Politikwissenschaft

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Wilhelm Hofmann, Nicolai Dose, Dieter Wolf
Politikwissenschaft
3., überarbeitete Auflage
UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/Lucius · München
Zu den Autoren:
Prof. Dr. Wilhelm Hofmann lehrt Politikwissenschaft an der Technischen Universität München.
Prof. Dr. Nicolai Dose leitet den Lehrstuhl für Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und ist Geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Politikwissenschaft sowie des Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und Politikberatung.
Dr. Dieter Wolf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
1. Auflage 2007
2. Auflage 2010
© 3. Auflage: UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015
Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Coverfoto: © Atelier Reichert
Lektorat: Verena Artz, Bonn
Satz und Layout: Claudia Wild, Konstanz
UVK Verlagsgesellschaft mbH
Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz
Tel.: 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98
www.uvk.de
UTB-Band Nr. 2837
ISBN 978-3-8252-4466-8 (Print)
ISBN 978-3-8463-4466-8 (EPUB)
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
Inhalt
1Grundlagen der Politikwissenschaft1.1Was heißt hier Wissenschaft?1.1.1Alltagsnähe der Politik1.1.2Wissenschaft und Methode1.1.3Abhängigkeit der Erkenntnis1.2Was heißt hier Politik?1.2.1Klassische Politikbegriffe1.2.2Die drei analytischen Dimensionen der Politik1.3Analytische Bausteine der Systemforschung1.3.1Kategorienbildung mit System1.3.2Forschungsheuristiken2Theorien der Politik(wissenschaft)2.1Theorie und Politik2.1.1Theorie zwischen Problemlösung und kritischer Orientierung2.1.1.1Theorie: empirisch-analytisch2.1.1.2Theorie: normativ2.1.2Theorie – historisch oder systematisch?2.1.2.1Theorie als Ideengeschichte2.1.2.2Systematische politische Theorie2.1.2.3Politisches Denken2.1.3Ideologie und Selbstbeschreibung des Systems2.1.3.1Ideologielehre2.1.3.2Theorie als Selbstbeschreibung des Systems2.2Die Politik des guten Lebens2.2.1Die Selbstständigkeit der Politik2.2.2Platon: Wissenspolitik2.2.3Aristoteles: Die Politik der Bürger2.2.4Augustinus: Die Transzendenz der guten Ordnung2.2.5Machiavelli: Denken im Übergang2.3Legitimation von Herrschaft: Vertragstheorie2.3.1Der Zwang zur Legitimation2.3.2Thomas Hobbes: Der Vertrag des Leviathan2.3.3John Locke: Der Vertrag der repräsentativen Demokratie2.3.4Jean-Jacques Rousseau: Die Vertragsgemeinschaft der identitären Demokratie2.3.5Die Bedeutung der Vertragstheorie in der Moderne2.4Parlamentarische Repräsentation und Gewaltenteilung2.4.1Frühe Institutionen der Repräsentation2.4.2Nation und Repräsentation2.4.3Pluralismustheorie2.4.4Virtuelle Repräsentation und freies Mandat2.4.5Parlamentarismus und Gewaltenteilung2.4.6Theorie der Parlamentsfunktionen2.4.7Parlamentarische Diskurse2.4.8Parlamentarismuskritik2.5Das System der Demokratie2.5.1Talcott Parsons: Allgemeine Systemtheorie2.5.2David Easton: Politikwissenschaftliche Systemtheorie2.5.3Niklas Luhmann: Politik – autopoietisch2.5.3.1Der Machtcode der Demokratie2.5.3.2Das Steuerungsproblem2.5.3.3Politik in der Mediengesellschaft2.5.3.4Autopoietische Demokratie2.5.4Jürgen Habermas: System und deliberative Demokratie2.5.4.1Ausgangspunkt: kommunikatives Handeln2.5.4.2Parlamentarische Öffentlichkeit und Diskurs2.5.4.3Kommunikation und System: Kolonialisierung der Lebenswelt2.5.4.4Volkssouveränität und deliberative Demokratie3Das