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»Und Ihr könntet hinzufügen, Monseigneur, dass Eines und das Andere durch andere Waffen, als das Kinderspielzeug verteidigt werden dürften, dessen man sich zu solchen Spielen bedient.«
»Ich bin auch bereit, mein Vetter, sie mit den Waffen zu vertreten, deren man sich bedienen wird, mich anzugreifen. An meinem Zelt wird ein Friedens- und ein Kriegsschild hängen. Wer das Erstere berührt, erzeigt mir eine Ehre, wer das Letztere berührt, macht mir ein Vergnügen.«
Der Herzog von Nevers verneigte sich wie jemand, der alles vernommen hat, was er wissen wollte, und das Gespräch damit zu beendigen wünscht. Der Herzog von Touraine schien den Zweck dieser Fragen nicht verstanden zu haben, und spielte nachlässig mit einem der Spitzenstreifen, die von dem Kopfputze der Königin herabhingen.
In diesem Augenblicke ertönten die Trompeten; die Ritter, die dadurch das Zeichen erhielten, dass der Kampf beginnen sollte, schnallten die Schilder fest, legten ihre Lanzen ein, setzten sich fest im Bügel, so dass Jeder bereit war, als der letzte Ton der Fanfare und die Kampfrichter von beiden Seiten der Schranken riefen: »die Zügel los!« Kaum waren diese Worte ausgesprochen, als der Boden unter den Staubwolken verschwand, in deren Mitte es unmöglich war, den Kämpfern zu folgen. Fast in demselben Augenblick hörte man den Lärm der beiden aufeinander treffenden Parteien. Die Schranken erschienen jetzt den Zuschauern wie ein wogendes Meer von Gold und Stahl. Von Zeit zu Zeit sah man hier oder dort einen bekannten Helmschmuck auftauchen, aber fast alle Waffentaten dieses ersten Zusammentreffens waren verloren, und erst als die Trompeten zum Rückzuge bliesen, konnte man erkennen, auf welcher Seite der Vorteil sei. Acht berittene und gerüstete Ritter blieben noch um den König; es waren der Herzog von Burgund, Messire Wilhelm von Namur, Mesire Guy von Trimouille, Messire Johann von Harpedanne, der Baron von Saint-Very, Messire Reinald von Roye, Messire Philipp von Bar, und Messire Peter von Craon.
Der König hatte wohl einen Augenblick daran gedacht, diesem Letzten wegen des Zornes, den er gegen ihn hegte, das Turnier zu verbieten, aber er überlegte, dass dessen Entfernung die Ordnung stören würde, welche durchaus eine gleiche Zahl erforderte. Nur sechs Ritter waren noch bei dem Konnetabel: Der Herzog von Berry, Messire Johann von Barbangen, der Herr von Beaubanoen, Messire Gottfried von Charny, Messire Johann von Vienne, und der Sire von Coucy. Alle Andern waren entweder aus dem Sattel gehoben und hatten dadurch das Recht verloren, das Pferd wieder zu besteigen; oder sie hatten die Barriere berührt, indem sie vor ihrem Widersacher zurückwichen, und wurden daher als besiegt betrachtet. Die Ehre des erstens Rennens blieb daher dem König, welcher die meisten Ritter behalten hatte. Die Pagen und Stallmeister benutzten diesen Augenblick der Ruhe, um die Schranken zu sprengen, damit der Staub gedämpft würde; die Damen billigten dies sehr, und die Ritter, welche gewiss waren, dass jetzt ihre Tapferkeit gerühmt und gepriesen werden würde, schöpften frischen Muth. Jeder rief seinen Pagen oder Stallmeister, ließ seine Rüstung untersuchen, sein Pferd abwischen, sein Schild festschnallen, und bereitete sich zu neuem Kampfe vor.
