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Aber der Anblick dieses Blutes, eines so edlen, so hohen, ihm selbst nächst verwandten Blutes, er konnte Ihn nicht ertragen. Instinctmäßig verdeckte er mit den Händen seine Augen.
»Ah,« schrie ein Soldat der Bürgerwehre, »Du machst Deine Augen zu, warte nur ein wenig, Freundchen ich werde Dir sie gleich wieder öffnen.«
Nach diesen Worten stieß er ihm über die Köpfe der Andern mit einer langen Pike in das Gesicht, so, daß das Blut herabströmte.
Mein Bruder, mein armer Cornelius, stöhnte Johann, und gleichsam, als erstünde in ihm die Idee der Möglichkeit, diesem theuern Bruder nochmals zu sehen, ließ er die Arme sinken, und seinem vom Blute umschleierten Blick, über die Menge schweifen.
»Hol’ Dir ihn ab,« heulte ein zweiter Bösewicht, den Lauf einer Muske an die Schläfe des Unglücklichen setzend.
Er drückte ab, der Schuß versagte.
Dann zog der Mann sein Gewehr zurück, und dasselbe umwendend, versetzte er gleich darauf dem Ex-Großpensionär einen so heftigen Schlag auf den Kopf, daß dieser betäubt und bewußtlos niederstürzte.
Bald jedoch erhob er sich wieder, »Mein Bruder,« stammelte er nochmals, so kläglich, so jammernd, daß selbst der blasse, hagere, junge Mann, der Prinz Wilhelm von Oranien, der bisher dem ganzen furchtbaren Drama zugesehen hatte, den Fensterladen schloß.
Von diesem Zeitpunkte an, schien das Ende des entsetzlichen Auftrittes zu nahen. Ein neuer, unter der Menge auftauchender Meuchelmörder setzte dem, durch das herabströmende Blut seines Augenlichtes beraubten Opfer des allgemeinen Volkshasses, eine Pistole an den Kopf, und diese versagte nicht.
Johann stürzte wie sein Bruder, ebenfalls mit zerschmettertem Kopfe nieder.
Aber die Menge hatte Mut gesehen, sie hatte ihre Hände darein getaucht, im Bewußtsein der schandbaren That, vom quälenden Gewissen aufgeschreckt, suchte es dieses durch neue Gräuel zu betäuben.
Eine neue, aber weniger tragische, in ihrer Entwicklung mehr eckelerregende Scene, begann nunmehr sich dem Blicke des Zusehers zu entfalten.
Die Masse der Elenden, die entweder durch den zu großen Andrang verhindert, aus Herzensgüte, oder Feigheit, früher ihren Haß nicht deutlich zeigen konnte, brach sich nunmehr Bahn, und feuerte auf die bereits entseelten Körper eine Unzahl von Schüssen ab. Ein anderer Theil, nicht mit dem Gewehre bewaffnet, stach oder hieb mit Messern, Bellen und Stöcken nach ihnen, so daß Beide unter dem sie überströmenden Blute, eher einer rohen Fleischmasse, als menschlichen Wesen glichen.
Dann wurde Johann ebenfalls durch die Gasse geschleift.
Zerrissen, zerquetscht, bloße Fragmente dessen, was sie einst waren, langten diese furchtbaren Opfer einer wohlvorbereiteten, empörenden Volksjustiz auf dem Platze an, wo der Pöbel in aller Eile einen improvisirten Galgen errichtet hatte.
Hier fanden sich bald einige freiwillige Henker, welche die Reste der Unglücklichen bei den Füßen aufhingen.
Das Ende nahte.
»So furchtbar, so entsetzlich dieses auch erscheinen mag, so ist es doch in seiner vollen, ganzen Gestaltung und Darstellung bis auf die kleinsten Einzelheiten wahr. Und wir, die wir in dem eingebildeten, glorreichen Zeitalter des geistigen Fortschrittes Leben, wir, die so gerne den grauenhaften Schilderungen der rohen Vorzeit, Unglauben und Fabelhaftigkeit beilegen, wir berücksichtigen so wenig, daß gerade unter uns täglich, stündlich vielleicht ähnliche, wo nicht noch entsetzlichere Gräuel auftauchen. Zwar ist der materielle Einfluß, die Qual der Folter ganz verschwunden, aber dafür hat unser Geist eine Tortour entdeckt, die das erwählte Opfer langsam, überlegt, vorbereitet, mordet.
