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„Es gibt drei helle Sportwagen, die in den zeitlichen Rahmen fallen. Zwei davon sind in Ulm gemeldet, um die kümmert sich die Kollegin Ravelli, wobei ich sie selbstverständlich begleiten werde.“
„Und der dritte?“ Leo spürte, dass es damit etwas Besonderes auf sich hatte.
„Den dürfen Sie gerne übernehmen. Allerdings bitte ich, äußerst diskret vorzugehen.“
Leo wurde hellhörig und immer ungeduldiger. Warum druckste Zeitler so rum?
„Ein Diplomaten-Kennzeichen.“
„Scheiße! Aus welchem Land?“
„Aus dem Kongo.“
„Sie verarschen mich doch.“
„Nein! Der Sitz der Botschaft ist in Berlin und das Kennzeichen, sowie der Wagen, sind dort gemeldet.“
„Und was macht dieses Fahrzeug in Ulm?“
„Das gilt es, herauszufinden.“
„Wo soll ich ansetzen? Das ist die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.“
„Lassen Sie sich etwas einfallen. Wir von unserer Seite dürfen nichts in diese Richtung unternehmen, geschweige denn recherchieren. Schon allein die Überprüfung der beiden anderen Sportwagen ist äußerst riskant, aber das können wir mit dem hohen Messergebnis erklären. Suchen Sie diesen Sportwagen und schließen Sie aus, dass der Wagen etwas mit der Kollegin Kußmaul zu tun hat. Denn wenn das der Fall sein sollte, dann Gnade uns Gott.“
Leo lehnte sich mit einem Seufzer zurück. Mit einem Diplomaten hatte er zum Glück noch nie zu tun gehabt. Er wusste, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte, wenn es sich bei dem Gesuchten um einen solchen handelte, denn die waren unantastbar. Wie sollte er jetzt vorgehen? Wie sollte er den Wagen finden?
Ihm fiel sein Freund Georg Obermaier ein, der in Berlin lebte und arbeitete.
„Georg? Ich bin es, Leo. Ich brauche deine Hilfe.“
„Leo? Wie schön, dass du dich meldest. Du brauchst Hilfe? Ich befürchte, dass ich dir nicht helfen kann. Ich bin momentan in Ägypten.“
„Was machst du in Ägypten?“
„Urlaub, was sonst. Ich habe mich von meiner Frau getrennt. Ich liege am Strand und trinke, um meinen Kummer zu vergessen.“
„Es tut mir leid, das zu hören. Wann kommst du zurück?“
„Machst du Witze? Ich bin heute erst angekommen, ich liege erst seit zwanzig Minuten hier. Ich habe noch fast die ganzen zwei Wochen vor mir.“
Leo sprach zwanzig Minuten mit seinem Freund und versuchte, ihn zu trösten. Er mochte Georg sehr und wusste, wie sich eine Trennung anfühlte, zumal er selbst eine hinter sich hatte.
„Genieße deinen Urlaub. Und versprich mir, dass du es mit dem Alkohol nicht übertreibst.“
„Versprochen. Wir hören uns.“
Georg klang nicht gut, trotzdem musste sich Leo auf die Suche nach Ursula konzentrieren. Was jetzt? Wie sollte er an Informationen dieses Diplomaten-Autos kommen? In seiner Verzweiflung rief Leo seinen Freund und Kollegen Hans Hiebler an, der schon einmal mit einem Diplomaten zu tun hatte, was vor seiner Zeit in Mühldorf war.
„Leo? Solltest du nicht mit einem Cocktail irgendwo am Strand liegen?“
„Ich bin in Ulm.“
„Naja. Ein besseres Urlaubsziel ist dir wohl nicht eingefallen, oder?“
„Ich brauche deine Hilfe. Kannst du reden?“
Der fünfundfünfzigjährige Hans spürte, dass etwas passiert sein musste.
„Ich bin allein. Was ist los?“
Leo erzählte ihm alles, was er wusste. Auch das, was ihm der Zeuge Häberle erzählt hatte. Damit verstieß er zwar gegen Zeitlers Anweisung, aber er musste irgendwie weiterkommen, wobei ihm Hans vielleicht helfen konnte. Auf ihn konnte er sich blind verlassen.