Sie durften nicht lange auf das Signal warten. Die Trompeten ertönten zum zweiten Male, die Lanzen wurden eingelegt, und auf den Ruf: »Zügel los!« sprengten die beiden, schon um die Hälfte verminderten Parteien aufeinander ein. Aller Augen richteten sich auf den König und Messire Olivier von Clisson, welche gegen einander rannen. In der Mitte der Schranken trafen sie zusammen. Der König stieß seinen Gegner mitten auf den Schild, so stark und fest, dass die Lanze splitterte, aber obgleich der Stoß gewiss derb war, blieb der alte Krieger doch fest im Bügel und Sattel sitzen, und nur sein Pferd senkte sich etwas auf die Hanken, um sich jedoch beim ersten Spornstoß seines Reiters kräftig wieder zu erheben.
Der Connetable hatte erst seine Lanze eingelegt, wie um den König zu bedrohen; als er aber den selben erreichen konnte, hob er die Spitze empor, und deutete so an, dass er es für eine Ehre halte, gegen seinen König zu rennen, ihn aber zu sehr achte, um ihn auch nur im Spiele zu treffen.
»Clisson, Clisson«, sagte der König lachend, »bedient Ihr Euch Eures Konnetablesschwertes nicht geschickter, als Eurer Ritterlanze, so werd' ich Euch die Klinge nehmen und Euch nur die Scheide lassen, denn Ihr könntet ebenso gut mit einer Haselrute in die Schranken kommen, als mit einer Lanze, wenn Ihr Euch ihrer so bedienen wollt.«
»Monseigneur«, erwiderte Clisson, »mit einer Gerte würde ich den Feinden Eurer Hoheit entgegen treten, und mit Gottes Hilfe dennoch triumphieren; denn die Liebe und Achtung für Sie würden mir eben so viel Muth geben, Euch zu verteidigen, als sie mir Furcht einflößte, Euch anzugreifen. Und was die Art und Weise betrifft, mit der ich mich meiner Lanze gegen jeden Andern als Euch zu bedienen gedenke, so könnt Ihr davon selbst urteilen. Seht nur!«
Messire Wilhelm von Namur hatte Messire Gottfried von Charny aus dem Sattel gehoben und suchte mit den Augen einen neuen Gegner. Jeder aber war beschäftigt, und obgleich er das Recht hatte, einem Jeden seiner Partei zu Hilfe zu kommen, der zu sehr gedrängt wurde, verachtete er doch diesen ungleichen Kampf. In diesem Augenblicke hörte er die Stimme des Connetable, welcher ihm zu rief: »Zu mir, Messire von Namur, wenn Ihr wollt!«
Messire Wilhelm nickte zum Zeichen der Bejahung, setzte sich fester in die Bügel, legte die Lanze ein, fasste die Zügel und sprengte auf Messire Olivier zu; dieser seinerseits setzte sein Pferd in Galopp, seinem Gegner die Hälfte des Weges zu sparen. Sie trafen auf einander.
Messire Wilhelm hatte seine Lanze auf den Helm Clissons gerichtet und so wohl gezielt, dass er das Visier des Konnetabels traf und ihn enthelmte. Die Lanze des Messire Olivier traf seinen Gegner mitten auf die Brust. Wilhelm von Namur war ein zu guter Ritter, um bügellos zu werden, aber die Heftigkeit des Stoßes war so groß, dass der Sattelgurt platzte und der Ritter mit samt dem Sattel zehn Schritt weit flog. Lauter Beifallsjubel ertönte von allen Seiten. Die Damen schwangen ihre Schärpen. Es war ein herrlicher Lanzenstoß.
Clisson nahm sich nicht die Zeit, einen neuen Helm zu fordern, denn er sah, dass sein kleiner Haufe hart bedrängt wurde. Er warf sich mit entblößtem Haupte mitten in das Gefecht, brach seine Lanze, die durch drei Rennen schon erschüttert war, beim ersten Stoße an dem Helme des Messire Johann von Harpedanne, den er dadurch enthelmte, zog das Schwert, und drängte diesen so heftig, dass er die Barriere erreicht hatte, ehe er sich noch besinnen konnte. Der Konnetabel kehrte hierauf zu dem Schlachtfeld zurück. Nur zwei Ritter kämpften noch miteinander, der Messire von Craon und der Herr von Beaumanoir. Der König war seit dem Rennen gegen Clisson bloßer Zuschauer geblieben. Der Konnetabel machte es eben so, und wartete auf den Ausgang des Kampfes zwischen seinem letzten Ritter und seinem letzten Gegner. Der Vorteil schien auf Seiten des Herrn von Beaumanoir zu sein, als dessen Schwert an dem Schilde des Messire Peter von Craon sprang. Da es nur erlaubt war, sich der Lanze und des Schwertes zu bedienen, und der Herr von Beaumanoir diese Waffen nicht mehr hatte, sah er sich zu seinem großen Verdrusse genötigt, den Kampf aufzugeben. Er gab sich daher durch ein Zeichen der Hand als besiegt zu erkennen. Messire Peter von Craon wendete sich jetzt um, indem er glaubte, der Einzige zu sein, welcher das Feld behauptete; da erblickte er zehn Schritt von sich Clisson, seinen alten Feind, der ihm lachend zurief, die Ehre des Tages solle sich zwischen ihnen beiden entscheiden.