Blicke empor in den Palast, blickt in die Hütte der Armuth, seht die wankenden, bleichen Gestalten, fragt sie, wie sie es geworden, und sie werden Euch einen unversiegbaren Born, schuldlos erduldeter Qualen mittheilen, vor denen das fühlende Herz zitternd zurücktreten wird. Ergründet das Geheimniß, den Todten die Sprache wieder zu geben, fragt sie dann, wie sie gestorben? und Euere Haare werden vor Schauer zu Berge stehen.
Wundert Euch daher nicht, den furchtbaren Schluß jenes so eben geschilderten Auftrittes zu hören.
An die Reste der beiden Brüder drängte sich nunmehr eine neue, eben so furchtbare Menge heran. Mit scharfen, spitzen Messern bewaffnet, suchte einer den andern den Vortritt streitig zu machen. Der so glücklich war, an die Leichname zu gelangen, schnitt dann in aller Eile ein Glied, oder auch nur einen Theil der Haut weg. Mit wüthendem Geheul, diesen Beweis seines Heldenmuthes hoch über dem Kopfe schwingend, stürzte er dann fort, um sein geraubtes Gut in den entferntern Gassen, theilweise in Stücken zu verkaufen.
Der junge, blasse Mann hatte, wie wir es bereits sagten, gleich nach dem Falle Johann’s, den Fensterladen, jedoch nur so zugeschlossen, daß noch immer seine offen gebliebene Spalte, die freie Aussicht gewährte. Ob er hinter dieser dem ganzen Vorfalle beiwohnte, ob er sich in alle diese Gräuel mit demselben Gefühl eines befriedigten Wunsches wie vorher vertiefte, können wir nicht mit Gewißheit sagen. Nur als man die Unglücklichen gehängt, und ein großer Theil des Volkes sich bereits verlaufen hatte, schloß er das Fenster ganz, kam auf die Gasse, und schritt durch die von dem vorliegenden Schauspiele noch in Anspruch genommene Menschenmenge unbeachtet, nach dem Tol-Hek.
»Ah, mein Herr,« rief ihm der Pförtner schon von weiten entgegen, »bringt Ihr mir endlich den Schlüssel!«
»Hier hast Du ihn, mein Freund,« und Wilhelm überreichte dem Fragenden den verlangten Gegenstand.
»O, was für ein entsetzliches Unglück habt Ihr bereitet, daß Ihr so spät kommt. Nur eine halbe Stunde früher, und Alles wäre gut gewesen.«
»Warum?«
»Die beiden Herren von Witt, Cornelius auf seiner Fahrt in’s Exil, und sein Bruder Johann, der ihn begleitete, wollten hier durch. Hätte ich aufmachen können, dann wären sie gerettet worden, so mußten sie umkehren, fielen ihren Verfolgern in die Hände, und das Andere werdet Ihr schon wissen.«
»Aufgemacht das Thor, aufgemacht,« rief aus der Ferne eine helle, kräftige Stimme.
Wilhelm von Oranien wandte sich um, und erblickte mit einer Mischung von Staunen und Unwillen den Obersten van Deken.
»Wie, Oberst, Ihr seid noch da! Ich dachte Euch bereits weit weg von Haag. Das nenne ich meine Befehle schlecht vollziehen.«
»Eure Hoheit! es war mir unmöglich. Dies ist nun das dritte Thor, an dem ich vergebens einen Ausgang suche. Sie sind alle verschlossen, und jeder Pförtner erklärte, man habe ihm den Schlüssel genommen.«
»Wohl möglich. Aber dieser biedere Mann hier wird uns ohne Anstand öffnen.« Hierauf wandte er sich an den Alten, der zitternd, die Mütze in der Hand, dastand. Das einzige Wort, Hoheit, hatte ihm so eingeschüchtert, daß er es unerklärbar fand, wie sich ein so unendlich hoher Stern, in dem frühern vertrauten Tone, habe mit ihm unterhalten können.