„Ich verstehe. Georg ist nicht in Berlin und Viktoria ist in Mühldorf, damit bist du auf dich allein gestellt. Du suchst nach einem Fahrzeug, das dir eigentlich nicht hilft, wenn du es gefunden hast.“
„Richtig.“
„Du sagtest, dass Ursula in Stadelheim sitzt?“
„Das ist die momentane Informationslage, die offiziell noch nicht bestätigt wurde.“
„Was für eine wirre Geschichte. Schade, dass ich hier nicht wegkann, ich würde dir gerne helfen. Lass mich überlegen, was ich tun kann. Wenn Diplomaten im Spiel sind, ist das immer beschissen. Ich kann mich noch gut an damals erinnern und könnte mich noch heute darüber aufregen. Allerdings hat das alles auch etwas Gutes. Ich habe ein paar Leute kennengelernt, die jetzt behilflich sein könnten.“ Hans erinnerte sich an seine Kontakte. „Ich sehe zu, was ich machen kann und melde mich wieder bei dir. Übrigens: Tatjana ist seit gestern wieder zurück. Sie sieht blendend aus, die Kur hat ihr sehr gutgetan.“
Hans war vorsichtig mit seiner Formulierung. Die Wiederkehr der genesenen Tatjana Struck bedeutete auch, dass die Vertretung durch Viktoria Untermaier überflüssig geworden war und sie nun wieder gehen konnte.
Leo schluckte. Seine frühere Kollegin und Lebensgefährtin hatte die Vertretung übernommen, wovon er nicht begeistert gewesen war. Erst in den letzten Wochen verstanden sie sich besser und näherten sich langsam wieder an.
„Viktoria ist wieder in Berlin?“, flüsterte er.
„Noch nicht. Der Chef gibt heute Abend einen aus, wozu er auch dich einladen wollte. Wir wussten nicht, dass du in Ulm bist.“
Werner Grössert wusste es, aber der hatte offenbar nichts gesagt. Warum sollte er?
„Ich würde gerne dabei sein, aber ich kann hier nicht weg.“
„Kann ich verstehen. Soll ich Viktoria etwas ausrichten?“
„Nein, danke. Was die Sache mit dem Sportwagen betrifft, bitte ich um absolute Diskretion. Sollten wir hier richtig liegen, hat Ursulas Verhaftung eventuell damit zu tun. Kein Wort zu irgendjemandem.“
„Du kannst dich auf mich verlassen.“
Leo rief all seine Kontakte in Deutschland und im benachbarten Ausland an, denen er vertraute. Dasselbe machte Hans parallel. Die beiden waren keine Anfänger und hatten über die Jahre viele Kontakte knüpfen können. Die Gespräche waren mühsam, denn beide mussten vorsichtig vorgehen. Kein Detail, das Ursula und der Suche nach ihr schaden könnte, durfte an die Oberfläche kommen.
Leo hatte bei dem Schweizer Polizisten Lukas Jäger endlich Glück. Der junge Polizist aus Appenzell war sehr ehrgeizig und Leo konnte sich noch gut an die problemlose Zusammenarbeit mit ihm während eines komplizierten Falles in den Schweizer Bergen erinnern, bei dem er selbst körperlich in Mitleidenschaft gezogen wurde.
„Wenn Sie möchten, kann ich für Sie Informationen einholen“, bot Lukas Jäger an.
„Sie haben verstanden, dass es sich um ein Fahrzeug mit Diplomatenkennzeichen handelt?“
„Ja, das habe ich verstanden. Wir Schweizer sehen diesen Status nicht ganz so eng. Wenn man in unser schönes Land kommt, muss man sich an unsere Gesetze halten, ob nun Diplomat oder nicht. Ihr Deutschen seid in dieser Beziehung viel zu ängstlich. Ich werde mich gerne für Sie umhören, Kollege Schwartz, zumal ich immer noch sehr in Ihrer Schuld stehe. Meine damalige Mitarbeit zusammen mit der Verhaftung haben mir eine Beförderung eingebracht, an der Sie maßgeblich beteiligt sind.“ Lukas Jäger konnte kaum glauben, dass ihn Leo Schwartz persönlich anrief. Er war ein regelrechter Fan des riesigen Schwaben, der sich mit einer Bitte an ihn wandte. Nie im Leben hätte er ihn abgewimmelt, auch wenn er momentan kaum Zeit hatte und die Sache nicht ganz so einfach war, wie er vorgab. Es war klar, dass er sich umgehend um die Angelegenheit kümmern wollte.
Leo musste schmunzeln, als er auflegte. Der Schweizer war eine Frohnatur, von denen es in dem Beruf nicht viele gab. Hatte er den Mann in Schwierigkeiten gebracht, indem er ihn bat, ihm zu helfen?
