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Wir trachteten besonders darnach, die beiden edlen Herren näher kennen zu lernen, welche wir beständig zur Rechten und Linken des Königs wiederfinden, und die neben dem traurigen, dichterischen Gesichte Karls und dem glühenden, leidenschaftlichen Isabelles, die wichtigsten Personen dieser unglücklichen Regierung waren. Denn für sie teilte sich Frankreich in zwei Parteien, und nahm zwei Herzen an, deren eines bei dem Namen Orleans, das andere bei dem Namen Burgund lebhafter klopfte. Jede Partei teilte den Hass und die Liebe dessen, den sie zu ihrem Oberhaupte gewählt hatte, liebte in ihrer Liebe, hasste in ihrem Hasse, vergaß alles, um sich nur ihrer zu erinnern, alles, ja sogar den König, der ihr Herr, Frankreich, das ihre Mutter war.
Auf einer Seite des Weges ritt auf einem weißen Pferde Madame Valentine, welche wir unsern Lesern schon als die Gemahlin des jungen Herzogs von Touraine vorgestellt haben. Sie verließ ihr schönes Vaterland, die Lombardei, und kam zum ersten Male nach Frankreich, wo ihr alles neu und reich erschien. Zu ihrer Rechten ritt Messire Peter von Craon, der teuerste Günstling des Herzogs von Touraine, in einer Kleidung, welche der seines Herrn glich, und die dieser als Zeichen der Freundschaft ihm hatte machen lassen. Er war ungefähr von gleichem Alter mit dem Herzoge, schön wie dieser, und nahm, gleich ihm, das Wesen der Unbefangenheit und Heiterkeit an. Prüfte man ihn jedoch näher, so konnte man leicht erkennen, dass im Grunde dieses dunkeln Auges der Ausdruck aller Leidenschaften eines heftigen Herzens ruhte; dass er jenen eisernen Willen besaß, der stets ein Ziel erreicht, sei es im Hasse, sei es in der Liebe, und dass wenig dabei zu gewinnen war, ihn zum Freunde zu haben, Alles zu fürchten, wenn man ihn zum Feinde hatte. Links neben der Herzogin und im voller Eisenrüstung, die er eben so leicht trug, wie die andern Herren ihre Samtgewänder, ritt der Sir Olivier von Clisson, Konnetabel von Frankreich, Sein aufgeschlagenes Visier ließ das offene, treue Gesicht des alten Kriegers blicken, und eine Narbe die sich über die Stirn zog, ein blutiges Andenken der Schlacht von Auray, bewies, dass das mit Lilien geschmückte Schwert, welches an seiner Seite hing, nicht der Intrigue oder Gunst, sondern wirklichen treuen Diensten gewährt worden war. Clisson, in der Bretagne geboren, war in England erzogen worden, doch mit achtzehn Jahren kehrte er nach Frankreich zurück, und seit Zeit kämpfte er eifrig und tapfer in den königlichen Heeren.
Wir begnügen uns, nachdem wir die genannten Personen dem Auge der Leser vorübergeführt haben, bloß die Namen derer zu nennen, welche folgten. Es waren die Herzogin von Burgund und die Gräfin von Nevers, geführt durch den Messire Heinrich von Bar und den Grafen von Namur.
Dann die Herzogin von Orleans, auf einem schönen reich geschmückten Zelter, geführt durch Messire Jacob von Bourbon und Messire Philipp von Artois.
Dann die Frau Herzogin von Bar mit ihrer Tochter, begleitet von Messire Karl d'Albret und dem Herrn von Coucy, dessen Name allein eine große Erinnerung erwecken würde, beeilten wir uns nicht, seine Devise mitzuteilen, welche die bescheidenste oder die hochmütigste ihrer Zeit war. Sie lautete:
»Prinz und Herzog bin ich nicht.«
»Aber doch der Herr von Coucy.«
Der andern Herren, Damen und Fräulein, welche teils zu Ross, teils zu Wagen, teils in Sänften folgten, erwähnen wir weiter nicht. Wir führen nur an, dass die Spitze des Zuges, das die Königin, schon die Vorstadt erreichte, als die Pagen und Reitknechte, die das Ende bildeten, Saint Denis noch nicht verlassen hatten. Während des ganzen Weges wurde die junge Königin mit dem Rufe: »Weihnachten« begrüßt, welches damals den Ruf: »Es lebe der König!« ersetzte, denn in jener Zeit des Glaubens hatte das Volk noch kein Wort gefunden, welches seine Freude besser ausdrückte, als jener Ruf, der an die Geburt des Heilandes erinnerte. Beinahe überflüssig ist es, hinzuzufügen, dass die Blicke der Männer sich zwischen Isabelle von Bayern und Valentine von Mailand teilten, so wie die der Frauen zwischen dem Herzoge von Touraine und dem Grafen von Nevers.