Peter von Craon schäumte unter feinem Visier vor Wut, denn obgleich er ein gewandter Ritter und in allen Waffenspielen wohl erfahren war, kannte er doch den Eisenmann, mit dem er es zu thun hatte; dennoch zögerte er nicht einen Augenblick, ließ seinem Pferde den Zügel schießen, warf sich beinahe auf die Croupe seines Pferdes, fasste sein Schwert mit beiden Händen, und stürzte auf den Konnetabel ein. Während des Weges sah man die Klinge zwei Mal sich blitzend um sein Haupt schwingen, dann fiel sie mit einem Schlage, wie der des Hammers auf den Amboss, auf den Schild nieder, mit dem Clisson sein unbehelmtes Haupt deckte. Wahrlich, wäre das Schwert scharf gewesen, so wäre der Schild, obgleich er vom feinsten Stahle war, nur ein schwaches Schutzmittel gegen einen solchen Hieb gewesen, aber man kämpfte nur mit stumpfen Waffen, und der Konnetabel wurde durch diesen furchtbaren Streich eben so wenig erschüttert, als hätte die Hand eines schwachen Kindes ihn mit einer Weidenrute getroffen.
Der alte Krieger wendete sich gegen Peter von Craon, der, von seinem Pferde fortgerissen, einige Schritte an ihm vorübergesprengt war, ihn aber bereits mit vorgehaltenem Schwerte erwartete. Dies Mal war es der Konnetabel, der angriff, Peter von Craon, der sich vertheidigte. Der Angriff war ganz einfach; Messire Olivier schlug das Schwert seines Feindes bei Seite, ergriff dann das seinige mit beiden Händen, und als hätte er es verschmäht, sich der Schneide seines Schwertes zu bedienen, führte er mit der flachen Klinge einen so furchtbaren Hieb auf den Helm des Messire von Craon, dass derselben zusammengepresst wurde, als hätte er zwischen Amboss und Hammer gelegen. Der Ritter streckte den Arm aus und sank ohne ein einziges Wort ohnmächtig vom Pferde.
Der Konnetabel ritt hierauf gegen den König vor, sprang vom Pferde, nahm sein Schwert bei der Spitze, reichte ihm den Griff dar, und erklärte sich so für besiegt, dem König die Ehre des Tages abtretend. Aber der König sah, dass dies nur eine Handlung bloßer Höflichkeit sei, sprang ebenfalls vom Pferde, umarmte Clisson und führte ihn unter dem Beifallsruf der Herren und Damen zu dem Balkon der Königin. Hier wünschten ihm Madame Isabelle, der Herzog von Touraine, der mit Vergnügen das Missgeschick des Messire Peter von Craon gesehen hatte, und der Herzog von Nevers Glück. Dieser Letztere war zwar kein Freund des Konnetabels, selbst aber ein zu guter Kämpfer, um nicht dessen Waffentaten zu bewundern.