Politische System Deutschlands3.1Organisierte Interessen im politischen Prozess3.1.1Interessengruppen3.1.2Funktionen von Interessengruppen3.1.3Durchsetzungsfähigkeit der Interessengruppen im politischen Prozess3.1.4Die Organisationsfähigkeit von Interessen3.1.5Interessenvermittlungstheorien3.1.5.1Pluralismus und Neo-Pluralismus3.1.5.2Neokorporatismus3.1.6Neuere Entwicklungen: Vom Korporatismus zum Lobbyismus?3.2Parteien und Parteiensystem3.2.1Funktionen und Aufgaben von Parteien3.2.2Parteienfinanzierung3.2.3Parteienstaatsthese3.2.3.1Die These: Inhalt und Kritik3.2.3.2Indikatoren zur Überprüfung der Parteienstaatsthese3.2.3.3Empirische Überprüfung der Parteienstaatsthese am Beispiel der zweiten Regierung Schröder3.2.3.4Schlussfolgerungen3.2.4Das Parteiensystem in Deutschland3.3Parlament3.3.1Der Bundesrat in der Gesetzgebung3.3.2Der Deutsche Bundestag3.3.3Die Wahl zum Deutschen Bundestag3.3.4Der innere Aufbau des Deutschen Bundestags3.3.5Die Funktionen des Deutschen Bundestags3.3.5.1Wahfunktion3.3.5.2Gesetzgebungsfunktion3.3.5.3Kontrolfunktion3.4Regierung3.4.1Die Organisations- und Kompetenzprinzipien3.4.1.1Das Kanzlerprinzip3.4.1.2Das Kabinettsprinzip3.4.1.3Das Ressortprinzip3.4.2Die Ministerien3.4.2.1Innere Organisation und Führung3.4.2.2Aufgaben3.5Föderalismus3.5.1Analyse des deutschen Föderalismus3.5.1.1Gesetzgebung und Entscheidung3.5.1.2Verwaltung3.5.1.3Rechtsprechung3.5.1.4Finanzbeziehungen3.5.2Der deutsche Föderalismus – verflochten oder getrennt?3.5.3Föderalismusreform I – Was hat sie gebracht?3.5.4Föderalismusreform II – Inhalte und Bewertung4Internationale Beziehungen4.1Krieg und Frieden4.1.1Normative Ansätze: Visionen der Friedensschaffung und Friedenserhaltung4.1.1.1Idealismus4.1.1.2Realismus4.1.1.3Marxismus4.1.1.4Neokonservatismus4.1.2Empirisch-analytische Erklärungsansätze für Krieg und Frieden4.1.2.1Auf das internationale System der Staatenwelt bezogene Ansätze4.1.2.2Staatszentrierte Ansätze4.1.2.3Gesellschaftszentrierte Ansätze4.1.3Neue Kriege4.2Institutionalisierung internationaler Zusammenarbeit: Warum entstehen internationale Institutionen?4.2.1Historische Entwicklung4.2.2Parameter für die Erklärung der Institutionalisierung4.2.3Machtorientierte Ansätze4.2.3.1Strukturell-funktionalistische Machtperspektive4.2.3.2Intentionale Machtperspektive4.2.3.3Diskursiv-konstruktivistische Machtperspektive4.2.4Liberal-gesellschaftlich orientierte Ansätze4.2.4.1Strukturell-funktionalistische Variante der liberal-gesellschaftlichen Perspektive4.2.4.2Intentionale Variante der liberalgesellschaftlichen Perspektive4.2.4.3Diskursiv-konstruktivistische Variante der liberal-gesellschaftlichen Perspektive4.2.5Institutionalistische Ansätze4.2.5.1Strukturell-funktionalistische Variante der institutionalistischen Perspektive4.2.5.2Intentionale Variante der institutionalistischen Perspektive4.2.5.3Diskursiv-konstruktivistische Variante der institutionalistischen Perspektive4.2.6Norm- und ideenorientierte Ansätze4.2.6.1Strukturell-funktionalistische Variante der norm- und ideenorientierten Perspektive4.2.6.2Intentionale Variante der norm- und ideenorientierten Perspektive4.2.6.3Diskursiv-konstruktivistische Variante der norm- und ideenorientierten Perspektive4.3Institutionalisierung internationaler Zusammenarbeit: Normative Konzeptionen sowie Wirkungen internationaler Institutionen4.3.1Normative Konzeptionen der Institutionalisierung internationaler Politik4.3.1.1Föderalismus4.3.1.2Funktionalismus4.3.2Wirkungen internationaler