An dem Tore von Saint Denis machte die Königin Halt, denn hier hatte man für sie die erste Station bereitet. – Es war eine Art von großem Ruhealtar, wie beim Frohnleichnamsfest. Er war ganz mit weißem Atlas bekleidet und darüber hing ein Himmel voll goldener Sterne. In den Wolken, welche diesen Himmel bildeten, schwebten Kinder, als Engel gekleidet; sie sangen leise und melodisch und bildeten den Chor für ein schönes Mädchen, das die Mutter Gottes vorstellte. Auf dem Schoß hielt sie ein Kind, das Jesuskind vorstellend. Der Gipfel dieses Himmels, der die Wappen von Frankreich und Bayern trug, wurde die Sonne erleuchtet, die wir als die Devise des Königs erwähnten. Die Königin fand viel Vergnügen an diesem Schauspiele und lobte die Anordnung sehr. Als die Engel ihren Gesang beendigt hatten, und man glaubte, dass die Königin alles in Augenschein genommen hätte, öffnete sich das Altarblatt und ließ die ganze große Rue Saint Denis bedeckt, wie ein ungeheures Zelt erblicken; alle Häuser waren mit Camelot oder Seide bekleidet, so dass Froissard sagt, man hätte glauben sollen, das Tuch koste kein Geld, oder man wäre in Alexandrien oder Damaskus.
Die Königin blieb einen Augenblick halten, man hätte glauben können, sie zögere, die Hauptstadt zu betreten, die sie mit solcher Ungeduld erwartete, mit so viel Liebe begrüßte. Sagte ihr vielleicht eine geheime Ahnung, ihr, die so jung, so schön, dass einst ihre Leiche verwünscht und verflucht eben diese Stadt verlassen sollte, auf dem Rücken eines einzigen Schiffers, dem der Schlossvogt von Saint Paul den Auftrag erteilt hatte, das, was von Isabelle von Bayern übrig blieb, den Mönchen von Saint Denis zu überbringen.
Sie setzte sich indessen wieder in Bewegung, aber man sah sie erbleichen, als sie die lange Straße betrat und die ungeheure Masse trennte jene Menschenmauern, die sich nur zusammenschieben durften, um zwischen sich König, Sänfte, Pferde zu zermalmen. Indessen geschah kein Unglück; die Bürger blieben in ihren Reihen, und bald kam man zu einer Fontaine, die mit himmelblauem Tuch, mit goldnen Lilien besäet, bedeckt war. Rings um diesen Springbrunnen standen gemalte und geschnitzte Säulen, an denen man die edelsten Wappenschilder Frankreichs aufgehängt hatte. Statt des Wassers sprudelte die Fontaine, Piment und Hyppocras durch Spezereien und aromatische Kräuter Asiens wohlriechend gemacht; um die Säulen standen junge Mädchen, welche goldne Gefäße und silberne Becher in den Händen hielten und der Königin, den Prinzen und Herrn ihres Gefolges einen Trunk boten. Die Königin nahm einen Becher aus der Hand eines dieser Mädchen, setzte ihn an die Lippen, ihr eine Ehre zu erzeigen, und gab ihn dann gleich zurück. Aber der Herzog von Touraine riss eben den Becher aus der Hand des jungen Mädchens, schien die Stelle zu suchen, an der die Lippen der Königin geruht hatten, presste sie an die seinigen und trank mit einem Zuge den Wein aus, an dem der Mund der Königin nur genippt hatte. Die Farbe, welche einen Augenblick von Isabellens Wangen gewichen war, kehrte schnell darauf zurück, denn über die Handlung des Herzogs konnte man sich nicht täuschen, denn so stets sie auch war, ging fiel doch nicht unbemerkt vorüber und man sprach am Hofe während des Abends viel dar über, doch selbst die entgegengesetztesten Meinungen stimmten dahin überein, dass der Herzog sehr kühn gewesen sei, sich eine solche Freiheit gegen die Gemahlin seines Herrn zu erlauben, die Königin sehr nachsichtig, sie nur durch ihr Erröten zu missbilligen.