In diesem Augenblicke hielt eine Kavalkade vor dem Tor der St. Katharinenkirche an. Der, welcher der Führer derselben zu sein schien, stieg vom Pferde und näherte sich den Schranken. Ganz bestäubt trat er ein, ging gerade auf den König zu, beugte ein Knie vor demselben und überreichte ihm ein Schreiben, das mit dem Wappen des Königs von England versiegelt war. Karl öffnete es und fand, dass König Richard und dessen Oheim den Waffenstillstand bewilligten, der drei Jahre währen sollte, zu Lande wie zur See, nämlich vom 1. Aug. 1389 bis zum 19. Aug. 1392. Der König las das Schreiben so gleich mit lauter Stimme vor, und diese Nachricht, die Jedermann mit Ungeduld er wartete, schien dadurch, dass sie eben in einem solchen Augenblicke eintraf, noch eine neue Bürgschaft für das Glück einer Regierung, die unter günstigen Vorzeichen begann. Der Herr von Châtel-Morand, der der Überbringer dieser Botschaft war, wurde daher auch vom Hofe sehr freundlich empfangen, und der König nahm ihn, gestiefelt und bestäubt wie er war, als Zeichen seiner besonderen Zufriedenheit mit an seine Tafel.
Am Abend desselben Tages erschienen der Herr von La Rivière und Messire Johann Lemercier von Seiten des Königs, so wie Messire Johann von Beuil und der Seneschal von Touraine von Seiten des Herzogs im Hôtel des Messire Peter von Craon, welches neben dem St. Johanniskirchhof lag, und verkündeten ihm, dass weder der König noch der Herzog ferner seiner Dienste bedürften.
In der nächsten Nacht, und obgleich er von seinem Unfalle noch viele Schmerzen auszustehen hatte, verließ Messire Peter von Craon mit seiner ganzen Dienerschaft Paris und schlug den Weg nach Anjou ein, wo er ein großes festes Schloss besaß, Sablé genannt.
IV.
Am nächsten Tage mit Sonnenaufgang durchzogen Herolde, in die Farben des Herzogs von Touraine gekleidet, die Straßen von Paris. Trompeter ritten ihnen voran, und sie hielten auf allen Kreuzwegen und Plätzen still. Mit lauter Stimme verlasen sie hier die Herausforderung, die schon seit einem Monat im ganzen Reiche, so wie in die Hauptstädte von Italien, England und Deutschland verteilt worden war. Sie lautete:
»Wir, Ludwig von Valois, Herzog von Touraine, durch die Gnade Gottes Sohn und Bruder der Königin von Frankreich, tun im Verlangen, die edlen Herren, Ritter und Junker des Königreichs Frankreich, wie der andern Königreiche, kennen zu lernen, kund und zu wissen, nicht aus Stolz, Hass oder Böswilligkeit, sondern aus dem, Wunsche nach ihrer ehrenwerten Gesellschaft und mit der Erlaubnis des Königs Unsers Bruders, dass Wir von 10 Uhr morgens bis 3 Uhr Nachmittags den Kampfplatz behaupten wollen, und das zwar gegen Jedermann. Vor unserm Zelte, das sich am Eingange der Schranken erheben wird, hängen. Unser Kriegs- und Unser Wappengeschmücktes Friedensschild. Wer mit uns kämpfen will, berühre durch seinen Stallmeister oder selbst mit dem Schafte seiner Lanze. Unser Friedensschild, wenn er ein Schimpfspiel; mit der Spitze der Lanze aber Unser Kriegsschild, wenn er einen ernsten Kampf will. Damit nun jeder edle Ritter der Junker, der Kunde von dieser Aufforderung erlangt, sie für ernst und unwiderruflich halte, haben wir diesen Brief öffentlich verkünden und mit Unserm Siegel versehen lassen.
