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»Ich ... sofort!« rief Stepan Trofimowitsch aus dem anstoßenden Zimmer. »Da bin ich wieder!«
»Ah, Sie haben den Anzug gewechselt!« sagte sie spöttisch, indem sie ihn musterte. (Er hatte einen Oberrock über die Hausjacke gezogen). »Das wird in der Tat zu unserem Gespräche besser passen. Setzen Sie sich doch endlich hin, ich bitte Sie!«
Sie setzte ihm alles mit einem Male auseinander, scharf und eindringlich. Sie deutete auch auf die achttausend Rubel hin, die er dringend nötig hatte. Ausführlich sprach sie von der Mitgift. Stepan Trofimowitsch riß die Augen auf und fing an zu zittern. Er hörte alles; aber er vermochte nicht, es klar zu erfassen. Er wollte etwas erwidern; aber immer versagte ihm die Stimme. Er wußte nur, daß alles so geschehen werde, wie sie es sagte, daß ein Widerspruch, eine Ablehnung ein Ding der Unmöglichkeit und er selbst unwiderruflich ein verheirateter Mann war.
»Mais, ma bonne amie, zum drittenmal und in meinen Jahren ... und mit einem solchen Kinde!« sagte er endlich. »Mais c'est une enfant!«
»Ein Kind, das glücklicherweise schon zwanzig Jahre alt ist! Verdrehen Sie doch nicht so die Augen, ich bitte Sie; Sie sind hier nicht auf dem Theater. Sie sind ein sehr kluger gelehrter Mann; aber Sie verstehen nichts vom Leben; auf Sie muß beständig eine Wärterin aufpassen. Ich werde sterben, und was wird dann aus Ihnen werden? Aber sie wird für Sie eine gute Wärterin sein: sie ist ein bescheidenes, energisches, vernünftiges Mädchen; außerdem werde ich selbst nach dem Rechten sehen; ich werde nicht gleich sterben. Sie ist häuslich; sie ist ein Engel an Sanftmut. Dieser glückliche Gedanke ist mir schon gekommen, als ich noch in der Schweiz war. Verstehen Sie auch wohl, was das heißen will, wenn ich selbst Ihnen sage, daß sie ein Engel an Sanftmut ist?« schrie sie plötzlich heftig. »Bei Ihnen sieht es wüst und unsauber aus; da wird sie für Reinlichkeit und Ordnung sorgen, und alles wird wie ein Spiegel sein ... Na, Sie bilden sich wohl ein, wenn ich Ihnen ein solches Kleinod bringe, müßte ich mich noch tief vor Ihnen verbeugen, Ihnen alle Vorteile aufzählen und Ihnen wer weiß wie zureden! Nein, Sie müßten auf den Knien ... O, Sie einfältiger, kleinmütiger Mensch!«
»Aber ... ich bin ein alter Mann!«
»Was wollen Ihre dreiundfünfzig Jahre besagen! Fünfzig Jahre sind nicht das Ende, sondern die Mitte des Lebens. Sie sind ein schöner Mann und wissen das selbst. Sie wissen auch, wie sehr sie Sie verehrt. Wenn ich sterbe, was wird dann aus ihr werden? Aber als Ihre Frau kann sie ruhig sein, und auch ich bin dann beruhigt. Sie besitzen Ansehen, einen Namen, ein liebendes Herz; Sie erhalten ein Jahrgeld, das zu zahlen ich für meine Pflicht halte. Sie werden sie vielleicht retten, ja retten! In jedem Falle werden Sie ihr eine Ehre erweisen. Sie werden sie für das Leben bilden, ihr Herz entwickeln, ihren Gedanken die Richtung geben. Wie viele Menschen gehen heutzutage zugrunde, weil ihre Gedanken eine üble Richtung haben! Zugleich wird auch Ihr Werk fertig werden, und Sie werden sich mit einem Male auf sich selbst besinnen.«
»Ich habe gerade vor,« murmelte er, durch Warwara Petrownas geschickte Schmeichelei gekitzelt, »ich habe gerade vor, mich an meine ›Erzählungen aus der spanischen Geschichte‹ zu machen ...«
»Na sehen Sie wohl! Sehen Sie, wie gut das stimmt!«
»Aber ... sie? Haben Sie schon mit ihr gesprochen?«
»Beunruhigen Sie sich nicht über sie; da brauchen Sie nicht neugierig zu sein. Natürlich müssen Sie sie selbst bitten, sie anflehen, Ihnen die Ehre zu erweisen; Sie verstehen? Aber beunruhigen Sie sich nicht; ich werde selbst nach dem Rechten sehen. Außerdem lieben Sie sie ja doch!«
Dem guten Stepan Trofimowitsch schwindelte der Kopf: die Wände drehten sich um ihn herum. Aber da war noch ein schrecklicher Gedanke, mit dem er in keiner Weise zurechtkommen konnte.