Hans hatte sich noch nicht gemeldet, aber Lukas Jäger hatte nach drei Stunden ein Ergebnis auf dem Tisch liegen.
„Der Wagen gehört zum Fuhrpark der Botschaft der Republik Kongo, die in der deutschen Hauptstadt Berlin ansässig ist. Dass Neacel Magoro der aktuelle Botschafter ist, dürfte Ihnen bekannt sein. Der Wagen, nach dem Sie suchen, wird hauptsächlich von einem Mann namens Temuera Achebe gefahren. Ich habe mich umgehört, auch bei uns in der Schweiz ist Achebe kein Unbekannter. Er fiel mehrfach wegen diverser Verkehrsdelikte auf. Offenbar denkt der Mann, dass man auch die Schweizer Autobahnen als Rennstrecke verwenden darf, wie es in Deutschland der Fall ist. Wir haben Geschwindigkeitsbeschränkungen, Ihr Land nicht, was diverse Raser-Spinner auf den Plan ruft. Aber das führt jetzt zu weit, zurück zu Achebe. Nach den Protokollen zu urteilen pochte Achebe bei Kontrollen auf seinen Diplomatenstatus, zu Anhörungen ist er nicht einmal erschienen. Sollte er in der Schweiz nochmals auffällig werden, blüht ihm die volle Härte der strafrechtlichen Verfolgung, denn bei uns ist das Maß schneller voll, als in Deutschland. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass Achebe offensichtlich im Rotlicht-Milieu kein Unbekannter ist. Dafür habe ich keine Beweise vorliegen, ich bekam hierzu lediglich einen Hinweis eines Kollegen. Ich schicke Ihnen die Unterlagen zu. Wie hätten Sie es denn gerne? Fax? Email?“
„Am liebsten wäre es mir, wenn Sie mir alles an meine private Email-Adresse senden. Ist das möglich?“
„Normalerweise nicht, aber bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.“ Lukas Jäger war zufrieden, als er die Unterlagen an Leos private Mailadresse sandte. Er hatte helfen können und war auch stolz auf das, was er in der kurzen Zeit herausgefunden hatte. Jäger lehnte sich zurück. Auf was hatte sich der Kollege Schwartz jetzt schon wieder eingelassen? Der Diplomatenstatus an sich war schon nicht ohne, dazu noch Achebe, der ihm auf einem Polizeifoto entgegengrinste. Ein arroganter, unangenehmer Zeitgenosse, mit dem Jäger nichts zu tun haben wollte. Die Tatsache, dass Leo Schwartz die Unterlagen an seine private Mailadresse geschickt haben wollte, unterstrich Jägers Vermutung: Das war eine ganz üble Sache, mit der sich der Schwabe beschäftigte. Aber das war zum Glück nicht mehr sein Problem, seine Arbeit war erledigt.
Leo war aufgeregt. Hatte Jäger das Rotlichtmilieu erwähnt? Wenn dieser Achebe damit zu tun hatte, würde er es herausfinden. Dazu brauchte er sich nur mit Tatjana Struck in Verbindung setzen, deren Vater kein Unbekannter im Rotlichtmilieu war.
Noch bevor er Tatjana kontaktierte, bekam er die Unterlagen von Jäger zugesandt. Auf dem Display lächelte ihm das Gesicht eines Mannes entgegen: So sieht er also aus, Temuera Achebe.
6.
Michael Zeitler und Anna Ravelli fuhren zu dem Halter eines cremefarbenen Sportwagens. Das Auto stand nicht vor dem Einfamilienhaus am Rande Ulms, eventuell parkte es in der geschlossenen Garage.
Sie klingelten an der Tür und ein Mann Ende fünfzig öffnete ohne Gruß. Es war offensichtlich, dass er schlecht gelaunt war.
„Kriminalpolizei Ulm. Mein Name ist Zeitler, das ist meine Kollegin Ravelli. Sie sind Ingo Sax?“
„Steht auf meinem Klingelschild. Was wollen Sie? Eine Spende für den Polizeiball? Ich muss Sie enttäuschen, bei mir ist nichts zu holen. Ich bin seit Jahren berufsunfähig und bekomme eine staatliche Zuwendung, mit der ich mir keine Extratouren leisten kann.“ Sax war drauf und dran, einfach die Tür wieder zu schließen.
„Haben Sie nicht verstanden, dass wir von der Kriminalpolizei sind?“, blaffte ihn Zeitler an.