Bald darauf lenkte jedoch ein neues Schauspiel die Aufmerksamkeit von diesem Ereignisse ab. Man war bei dem Kloster der Dreieinigkeit angelangt, vor dessen Toren sich ein Gerüst, in Gestalt eines Theaters, erhob, auf dem die Waffentaten des Königs Sallah - Eddim dargestellt werden sollten. Die Christen fanden daher auf einer Seite, die Sarazenen auf der andern, und unter beiden konnte man die Hauptpersonen jenes berühmten Lanzenbrechens erkennen, denn die Schauspieler trugen die Rüstungen des dreizehnten Jahrhunderts und die Wappen und Devisen derer, die sie vorstellten. Im Hintergrunde saß der König Philipp August von Frankreich und um ihn her standen die zwölf Pairs seines Reichs. In dem Augenblicke, als die Sänfte der Königin vor dem Gerüste Halt machte, trat der König Richard Löwenherz aus den Reihen, näherte sich dem König von Frankreich, ließ sich vor ihm auf ein Knie nieder, und bat um die Erlaubnis, die Sarazenen bekämpfen zu dürfen. Philipp August gewährte sie ihm huldreich, und sogleich fand Richard auf, trat zu feinen Gefährten zurück, ordnete sie zum Kampf, und griff sogleich die Ungläubigen an. Es entstand nun ein heftiger Kampf bis zuletzt die Sarazenen besiegt und in die Flucht geschlagen wurden. Ein Teil der Flüchtlinge rettete sich durch die Fenster des Klosters, die mit dem Gerüste in gleicher Linie lagen und die man zu diesem Zweck offen gelassen hatte. Es wurden aber dennoch eine Menge Gefangene gemacht; der König Richard führte sie vor die Königin, welche um ihre Freilassung bat und als Lösegeld eines ihrer goldnen Armbänder dem Sieger überreichte.
»Ha«, sagte der Herzog von Touraine, indem er seine Hand auf die Sänfte stützte, »hätte ich gewusst, dass ein solcher Lohn des Siegers wartete, so hätte kein andrer als ich die Rolle des Königs Richard spielen dürfen.«
Isabelle sah auf das zweite Armband nieder, mit dem ihr andrer Arm noch geschmückt war, schnell aber unterdrückte sie ihre erste Bewegung, welche ihren Gedanken verraten hatte, und sagte:
»Ihr seid verrückt und unsinnig, Herr Herzog; solche Spiele sind gut für Gaukler und Possenreißer, ziemte sich aber nie für den Bruder des Königs.«
Der Herzog von Touraine schien antworten zu wollen, doch die Königin gab das Zeichen zum Aufbruche, wendete den Kopf zu dem Herzoge von Bourbon und sprach mit ihm, ohne ihren Schwager wieder anzusehen, bis sie vor dem zweiten Tore von Saint Denis anlangte, welches das Malertor hieß und unter Franz I. abgetragen wurde. Hier war ein kostbares Schloss erbaut, über dem, wie bei dem ersten Tor, ein gestirnter Himmel hing, an dem in ihrer ganzen Majestät Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist erschienen; um die Dreieinigkeit standen Chorkinder, welche mit zarter Stimme das Gloria und Veni creator sangen. In dem Augenblicke, als die Königin anlangte, öffnete sich die Pforte des Paradieses und zwei Engel mit goldnem Heilgenschein und gemalten Flügeln, der eine rosenroth, der andere blau gekleidet, traten daraus her vor; sie trugen gewaltige Schnabelschuhe, ganz mit Silber gestickt; ließen sich bis zu der Königin her ab, setzten ihr eine schöne goldne Krone mit Edelsteinen geschmückt, auf das Haupt, indem sie dazu sangen:
»Dame, umschlungen von Lilienband,
Ihr seid die Königin von Paris,
Von Frankreich und dem ganzen Land;
Wir gehn zurück ins Paradies.«
Bei diesem letzten Verse kehrten sie in den Himmel zurück, dessen Tür sich hinter ihnen schloss.