»Excellente amie!« sagte er, und seine Stimme zitterte plötzlich, »ich ... ich hätte nie geglaubt, daß Sie sich entschließen würden, mich ... mit einer andern Frau ... zu verheiraten!«
»Sie sind kein Mädchen, Stepan Trofimowitsch; nur Mädchen werden verheiratet; aber Sie heiraten selbst,« erwiderte Warwara Petrowna bissig.
»Oui, j'ai pris un mot pour un autre. Mais ... c'est égal,« versetzte er, indem er sie fassungslos anstarrte.
»Ich sehe, daß c'est égal,« antwortete sie verächtlich. »O Gott, da wird er gar ohnmächtig! Nastasja, Nastasja! Wasser!«
Aber die Anwendung des Wassers war nicht mehr nötig. Er kam von selbst zu sich. Warwara Petrowna griff nach ihrem Regenschirm.
»Ich sehe, daß mit Ihnen jetzt nicht zu reden ist ...«
»Oui, oui, je suis incapable.«
»Aber bis morgen werden Sie sich erholen und sich die Sache überlegen. Bleiben Sie zu Hause; wenn etwas vorfallen sollte, so benachrichtigen Sie mich, selbst wenn es in der Nacht ist. Schreiben Sie mir aber keine Briefe; ich werde sie nicht lesen. Morgen um diese Zeit werde ich selbst allein herkommen, um mir die endgültige Antwort zu holen, und ich hoffe, daß sie eine befriedigende sein wird. Sorgen Sie dafür, daß niemand hier ist, und daß es nicht schmutzig und unordentlich ist; denn jetzt sieht es ja unerhört aus. Nastasja, Nastasja!«
Natürlich erklärte er sich am andern Tage einverstanden; er konnte auch gar nicht anders. Es lag da ein besonderer Umstand vor ...
VIII.