„Und wenn Sie der Kaiser von China wären, wäre mir das auch wurscht. Ich habe mir nichts vorzuwerfen und möchte meine Ruhe haben, das wird mir im Grundgesetz garantiert.“
„Gut, wie Sie wollen. Wir können uns auch auf dem Polizeipräsidium unterhalten, wobei Sie davon ausgehen können, dass das sehr lange dauern wird.“ Zeitler war kurz davor, die Geduld zu verlieren. Wann hatte es eigentlich damit angefangen, dass Bürger jeglichen Respekt vor der Polizei verloren hatten?
„Sie haben gewonnen. Was wollen Sie?“ Sax verschränkte die Arme vor der Brust und machte keine Anstalten, die Beamten ins Haus zu bitten.
„Sie wurden letzte Nacht geblitzt. Sie waren bei erlaubten fünfzig km/h dreiundzwanzig zu schnell. Das ist doch Ihr Fahrzeug?“ Zeitler zeigte ihm das Foto, das zugegebenermaßen bezüglich des Fahrers unscharf war. Aber das Kennzeichen war deutlich zu erkennen.
„Ja, das ist mein Wagen. Deshalb kommt die Kriminalpolizei persönlich zu mir? Haben Sie nichts Besseres zu tun? Warum stellen Sie mir den Strafzettel nicht einfach per Post zu, wie sonst auch? Moment“, sagte Sax und besah sich das Foto genauer, „darauf bin ich ja überhaupt nicht zu erkennen. Der Fahrer bin nicht ich. Wissen Sie was? Schicken Sie mir das alles schriftlich zu, damit ich etwas in der Hand habe. Heutzutage geht nichts ohne Beweise. Alles Weitere wird mein Anwalt klären.“
„Wir möchten den Wagen sehen“, sagte Anna, die kurz davor war, zu explodieren.
„Dürfen Sie das überhaupt? Brauchen Sie dafür nicht irgendetwas Schriftliches? Ich glaube, ich sollte meinen Anwalt anrufen. Man muss sich als unbescholtener Bürger vor jeder Art von Beamtenwillkür schützen.“
„Gerne, wie Sie wollen. Rufen Sie Ihren Anwalt an und wir besorgen uns einen Beschluss, womit wir nicht nur Ihren Wagen, sondern auch Ihre Privaträume durchsuchen dürfen.“
Ingo Sax war erschrocken. Mit dieser heftigen Reaktion der Kriminalbeamten hatte er nicht gerechnet. Was war hier los? Hier ging es sicher nicht nur um die Geschwindigkeitsübertretung. Sax entschied, mit der Polizei zu kooperieren.
„Beruhigen Sie sich. Sie brauchen mir nicht gleich zu drohen, ich füge mich der Gewalt. Kommen Sie mit.“ Sax zog die Tür hinter sich zu und ging in den Garten des kleinen, alten Einfamilienhauses, das nicht Sax gehörte, sondern seiner Mutter, die ebenfalls hier gemeldet war. Der Weg führte nicht zur Garage, sondern ans Ende des Grundstückes, wo sie hinter einer hohen Hecke einen nagelneuen Carport vorfanden, in dem ein blitzsauberer Sportwagen stand. Sax kratzte sich verlegen am Kopf.
„Das ist mein Wagen.“
„Donnerwetter! Dass Sie sich den leisten können, grenzt an ein Wunder.“
„Meine Mutter bezahlt die Unterhaltskosten, sonst könnte ich mir den Spaß nicht leisten. Eine Freude braucht der Mensch, und meine ist mein Wagen.“
„Warum steht der Wagen hier und nicht in der Garage?“
„Wegen der Nachbarn. Was denken Sie, wie schnell das Neider auf den Plan ruft. Die Welt ist schlecht, das können Sie mir glauben.“
„Und Sie sind eine ganz ehrliche Haut“, lachte Anna sarkastisch.