»Mach auf, guter Freund!«
Mit der größten Eile, um wahrscheinlich seine tiefe Ergebenheit zu zeigen, schloß der Pförtner auf, und bald öffnete sich das Thor, in seinen Angeln knarrend.
Befehlt Ihr mein Pferd, gnädigster Herr,« fragte van Deken den Prinzen.
»Nein, Oberst, danke Euch, ich habe ein Pferd: hierin der Nähe, ich werde nur dieses reiten.«
Hierauf zog er ein goldenes Pfeifchen hervor, und bald ertönte ein lang gedehnter, gellender Pfiff. Wenige Augenblicke darnach, sprengte von einem Seitenwege einbiegend, ein Stallmeister, ein zweites Pferd an der Hand, dem Harrenden entgegen.
Mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, die man dem blassen, schwächlichen, jungen Manne gar nie zugetraut hätte, schwang sich dieser ohne Steigbügel in den Sattel, und dem Pferde die Sporn in die Weichen drückend, flog er der Straße nach Leyden zu.
Als er an dem Punkte angelangt war, wo diese in die Hauptstraße mündete, sah er nach rückwärts.
Der Oberst war, dasselbe Tempo annehmend, um Pferdeslänge hinter ihm geblieben.
Durch ein mit der Hand gegebenes Zeichen bedeutete er ihm, an seine Seite zu kommen.
»Ihr werdet es wohl schon wissen,« sprach er, als Letzterer herangeritten war; »daß die Wütheriche den Johann von Witt auf eine eben so schauderhafte Weise, wie seinen Bruder ermordet haben.«
»Gnädigster Herr!« erwiderte der Obrist kalt, aber mit niedergeschlagenem, gesenktem Haupte, »es wäre mir in jeder Beziehung lieber und wünschenswerther, wenn Euer Hoheit diese beiden, sich der Statthalterschaft allein entgegenstellenden Hindernisse, noch zu überwältigen hätten.«
»Ich glaube selbst, es wäre besser, wenn sich jener furchtbare Vorfall nicht ereignet haben würde, aber was geschehen, und zwar, ohne unserm Wissen, oder einer Mitwirkung geschehen ist, können wir leider nicht mehr ungeschehen machen. Aber beeilen wir uns, Oberst, noch früher nach Alphen zu kommen, bevor dort die Ordre der Stände anlangt, die mich sicher in das Feld schicken würden.«
Van Deken verneigte sich, und lies dem Prinzen wieder einen kleinen Vorsprung, seinen früher innegehabten Platz einnehmend.
Wilhelm warf noch einmal einen scheuen Blick um sich, und dann gleichsam, als wolle der auf seinem Antlitze ausgeprägte Grimm sich durch Worte Luft machen, murmelte er zwischen den Zähnen: .
»Nur einen Wunsch habe ich jetzt noch, den, Ludwig XIV. zu sehen, das Antlitz dieser Sonne, wie es sich in Falten legen und wüthen wird, wenn er das Schicksal seiner Freunde erfährt. O, Sonne! O du glänzender Sterns deine Strahlen erleuchten einen großen Raum, aber jetzt erwacht Wilhelm von Oranien, gebe acht, daß dein Glanz nicht verdunkelt wird.«
Seine Augen hatten sich zusammengezogen, ein:furchtbarer Blick blitzte zwischen den halbgeschlossenen Wimpern hervor, die Lippen fest aneinander gepreßt, gab er dem Pferde die Sporne mit aller Gewalt, daß dieses nunmehr dem Winde gleich, dahinsauste.
Und dieser junge Prinz, dieser erbittertste Feind Ludwig XIV. vor einer Stunde noch das unmündige Kind, fühlte sich nun, wo ihm die Leichen der Brüder von Witt, den Weg zur Macht und Hoheit gebahnt hatten, so stolz und übermüthig, daß er die ganze Welt, kühn in die Schranken gefordert hätte.
Auch er hatte Blut gesehen.