Das Gut, das wir bisher Stepan Trofimowitschs Gut genannt haben (es enthielt nach alter Rechnung fünfzig Seelen und lag dicht bei Skworeschniki), war überhaupt nicht das seinige, sondern hatte seiner ersten Frau gehört und war somit jetzt das Eigentum ihres und seines Sohnes Peter Stepanowitsch Werchowenski. Stepan Trofimowitsch war nur dessen Vormund gewesen und hatte dann, als der junge Vogel flügge geworden war, das Gut auf Grund einer von diesem ausgestellten formellen Vollmacht verwaltet. Die Abmachung war für den jungen Mann vorteilhaft: er erhielt von seinem Vater jährlich fest tausend Rubel als Einnahme von dem Gute, während dieses nach der Reform nur fünfhundert und vielleicht noch weniger einbrachte. Gott weiß, wie eine solche Abmachung hatte getroffen werden können. Übrigens schickte diese ganzen tausend Rubel Warwara Petrowna hin, während Stepan Trofimowitsch nicht einen einzigen Rubel dazu beitrug. Vielmehr behielt er die ganze Einnahme vom Gute in seiner Tasche und ruinierte dasselbe außerdem dadurch in Grund und Boden, daß er es an einen Geschäftsmann verpachtet und ohne Warwara Petrownas Wissen ein Wäldchen, in welchem der Hauptwert desselben steckte, zum Abholzen verkauft hatte. Dieses Wäldchen hatte er schon längst dann und wann in einzelnen Portionen verkauft. Es war zusammen mindestens achttausend Rubel wert gewesen, und er hatte nur fünftausend dafür bekommen. Aber seine Spielverluste im Klub waren manchmal gar zu groß, und er scheute sich dann, Warwara Petrowna um Geld zu bitten. Sie knirschte mit den Zähnen, als sie endlich alles erfuhr. Und nun teilte der Sohn auf einmal mit, er werde selbst kommen, um sein Gut um jeden Preis zu verkaufen, und beauftragte den Vater, unverzüglich sich um den Verkauf zu bemühen. Es war verständlich, daß Stepan Trofimowitsch bei seiner edelmütigen, selbstlosen Gesinnung sich vor ce cher fils schämte, den er übrigens zum letzten Male vor ganzen neun Jahren in Petersburg als Studenten gesehen hatte. Ursprünglich hatte das ganze Gut dreizehn-oder vierzehntausend Rubel wert sein können; jetzt hätte jemand kaum auch nur fünftausend dafür gegeben. Ohne Zweifel war Stepan Trofimowitsch nach dem Wortlaute der formellen Vollmacht vollständig berechtigt gewesen, den Wald zu verkaufen, und wenn er in Rechnung stellte, daß dem Sohne so viele Jahre lang jährlich pünktlich tausend Rubel geschickt waren, die doch aus dem Gute nicht hatten vereinnahmt werden können, so konnte er sich damit bei der Abrechnung hinreichend verteidigen. Aber Stepan Trofimowitsch war ein Mensch von edler Gesinnung mit einem Streben nach Höherem. In seinem Kopfe blitzte ein Gedanke von wunderbarer Schönheit auf: wenn der liebe Peter kommen werde, auf einmal den Maximalwert des Gutes, das heißt fünfzehntausend Rubel, ohne den geringsten Hinweis auf die bisher übersandten Summen edelmütig auf den Tisch zu legen, ce cher fils unter Tränen fest an die Brust zu drücken und damit die ganze Abrechnung beendet sein zu lassen. Ganz von weitem und mit großer Vorsicht hatte er begonnen, dieses Bild vor Warwara Petrownas geistigem Blick zu entrollen. Er hatte angedeutet, daß eine solche Handlungsweise dem freundschaftlichen Verhältnisse zwischen ihm und seinem Sohne, der »Idee« dieses Verhältnisses, sogar eine besondere, edle Färbung verleihen werde. Dadurch würden die der älteren Generation angehörigen Väter und überhaupt die Menschen der älteren Generation gegenüber der modernen, leichtsinnigen, sozialistisch gesinnten Jugend uneigennützig und hochherzig erscheinen. Er hatte noch vieles der Art geredet; aber Warwara Petrowna hatte immer dazu geschwiegen. Schließlich hatte sie ihm trocken erklärt, sie sei bereit, das Gut zu kaufen, und wolle dafür den Maximalwert, das heißt sechs- bis siebentausend Rubel, geben (es war auch für viertausend zu haben). Von den übrigen achttausend, die das Gut mit dem Walde verloren hatte, sagte sie keine Silbe.