Auf der, der Himmelstür entgegengesetzten Tür warteten aber andere Personen auf die Königin, und man machte sie darauf aufmerksam, damit deren Anblick ihr keine Schrecken einflöße, was ohne diese Vorsicht gewiss der Fall gewesen sein würde. Es waren die Deputierten der sechs Handelsabteilungen; sie trugen einen Thronhimmel und kamen, ihr altes Privilegium in Anspruch zu nehmen, welches sie berechtigte, die Könige und Königinnen von Frankreich, sobald sie in Paris ihren Einzug hielten, von dem Tor von Saint Denis bis zu dem Palaste zu geleiten. Ihnen folgten die verschiedenen Repräsentanten der verschiedenen Gewerke, sie trugen Charaktermasken und stellten die sieben Todsünden vor: den Stolz, den Geiz, die Trägheit, die Üppigkeit, den Neid, den Zorn und die Leckerhaftigkeit; als Gegensatz waren dann die sieben christlichen Tugenden da: der Glaube, die Hoffnung, das Mitleid, die Mäßigung, die Gerechtigkeit, die Klugheit, die Kraft. In einiger Entfernung von Ihnen und eine besondere Gruppe bildend, fanden der Tod, das Fegefeuer, die Hölle und das Paradies. Die Königin zeigte bei dem Anblicke dieser sonderbaren Maskerade, obgleich darauf vorbereitet, einen gewissen Widerwillen, sich ihr anzuvertrauen. Der Herzog von Touraine seinerseits war sehr verdrießlich, seinen Platz an der Seite der Sänfte aufgeben zu sollen, aber die Abgeordneten des Volkes nahmen, gestützt auf ihr Vorrecht, die beiden Seiten der Sänfte ein. Der Herzog von Bourbon und die anderen Herren hatten die Sänfte bereits verlassen und ihre Plätze eingenommen. Isabelle wendete sich zu dem Herzoge von Touraine, der hartnäckig halten blieb, und sagte ihm:
»Monseigneur, ist es Euch gefällig, diesen guten, Leuten. Euern Platz abzutreten, oder erwartet Ihr dazu unsern besondern Befehl?«
»Ja, Madame und Königin« erwiderte der Herzog, »ich erwartete den Befehl von Euch und besonders einen Blick, der die Kraft verliehe, zu gehorchen.«
»Mein Herr Schwager«, sagte Isabelle, indem sie sich auf die Seite des Herzogs neigte, »ich weiß nicht, ob wir uns im Laufe dieses Abends noch wiedersehen können, aber vergesst nicht, dass ich morgen nicht nur Königin von Frankreich, sondern auch Dankspenderin des Turnieres bin, und dass dies Armband der Lohn des Siegers sein wird.«
Der Herzog neigte sich bis zum Rande der Sänfte. Die, welche entfernter waren, sahen in diesem Gruße nur ein Zeichen der Ehrfurcht, welche jeder Untertan, wäre er auch ein Prinz von Geblüt, seiner Königin schuldig ist; aber Einige, welche so standen, dass sie den engen Zwischenraum zwischen der Sänfte und dem Pferde erblicken konnten, glaubten zu bemerken, dass die Lippen des Herzogs sich auf die Hand seiner Schwägerin pressten, und das zwar mit einem Feuer und einer Ausdauer, welches die bloße Etikette des Handkusses nicht gestattete.
Wie dem aber auch sei, erhob sich der Herzog, die Stirn funkelnd vor Freude und Glück; Isabelle ließ die langen Barben ihres Kopfputzes wie einen Schleier über ihr Gesicht fallen, ein letzter Blick wurde durch diesen gefälligen Vorhang zwischen ihnen gewechselt, und der Herzog sprengte dann zu seiner Gemahlin zurück, um den Platz einzunehmen, den bis jetzt der Konnetabel von Clisson inne gehabt hatte. Während dessen erhoben die sechs Deputierten der Kaufleute den Thronhimmel über die Sänfte der Königin; die sieben christlichen Tugenden und die sieben Todsünden traten dahinter, und hinter ihnen wieder gingen mit der Ernsthaftigkeit, die ihrer Rolle zukam, der Tod, das Fegefeuer, die Hölle und das Paradies. Der Zug setzte sich wie der in Bewegung, aber ein komischer Umstand störte bald die Anordnung.
