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»Still, Kind«, sagte sie; »Madame Isabelle ist unsere Herrin. Gott hat sie uns zu unserer Gebieterin gegeben, und wir müssen sie lieben.«
»Das sagte mir mein Vater auch«, erwiderte Odette, »als ich gestern sterbend nach Haus kam und ihm gestand, dass ich die Königin nicht liebte.«
Die Augen der Herzogin hefteten sich auf Odette mit dem lebhaftesten Ausdruck der Sanftmut und Güte. In diesem Augenblicke erhob das junge Mädchen schüchtern den Blick; ihre Augen trafen sich, die Herzogin öffnete ihre Arme, Odette sank ihr zu Füßen und küsste ihre Knie.
»Jetzt hab' ich Dir nichts mehr zu sagen«, sagte Madame Valentine. »Versprich mir, ihn nicht mehr zu sehen, das ist alles.«
»Das kann ich Euch leider nicht versprechen, Madame, denn der Herzog ist reich und mächtig, und wenn ich in Paris bleibe, kann er bis zu mir dringen, und wenn ich mich von hier entferne, mich verfolgen; ich darf Euch daher nicht versprechen, ihn nicht wiederzusehen. Aber ich kann Euch schwören, zu sterben, wenn ich ihn gesehen habe.«
»Du bist ein Engel«, sagte die Herzogin, »und ich würde einiges Glück auf dieser Welt hoffen, wenn Du mir verspricht, für mich zu Gott zu beten.«
»Gott für Euch bitten, Madame! Seid Ihr nicht eine jener glücklichen Prinzessinnen, deren Pate eine gütige Fee war? Ihr seid jung, schön, mächtig, und es ist Euch erlaubt, ihn zu lieben.«
»Dann bete zu Gott, dass er mich liebe.«
»Ich werde es versuchen«, sagte Odette.
Die Herzogin nahm eine kleine silberne Pfeife, die auf dem Tische lag, und pfiff. Bei diesem Rufe erschien derselbe Diener, welcher Odette eingelassen hatte, und öffnete die Tür.
»Führe dies junge Mädchen nach ihrer Wohnung zurück«, sagte die Herzogin, »und behüte sie vor jedem Unfall. Odette«, fügte sie hinzu, »bedürftest Du jeder Hilfe oder Unterstützung, so komm zu mir.« Dabei reichte sie ihr die Hand, wie einer Schwester.
»Ich werde jetzt nur noch wenig in der Welt bedürfen«, sagte sie, »aber gewiss denk' ich an Euch, auch ohne dass ich Eurer Hilfe bedarf.«
Sie neigte sich vor der Herzogin und ging.
Allein geblieben, setzte sich Madame Valentine, ihr Haupt sank auf die Brust, sie verfiel in tiefes Sinnen. Schon hing sie so ihren Gedanken einige Minuten nach, als die Tür des Kabinettes sich leise öffnete. Der Herzog trat ein, ohne gehört zu werden, näherte sich seiner Gemahlin, ohne dass sie ihn bemerkte, und stützte sich auf die Lehne des Stuhles, auf dem sie saß. Als er nach einigen Augenblicken sah, dass sie ihn noch immer nicht gewahrte, nahm er eine prachtvolle Perlenschnur vom Halse, hielt sie über das Haupt der Herzogin, und ließ sie auf deren Schultern hinabfallen. Valentine stieß einen Schrei aus, erhob das Haupt und sah den Herzog.
Der Blick, den sie auf ihn warf, war ausdrucksvoll und forschend, aber er hatte sich darauf vorbereitet und hielt ihn lächelnd aus, als wüsste er von dem Vorgefallenen nichts; ja noch mehr, als die Herzogin das Haupt senkte, fasste er sie unter das Kinn, hob ihr den Kopf in die Höhe, drückte ihn sanft hinten über, und zwang sie so, ihn noch einmal anzusehen.
»Was wollt Ihr von mir, Monseigneur?« sagte Valentine.