Dies war einen Monat vor der Brautwerbung geschehen. Stepan Trofimowitsch war bestürzt gewesen und sehr nachdenklich geworden. Früher war wenigstens noch die Hoffnung möglich gewesen, daß der liebe Sohn vielleicht überhaupt nicht kommen werde; das heißt Hoffnung vom Standpunkte eines Fremden aus, im Sinne eines Unbeteiligten. Stepan Trofimowitsch dagegen, als Vater, hätte schon den bloßen Gedanken an eine solche Hoffnung mit Entrüstung von sich gewiesen. Wie dem nun auch sein mochte, jedenfalls waren uns bisher über Peter recht sonderbare Gerüchte zu Ohren gekommen. Als er vor sechs Jahren seinen Kursus auf der Universität absolviert hatte, hatte er sich zunächst in Petersburg ohne Beschäftigung umhergetrieben. Auf einmal erhielten wir die Nachricht, er habe sich an der Abfassung einer geheimen Proklamation beteiligt und sei in diese Sache verwickelt. Dann erfuhren wir, er sei plötzlich im Auslande, in der Schweiz, in Genf, erschienen; er war also am Ende gar ein Flüchtling.
»Das kommt mir ganz wunderbar vor,« hatte sich Stepan Trofimowitsch, der darüber in starke Unruhe geraten war, damals uns gegenüber geäußert, »der gute Peter, c'est une si pauvre tête! Er ist brav, edelgesinnt, sehr gefühlvoll, und ich habe mich damals in Petersburg gefreut, wenn ich ihn mit der modernen Jugend verglich; aber c'est un pauvre sire tout de même ... Und wissen Sie, das kommt davon her, daß die jungen Leute nicht ordentlich ausgebrütet, daß sie zu gefühlvoll sind! Was sie fesselt, ist nicht der Realismus, sondern die empfindsame, ideale Seite des Sozialismus, sozusagen seine religiöse Färbung, seine Poesie ... die allerdings aus einer fremden Sprache stammt. Und daß das mir, gerade mir begegnen mußte! Ich habe sowieso schon hier so viele Feinde und dort in Petersburg noch mehr; da wird man alles dem väterlichen Einflusse zuschreiben . ... O Gott! Mein Peter ein Aufwiegler! In was für Zeiten leben wir!«
Peter schickte übrigens aus der Schweiz sehr bald seine genaue Adresse, damit ihm das Geld wie gewöhnlich zugesandt werde: also war er doch nicht vollständig ein Emigrant. Und siehe da: nachdem er etwa vier Jahre im Auslande gelebt hatte, erschien er jetzt auf einmal wieder in seinem Vaterlande und meldete seine baldige Ankunft; also lag doch keine Anklage gegen ihn vor. Ja, noch mehr: es schien sich sogar jemand für ihn zu interessieren und ihn zu protegieren. Er schrieb jetzt aus Südrußland, wo er sich in jemandes privatem, aber wichtigem Auftrage befand und irgendein schwieriges Geschäft zu erledigen hatte. Das war ja alles sehr schön; aber woher sollte Stepan Trofimowitsch nun die übrigen sieben-, acht tausend Rubel nehmen, um in anständiger Weise den Maximalwert des Gutes voll zu machen? Wie aber, wenn Peter ein Geschrei erhob und es nicht zu jenem herrlichen Bilde, sondern zu einem Prozesse kam? Eine innere Stimme sagte dem besorgten Stepan Trofimowitsch, daß der gefühlvolle Peter auf nichts, was ihm zustehe, verzichten werde. »Woher kommt das (ich habe das beobachtet),« flüsterte mir in jener Zeit einmal Stepan Trofimowitsch zu, »woher kommt das, daß alle diese enragierten Sozialisten und Kommunisten gleichzeitig so unglaublich geizig, habgierig und egoistisch sind, und zwar in der Weise, daß, je mehr einer Sozialist ist, je weiter er dabei geht, er auch um so egoistischer ist; woher kommt das? Rührt das wirklich auch von der Empfindsamkeit her?