V.
Der Tulpenliebhaber und dessen Nachbar.
In der Zeit, wo die Bürger von Haag ihre blutige Aufgabe glänzender, als man es erwarten konnte, gelöst, und sich, nachdem nichts mehr zu sehen, zu hören oder zu kaufen war, auch wieder ganz gemüthlich, als kehre man von einem Feste heim, in ihre Wohnungen zurückgezogen hatten, in eben dieser Zeit, wo der Prinz von dem Obersten, van Deken, begleitet, auf der Straße nach Leyden galoppirten, mißmuthig, einem Manne sein ganzes Vertrauen geschenkt zu haben, der sich beim Anblicke einiger Blutstropfen so gemüthlich, ja beinahe weichherzig zeigte, gerade zu dieser Stunde sah man aus der Straße, die zu dem Hafen der Schelde führt, einen mit Staub bedeckten Reiter, dessen Blick forschend und beinahe ängstlich einen heiß ersehnten Punkt zu erspähen suchte.
Es war Craecke, der treue Diener, der gleich nach Erhalt des ihm von Cornelius übergebenen Auftrages fortgeeilt war, die Thore noch glücklich offen gefunden hatte, und nunmehr aus dem schweißtriefenden Pferde, längst der mit Bäumen besetzten Straße dahin flog, ohne im geringsten das entsetzliche Schicksal, das seinen Gebieter ereilte, zu ahnen. An dem Hafen der Schelde angelangt, ließ er sein Pferd um jeden Verdacht zu vermeiden, in einem Wirthshause zurück, und bestieg eines jener Schiffe, die stets den kürzesten Weg einschlagend, die langen und ausgedehnten Krümmungen des Flusses durchschneiden, und den Reisenden in wenigen Stunden, nach der reizenden und anmuthigen Insel führen, deren Ufer von den Wellen gleichsam geliebkost, mit blühenden Gewächsen und Kräutern übersät, und von fetten Herden angefüllt, einen malerischen Anblick gewähren.
Und hier am Fuße eines Hügels, um den sich in gleichen Zwischenräumen, Tag und Nacht in voller Thätigkeit klappernde und schnarrende Mühlen lagern, hier liegt Dortrecht. Es ist eine wunderschöne, eine von jenen erhabenen Aussichten, die uns in den vorliegenden Gegenständen die Ruhe und majestätische Stille der Natur, ihren Frieden, beurkundet. Weit hin erglänzen in den Strahlen der aufgehenden Morgensonne die netten, glänzend roten Dächer, deren weiße Einfassungen, einer künstlich gezogenen Linie gleich, nach der Größe und Bauart der Häuser, bald regelmäßig fortlaufend, bald in allen möglichen Zikzak, auf- oder absteigend, unterbrochen oder zusammengesetzt, sich so weit das Auge reicht, ausdehnen. Die Grundmauern der dem Wasser zunächst stehenden Gebäude baden sich gleichsam in dem Fluße, die Balkone springen weit über denselben vor, und ihre Geländer sind mit prachtvollen, gold- und silbergestickten Teppichen, den Erzeugnissen China’s und. Indiens, behangen, während von ihren Endpunkten sich lange Schnüre in das Wasser herabsenken, die, als Angeln benützt, die Bestimmung haben, die Unzahl der durch den täglich zugeworfenen Fraß herbeigelockten, Aale zu vermindern. Craecke sah es, er rief ihm einen freundlichen Morgengruß schon von der Ferne zu.
An der Schiffbrücke angelangt, fiel sein erster Blick auf ein am Abhange des Hügels befindliches, weiß und rothes Haus, das zwischen den vorliegenden Mühlen freundlich hindurch lächelnd, das heiß ersehnte Ziel, dem er entgegenstrebte, zu sein schien. Der Gibel des Daches. verschwand Anfangs unter dem bereits welken Laube, der ihn umgebenden Pappeln, tauchte aber wieder kurz, darauf an einem dunkeln Hintergrunde, den eine Anlage riesenhafter, uralter Ulmen bildete, auf, und erglänzte gleich einem funkelnden Sterne.