»Es ist wahrlich eine Schande für den Orient« sagte der Herzog, indem er die Perlenschnur, die er seiner Frau geschenkt hatte, nahm und ihr leise damit die Lippen trennte. »Das ist eine Schnur, die mir der König von Ungarn, Sigismund von Luxemburg, wie ein wahres Wunder schickt. Er glaubt mir ein kaiserliches Geschenk zu machen, und ich habe weißer, schönere Perlen, als die seinigen.«
Valentine seufzte, aber der Herzog schien es nicht zu bemerken.
»Wisst Ihr wohl, meine schöne Herzogin«, sagte er, »dass ich nichts gesehen habe, was Euch gleich käme, und dass ich ein glücklicher Mensch bin, einen solchen Schatz von Schönheit zu besitzen. Vor einigen Tagen rühmte mir mein Oheim von Berry so laut, die schönen Augen der Königin, die ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte, dass ich gestern die Nähe, in die mein Rang mich zu ihr führte, benutzte, sie zu betrachten.«
»Nun, und?« sagte Valentine.
»Nun, und – ich erinnerte mich, zwei Augen gesehen zu haben – freilich weiß ich nicht mehr genau wo, – welche keck den Vergleich mit denen der Königin aushalten können. Seht mich jetzt an – ja – so. Es war in Mailand, wo ich sie sah, im Palaste des Herzogs Galeas. Sie glänzten unter den schönsten schwarzen Augenbrauen, welche je der Pinsel eines italienischen Malers einem Gesichte verlieh. Sie gehörten einer gewissen Valentine an, welche die Frau eines gewissen Herzogs von Touraine geworden ist, der, wie man eingestehen muss, ein solches Glück nicht verdiente.«
»Und glaubt Ihr, dass dies Glück, ihm sehr groß scheint?« sagte Valentine, indem sie ihn mit einem Ausdruck der Liebe und Traurigkeit ansah. Der Herzog ergriff ihre Hand und legte sie auf sein Herz; Valentine wollte sie ihm entziehen; der Herzog hielt sie zwischen den einigen zurück, zog einen brillanten Ring vom Finger und steckte ihn seiner Gemahlin an.
»Was soll der Ring?« fragte Valentine.
»Er gehört Euch von Rechtswegen, meine schöne Herzogin«, erwiderte der Herzog, »denn Ihr seid es, durch die ich ihn gewann. Ich muss Euch das erzählen.«
Der Herzog verließ hierbei den Platz hinter dem Sessel seiner Gemahlin, den er bis jetzt inne gehabt hatte, nahm ein Tabouret, setzte sich zu ihr und stützte seine Arme auf die ihres Lehnstuhls. »Ja, gewonnen«, wiederholte er, »und zwar von dem armen Coucy.«
»Wie das?«
»Ihr müsst wissen, und ich rate Euch, ihm Euern Zorn zu bewahren, dass er behauptete, ein Paar Hände gesehen zu haben, die fast ebenso schön gewesen wären, wie die Eurigen.«
»Und wo hat er sie gesehen?«
»Als er ein Pferd kaufen wollte in der Rue la Ferronnerie.«
»Und bei wem?«
»Bei der Tochter eines Pferdehändlers.«
Ihr fühlt wohl, dass ich die Möglichkeit leugnete. Er verteidigte, was er aus Eigensinn behauptete, so dass wir zuletzt wetteten, er diesen Ring und ich dies Perlenhalsband.«
Valentine sah den Herzog an, als wolle sie in dem Grunde seiner Seele lesen; er aber fuhr fort:
»Ich verkleidete mich hierauf als Stallmeister, dies Wunder zu sehen; ich ging zu dem alten Champ-Divers, und kaufte für einen wahnsinnigen Preis die beiden schlechtesten Gäule, welche je ein Ritter, der eine Herzogskrone trägt, zur Strafe seiner Sünden bestiegen hatte. Ich sah aber auch die Göttin mit den weißen Armen, wie der göttliche Homer gesagt haben würde. Man muss gestehen, Coucy war kein so großer Narr, wie ich anfangs glaubte; es ist ein Wunder, wie eine so schöne Blume in einem solchen Garten wachsen kann. Indessen, meine schöne Herzogin, erkannte ich mich nicht für besiegt; im Gegenteil verteidigte ich die Ehre der Dame meines Herzens. Coucy blieb bei seiner Behauptung. Kurz, wir gingen zu dem König, diesen um die Erlaubnis zu einem Kampfspiel zur Entscheidung unseres Streites zu bitten, aber es wurde ausgemacht, dass Peter von Graon, ein ausgezeichneter Richter in dieser Sache dieselbe entscheiden solle. Wir gingen, ich glaube es war vor drei Tagen, mit einander zu dem schönen Kinde und bei meiner Ehre, Craon ist ein vor trefflicher Richter, denn Ihr seht den Ring an Eurem Finger. Was sagt Ihr zu dieser Geschichte?«
»Dass ich sie schon kannte«, sagte Valentin, indem sie ihn wieder zweifelnd ansah.