An der Ecke der Rue de Lombards und der Rue Saint Denis machten zwei Menschen auf einem Pferde gewaltiges Aufsehen. Die Menge war so dicht gedrängt, dass man nicht begreifen konnte, wie sie hierhergekommen waren. Freilich muss man bemerken, dass sie sich nicht sehr um die Drohungen der armen Teufel kümmerten, die sie auf ihrem Wege über den Haufen ritten. Ihre Kühnheit ging so weit, den öffentlichen Diener zu trotzen und mit stoischer Gleichgültigkeit die Prügel hinzunehmen, die sie ihnen erteilten, um fiel zurück zu treiben. Drohungen und Schläge waren verloren. Sie drangen immer weiter vor und gaben rechts und links die Püffe, die sie empfingen, mit Wucher zurück. Vor sich trieben sie die Menschen durch ihre Pferde auseinander, wie der Kiel eines Schiffes die Wogen des Meeres teilt, und schlossen sich hinter ihnen auch ebenso wieder. Auf diese Weise war sie noch zu rechter Zeit gekommen, den Zug zu sehen, und man hoffte, dass sie ihn ruhig vorüber ziehen lassen würden, aber in dem Augenblicke, als die Königin Isabelle ihnen gegenüber war, schien der, welcher die Zügel des Pferdes hielt, von seinen Kameraden einen Befehl zu empfangen. Schnell gehorchend gab dieser mit dem langen Stocke, den er in der Hand hielt, dem Kopfe und der Croupe der beiden Pferde der Bürgergarde, die an dem Durchgange hielten, einen tüchtigen Schlag. Das eine sprang vorwärts, das andere zurück, und so öffnete sich eine Art von Bresche, welche die Doppelreiter benutzten, mitten in den Zug zu sprengen. Sie kamen zwei Schritt vor dem Pferde der Herzogin von Touraine vorüber, welches dadurch scheu wurde und gewiss Madame Valentine umgeworfen haben würde, hätte nicht der Sir von Craon den Zügel des Pferdes ergriffen, als es eben überschlagen wollte. Die beiden Reiter ritten gerade auf die Königin zu, warfen das Paradies auf die Hölle, den Tod auf das Fegefeuer, die christlichen Tugenden auf die Todsünden. So gelangten sie bis zu der Sänfte unter dem lauten Geschrei des Volkes, welches sie für Bösewichter oder für Wahnsinnige hielt, und verfolgt von den Herzogen von Touraine und von Bourbon, welche irgendeine verräterische Absicht fürchteten, und das Schwert gezogen hatten sie zu verteidigen.
Die Königin ihrerseits hatte viel Furcht über den ganzen Lärm. Sie wusste die Ursache davon noch nicht, als sie die beiden Schuldigen zwischen dem Abgeordneten des Kaufmannstandes und der Sänfte erblickte. Ihre erste Bewegung war, sich rückwärts zu werfen, aber der auf der Croupe des Pferdes sitzende Reiter flüsterte ihr heimlich einige Worte, lüftete seine Kuppe, zog eine schwere goldene Kette mit Diamanten und Lilien vor und hing sie der Königin um den Hals, welche sich anmutig vorbeugte, das Geschenk zu empfangen, dann gab er seinem Pferde die Sporen und sprengte wie ein Blitz davon. Fast in demselben Augenblicke langten die Herzöge von Touraine und Burgund an; sie hatten von dem Vorgefallenen nichts gesehen, als dass diese Männer die Königin in ihrer Gewalt hielten und schwangen ihre Schwerter unter dem Geschrei: »Tod, Tod den Verrätern!«
Das Volk stand überall so dicht gedrängt, dass sich kaum bezweifeln ließ, sie würden die unbekannten Reiter einholen, zumal diese eben so viel Mühe hatten die Rue Saint Denis zu verlassen, wie zu vor, in sie einzudringen. Jedermann erwartete daher eine Katastrophe, als die Königin sich in ihrer Sänfte erhob, die Arme gegen ihren Vetter und ihren Schwager ausstreckte und ängstlich ausrief: »Messeigneurs! Was wollt Ihr beginnen? Es ist der König!«
Die beiden Herzöge hielten sogleich an, zitterten jetzt selbst, dass ihrem Herrscher etwas widerfahren möchte; sie stellten sich im Bügel hoch in die Höhe, streckten ihre Schwerter mit gebieterischer Bewegung gegen das Volk aus und schrien mit lauter Stimme: »Es ist der König, Ihr Herren!«– Dann schwangen sie ihre Barett's und riefen: »Ehre und Achtung dem König!«