Institutionen4.3.2.1Internationalisierung und die Handlungsfähigkeit von Nationalstaaten4.3.2.2Regelbefolgung4.4Governance und Mehrebenenregieren4.4.1Normative Visionen des Mehrebenenregierens4.4.1.1Weltstaat und kosmopolitisches Empire4.4.1.2Komplexes Weltregieren4.4.1.3Autonomieschonende Zusammenarbeit zwischen Staaten4.4.1.4Erhalt und Schutz nationalstaatlicher Souveränität4.4.2Wie lässt sich die Regierungsleistung politischer Mehrebenensysteme erklären?4.4.2.1Macht und Herrschaft in Mehrebenensystemen4.4.2.2Demokratische Legitimation des Regierens jenseits des NationalstaatsRegisterInhalt
1.1Was heißt hier Wissenschaft?1.2Was heißt hier Politik?1.3Analytische Bausteine der Systemforschung 1.1Was heißt hier Wissenschaft? 1.1.1Alltagsnähe der PolitikPolitik – Politikwissenschaft
Über Politik soll und kann gerade in einer demokratischen Ordnung jeder mit gutem Recht mitreden. Sie ist eine Angelegenheit für alle und es gibt kein Wissensmonopol der Politikwissenschaft bezogen auf die Politik. Allerdings sind von den eigenen Interessen ausgehende Verzerrungen und die Unkenntnis der politischen Institutionen an der Tagesordnung. Fast alltäglich ist auch die Neigung zur häufigen und heftigen Diffamierung »der Politik« und »der Politiker« als habgierig oder inkompetent. Diese Beobachtungen verweisen auf ein eigentümliches Verhältnis der Politikwissenschaft zum politischen Reden und Handeln.
Politik ist ein gesellschaftlicher Bereich, zu dem kein privilegierter Zugang einer wissenschaftlichen Elite existiert. Sie ist Teil alltäglicher Erfahrung und Praxis, der gegenüber auch die Wissenschaftler keine absolut neutrale Distanz erreichen können. Politische Entscheidungen erregen die Gemüter, finden Zustimmung bei den einen und vehemente Ablehnung bei den anderen. Diese Stellung der politischen Realität gegenüber der Wissenschaft lässt sich kaum aufheben. Sie bietet der Politikwissenschaft einen eher positiven und einen eher negativen Ausgangspunkt. Die Nähe zum alltäglichen Leben und die spürbaren Auswirkungen politischer Entscheidungen bergen das Risiko, dass die Politikwissenschaft von Vorurteilen und Interessen stark beeinflusst wird. Zugleich bieten die Nähe der politischen Realität und die Betroffenheit durch Politik die Chance unmittelbarer Anknüpfung. Politikwissenschaft braucht zumindest im Normalfall kein Labor.
Zusammenfassung
(Vorwissenschaftliche) politische Erfahrung
Die alltägliche Erfahrbarkeit von Politik bietet der Wissenschaft Möglichkeiten der direkten Anknüpfung, erschwert aber gelegentlich die sachliche Auseinandersetzung.
1.1.2Wissenschaft und MethodeMethodische Kontrolle und Wissnschaft
Was aber ist der Unterschied zwischen einem leidenschaftlichen politischen Streit an einem Stammtisch und einer engagierten wissenschaftlichen Diskussion in einem Universitätsseminar?
Wissenschaft ist ein gesellschaftliches Unternehmen und dient der organisierten Produktion von Wissen. Der wesentliche Unterschied zum alltäglichen Wissen besteht darin, dass die Wissenschaft sich um die dauernde Überprüfung der Verfahren (Methoden), mit denen das Wissen gewonnen wird, bemüht. Das wissenschaftliche Wissen wird im Gegensatz zum alltäglichen Wissen methodisch kontrolliert erarbeitet. Es sind bestimmte Verfahren, die von der Gemeinschaft der Wissenschaftler als der Sache angemessen akzeptiert werden, und die Konzentration auf den gemeinsamen Gegenstandsbereich, die die Aussagen einer Wissenschaft kontrollierbar und überprüfbar machen.