« Ich weiß nicht, ob an dieser Bemerkung Stepan Trofimowitschs etwas Wahres ist; ich weiß nur, daß Peter über den Verkauf des Waldes und anderes Nachrichten erhalten hatte, und daß Stepan Trofimowitsch wußte, daß sein Sohn darüber orientiert sei. Ich bekam auch gelegentlich Briefe Peters an seinen Vater zu lesen: er schrieb nur äußerst selten, einmal im Jahre und noch seltener. Nur in der letzten Zeit, wo er seine nahe bevorstehende Ankunft meldete, schickte er zwei Briefe fast unmittelbar nacheinander. Alle seine Briefe waren kurz und trocken und bestanden nur aus Anordnungen, und da Vater und Sohn sich noch von Petersburg her nach moderner Sitte duzten, so hatten Peters Briefe eine entschiedene Ähnlichkeit mit den Verfügungen, die in älterer Zeit die Gutsbesitzer aus den Residenzen denjenigen ihrer Untergebenen zugehen ließen, welche sie mit der Verwaltung ihrer Güter betraut hatten. Und da kamen nun auf einmal diese achttausend Rubel, um die sich die Sache drehte, nach Warwara Petrownas Vorschlage herbeigeflogen, wobei sie deutlich zu verstehen gab, daß sie von anderswoher schlechterdings nicht würden herbeigeflogen kommen. Natürlich erklärte sich Stepan Trofimowitsch einverstanden.
Sowie Warwara Petrowna ihn verlassen hatte, ließ er mich rufen; vor jedem andern Besuch aber schloß er sich den ganzen Tag über ein. Natürlich weinte er ein bißchen; er redete viel und gut, befand sich in starker Verwirrung und machte gelegentlich Wortspiele, mit denen er sehr zufrieden war; dann kam eine leichte Cholerine, kurz, alles nahm seinen ordnungsmäßigen Gang. Darauf zog er ein Bild seiner schon vor zwanzig Jahren verstorbenen Frau, der Deutschen, hervor und wimmerte kläglich: »Wirst du es mir verzeihen?« Überhaupt benahm er sich, wie wenn er den Verstand verloren hätte. Vor Kummer tranken wir auch ein bißchen. Übrigens schlief er bald und ruhig ein. Am Morgen band er sich sein Halstuch äußerst kunstvoll, zog sich elegant an und trat oft vor den Spiegel, um sich zu besehen. Er bespritzte sein Taschentuch mit Parfüm, indessen nur ganz wenig, und kaum sah er durchs Fenster, daß Warwara Petrowna kam, als er auch schleunigst ein anderes Taschentuch nahm und das parfümierte unter das Kissen schob.
»Nun, das ist ja schön!« lobte ihn Warwara Petrowna, als sie hörte, daß er einwilligte. »Erstens haben Sie eine edle Entschlossenheit bewiesen, und zweitens haben Sie auf die Stimme der Vernunft gehört, auf die Sie in Ihren Privatangelegenheiten nur so selten hören. Besondere Eile ist übrigens nicht erforderlich,« fügte sie hinzu, als ihr der Knoten seines weißen Halstuches ins Auge fiel; »schweigen Sie vorläufig davon, und ich werde ebenfalls schweigen. Nächstens ist Ihr Geburtstag, da werde ich mit ihr zusammen bei Ihnen sein. Geben Sie eine Abendgesellschaft, Tee, aber bitte ohne Spirituosen und ohne kalten Imbiß; übrigens werde ich alles selbst arrangieren. Laden Sie Ihre Freunde dazu ein; wir wollen zusammen die Auswahl treffen. Tags zuvor können Sie mit ihr reden, wenn es nötig sein sollte; aber auf Ihrer Abendgesellschaft wollen wir nichts proklamieren und keine Verlobung feiern, sondern es nur so andeuten und zu verstehen geben, ohne alle Feierlichkeit. Und dann zwei Wochen darauf soll die Hochzeit stattfinden, möglichst ohne Aufsehen. Sie könnten sogar beide gleich nach der Trauung auf einige Zeit verreisen, zum Beispiel nach Moskau. Vielleicht werde ich mit Ihnen mitfahren. Aber die Hauptsache ist: schweigen Sie bis dahin!«
Stepan Trofimowitsch war erstaunt. Er wollte stotternd einwenden, das ginge doch nicht, er müsse doch mit der Braut reden; aber Warwara Petrowna fuhr ihn in gereiztem Tone an:
»Wozu das? Erstens wird vielleicht überhaupt nichts daraus werden ...«
»Wie meinen Sie das: es wird nichts daraus werden?« murmelte der Bräutigam, der wie betäubt war.