Der König, denn es war in der Tat Karl VI. selbst, der hinter dem Messire Karl von Sabois auf der Croupe saß, antwortete auf diese Worte, indem er seine Kapuze erhob und an seinem langen kastanienbraunen Haar, an seinen blauen Augen, seinem etwas großen aber mit prächtigen Zähnen gezierten Munde, an der Anmut seines Benehmens, und besonders an dem Wohlwollen, das aus seinem Gesichte sprach, erkannte das Volk den König, für den es, ungeachtet des Unglückes, von dem es während seiner Regierung bedrückt wurde, den Namen des Vielgeliebten bewahrte, den es ihm an dem Tage seiner Thronbesteigung im Voraus gab. Das Geschrei: »Weihnachten!« ertönte jetzt von allen Seiten; die Stallmeister und Pagen schwangen die Banner ihrer Gebieter, die Damen ihre Schärpen und Tücher. Die Riesenschlange, die sich die ganze Länge der Rue Saint Denis hinzog, schien ihre Lebendigkeit zu verdoppeln und tätiger ihre bunten Ringel von dem Schweife nach dem Kopfe zuzuschieben, denn Jeder machte den Versuch, den König zu sehen, aber die offene Bahn benutzend, die Ehrfurcht vor ihm bildete, als sein Inkognito verraten war, war Karl VI. schon verschwunden. Es verlief wohl eine halbe Stunde, die dies Ereignis gestört hatte, ehe die Ruhe wieder hergestellt war. Die Menge wurde noch durch eine Aufregung gestört, welche verhinderte, dass Jeder feinen Platz wie der einnahm. Messire Peter von Craon benutzte dies, um boshaft gegen Madame Valentine zu bemerken, dass ihr Gemahl, der vielleicht allein den Aufenthalt verringern könnte, wenn er an ihre Seite zu rückkehrte, ihn im Gegenteil verlängere, indem er mit der Königin plaudere und so die Sänfte, die das Signal zum Wiederaufbruche geben sollte, ab hielt, sich in Marsch zu setzen. Madame Valentine versuchte bei diesen Worten gleichgültig zu lächeln, aber ein halb unterdrückter Seufzer rang sich dabei aus ihrer Brust und strafte ihre Zunge Lügen; denn, sagte sie mit einer Stimme, deren Zittern sie vergeblich zu verbergen suchte: »Messire Peter, wes halb macht Ihr diese Bemerkung nicht gegen den Herzog selbst, da Ihr doch dessen Vertrauter seid?«
»Ich werde mich hüten, es ohne Euern besondern Befehl zu tun, Madame; seine Rückkehr beraubt mich des Vorrechtes, das feine Abwesenheit mir gibt: allein über Sie zu wachen.«
»Mein einziger und wahrer Hüter ist der Herr Herzog von Touraine, und da Ihr nur meinen Befehl abwartetet, so eilt, ihm zu sagen, ich wünschte, dass er zurückkehre.«
Peter von Craon verneigte sich und überbrachte dem Herzoge die Worte der Madame Valentine. In dem Augenblicke, als sie Beide zu ihr zurückkehrten, ertönte unter der Menge ein gellender Schrei; ein junges Mädchen war in Ohnmacht gefallen. Dies Ereignis war etwas zu gewöhnliches bei solchen Fällen, als dass die hohen Personen, mit denen wir uns beschäftigen, darauf nur im Geringsten hätten achten sollen. Sie kehrten daher, ohne auch nur die Augen nach jener Gegend zu wenden, wo das Ereignis stattgefunden hatte, auf ihren Platz, neben der Herzogin von Touraine zurück. Als hätte der Zug nur hierauf gewartet, setzte er sich sogleich in Bewegung, aber bald fand er einen neuen Grund, Halt zu machen.
Vor dem Tor des Châtelet von Paris war ein Gerüst erbaut; es stellte ein hölzernes Schloss dar, war aber so bemalt, als wäre es aus Stein, und an dessen Flügeln fanden zwei Wachthäuschen mit vollkommen gerüsteten Schildwachen. Der große Saal des untern Geschosses fand den Blicken der Zuschauer offen, als wäre die Mauer nach der Straße eingerissen worden. In diesem Saale stand ein Bett, das so reich und prachtvoll geschmückt war, wie das des Königs in seinem Hôtel Saint Paul; in diesem Bett, welches das Lager der Gerechtigkeit darstellte, befand sich ein junges Mädchen, als die heilige Anna.