»So?« fragte der Herzog, »wie denn das? Coucy ist ein zu galanter Ritter, als dass er eine solche Mitteilung hätte machen können.«
»Auch erfuhr ich es nicht von ihm.«
»Von wem denn?« sagte Ludwig mit dem Tone erzwungener Gleichgültigkeit.
»Von Eurem Kampfrichter!«
»Von Messire Peter Craon? So!«
Der Herzog zog die Stirn in düstere Falten, seine Zähne schlugen auf einander, aber sogleich sagte er gefasst:
»Ja, Peter weiß, dass ich ihm sehr gewogen bin, und da hat er ohne Zweifel auch Eure Gunst erlangen wollen. Vortrefflich! – Aber findet Ihr nicht, dass es schon sehr spät ist, von solchen eitlen Dingen zu plaudern? Bedenkt, dass der König uns morgen zum Frühstück erwartet, dass dann ein Kampfspiel folgt, in welchem ich mit meiner Lanz beweisen will, dass Ihr die Schönste seid, und da dort Peter von Craon nicht mein Kampfrichter ist. Bei diesen Worten ging der Herzog zur Tür und schob den hölzernen, mit Samt bekleideten und mit goldnen Lilien geschmückten Riegel vor, der bestimmt war, sie von innen zu verschließen. Valentine folgte ihm mit den Augen, und als er zu ihr zurückkehrte, stand sie auf und schlang ihre Arme um seinen Hals.
»Ach, Monseigneur«, sagte sie, »Ihr seid sehr strafbar, wenn Ihr mich täuscht.«
III.
Am folgenden Tage fand der Herzog von Touraine sehr früh auf und begab sich in den Palast, wo er den König Karl im Begriffe stand, die Messe zu hören. Der König, der ihn sehr liebte, trat ihm mit feinem gutmütigen Gesichte lächelnd entgegen, aber er bemerkte, dass der Herzog seinerseits sehr traurig schien. Das beunruhigte ihn, er reichte ihm die Hand, sah ihn fest an und fragte ihn: »Schöner Bruder, sagt mir, was Euch betrübt, denn Ihr scheint mir sehr niedergeschlagen.«
»Monseigneur«, sagte der Herzog, »ich habe dazu wohl Ursache.«
»Kommt«, sagte der König, indem er ihn beim Arme nahm und in ein Fenster führte, »sagt es uns, denn wir wollen es wissen, und wenn Euch Jemand Unrecht hat, so lasst es unsere Sorge sein, Euch Gerechtigkeit zu gewähren.«
Der Herzog von Touraine erzählte nun den Auftritt des vergangenen Abends, den wir unsern Lesern geschildert haben. Er sagte ihm, wie Peter von Craon sein Vertrauen verriet, indem er Madame Valentine seine Geheimnisse, und zwar in böser Absicht mitteilte. Als er dann sah, dass der König seinen Unwillen teilte, fügte er hinzu: »Monseigneur, bei der Treue, die ich Euch schuldig bin, schwöre ich Euch, dass ich, wenn Ihr mir gegen diesen Menschen nicht Gerechtigkeit gewährt, ihn noch heute im Angesichte des ganzen Hofes einen Verräter und Lügner nennen werde, und er von keiner andern Hand als der meinigen sterben soll.«
»Das werdet Ihr nicht tun«, sagte der König, »und zwar auf unsere Bitte, nicht wahr? Aber Wir werden ihm sagen lassen, Wir selbst, und zwar spätestens diesen Abend, dass er Unsern Palast verlassen soll, und dass Wir seiner Dienste nicht mehr bedürfen. Dies ist übrigens nicht die erste Klage, die Uns über ihn zukommt; verschlossen Wir den früheren das Ohr, so geschah es nur aus Achtung für Euch, und nur, weil er einer Eurer besten Freunde ist. Unser Bruder, der Herzog von Anjou, König von Italien, Sizilien und Jerusalem, wo der Calvarienberg ist – der König bekreuzigte sich – hat, wenn wir ihm glauben können, sich über beträchtliche, ihm entwendete Summen, über ihn zu beklagen. Überdies ist er ein Vetter des Herzogs von Bretagne, der sich nicht um Unsern Willen kümmert und Uns