Dieses Haus hatte, wie man es schon aus der Ferne bemerken konnte, eine solche Lage, daß die Sonne gleichsam wie in einen Trichter demselben ihre Strahlen zusendete, und auf diese Art alle vom Wasser aufsteigenden, und selbst durch die dichte Laubwand dringenden Nebel austrocknete, dadurch den so geschützten Boden erwärmend und fruchtbar machend.
Craecke war ausgestiegen, und ohne sich um das ihn umgebende Getümmel der Marktleute zu kümmern, schlug er seinen Weg nach dem bezeichneten Hause ein.
Mit der dem Holländer eigenen, und sonst wohl nur selten zu treffenden Nettigkeit, stand dies Gebäude so weiß, so zierlich und schön da, daß man die frisch gebahnten Gänge, die glänzenden Fenster, Rinnen und sonstigen Metalleinfassungen betrachtend, in Versuchung gerieth, es für eine geschmückte Braut zu halten, die sehnsuchtsvoll den Erwählten erwartete. Und dieses kleine, irdische Paradies barg nur einen glücklichen Sterblichen.
Cornelius, Doktor van Baerle, das Taufkind des Cornelius von Witt. Seit seiner Kindheit bewohnte dieser Beneidenswerthe das erwähnte Haus. Es war der Geburtsort seines Vaters und seines Großvaters, zwei der angesehensten Kaufleute von Dortrecht.
Baerles Vater hatte theils durch glückliche Speculationen, theils im Handel mit Indien, die namhafte Summe von beinahe drei- bis viermal hunderttausend Gulden erworben, und diesen ganzen Betrag in blank, geputzten Goldstücken, wahrscheinlich aus Laune und, Vergnügen, aufgehäuft. Nach seinem im Jahre 1688 erfolgten Tode übernahm Cornelius van Baerle das ganze hinterlassene Besitzthum seiner Eltern, fand glücklich den so großen Schatz, und wunderte sich nicht wenig, diese Masse in den Jahren 1610 und 1640 geprägter Münzen noch so neu, als wenn sie eben erst die Bank verlassen hätten, zu finden. Und diese große, namhafte Summe war, so zu sagen, für den jungen Baerle; nur seine Art Sparpfennig, den er zu seinem Vergnügen verwenden konnte, da ihm seine übrigen Besitzungen, und angelegten Capitalien jährlich über zehntausend Gulden an Interessen trugen.
Kurz vor seinem Tode, der beiläufig drei Monate nach dem Ableben seiner Gattin, (die ihm das Leben durch Liebe und Sanftmuth erleichtert hatte, und nunmehr dasselbe auf der Bahn zum ewigen Frieden machen zu wollen schien, ) erfolgte, ließ der alte van Baerle den Sohn an sein Lager kommen, und hielt ihm nachstehende, denkwürdige Abschiedsrede:
»Mein guter Sohn, beherzige die Worte wohl, die ich Dir als väterlichen Rath in der letzten Stunde meines Lebens gebe, Du hast Geld, viel Geld! — Lebe! — aber begreife ganz, was das heißt: Leben! Esse, trinke, genieße jedes Vergnügen nach Herzenslust, sperre Dich ja nicht in ein dumpfes, düsteres Comptoir, um das bereits Besitzende noch zu vermehren, denn das heißt nicht leben, das ist lebender Tod, oder todtes Leben, wie Du es am besten verstehst. Dann überlege auch wohl, daß Du der einzige van Baerle bist. Was nützte Dich einst Dein ganzer, aufgehäufter Reichthum, wenn Du Dich nicht verehelichen würdest, oder selbst für den letzteren Fall, Deine Ehe keine gesegnete wäre? Dann müßten all diese Goldstücke, die aus der Präge an das Tageslicht gekommen, nur Dein Großvater und ich in Händen hatte, an fremde Leute übergehen, all’ unsere Anstrengungen wären daher ganz fruchtlos.«
»Aber vor Einem warne ich Dich besonders noch. Hüthe Dich, den Wünschen Deines Pathen Cornelius, der Dich so gerne im Staate glänzen sehen würde, jemals nachzugehen. Der Pfad der Politik ist der schlüpfrigste, den es gibt, er bietet Dir entweder einen eitlen Glanz, leeren Weltflitter, oder ein schmachvolles Ende, er hält Dich immer in Zweifel zwischen — Recht und Unrecht, er zwingt Dich oft zu Handlungen, die Dir Dein Herz verbietet.«
»Beherzige diese Lehren, mein Sohn!«
Das waren seine letzten Worte, dann senkte er ruhig sein Haupt und starb, einen Sohn in der Welt zurücklassend, der seinen Vater über Alles, und das Geld nur sehr wenig liebte.