Theoretischer Rahmen der Forschung
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu alltäglicher Rede über Politik besteht in den Ansprüchen wissenschaftlicher Aussagen. Wissenschaft will ein politisches Phänomen auf abstrakter Ebene erklären und verstehen. Sie macht allgemeinverbindliche und systematische Aussagen über Politik, die wegen ihrer methodischen Begründung von beliebigen anderen Menschen (d. h. intersubjektiv) überprüft werden können. Die Aussagen hängen daher nur noch zu einem möglichst geringen Teil von der persönlichen Perspektive des Wissenschaftlers ab; d.h., jeder, der sich mit den entsprechenden Verfahren vertraut gemacht hat, kann unabhängig von seiner Herkunft die Wahrheitsfähigkeit von politikwissenschaftlichen Aussagen beurteilen und von seinem Standpunkt aus kritisieren.
Diese Aussagen sind – wenn es sich um solche einer empirischen Politikwissenschaft handelt – entweder an der Realität überprüfbar (falsifizierbar) oder aber – wenn es um Normen bzw. Verfahren einer normativen Politikwissenschaft geht – in ihrer Begründung durchsichtig und nachvollziehbar. Sie sind in einen theoretischen Rahmen eingebaut, der, so weit dies möglich ist, die grundlegenden Voraussetzungen und Annahmen der eigenen Forschung thematisiert. Der theoretische Rahmen dient der Orientierung und Reflexion des eigenen Forschens; er ermöglicht zudem den Bezug auf die Gesamtgesellschaft, weil er die Zusammenhänge von Politik und Gesellschaft modelliert, die dann wiederum überprüft werden müssen.
Definition
Politikwissenschaft
● Die Politikwissenschaft steht in einem kontinuierlichen, aber reflexiven Verhältnis zur politischen Realität.
● Sie macht methodisch überprüfbare Aussagen über Politik mit einem Anspruch auf Wahrheitsfähigkeit.
● Sie bezieht ihr Forschen auf einen theoretischen Rahmen.
● Sie systematisiert und verallgemeinert ihre Erkenntnis.
1.1.3Abhängigkeit der ErkenntnisInstrumente der Erkenntnis
Wie das Zusammenspiel aus methodischem Instrumentarium, theoretischem Rahmen und Erkenntnisgewinn aussehen kann, lässt sich an einem historisch-literarischen Beispiel erläutern. Bertolt Brecht beschreibt in seinem Schauspiel »Das Leben des Galilei« das Aufeinandertreffen von traditionalistischen Gelehrten und dem modernen Wissenschaftler Galilei. Während Galilei als Erfahrungswissenschaftler mit dem Blick durch sein Fernrohr neue Entdeckungen am Sternenhimmel macht, verweigern seine traditionalistischen Gegner den Blick durch das optische Gerät. Sie begründen das damit, dass dort nichts sein könne, weil die klassischen Autoritäten dies in ihren Schriften bereits bewiesen hätten. Durch Technik gestützte und systematisch verbesserte Beobachtung steht hier gegen die gehorsame Auslegung der überlieferten Tradition. Die Gelehrten folgen der Autorität der antiken Überlieferung und können daher nicht der technisch vermittelten eigenen Beobachtung vertrauen. Von ihrem Standpunkt aus ist der Glaube an das, was durch das Fernglas zu sehen ist, naiv. Derjenige, der dagegen erfahrungsgestützt argumentiert, wird wiederum ihren blinden Glauben an die überlieferte Autorität als naiv empfinden.
Verschiedene theoretische Raster, die auch Paradigmen (altgriech. für Ur- bzw. Musterbild) genannt werden, führen zu unterschiedlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung (hier: Beobachtung und Kommentar) und wirken wie ein Filter für das, was als mögliche Antworten auf die gestellten Fragen zugelassen wird. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Positionen ist zudem, dass sie sich innerhalb der eigenen Konzeption unterschiedlicher Formen der Wissensverbesserung bedienen. Aus Beobachtungen abgeleitete Gesetzmäßigkeiten können durch abweichende Beobachtung korrigiert werden. Das ausschließlich auf Text basierende Wissen kann letztlich nur durch eine neue Lektüre korrigiert werden.