dies täglich beweist, in dem er noch nichts von dem erfüllte, was Wir ihm zur Ausführung mit Unterm guten Konnetabel auferlegt haben. Dann ist es Mir auch eingefallen, dass der schändliche Herzog fortfährt, den Papst von Avignon, welcher der wahre Papst ist, zu verleugnen. Auch schlägt er noch immer, ungeachtet Meines Gebotes, Goldmünze, da doch Vasallen nur Kupfermünzen schlagen dürfen. Dann, mein Bruder«, fuhr der König, der immer aufgebrachter wurde, fort, »weiß Ich aus guter Quelle, dass seine Beamten sich weigern, die Gerichtsbarkeit des Parlaments von Paris anzuerkennen. Er nimmt sogar, und das ist beinahe ein Verbrechen des Hochverrates, den unbedingten Eid seiner Vasallen an, ohne Vorbehalt. Meiner Oberlehnsherrlichkeit. Alle diese Dinge und viele andere noch machen, dass die Freunde des Herzogs nicht die Meinigen sein können; das geht so weit, dass auch Ihr Euch über Messire Peter von Craon zu beklagen habt, gegen den auch Ich schon Argwohn zu hegen begann. Es sei also heute von nichts die Rede, diesen Abend aber lassen Wir ihm Euern und Meinen Willen kundtun. Was den Herzog von Bretagne betrifft, so ist das eine Angelegenheit des Lehnsherrn mit den Vasallen, und wenn der König Richard Uns den dreijährigen Waffenstillstand zusagt, den wir von ihm gefordert haben, so wollen. Wir wohl sehen, wer Herr in Frankreich ist, ob Er oder Ich, und mag ihn auch Unser Oheim von Burgund, dessen Frau eine Nichte ist, unterstützen.«
Der Herzog dankte dem König für den Anteil an der ihm widerfahrenen Beleidigung und wollte eben gehen, aber die Glocke der heiligen Kapelle rief zur Messe, und der König forderte ihn auf, diese mit anzuhören, umso mehr aber, als heut ausnahmsweise der Erzbischof von Rouen, der Messire Wilhelm von Vienne dieselbe lesen und die Königin ihr beiwohnen sollte.
Nach der Messe traten der König Karl, die Königin Isabelle und der Herzog von Touraine in den Festsaal, wo sie alle die Herrn und Damen versammelt fanden, welche ihr Rang, ihre Würde, oder die Gunst des Königs und der Königin zu dem Male beriefen. Das Essen wurde auf der großen Marmortafel serviert, und außerdem war gegen eine der Säulen des Saales der Trinktisch des Königs errichtet, mit goldenen und silbernen Geschirren reich besetzt. Rings um der Tafel zogen sich Barrieren, durch Diener und Hellebardiere besetzt, damit nur die eintreten könnten, welche zum Dienste der Tafel bestimmt waren; aber dieser Vorsichtsmaßregel ungeachtet, drängte das Volk so sehr, dass die Bedienung der hohen Herrschaften kaum möglich war. Als der König, die Prälaten und die Damen sich die Hände in dem silbernen Becken gewaschen hatten, welche die Diener ihnen kniend darreichten, setzten sich zuerst der Bischof von Noyon, welcher den Vorsitz an der Tafel des Königs führt, dann der Bischof von Langres, der Erzbischof von Rouen, und endlich der König. Dieser war in einem hoch roten, samten Überwurf, ganz mit Hermelin besetzt, gekleidet, und hatte auf dem Haupte die Krone von Frankreich; neben ihm saß Madame Isabelle, ebenfalls mit einer goldenen Krone gekrönt. Zur Rechten der Königin saß der König von Armenien, und unter ihm in der Ordnung, wie wir sie nennen, die Herzogin von Berry, die Herzogin von Burgund, die Herzogin von Touraine, Dlle. von Nevers, Dlle. Bomen de Bar, die Dame von Coucy, Dlle. Marie von Harcourt, und endlich die Dame von Sully, die Gemahlin des Messire Guy de la Trimouille.