„Natürlich bin ich ehrlich, das bin ich schon immer gewesen.“
„Dann stellen Sie das unter Beweis. Wer hat heute Nacht den Wagen gefahren?“
„Ich kann mich einfach nicht daran erinnern. Ich war mit einem Freund unterwegs und wir fuhren abwechselnd. Wenn einer von uns gemerkt hätte, dass wir geblitzt wurden, hätten wir sicher darüber gesprochen. Aber wir haben es nicht bemerkt. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer von uns gefahren ist, ehrlich.“
„Name und Adresse Ihres Freundes?“
„Da muss ich passen, so gut kennen wir uns nicht.“
„Telefonnummer?“
„Sorry, die weiß ich nicht. Wir haben uns gestern erst kennengelernt und sind gemeinsam durch die Bars gezogen. Dabei haben wir selbstverständlich keinen Alkohol getrunken, ich schwöre.“
„Sie lernen einen Mann kennen und lassen ihn sofort mit Ihrem Wagen fahren? Sie verarschen uns doch!“
„Nein, das würde ich nie im Leben machen. Wenn Sie mich besser kennen würden, wüssten Sie, dass ich immer die Wahrheit sage.“ Ingo Sax lächelte Anna an, aber die ließ sich nicht beirren. Sie war davon überzeugt, dass der Mann log, sobald er den Mund aufmachte.
Zeitler sah sich um. Nicht nur im Garten, sondern auch außerhalb des Grundstücks.
„Sie fahren mit Ihrem Wagen hier raus? Ist das erlaubt?“ Zeitler wusste aus eigener Erfahrung, dass man solche Zufahrten genehmigen lassen musste, was sehr viel Zeit und Geld kostete.
Ingo Sax druckste herum.
„Es könnte sein, dass man das nicht darf. Aber ich störe niemanden und es hat sich bis heute auch keiner darüber beklagt. Bekomme ich jetzt Ärger oder haben Sie ein Einsehen mit einem armen, vom Leben gezeichneten Mann, der sich diesen kleinen Luxus gönnt, da er sonst nichts hat?“
Zeitler zögerte. Was hätte er davon, wenn er den Mann anzeigte? Anna dachte anders. Der Typ war vorhin sehr unhöflich gewesen und machte ihrer Auffassung nach eine falsche Angabe nach der anderen. Und jetzt, da man sein Geheimnis kannte, wurde er charmant und freundlich. Sie mochte solche Charaktere nicht und schmollte, da sie bemerkte, dass Zeitler nicht abgeneigt war, Gnade vor Recht walten zu lassen.
Dann ging ein Fenster im Erdgeschoss des Hauses auf und eine alte Frau streckte den Kopf heraus.
„Ingoooooo“, rief sie laut, „der Richard ist am Telefon. Er fragt, wann du gedenkst, zur Arbeit zu kommen.“
„Arbeit? Sagten Sie nicht, dass Sie keine Arbeit haben?“ Zeitler wurde wütend.
„Ich verdiene mir gelegentlich ein paar Mark dazu. Allerdings nur sehr selten, ich schwöre.“
Anna hatte genug gehört, sie suchte das Gespräch mit der alten Frau, die sich als Mutter von Ingo Sax vorstellte. Sie plauderte munter darauf los und hatte kein Problem damit, von ihrem fleißigen Sohn zu schwärmen, der ihr immer wieder teure Geschenke machte. Sie selbst hatte nur eine kleine Rente und war auf ihren Sohn angewiesen.
„Das gibt eine fette Anzeige“, sagte Anna wütend, als sie wieder zu Sax und Zeitler ging.
Sax wollte sich rechtfertigen, aber darauf hatten die beiden Kriminalbeamten keine Lust. Sollte er sich doch äußern, wenn ihm die betreffende Post ins Haus flatterte.
Die Verabschiedung fiel weniger freundlich aus, denn nun kam sich Zeitler so richtig verarscht vor, was er auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Der nächste Weg führte sie ans andere Ende von Ulm. Der zitronengelbe Sportwagen stach sofort ins Auge, als sie in die Straße einbogen. Er parkte vor einem frisch renovierten, modernen Mehrfamilienhaus, das von einem gepflegten Grundstück umgeben war. Alles war sehr sauber, sogar die verschiedenen Mülltonnen hatten einen eigenen Unterstellplatz und standen ordentlich aufgereiht nebeneinander.
Anna klingelte bei Gerhard Urban.
„Ja bitte?“, tönte es aus der Gegensprechanlage.
„Kriminalpolizei!“, rief Zeitler nur und sofort summte der Türöffner.
Das Treppenhaus war sauber, hell und freundlich. Für Annas Begriffe alles viel zu steril, Zeitler interessierte sich nicht dafür. Ein Mann Anfang vierzig stand vor der Wohnungstür im zweiten Obergeschoss. Er begrüßte die Kriminalbeamten mit Handschlag und bat sie ohne weitere Erklärung in die Wohnung. Anna war überrascht, denn das kam nicht oft vor.