Zusammenfassung
Methoden
Unterschiedliche Verfahren der Forschung führen zu verschiedenen Begründungen von wahrheitsfähigen Aussagen und zu verschiedenen Ergebnissen.
1.2Was heißt hier Politik?Autonomie und Funktionalität
Was also kann unter Politik verstanden werden? Selbst wenn man die alltagsweltlichen Vorstellungen von Politik als zu unscharf zurückweist und bestenfalls als Anknüpfungspunkte wissenschaftlicher Politikvermittlung gelten lassen will, so sieht man sich einer großen Vielzahl von Bestimmungen des Politischen gegenüber. Grob unterscheiden lassen sich dabei zunächst zwei Richtungen, von denen eine die Autonomie der Politik vertritt, während die andere deren bloße Funktionalität behauptet. In verschiedenen Spielarten ist damit gemeint, dass es entweder eine gewisse Eigengesetzlichkeit des Politischen gibt oder dass Politik als gesellschaftlich, kulturell bzw. vor allem ökonomisch bestimmte Realität verstanden werden muss, deren wesentlichen Entwicklungen von außen vorgegeben werden.
Zusammenfassung
Zwei Verständnisse von Politik
● Ist Politik ein eigenständiger gesellschaftlicher Bereich (Autonomie der Politik), so kann sie im Kern nur aus sich selbst erklärt werden, wobei andere soziale und kulturelle Faktoren nicht ausgeblendet werden dürfen.
● Ist das, was in der Politik geschieht, vollkommen von anderen gesellschaftlichen Bereichen abhängig (Funktionalität der Politik), so muss Politik von den dort ablaufenden Prozessen her verstanden werden und könnte auch tendenziell ersetzt werden.
Politik in der Moderne
Moderne Gesellschaften weisen zahlreiche mehr oder weniger klar erkennbare Teilbereiche auf, die sich zwar deutlich voneinander unterscheiden lassen, die aber zugleich eng miteinander verbunden sind. Die Art und Intensität der Verbindung hat sich im Laufe der Geschichte stark verändert.
Verdeutlichen lässt sich das an der Beziehung von Politik, Wirtschaft und Religion vom Mittelalter bis in die Gegenwart hinein. Auch eine mittelalterliche Gesellschaft hatte eine wirtschaftliche Sphäre (Subsystem), die nicht ohne Auswirkungen auf die Machtmöglichkeiten des Königs war. Der Herrscher eines großen und reichen Landes konnte mehr Glanz entfalten und mehr Macht gegenüber anderen ausüben, als dies bei einem armen Fürsten der Fall war. Trotzdem war die Herrschaft des Monarchen nicht in erster Linie durch den Erfolg der jeweiligen »Volkswirtschaft« gerechtfertigt, wie das gelegentlich in modernen Demokratien zu sein scheint, sondern zuallererst durch göttliche Gnade.
Dieses Verhältnis dreht sich in der Moderne fast vollkommen um. Religiöse Rechtfertigung ist für politische Herrschaft nicht mehr angemessen. Der moderne Verfassungsstaat basiert sogar auf der weltanschaulichen Neutralität der Verfassungsordnung. Ökonomische Leistungen werden dagegen für den modernen Staat wesentlich wichtiger. Politik greift steuernd in den Markt ein. Die Ökonomie produziert die nötigen materiellen Mittel, die vom Staat für die Erreichung politischer Ziele mit Steuern belastet werden können. Dieses wechselseitige Leistungsverhältnis bis hin zur Durchdringung der gesellschaftlichen Teilbereiche (Subsysteme) nennt man Interpenetration.
Definition
Gesellschaftliche Subsysteme
Moderne Gesellschaften haben in der gesellschaftlichen Entwicklung (= Evolution) zahlreiche gesellschaftliche Teilbereiche (= Subsysteme) ausgebildet, die für die Gesamtgesellschaft bestimmte Funktionen erfüllen und eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Zwischen den verschiedenen Systemen bestehen mehr oder weniger dichte Verbindungen, wobei Leistungen ausgetauscht werden.