Außer dieser Tafel gab es noch zwei andere, an welchen die Herzöge von Touraine und Bourbon, von Burg und von Berry den Vorsitz führten, und an denen wohl fünfhundert Damen und Herren Platz gefunden hatten. Das Gedränge war aber so groß, dass man sie kaum bedienen konnte. Was die Gerichte betrifft, sagt Froissard, so waren sie vortrefflich und reichlich, aber ich zähle sie nicht näher auf, sondern spreche nur von den Zwischengerichten, die sowohl angeordnet waren, dass es nicht besser möglich wäre. Diese Art von Schauspielen, welche die Mahlzeit in zwei Hälften schnitt, war damals sehr üblich und beliebt. Sobald der erste Gang beendigt war, erhoben sich die Gäste und nahmen an den Fenstern, auf den Stufen, und selbst auf den Tischen, die zu diesem Behufe dahin gestellt waren, die besten Plätze ein, die sie erlangen konnten. Es war ein großes Gedränge, dass selbst der Balcon, auf dem der König und die Königin sich befanden, von Herren und Damen vollgepfropft war.
Mitten auf dem Schlosshof hatten Arbeiter, welche schon seit länger als zwei Monaten damit beschäftigt waren, ein großes hölzernes Schloss aufgeführt, das 40 Fuß hoch, und die Flügel mit in begriffen, 60 Fuß breit war. An den vier Ecken hatte es vier Türme, und in der Mitte einen fünften noch höheren. Dies Schloss stellte die große und feste Stadt Troja, und der hohe Turm die Burg Ilion vor. Rings um die Mauern waren auf Fahnen die Wappen des Königs Priamus, des stolzen Hector, seines Sohnes, und die der König und Prinzen gemalt, die sich mit ihnen in Troja eingeschlossen befanden. Dieses Gebäude ruhte auf vier Rädern, welche von Männern im Innern bewegt wurden, und mit deren Hilfe es jede Richtung annehmen konnte, die zu seiner Verteidigung nötig war. Die Geschicklichkeit wurde bald geprüft, denn von zwei Seiten rückten zum Angriffe und sich gegenseitig unterstützend, zugleich ein Turm und Schiff vor. Der Turm stellte das Lager, das, Schiff die Flotte der Griechen dar; Beide waren mit den Wappen der tapfersten Ritter geschmückt, welche den König Agamemnon begleiteten, von dem leichtfüßigen Achill bis zu dem klugen Ulisses. In dem Schiffe und Turme befanden sich wohl an zweihundert Männer, und aus einer Stalltür blickte der Kopf des hölzernen Pferdes, das ruhig seine Reihe erwartete, den Schauplatz zu betreten. Aber zur großen Verzweiflung der Zuschauer konnte das Fest nicht bis auf diesen Punkt gedeihen, den in dem Augenblicke, als die Griechen auf der Schiffe und auf dem Turm, Achill an ihre Spitze, die Trojaner mit der größten Tapferkeit an griffen, die Hector mit bewundernswertem Mut verteidigte, ließ sich ein gewaltiges Krachen vernehmen, dem wildes Getöse und Angstgeschrei folgt Eines der Gerüste vor dem Tor des Parlamentgebäudes war unter der Menschenmasse, die es bedeckte, zusammengebrochen.