»Geschrieben, gegeben und geschehen zu Paris in Unserm Hôtel Touraine am 20. Tage des Monats Juni im 1389. Jahre der Geburt unsers Herrn und Heilandes.«
Die Ankündigung eines Kampfes, in dem der erste Prinz von Geblüt die Schranken halten wollte6, hatte schon seit langer Zeit viel Aufsehen gemacht. Die Räte des Königs versuchten es, sich zu widersetzen, als der Herzog von Touraine von seinem Bruder um die Erlaubnis eines solchen Kampfes bei Gelegenheit des Einzuges der Madame Isabelle bat. Der König liebte zwar dergleichen Spiele und war selbst Meister darin, aber dennoch ließ er den Herzog von Touraine zu sich kommen und ersuchte ihn, auf seinen Wunsch zu verzichten; sein Bruder sagte ihm jedoch, er habe die Verpflichtung zu diesem Kampfe in Gegenwart der Damen des Hofes übernommen, und der König, welcher das ganze Gewicht eines solchen Versprechens kannte, gab seine Einwilligung. Übrigens fand bei dergleichen Spielen nicht viel Gefahr statt; fast immer kämpften die Gegner nur mit stumpfen Waffen, und der Kriegsschild, der vor demselben Zelte dem Friedensschild gegenüber hing, schien nur da zu sein, um anzudeuten, dass sein Gebieter vor keiner Gefahr zurück wiche und jede Art des Kampfes anzunehmen bereit sei. Indessen geschah es doch zuweilen, dass besonderer Hass sich solche Gelegenheit zunutze machte, unter der Maske des Spieles in die Schranken eindrang, sich dort plötzlich entlarvte und einen wirklichen Kampf statt eines Scheinkampfes forderte. Für einen solchen möglichen Fall waren daher stets in dem Zelte auch scharfe Waffen und ein zur Schlacht gerüstetes Pferd vorrätig.
Madame Valentine teilte zwar den Enthusiasmus jener Zeit, war aber dennoch besorgt um den Ausgang des Kampfes. Das Verlangen der königlichen Räte schien ihr ganz in der Ordnung, und die Angst ihres Herzens sagte ihr, was den Andern ihr Verstand vorstellte. Sie war daher in trübes Sinnen versunken, als man ihr eben das junge Mädchen meldete, das sie am vorgestrigen Tage hatte zu sich rufen lassen. Madame Valentine tat sogleich einige Schritte gegen die Tür, und Odette trat ein. Es war noch immer dieselbe Schönheit, Anmut und Offenherzigkeit, aber die ganze liebliche Erscheinung hatte einen Anstrich tödlicher Melancholie angenommen.
»Was ist dir?« sagte die Herzogin, erschreckt durch ihre Blässe, »und was verschafft mir das Glück, dich bei mir zu sehen?«
»Ihr wart so gut gegen mich«, erwiderte Odette, »dass ich mich nicht durch die Regel eines Klosters von der Welt trennen kann, ohne Euch Lebewohl zu sagen.«
»Wie, armes Kind«, sagte Madame Valentine gerührt, nimmst du denn den Schleier?«
»Noch nicht, Madame; denn ich musste meinem Vater versprechen, ihn nicht zu nehmen, so lange er lebt; aber ich habe so lange und heftig an seiner Brust geweint, seine Knie so flehend umschlungen, dass er mir endlich erlaubt hat, mich als Kostgängerin in das Kloster der Dreieinigkeit zu rückzuziehen, dessen Priorin meine Tante ist. Ich begebe mich dahin.«
Die Herzogin ergriff ihre Hand und sagte: »Das ist nicht alles, was du mir anzuvertrauen hast, nicht wahr?« Denn lebhaft sprachen die Augen des jungen Mädchens noch Traurigkeit und Besorgnis aus.