»Nun ja. Ich werde erst noch einmal sehen ... Übrigens wird alles so geschehen, wie ich gesagt habe, und Sie brauchen sich gar keine Sorge zu machen; ich werde das Mädchen selbst vorbereiten. Sie haben gar nichts damit zu tun. Alles, was nötig ist, wird gesagt und getan werden; aber Sie sind dabei ganz unbeteiligt. Wozu wollen Sie dabei mitwirken? Was wollen Sie dabei für eine Rolle spielen? Kommen Sie selbst nicht hin, und schreiben Sie auch keine Briefe! Und lassen Sie nichts verlauten, bitte ich Sie. Ich werde ebenfalls schweigen.«
Sie wollte absolut keine weiteren Erklärungen geben und ging, offenbar sehr verstimmt, weg. Es schien, daß Stepan Trofimowitschs übermäßige Bereitwilligkeit sie befremdet hatte. Leider hatte er schlechterdings kein Verständnis für seine Lage und betrachtete die Frage nur von einem ganz einseitigen Gesichtspunkte aus. Er schlug sogar jetzt einen neuen, siegesgewissen, leichtfertigen Ton an. Er war sehr mutig geworden.
»Das gefällt mir!« rief er, indem er vor mir stehen blieb und mit den Armen in der Luft umherfuhr. »Haben Sie es gehört? Sie wird es noch dahinbringen, daß ich, ich schließlich nicht will. Ich kann ja doch auch die Geduld verlieren und nicht wollen! ›Bleiben Sie zu Hause!‹ sagt sie; ›Sie brauchen da nicht hinzugehen‹; aber schließlich, warum muß ich denn unbedingt heiraten? Nur weil sie einen lächerlichen Einfall gehabt hat? Aber ich bin ein ernsthafter Mensch und habe vielleicht keine Lust, mich den müßigen Launen eines unvernünftigen Weibes unterzuordnen! Ich habe Pflichten gegen meinen Sohn und ... und gegen mich selbst! Ich bringe ein Opfer; hat sie dafür auch Verständnis? Vielleicht habe ich nur deswegen eingewilligt, weil mir das Leben langweilig geworden und mir alles gleich ist. Aber sie kann mich reizen, und dann wird mir nicht mehr alles gleich sein; ich werde mich beleidigt fühlen und mich weigern. Et enfin le ridicule ... Was wird man im Klub dazu sagen? Was wird Liputin dazu sagen? ›Vielleicht wird nichts daraus werden!‹ Unerhört! Das ist der Gipfel! Das ist ... ja, was ist das eigentlich? Je suis un forçat, un Badingu et, ein an die Wand gedrückter Mensch! ...«
Und zugleich blickte durch all diese kläglichen Jammerreden eine Art von launischer Selbstgefälligkeit, eine Art von leichtfertiger Koketterie hindurch. Am Abend tranken wir wieder etwas.
Drittes Kapitel.
Fremde Sünden.
I.
Es verging ungefähr eine Woche, und der Schwebezustand der Sache wurde peinlich.