Wie es bei dergleichen Fällen stets zu sein pflegt, fürchtete Jeder für sich selbst den Unfall, der den Andern betroffen hatte, und schrie, als sei es bereits geschehen. Es entstand daher eine große Verwirrung unter der Masse, und obgleich die König und die Damen, welche auf den steinernen Balcon des Schlosses fanden, nichts zu fürchten hatten, ergriff das panische Schrecken sie dennoch, und sei es nun unüberlegte Furcht vor der Gefahr, vor der sie nicht erreicht werden konnten, sei es, doch sie nicht sehen wollten, was sich unter ihren Auge zutrug, genug, sie wollten eilig wieder in den Speisesaal zurückkehren. Aber hinter ihnen hatte sich eine dichte Reihe von Stallmeistern, Dienern und Pagen aufgestellt, und hinter diesen wieder stand das Volk, welches sich den Eifer, mit dem die Dienerschaft die Fenster säuberte, zu Nutze gemacht, die Gemächer zu füllen. Madame Isabelle konnte daher nicht durch die dichte Masse dringen, und sank erschöpft und halbtot dem Herzog von Touraine, der neben ihr stand, in die Arme. Der König befahl hierauf, die Spiele zu enden. Die Tafeln, auf denen der zweite Gang eben aufgetragen war, wurden fortgeschafft, die Barrieren niedergerissen, und die Gäste gewannen dadurch freien Raum, sich zu bewegen. Zum Glück hatte kein ernster Unfall stattgefunden. Nur die Dame Coucy war leicht beschädigt worden, und Madame Isabelle lag noch immer in Ohnmacht. Man trug sie zu einem einsamen Fenster, das man einschlug, um ihr schneller Luft zu verschaffen, und durch deren Berührung kehrte sie wirklich zum Leben zurück, aber sie war von einem solchen Schrecken er griffen, dass sie sich sogleich entfernen wollte. Von den Zuschauern auf dem Hof waren einige getötet, und andere hatten mehr oder minder schwere Verletzung davon getragen.
Die Königin bestieg demnach ihre Sänfte, und begleitet von den Herren und Damen, diesen Zug von mehr als tausend Pferden bildete begab sie sich durch die Straßen nach dem Hof Saint Paul; der König bestieg unter dem Potau au Change ein Fahrzeug und fuhr die Seine mit den Rittern hinauf, die an dem Kampfspiele teilnehmen sollten.
Als er in seinem Hôtel anlangte, fand der König ein schönes Geschenk, welches ihm im Namen der Bürgerschaft von Paris, vierzig von den ersten derselben, darboten.
Sie waren sämtlich in Tuch von derselben Farbe gekleidet, wie in eine Uniform. Diese Geschenke befanden sich in einer Sänfte, welche man Seidenflor überzogen war, so dass man die Gegenstände erkennen konnte. Es waren vier Töpfe vier Schalen und sechs Schüsseln, sämtlich von massivem Golde und fünfzig Mark schwer.
Als der König erschien, setzten die Träger Sänfte, als Wilde gekleidet, dieselbe mitten im Zimmer nieder; und einer der Bürger, welche ihn begleiteten, kniete vor dem König nieder und sagte:
»Sehr teurer Sire, und edler König, Eure Bürger von Paris schenken Euch bei dem freudig Ereignisse Eurer Regierung alle die Sachen, welche sich in dieser Sänfte befinden, und ähnliche werden in diesem Augenblicke auch der Frau Königin und der Frau Herzogin von Touraine überreicht.«
»Wir danken sehr«, erwiderte der König, »diese Geschenke sind schön und reich, und Wir werden Uns bei jeder Gelegenheit derer erinnern, welche sie Uns machten.«
In der Tat warteten auch zwei ähnliche Sänften bei der Königin und der Herzogin von Touraine. Die der Königin wurde durch zwei Männer getragen, von denen der eine als Bär, der andere als Einhorn verkleidet war, und enthielt eine Wassertonne, zwei Flaschen, zwei Becken, zwei Salznäpfe, sechs Töpfe, sechs Teller, ganz von massivem Gold; und zwölf Lampen, vier und zwanzig Schalen, sechs große Schüsseln und zwölf große Becken von Silber, alles zusammen dreihundert Mark schwer.