»Nein«, erwiderte Odette, »ich wollte noch mehr sprechen; von –«
»Von wem?«
»Und von wem soll ich mit Euch sprechen, wenn es nicht von ihm ist? für wen soll ich et was fürchten, als für ihn?«
»Was kannst du fürchten?«
»Ihr verzeiht es mir gewiss, nicht wahr, wenn ich mit Euch, mit Madame Valentine, von dem Herzoge von Touraine spreche? Aber wenn irgendeine Gefahr –«
»Eine Gefahr?« rief Madame Valentine aus. »Erkläre dich deutlicher; du gibst mir den Tod!«
»Der Herzog wird heut die Schranken halten, nicht wahr?«
»Ja. Nun?«
»Es kam gestern zu meinem Vater, der, wie Ihr wisst, im Rufe steht, in ganz Paris die besten Streithengste zu haben, ein Herr in Begleitung einiger andern und verlangte die besten und kräftigsten Kampfrosse zu sehen, die er zu verkaufen hätte. Mein Vater fragte, ob es zu dem heutigen Turnier sein sollte, und sie antworteten: Ja! – ein fremder Ritter wollte dabei kämpfen. – So wird also ein ernster Kampf. Stattfinden? fragte mein Vater. – Gewiss, erwiderte sie lachend, und zwar ein sehr derber. – Ich zitterte bei diesen Worten und folgte ihnen; sie wählten das stärkste Pferd aus dem ganzen Stalle und legten ihm zur Probe eine Kriegsrüstung an.«
Odette weinte heftig. »Versteht Ihr das wohl, Madame? Ach, sagt es dem Herzog, fügt ihm, was ihn bedroht; sagt ihm, dass er sich mit seiner ganzen Kraft und Geschicklichkeit verteidige. –«
Sie fiel nieder auf die Knie. – »Dass er sich verteidigt für Euch, die Ihr so schön seid und ihn so sehr liebt. Sagt es ihm, wie ich es Euch sage, auf den Knien, mit gefalteten Händen. Sagt es ihm, wie ich es ihm sagen würde, wenn ich an Eurer Stelle wäre.«
»Ich danke dir, mein Kind, ich danke dir.«
»Ihr werdet es seinen Stallmeistern auch sagen, nicht wahr, damit sie eine beste Rüstung nehmen? Als er Euch aus Italien holte, muss er eine aus Mailand mitgebracht haben, und dort soll man sie ja besser und fester machen, als sonst irgendwo in der Welt. Sagt ihm auch, dass er seinen Helm gut befestigen lasse. Und seht Ihr, was freilich unmöglich ist, denn der Herzog von Touraine ist ja der schönste, tapferste und gewandteste Ritter des Reiches – was wollte ich doch noch sagen? – Ach ja: wenn Ihr seht, dass er schwach wird, denn sein Gegner könnte ja irgend ein Zaubermittel anwenden, so bittet den König – der König wird doch da sein, nicht wahr? – so bittet den König, dass er den Kampf enden lasse. Er hat das Recht dazu; ich habe meinen Vater danach gefragt. Die Kampfrichter dürfen nur ihren Stab zwischen die Kämpfenden werfen, und sie müssen sogleich aus einander. Sagt ihm also, dass er diesen unglücklichen Kampf enden lasse, da man ihn doch nicht verhindern kann. Ich werde währenddessen –«
Sie hielt inne.
»Nun, was wirst du?« sagte die Herzogin viel kälter.
»Ich werde mich in die Klosterkirche einschließen. Jetzt, da mein Leben Gott geweiht ist, muss ich für alle Menschen beten, besonders aber für den König, seine Brüder und seine Söhne. Und ich werde für ihn beten, die Stirn am Boden. Ich werde Gott bitten, dass er meine Tage, mit denen ich nichts anzufangen weiß, für die seinigen hinnehmen möge, und Gott wird mich hören und mein Gebet vielleicht erfüllen. Ihr betet gewiss auch, und Gott wird Eure Stimme eher vernehmen, als die meinige, denn Ihr seid eine große Prinzess und ich bin nur ein armes Mädchen. Lebt wohl, Madame, lebt wohl!«
Bei diesen Worten sprang Odette empor, küsste noch einmal die Hand der Herzogin und stürzte aus dem Gemache.
Die Herzogin von Touraine begab sich so gleich nach den Zimmern ihres Gemahls, aber schon seit einer Stunde befand er sich in seinem Zelte, wohin er sich früher begeben hatte, um sich vollständig rüsten zu lassen. In eben diesem Augenblicke meldete man ihr, dass die Königin sie erwarte, sich mit ihr nach dem St. Katharinenfeld zu begeben. Die Schranken waren an eben der Stelle wie am vorhergehenden Tage errichtet, jedoch innerhalb derselben und unter dem Balkon des Königs befand sich das Zelt des Herzogs von Touraine, auf dessen Spitze sein Banner mit seinem Wappen wehte. Es hing mit einem hölzernen Gebäude zusammen, in welchem sich seine Stallmeister und Pferde befanden; der letzteren waren vier, drei zum Schimpfspiel, eins zum ernsten Kampf gerüstet. Auf der linke Seite des Zeltes hing der große Kriegsschild des Herzogs, ohne Wappen und als Devise nur mit einem Knotenstocke und der Umschrift: Ich fordere heraus!