Ich bemerke in Parenthese, daß ich in dieser unglücklichen Woche viel auszustehen hatte, da ich in meiner Eigenschaft als nächster Vertrauter fast ununterbrochen bei meinem armen verlobten Freunde blieb. Was ihn quälte, war besonders das Gefühl der Scham, obwohl wir in dieser Woche keinen Menschen zu sehen bekamen und immer allein saßen; aber er schämte sich sogar vor mir, und das ging so weit, daß er, je mehr er sich vor mir decouvrierte, um so mehr deswegen auf mich ärgerlich wurde. Bei seiner Neigung zum Argwohn bildete er sich ein, daß schon alles allen, der ganzen Stadt bekannt sei, und fürchtete sich davor, im Klub, ja selbst in seinem Verein zu erscheinen. Auch Spaziergänge zum Zwecke der notwendigen Bewegung unternahm er nur, wenn es schon vollständig dunkel geworden war.
Eine Woche war vergangen, und er wußte immer noch nicht, ob er Bräutigam war oder nicht, und vermochte das auf keine Weise trotz all seiner Bemühungen mit Sicherheit zu erfahren. Mit der Braut war er noch nicht zusammengekommen; er wußte nicht einmal, ob sie seine Braut sei; er wußte nicht einmal, ob an der ganzen Sache überhaupt etwas Ernsthaftes war. Aus unbekanntem Grunde lehnte Warwara Petrowna es entschieden ab, ihn zu empfangen. Auf einen seiner ersten Briefe (er hatte deren eine ganze Menge an sie geschrieben) antwortete sie ihm geradezu mit der Bitte, sie für einige Zeit von jedem Verkehr mit ihm zu dispensieren, weil sie sehr beschäftigt sei; sie habe ihm auch ihrerseits viele, sehr wichtige Mitteilungen zu machen, warte aber damit absichtlich auf eine minder besetzte Zeit, als es die jetzige sei, und werde es ihn selbst seinerzeit wissen lassen, wann er wieder zu ihr kommen könne. Weitere Briefe aber werde sie ihm uneröffnet zurückschicken; denn das sei doch nur Torheit. Diese Zuschrift habe ich mit eigenen Augen gelesen; er hat sie mir selbst gezeigt.
Aber der Verdruß darüber, daß Warwara Petrowna ihn so grob behandelte und in Ungewißheit ließ, war nichts im Vergleiche mit seiner Hauptsorge. Diese Sorge quälte ihn außerordentlich und ohne Aufhören; sie bewirkte, daß er abmagerte und kleinmütig wurde. Es handelte sich dabei um etwas, worüber er sich am allermeisten schämte, und worüber er nicht einmal mit mir reden wollte; vielmehr log er, wenn das Gespräch darauf kam, und machte vor mir Ausflüchte wie ein kleiner Knabe; trotzdem aber ließ er mich selbst alle Tage zu sich rufen; er konnte es nicht zwei Stunden ohne mich aushalten; er hatte mich nötig, wie man Wasser oder Luft nötig hat.
Ein solches Benehmen beleidigte mein Ehrgefühl einigermaßen. Es versteht sich von selbst, daß ich dieses sein Hauptgeheimnis schon längst im stillen erraten hatte und völlig durchschaute. Nach meiner tiefsten damaligen Überzeugung hätte die Enthüllung dieses Geheimnisses, dieser Hauptsorge Stepan Trofimowitschs, ihm keine Ehre gemacht, und daher war ich, als ein noch junger Mensch, über die Niedrigkeit seiner Gedanken und die Häßlichkeit gewisser argwöhnischer Vermutungen, die er hegte, etwas entrüstet. In meiner Hitze (und ich muß bekennen, weil es mir langweilig wurde, sein Vertrauter zu sein) beschuldigte ich ihn vielleicht zu hart. In meiner Grausamkeit zwang ich ihn, mir alles zu bekennen, obwohl ich mir sagte, daß manches davon zu bekennen allerdings recht peinlich sei. Er durchschaute mich seinerseits völlig, das heißt, er sah klar, daß ich ihn durchschaute und auf ihn ärgerlich war, und er war selbst auf mich ärgerlich, weil ich auf ihn ärgerlich war und ihn durchschaute. Vielleicht war meine Gereiztheit kleinlich und dumm; aber es schadet manchmal der wahren Freundschaft sehr, wenn zwei Freunde zu lange miteinander allein zusammen sind. Von einem gewissen Gesichtspunkte aus faßte er einige Seiten seiner Lage richtig auf und definierte sogar seine Lage sehr genau in denjenigen Punkten, bei denen er nicht für nötig fand, sich zu verstecken.