Da war er nun allein in dem großen, großen Hause. Da überraschten ihn die vielfachen Anträge seines Pathen, der sich alle nur erdenkliche Mühe gab, ihm Geschmack am Ruhme beizubringen, da schwebte er, noch jung und unerfahren, zwischen all den mächtigen Zweifeln und Fragen für die Zukunft, zwischen denen auch wir einst schwebten. Aber die Sehnsucht nach dem Genuße der Freiheit, das nicht zu unterdrückende Verlangen die Welt und Menschen zu sehen, zu erfahren, wie es denn einige Meilen über Dortrecht hinaus aussehe das waren die leicht erklärbaren Grundlagen, die ihn bewogen, endlich dem Wunsche seines Pathen, wenigstens in Etwas nachzugehen. Er schiffte sich daher auf dem großartigsten Schnellsegler, genannt die sieben Provinzen, mit dem berühmten Admiral van Ruyter, (der damals ein Geschwader von hundert neun und dreißig Fahrzeugen befehligte, um gegen die verbündeten Franzosen und Engländer in das Feld zu ziehen, ) ein, segelte glücklich ab, sah kurz darauf den Feind in seiner furchtbaren Position vor sich, und gelangte, von Leger geführt, auf Musketenschußweite an das Linienschiff »le Prince,« dem die außerordentliche Ehre zu Theil geworden war, in seinem Bauche den Herzog von York, Bruder des Königs von England, aufzunehmen. Aber van Ruyter hatte seinen Angriff so schnell und so geschickt eingeleitet, daß der »le Prince« ohne Berücksichtigung seiner werthvollen Last, in kurzer Zeit in so bedeutende Verlegenheit gerieth, daß der erlauchte Herr es für gerathen hielt, sich auf den Saint Michael zu retten; allein auch dieser wurde von Seite der holländischen Kugeln eben so wenig respektirt, und nachdem er so ziemlich zerfetzt und zerrissen war, befahlen Seine Hoheit, aber immer mit Energie, ihn aus dem Gefechte zu ziehen. Es war höchste Zeit, denn kurz daraus unternahm der ihm zunächst stehende le Conte de Sanwik eine äußerst imposante Luftreise, zu der er sämmtliches Geschütze, und das ganze Personale, beiläufig Köpfe stark, mitnahm. Die armen Teufeln kehrten bald wieder zurück, ein Theil verbrannt, der andere zwar ganz und lebend, aber auch nur, um mit jenen brüderlich vereint, im Wasser ein gemeinsames Grab zu finden. Und das großartige Ende vom Kriege umfaßte zwanzig bis dreißig zertrümmerte und verbrannte Schiffe, dreitausend Tode, fünftausend Verwundete, und zur größten Ergötzlichkeit, die Ungewißheit, wer eigentlich die Schlacht gewonnen habe, da sich jeder Theil den Sieg zuschrieb. Man fing endlich wieder von Vorne an, eine Schlacht reihte sich an die andere, bis zuletzt dem Verzeichnisse der Bataillen, der Name Schlacht von Soutword Bay hinzugefügt wurde, der den Schlußpunkt des tragischen Spectakels machte.
Und dem Allen hatte van Baerle zugesehen, er hatte zugleich darüber nachgedacht, wie viel Zeit der Mensch verliert, wenn er in den Augenblicken, wo sich seine Mitbürger gegenseitig kanonieren, nachdenken will; die Sehnsucht nach Glanz und Ruhm war genügend befriedigt, er dankte seinem Pathen herzlich für jeden weitern derartigen Antrag, küßte dem Ex-Großpensionär, gegen den er eine besondere Verehrung äußerte, die Füße, und zog sich in sein Haus nach Dortrecht zurück.