„Bitte setzen Sie sich“, sagte Gerhard Urban freundlich, als er sie ins Wohnzimmer führte.
Anna sah sich in dem riesigen, teuer eingerichteten Raum um. Hier sah es aus wie in einem Möbelhaus. Alles stand auf seinem angestammten Platz und nirgends war ein Staubkörnchen zu sehen. Ton in Ton wurde alles perfekt aufeinander abgestimmt, sogar Gerhard Urban passte in seinem hellen Anzug und dem rosafarbenen Hemd genau dazu. Anna mochte es nicht, wenn alles perfekt war, das war ihr suspekt. Oder war es nur der Ärger darüber, dass sie es nie auch nur annähernd so weit bringen würde? Abgesehen von der fehlenden Kohle sah es in ihrer Wohnung immer chaotisch aus, was auch an Stefan lag, der, wie sie selbst, alles herumliegen ließ.
Zeitler waren die Wohnverhältnisse anderer völlig egal. Er registrierte sie zwar, bewertete sie aber nicht.
„Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches? Darf ich Ihnen einen Cappuccino anbieten, oder einen Espresso?“
„Nein, danke. Sie wurden heute Nacht mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt“, sagte Zeitler und legte Urban das Foto vor. „Das sind doch Sie und das ist Ihr Wagen?“
„Ja sicher. War ich so schnell unterwegs, dass dafür sogar die Kriminalpolizei kommen muss?“ Urban wirkte erschrocken, aber das war nur aufgesetzt. Die Kriminalbeamten spürten, dass sie es mit einem sehr selbstsicheren Menschen zu tun hatten, der sich im Griff hatte.
„Was haben Sie heute Nacht gemacht? Wo kamen Sie her und wo wollten Sie hin?“
Es entstand eine längere Pause, für Zeitlers Gefühl zu lange.
„Ich bin einfach nur durch die Gegend gefahren. Ohne Grund und ohne Ziel. Ich liebe die Nacht, in der alles entschleunigt ist. Wenn ich herumfahre, kann ich so richtig abschalten. Die einen gehen zum Wellness, andere machen Sport und ich fahre mit meinem Wagen durch die Nacht.“
„Allein?“
„Leider ja. Mir würde es auch besser gefallen, wenn ich jemanden an meiner Seite hätte, aber das ist mir momentan leider nicht vergönnt. Ich bin unglücklicher Single und stets auf der Suche nach dem großen Glück.“ Urban lächelte Anna an, was bei ihr einen Würgereiz verursachte. Gerhard Urban war einer der Typen, die sie überhaupt nicht leiden konnte.
„Die Wohnung gehört Ihnen?“, wollte Zeitler wissen. Er ahnte, dass die ein Vermögen gekostet hatte.
„Ja, sie gehört mir. Eine Erbschaft hat diese Anschaffung ermöglicht, da bin ich ehrlich. Ich möchte aber betonen, dass ich als Außendienst-Mitarbeiter einer Großhandelsfirma sehr erfolgreich bin. Wir vertreiben Rasentraktoren und Mähroboter der neuesten Generation.“ Urban stand auf und zog mehrere Prospekte aus seiner Aktentasche. „Bitteschön, nehmen Sie. Das sind die zuverlässigsten und wartungsfreundlichsten Geräte, die es momentan auf dem Markt gibt. Ich könnte Ihnen einen guten Preis machen.“
Anna hatte genug gehört und stand auf, wobei sie die Prospekte an sich nahm. Zeitler hatte kein Interesse. Er hatte keinen Garten und machte sich auch keine Gedanken darüber, wie andere ihre Grundstücke pflegten.
„Was meinen Sie, Chef?“, fragte Anna, als sie im Wagen saßen. „Ist Ihnen aufgefallen, dass Urban nicht einmal wissen wollte, mit welcher Geschwindigkeit er geblitzt wurde?“
„Ja, das ist mir aufgefallen. Ich mag beide Männer nicht. Der eine ist ein Betrüger und Sozialschmarotzer, der andere steht dem in meinen Augen in nichts nach. Nehmen wir beide auseinander und zerpflücken sie.“
„Bekommen Sie das genehmigt? Wir haben nur die Geschwindigkeitsüberschreitungen, die eigentlich im normalen Rahmen liegen.“
„Lassen Sie das mal meine Sorge sein. Sie hören sich schon an wie Schwartz. Ich befürchte, dass seine Anwesenheit einen schlechten Einfluss auf Sie hat.“
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