»Oh, was war sie damals für eine Frau!« sagte er manchmal zu mir mit Bezug auf Warwara Petrowna. »Was war sie früher für eine Frau, wenn ich mich mit ihr unterhielt! Wissen Sie wohl, daß sie damals noch zu reden verstand? Können Sie es glauben, daß sie damals noch Gedanken hatte, eigene Gedanken? Jetzt hat sich alles verändert! Sie sagt, das sei alles nur altmodisches Gerede! Sie verachtet das Frühere ... Jetzt hat sie so etwas Subalternes, Plebejisches, Erbittertes; immer ist sie aufgebracht ...«
»Warum ist sie denn jetzt aufgebracht, obwohl Sie doch ihr Verlangen erfüllt haben?« erwiderte ich ihm.
Er sah mich mit einem feinen Lächeln an.
»Cher ami, wenn ich nicht eingewilligt hätte, wäre sie furchtbar zornig geworden, ganz furcht-bar! Aber doch weniger als jetzt, wo ich eingewilligt habe.«
Dieser sein pointierter Ausspruch gefiel ihm sehr gut, und wir tranken an diesem Abend ein Fläschchen. Aber das dauerte nur einen Augenblick; am andern Tage war er verdrießlicher und mürrischer als je zuvor.
Aber am meisten ärgerte ich mich über ihn deswegen, weil er sich gar nicht entschließen konnte, zu den nunmehr eingetroffenen Drosdows zu gehen und ihnen zur Erneuerung der Bekanntschaft den notwendigen Besuch zu machen, was sie dem Vernehmen nach selbst wünschten, da sie, wie es hieß, nach ihm gefragt hatten; und auch er sehnte sich alle Tage zu ihnen hin. Von Lisaweta Nikolajewna redete er mit einem mir unbegreiflichen Entzücken. Ohne Zweifel hatte er sie in der Erinnerung, wie sie einst als Kind gewesen war, wo er sie außerordentlich gern gehabt hatte; aber außerdem hatte er eigentümlicherweise die Vorstellung, daß er beim Zusammensein mit ihr sogleich eine Erleichterung all seiner jetzigen Qualen verspüren und sogar über seine wichtigsten Zweifel ins klare kommen werde. Er erwartete in Lisaweta Nikolajewna ein ganz ungewöhnliches Wesen vorzufinden. Und doch ging er nicht zu ihr hin, wiewohl er es sich täglich vornahm. Die Hauptsache war, daß ich damals selbst den lebhaften Wunsch hatte, ihr vorgestellt zu werden, wobei ich einzig und allein auf Stepan Trofimowitsch angewiesen war. Großen Eindruck machten auf mich damals meine häufigen Begegnungen mit ihr, natürlich nur auf der Straße, wenn sie auf einem schönen Pferde in Begleitung ihres sogenannten Verwandten, des hübschen Offiziers, des Neffen des verstorbenen Generals Drosdow, spazieren ritt. Meine Verblendung dauerte nur ganz kurze Zeit, und ich erkannte dann sehr bald selbst die ganze Aussichtslosigkeit meiner Schwärmerei; aber wenn sie auch nur kurze Zeit dauerte, so war sie doch tatsächlich vorhanden, und daher kann man sich denken, wie empört ich damals manchmal über meinen armen Freund wegen seines eigensinnigen Einsiedlerlebens war.