Um dies Schloss hatte man so viel schöne grüne Bäume gepflanzt, dass sie einen schattigen Wald bildeten, in welchem eine Menge Hafen und Kaninchen umherliefen, während zahlreiche Vögel aller Farben von Zweig zu Zweig hüpften. Die Menge wunderte sich hierüber sehr, denn sie fragte sich, wie man sonst so wilde Tiere in diesem Grade hätte zähmen können. Das Staunen stieg aber noch bedeutend, als man aus diesem Walde einen schönen weißen Hirsch hervortreten sah, der so groß war, wie die, welche im Garten des Königs sich befanden, und so künstlich gearbeitet, dass man ihn für lebend halten musste, denn ein Mensch, der darin verborgen war, bewegte seine Augen, öffnete seinen Mund und ließ seine Beine gehen. Sein Geweih war vergoldet, auf dem Halse trug er eine Krone, welche der königlichen ähnlich war, und auf der Brust hing ihm ein azurblaues Schild mit drei goldenen Lilien, das Wappen des Königs und Frankreichs. Schön und stolz trat so das edle Tier gegen das Lager der Gerechtigkeit vor, nahm mit dem rechten Vorderlaufe das Schwert, das Symbol derselben, hob es in die Luft und ließ es erzittern. In diesem Augenblicke traten aus dem entgegengesetzten Teile des Waldes ein Löwe und ein Adler hervor, die Symbole der Kraft, und diese wollten ihm mit Gewalt das heilige Schwert entreißen; aber zwölf junge, weißgekleidete Mädchen, in der einen Hand einen goldenen Rosenkranz, in der andern ein blankes Schwert tragend, traten jetzt aus dem Wald und umgaben, als Symbole der Religion, den Hirsch, wie zu dessen Verteidigung. Nach einigen vergeblichen Versuchen kehrten der Adler und Löwe besiegt in den Wald zurück. Der lebende Wald, welcher die Gerechtigkeit verteidigte, öffnete sich jetzt, und der Hirsch neigte anmutig die Knie vor der Sänfte der Königin, und diese liebkoste ihn, wie sie bei den Hirschen zu tun pflegte, die der König in dem Garten seines Hôtels hatte. Diese Anordnung fanden sowohl die Königin als die Herren ihres Gefolges sehr sinnreich.
Indessen war die Nacht angebrochen, denn seit Saint Denis hatte man nur im langsamen Schritt vorwärts kommen können, und die verschiedenen Schauspiele während des Weges hatten den Marsch sehr verzögert; endlich nahte man sich, doch der Kirche von Notre Dame, wohin die Königin sich begeben sollte. Nur der Pont- au- Change blieb noch zu überschreiten, und man glaubte nicht, dass bis dahin irgendetwas Neues erdacht werden könnte, als man plötzlich ein wunderbares Schauspiel er blickte. Ein Mensch, wie ein Engel gekleidet, er schien an dem Dach der Türme von Notre Dame; er trug in jeder Hand eine prächtige Fackel, und ging auf einem so feinen Seile, dass man es kaum erkennen konnte. Er stieg über die Dächer der Häuser herab, und schien wie durch Wunder durch die Luft zu gleiten, bis er sich auf einem der Häuser, welche die Brücke bekränzten, niedersetzte. Als die Königin ihm gegenüber war, verbot sie ihm, aus Furcht vor irgendeinem Unglücksfalle, auf dem Wege zurück zu kehren, auf welchem er gekommen war er aber wusste wohl, aus welchem Grunde dieser Befehl entsprang, achtete nicht darauf, und ging rückwärts das Seil hinan, um der Königin nicht den Rücken zuzuwenden. So erreichte er die Höhe des Turmes der Kathedrale und verschwand durch eben die Öffnung, durch welche er herausgekommen war. Die Königin fragte, wer dieser leichte, gewandte Mensch wäre, und man sagte ihr, dass es ein Genueser von Geburt und Meister in dieser Art von Spielen sei. Während dieser letzten Darstellung hatten sich die Vogelhändler in großer Menge auf der Straße der Königin versammelt; sie hatten in Käfigen eine Menge Sperlinge und ließen diese fliegen, als die Königin vorüber kam. Dies war ein alter Gebrauch, der auf die Hoffnung anspielte, welche das Volk bei jeder neuen Regierung hat: dass sie nämlich neue Freiheiten mit sich bringen werde. – Der Gebrauch ist verschwunden, die Hoffnung geblieben.