An der rechten Seite des Zeltes hing der Friedenschild mit drei goldnen Lilien auf himmelblauem Felde, dem Wappen der Kinder Frankreichs. Gegen über und am äußersten Ende der Schranken befand sich eine Tür, die auf das freie Feld führte und zum Einlass der Ritter diente.
Sobald der König, die Königin und die Herren und Damen des Hofes Platz genommen hatten, trat ein Herold mit zwei Trompetern vor, und las mit lauter Stimme die Herausforderung ab, welche unsere Leser bereits aus dem Eingang dieses Kapitels kennen. Die Kampfrichter hatten nur noch einige Bemerkungen über die Art und Weise des Kampfes hinzugefügt. Hiernach verpflichtete sich jeder Ritter und Junker, der den Schild berührte, nur zu zwei Lanzen; für die, welche den Kriegsschild berührten, bestimmte die Sitte freie Wahl der Waffen.
Nach dieser Erklärung kehrte der Herold in das Zelt zurück. Die Kampfrichter, Messire Olivier von Clisson und der Herr Herzog von Bourbon, nahmen an beiden Seiten der Schranken ihren Platz ein, und die Trompeten ertönten zur Fanfare der Herausforderung. Madame Valentine war blass wie der Tod.
Es entstand ein Augenblick tiefen Schweigens, nach welchem außerhalb der Schranken eine Trompete in gleichen Tönen antwortete. Die Schrankentür öffnete sich, und ein Ritter ritt herein. Sein Visier war zurückgeschlagen, und ein Jeder konnte den Messire Boucicaut den Jüngern erkennen. Die Herzogin atmete freier auf, als sie ihn sah.
Sobald man ihn erkannte, durchlief ein wohl wollendes Gemurmel die ganze Galerie; die Herren grüßten mit der Hand, die Damen winkten mit den Tüchern, denn Boucicaut war einer der besten, bravsten Turnierritter seiner Zeit.
Messire Boucicaut verneigte sich, um für den wohlwollenden Empfang der Zuschauer zu danken, ritt dann gerade zu dem Balkon der Königin vor, grüßte sie anmutsvoll und neigte die Spitze seiner Lanze bis zur Erde. Dann ließ er das Visier seines Helmes mit der linken Hand herab, berührte mit dem Schafte seiner Lanze den Friedensschild des Herzogs von Touraine, setzte sein Pferd in Galopp und sprengte an das entgegengesetzte Ende der Schranken.
In eben dem Augenblicke ritt der Herzog, ganz gerüstet, den Schild festgeschnallt, die Lanze eingelegt, aus seinem Zelte hervor. Er trug eine Mailänder Rüstung vom feinsten Stahle, mit Gold verziert; die Decke war von dunkelrotem Samt, und alles, was sonst von Eisen zu sein pflegt, Bügel, Stange u. s. w. von massivem Silber. Die Rüstung war so vortrefflich gearbeitet und gab allen Bewegungen des Ritters so sehr nach, wie es nur ein Panzerhemd oder ein Tuchkleid gekonnt hätte.
Hatte ein wohlwollendes Gemurmel den Messire Boucicaut empfangen, so schallte ein lauter Jubel dem Herzog entgegen; denn es war unmöglich, die Anwesenden mit mehr Anmut zu begrüßen, als er es tat. Der Beifallsruf endete erst, als der Herzog das Helmvisier schloss. Jetzt ertönten die Trompeten, beide Ritter legten die Lanzen ein, und die Kampfrichter riefen: »Zügel los!«
Die beiden Ritter gaben ihren Rossen, den Sporn und stürzten mit dem ganzen Ungestüm ihrer Tiere auf einander ein. Beide trafen sich mitten auf die Brust und zersplitterten ihre Lanzen. Ihre Pferde sanken in die Hanken und erhoben sich zitternd wieder, aber weder der eine noch der andere Kämpfer verlor auch nur einen Bügel; sie warfen sogleich ihre Rosse herum, und Jeder nahm eine frische Lanze aus den Händen seines Stallmeisters.