufmerksamkeit erregte. Während wir auf dem Gang darauf warteten, das Flugzeug verlassen zu dürfen, sah ich ein Buch aus ihrer Tasche ragen, in dessen Titel das Wort Glaube vorkam. Wir lächelten uns an, und ich fragte sie, worum es in dem Buch ging.
»Christentum und Gläubigkeit«, antwortete sie. »Warum fragen Sie?«
Ich erzählte ihr, ich schriebe gerade an einem neuen Buch über den Placebo-Effekt, welches sich um Überzeugungen drehte.
»Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen«, sagte sie. Vor Jahren war bei ihr eine Glutenintoleranz diagnostiziert worden, des Weiteren Zöliakie, Kolitis und alle möglichen anderen Leiden; sie war von chronischen Schmerzen geplagt. Sie informierte sich über die Krankheiten und konsultierte mehrere Gesundheitsexperten, die ihr rieten, bestimmte Nahrungsmittel zu meiden und bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente einzunehmen. Sie folgte diesen Empfehlungen, doch noch immer tat ihr der gesamte Körper weh. Außerdem litt sie unter Schlaflosigkeit, Hautausschlägen, schlimmen Verdauungsstörungen und einer ganzen Reihe anderer unangenehmer Symptome. Jahre später ging sie zu einem neuen Arzt, welcher ein paar Bluttests durchführte, die alle negativ waren.
»An dem Tag, als ich herausfand, dass mir nichts fehlte, und dachte: ›Mir geht’s gut‹, verschwanden alle meine Symptome. Ichfühlte mich auf der Stelle großartig und konnte essen, was ich wollte«, erzählte sie schwungvoll und fügte mit einem Lächeln hinzu: »Was glauben Sie, was das wohl war?«
Was geschieht in unserem Körper, wenn neue Informationen zu einer 180-Grad-Wende unserer Überzeugungen über uns selbst führen und dies unsere Symptome verschwinden lässt? Wie sieht die genaue Beziehung zwischen Geist und Körper aus? Können neue Überzeugungen wirklich unser Gehirn und unsere Körperchemie verändern, die neurologischen Schaltkreise unserer Ansichten darüber, wer wir sind, physisch neu vernetzen und unsere Genexpression verändern? Können wir also wirklich zu einem neuen Menschen werden?
Placebos gegen Parkinson
Parkinson ist eine neurologische Störung, die durch allmähliche Degeneration der Nervenzellen in einem Teil des Mittelhirns, den sogenannten Basalganglien, die die Körperbewegungen steuern, charakterisiert ist. Bei Patienten, die unter dieser furchtbaren Krankheit leiden, produziert das Gehirn nicht genug Dopamin (ein Neurotransmitter, den die Basalganglien für ihre korrekte Funktionsweise benötigen). Im Frühstadium der derzeit als unheilbar angesehenen Parkinson-Erkrankung treten motorische Störungen wie Steifigkeit, Zittern, Gang- sowie Sprachstörungen auf, die sich der willentlichen Kontrolle entziehen.
In einer klinischen Studie der University of British Columbia in Vancouver teilten die Forscher einer Gruppe von Parkinson-Patienten mit, sie würden ein Medikament erhalten, welches ihre Symptome beträchtlich lindere.17 In Wirklichkeit erhielten die Patienten ein Placebo – nur eine Salzlösung – injiziert. Dennoch konnte die Hälfte der mit dem wirkungslosen Placebo behandelten Patienten danach ihre Motorik deutlich besser steuern.
Die Untersuchung der Gehirne der Patienten ergab, dass diejenigen Probanden, die positiv auf das Placebo ansprachen, tatsächlich mehr Dopamin im Gehirn produzierten – und zwar bis zu 200 Prozent mehr als vorher. Dieser Effekt wäre medikamentös nur durch eine hohe Dosis Amphetamin zu erreichen: eine stimmungsaufhellende Droge, die auch den Dopaminspiegel erhöht.
Nur die Erwartung einer Besserung hatte anscheinend bei den Parkinson-Patienten eine zuvor nicht genutzte Kraft freigesetzt, welche die Dopaminproduktion anregte – genau das, was der Körper zur Gesundung brauchte.
Wenn das stimmt, wie sieht dann der Prozess aus, der allein durch Gedanken Dopamin im Gehirn produzieren kann? Könnte ein durch klare Absicht in Kombination mit einem Zustand höherer Emotionen verursachter neuer innerer Zustand uns wirklich in bestimmten Situationen unbesiegbar machen, indem er unser inneres Arzneimittellager aktiviert und die bislang als schicksalhaft geltenden genetischen Krankheitsumstände außer Kraft setzt?
Von tödlichen Schlangen und Strychnin
In manchen Gegenden in den Appalachen wird ein etwa 100 Jahre altes religiöses Ritual praktiziert, das sogenannte »Snake Handling«.18 Legal ist diese Praxis nur noch im Bundesstaat West Virginia, aber das hält die Gläubigen andernorts keineswegs davon ab, und die Polizei drückt oft ein Auge zu. In kleinen, bescheidenen Kirchen tritt der Prediger am Anfang des Gottesdienstes vor die Gemeinde und stellt vorsichtig eine oder mehrere flache Holzkisten auf das Podest vor dem Altar- bzw. dem Versammlungsraum. Diese Kisten haben aufklappbare, durchsichtige Plastiktüren, in denen sich Luftlöcher befinden. Kurz darauf erklingt Musik, eine energiegeladene Mischung aus Country & Western und Bluegrass-Melodien mit hoch religiösen Texten über die Erlösung der Menschheit und die Liebe Gottes. Musiker spielen klagende Musik auf Keyboards, elektrischen Gitarren und sogar Schlagzeugen, um die sie jede Teenager-Band beneiden würde; vom Heiligen Geist bewegt, schütteln die Pfarrgemeindemitglieder Tamburins. Es baut sich immer mehr Energie auf. Manchmal zündet der Prediger in einem Behälter oben auf der Kanzel eine Flamme an und hält seine Hand ins Feuer. Die Flammen lecken an seiner ausgestreckten Hand, bevor er den Behälter nimmt und die Flamme langsam über seine bloßen Unterarme streichen lässt. Er »wärmt sich auf«.