Was die Träger der Sänfte der Herzogin von Touraine betrifft, so waren sie als Mauren gekleidet, hatten geschwärzte Gesichter, trugen weiße Turbane, und reiche Kleider von Seidenstoff. Die Sänfte enthielt an goldnen Geräten, ein Becken, einen großen Topf, zwei Konfektbüchsen, zwei große Schüsseln, zwei Salznäpfe; und an silbernen Gegenständen, sechs Töpfe, sechs Schüsseln, vier und zwanzig Salznäpfe und vier und zwanzig Tassen; das Gewicht an Gold und Silber betrug an zweihundert Mark. Der ganze Wert der sämtlichen Geschenke betrug, nach Froissard, sechzigtausend Goldkronen.
Indem die Bürger der Königin diese prachtvollen Geschenke darbrachten, hatten sie die Hoffnung, ihre Gnade zu gewinnen und sie zu bestimmen, ihr Wochenlager in der Stadt Paris zu halten, um dadurch vielleicht eine Verminderung der Abgaben zu erlangen. Aber es kam ganz anders; denn als die Zeit der Entbindung herannahte, führte der König Isabellen mit sich fort, man erhöhte die Salzsteuer und verbot die Silbermünzen von zwölf und vier und zwanzig Denar’s, welche seit der Regierung Karls V. in Umlauf waren. Diese Münzen dienten dem geringen Volke und den Bettlern zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse, und es fehlte daher diesen an dem Notwendigsten.
Diese Geschenke erfreuten übrigens die Königin und Madame Valentine sehr; sie dankten den Überbringern derselben höchst anmutig, und begaben sich dann nach dem Felde der heiligen Catharine, wo für die Ritter Schranken errichtet waren und Gerüste für die Damen zum Zuschauen.
Von den dreißig Rittern, welche an diesem Tage kämpfen sollten4, und die sich die Ritter der goldnen Sonne nannten, weil sie auf ihrem Schilde eine strahlende Sonne hatten, waren bereits neun und zwanzig ganz gerüstet in den Schranken versammelt. Der dreißigste ritt jetzt ein, und alle Lanzen senkten sich: es war der König.
Ein lautes Murmeln verkündete fast zu gleicher Zeit die Ankunft der Königin; sie setzte sich auf die Estrade, die für fiel bereitet war, und hatte an ihrer rechten Seite die Frau Herzogin von Touraine, und an ihrer linken die Mademoiselle von Nevers5. Hinter den beiden Prinzessinnen standen die Herzöge Ludwig und Johann, und wechselten von Zeit zu Zeit einige Worte mit jener kalten Höflichkeit, welche den Leuten eigen zu sein pflegt, welche durch ihre Lage gezwungen sind, ihre Gesinnungen zu verbergen. Als die Königin saß, suchten auch die andern Damen, die nur auf dies Zeichen gewartet hatten, ihre Plätze, und in kurzer Zeit war die ganze Estrade mit Gold- und Silberstoffen, mit Diamanten und Edelsteinen bedeckt.
Die Ritter stellten sich jetzt in Ordnung, der König an ihrer Spitze; auf ihn folgten die Herzöge von Berry, von Burgund und von Bourbon, und auf diese die sechs und zwanzig andern Ritter, nach ihrem Range und ihrer Würde. Einzeln ritten Alle vor der Königin vorüber, neigten vor ihr die Spitze ihrer Lanze bis zu dem Boden, und die Königin grüßte Jeden einzeln.
Als diese Zeremonie beendigt war, teilten sich die Kämpfer in zwei Parteien. Der König nahm den Befehl der einen, der Konnetabel den der andern. Karl führte seine Parthei unter den Balkon der Königin, Clisson die seinige an das entgegengesetzte Ende.
»Monseigneur von Touraine«, sagte der Her zog von Nevers, »ist Euch keine Lust angekommen, Euch unter die edlen Ritter zu mischen, und eine Lanze zu Ehren der Madame Valentine zu brechen?«
»Mein Vetter«, erwiderte trocken der Herzog, »der König, mein Bruder, hat mir erlaubt, morgen der einzige Platzhalter zu sein; nicht im Gemenge, sondern im einzelnen Rennen; nicht Einer gegen Einen, sondern allein gegen Alle will ich die Schönheit meiner Dame und die Ehre, meines Namens verteidigen.«