Damit drängt sich natürlich die Frage auf, was Politik für die anderen gesellschaftlichen Bereiche bzw. für die Gesamtgesellschaft leisten soll und kann. Das, was Politik für die Gesellschaft bedeuten kann, lässt sich ohne den jeweiligen historischen und kulturellen Kontext nur schwer bestimmen. Es ist abhängig von den Selbstdeutungen der jeweiligen Gesellschaft, den Erwartungen der Beherrschten und der Machthaber. Daher sollen zunächst einige klassische Politikbegriffe und deren orientierende Bedeutung vorgestellt werden.
1.2.1Klassische PolitikbegriffePerspektiven und praktische Folgen
Für eine Einteilung, wie sie in Abbildung 1 vorgenommen ist, müssen immer Vereinfachungen und Zuspitzungen vorgenommen werden. Es versteht sich von selbst, dass ein empirisch-analytisches Wissenschaftskonzept im Dienste einer emanzipatorischen Politik stehen kann und es ist ebenso selbstverständlich, dass dieses Konzept nicht blind sein muss gegenüber Werten und Normen. Unterschiedlich sind allerdings die zentralen Aspekte. Bei einem empirisch-analytischen Vorgehen läge der Schwerpunkt auf der Untersuchung von Ursachen und ihren Wirkungen und nicht primär auf der idealen Umsetzung von Normen. Dagegen findet ein normativer Ansatz seine wesentliche Bezugsdimension in dem erkennbaren Bezug der praktischen Politik zum Sollen (moralische Rechtfertigung, Verfassung etc.). Während eben dieses Sollen den empirisch arbeitenden Kollegen zunächst als soziales Faktum interessiert, geht es in einem normativ orientierten Diskurs nicht um das bloße Faktum einer Regel, sondern zuerst um ihre Begründbarkeit und dann um ihre Wirkungen auf den politischen Prozess.
Selektive Wirkung
Das lässt sich am Beispiel einer Revolution zeigen. Der normativ-(ontologisch) arbeitende Wissenschaftler wird ein solches Ereignis zunächst unter dem Aspekt betrachten, welche Form legitimer Herrschaft durch diese umgestürzt wurde. Er wird nach der Begründung der neuen Herrschaft fragen und diese einer Kritik im Lichte bestimmter Ordnungsideale unterziehen. Die Dimension des sozialen Kampfes, die der dialektische Ansatz besonders betonen würde, käme dabei naturgemäß eher weniger in den Blick. In der kritisch-dialektischen Perspektive wiederum wäre die zentrale Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen als Träger der Umwälzungen nun verstärkt politisch partizipieren können und ob sich die sozialen Verhältnisse verbessert haben. Für die empirisch-analytische Wissenschaft wären zunächst einmal die konkreten Bedingungen, unter denen es zu einer Revolution kommt, von Interesse. Sie fragt, ob sich aus der Beobachtung Aussagen über deren Verlaufsgesetzlichkeit ableiten lassen und wie für zukünftige Entwicklungen (je nach Standpunkt) hier Vorsorge getroffen werden kann. Dass all dem wesentlich verschiedene theoretische Konzepte von Politik zugrunde liegen, wird uns noch weiter beschäftigen (→ vgl. Kapitel 2.1).
Abb. 1 |
Die drei klassischen Politikbegriffe

Zusammenfassung
Auswirkung der Politikbegriffe auf die Forschung
Die Vorstellung, die von Politik bereits vor dem Beginn der eigentlichen Forschungstätigkeit existiert, führt dazu, dass der Gegenstand unter einer bestimmten Perspektive behandelt wird (selektive Ausrichtung).
1.2.2Die drei analytischen Dimensionen der PolitikPolity – Politics – Policy
In der gegenwärtigen Situation der Politikwissenschaft, die sich als eine moderne empirische Sozialwissenschaft versteht, hat sich aus dem empirisch-analytischen Ansatz eine andere Feineinstellung des Politikbegriffes ergeben, die vom Fach insgesamt akzeptiert wird. Dabei wird Politik als gesellschaftlicher Teilbereich verstanden, der für die Gesamtgesellschaft allgemeinverbindlich Entscheidungen trifft. Die Qualität dieser Entscheidungen wird nicht vorwegnehmend beurteilt. Allerdings werden drei analytische Dimensionen der Politik unterschieden. Gemeint ist die Unterscheidung nach Polity, Politics, Policy (s. Abb. 2).