Aber er war reich, unendlich reich geworden, reich durch die wieder erlangte Ruhe, durch seine kräftige, blühende Jugend, verbunden mit einer eisernen Gesundheit, durch sein zu einem hohen Grad von Menschenkenntniß ausgebildetes, scharfes Auge. Und was ihn noch reicher als Alles dies machte, was ihn weit emporhob über sein Geld und die großen Einkünste, das war die durch die Erfahrung erlangte Ueberzeugung, daß der Mensch, um glücklich zu sein, so wenig, um es nicht zu sein, so unendlich viel besitze.
Diese Erfahrungen, verbunden mit dem Wunsche, sich ein Glück nach seiner eigenen Idee zu schaffen, führten ihn auf das so unendlich ergiebige Gebiet der Wissenschaft, und in diesem wieder auf ein Feld, das trotz seiner unendlichen Ausbeute, noch immer Menschenalter erfordert, um nur auf einen leidlichen Grad der Vollkommenheit gebracht zu werden. Er studierte Botanik, sammelte eine Unzahl von Pflanzen und Insekten, spießte die ganze blühende, fliegende und kriechende Bevölkerung der Insel; verfaßte über diese ein eigenes, ungeheueres Werk sammt Zeichnungen, und da er trotz dem immer wieder merkte, daß sein Vermögen eine unendliche Höhe zu erreichen strebte, da er außerdem mit seinem todt liegenden Gelde in die äußerste Verlegenheit geriet, übersprang sein thätiger und immer reger Geist auf ein neues in Holland so einheimisches, aber auch ungeheuer kostspieliges Extrem.
Er wurde ein leidenschaftlicher Tulpenfreund. Zu der damaligen Zeit standen gerade die Flammänder und Portugiesen, wie dies bekannt sein dürfte, mit einander in dem heftigsten Wettstreite, diesen Zweig der Gartenbaukunst, auf die höchste Stufe der Vollendung zu erheben. Sie strebten darnach, aus dieser Pflanze, die aus dem Oriente gekommen war, durch Veredlung und Pflege, neue, reizende Gebilde in ihrer Form und den Farbenunterschieden zu erzeugen, ein Werk, vor dem der strenge Naturalist scheu zurückweicht, von dem Wahne beseelt: Gott und der Schöpfung in ihre erhabenen Werke zu pfuschen.?
Bald gab es zwischen Dortrecht und Mons kein anderes Tagesgespräch, als das von den Tulpen des Herrn van Baerle; von der Lage seiner Zwiebel in den verschiedenen Abtheilungen seiner Gartenbeete, von den vielen so vortrefflich angelegten Trockenkammern; und alles das wurde mit demselben Eifer, mit derselben rastlosen Anstrengung erforscht und verfolgt, mit der einst die Gallerien der berühmten Bibliothek von Alexandrien, von den Römern durchstöbert, worden waren.«
Cornelius van Baerle begann nun damit, seine Jahreseinkünfte zum Ankaufe einer großartigen Sammlung von Zwiebeln zu verwenden, er zerlegte diese, verband sie unter einander, und sah in kurzer Zeit, durch das Erstehen von fünf ganz neuen und verschiedenen Gattungen, seine Versuche auf das Glänzendste gekrönt. Diese Gattungen taufte er, und zwar die erste nach dem Namen seiner Mutter, Johanna, die zweite nach seinem Vater, van Baerle, die dritte, Cornelius. Die Namen der letzten zwei Gattungen sind uns leider nicht mehr bekannt, jedenfalls dürften sie aber in den Katalogen jener Zeit zu finden sein.
Cornelius von Witt ebenfalls zu Dortrecht geboren, und daselbst Besitzer eines ausgedehnten und großartigen Familienhauses, kam im Anfange des Jahres 1672 in der Absicht, drei Monate dort mit seiner Familie zu verweilen, auf der reizenden Insel an.