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Johanna Haberer
Theologin und Journalistin; Prof.in für Christliche Publizistik am Fachbereich Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Dieser Text ist im Gespräch mit ihrer Schwester Sabine entstanden.
Sabine Rückert
Journalistin und Autorin; stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung DIE ZEIT und Mitherausgeberin des Magazins ZEIT Verbrechen.
ZANGENANGRIFF AUF DAS FUNDAMENT UNSERER KULTUR
Sabine, die als stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT sehr viel Zeitung liest und Zugang zu großen Medien-Archiven hat, sorgt für die modernen Assoziationen: Was sagt die alttestamentliche Josephsgeschichte über die Idee eines Gottesplans aus? Oder die eines philosophischen Weltgeistes? Warum begreifen und erzählen Menschen ihre eigene Biografie stets als Heldenepos? Was hat das Ende der Frau Lots beim Untergang Sodoms mit der Orpheus-Sage zu tun? Kümmert es den großen Schöpfergott ernsthaft zentimetergenau, wie seine Bundeslade aussieht? Und warum regt er sich auf, wenn zwei schwule Homo sapiens Spaß miteinander haben? Warum ergeht es dem Volk Israel nach seiner Befreiung aus Ägypten nicht anders als all den modernen Ländern nach einer Revolution? Auf den Jubel über die Rettung folgen Frust und Enttäuschung.
Unser Podcast ist sozusagen ein Zangenangriff auf die Bibel, auf das Fundament unserer Kultur. Wir haben dabei keineswegs den Eindruck, Gott verteidigen zu müssen (das kann er – wenn es ihn gibt – sicher besser als wir). Wir müssen in der Öffentlichkeit auch kein Verständnis für ihn streuen. Unser Podcast ist kein Kirchenfunk und hat keinerlei missionarischen Impetus. Das ist die Voraussetzung für seine Glaubwürdigkeit in den Augen der Christinnen und der Atheisten.
PODCAST STATT GOTTESDIENST
Die Reaktionen sind erstaunlich. Allein im Januar 2021 haben etwa eine halbe Million Menschen den Bibelpodcast heruntergeladen. Viele geben in den oft anrührenden Mails, die uns erreichen, an, dass sie schon immer mal wissen wollten, was in diesem Buch mit den sieben Siegeln steht, aber zurückgeschreckt seien vor der Weltsicht jener uralten Völker und der fremden umständlichen Sprache.
Auf einer Zugfahrt wurde ich selbst von einer jungen Studentin angesprochen, ob ich nicht eine der beiden „Pfarrerstöchter“ sei, sie höre den Podcast immer am Sonntagmorgen beim Joggen.
Das sagen viele: am Sonntagmorgen. Man geht nicht in die Kirche, sondern hört sich lieber ein Gespräch an über jene Masterurkunde unserer Kultur, über Gott und die Welt, das eher anspruchsvoll ist – und bei dem alle Fragen offen bleiben.
Es schreiben uns auch viele: Menschen, die das Buch der Bücher noch nie in der Hand hatten und andere, denen die Bibel und das, was manche Geistliche aus ihr machen, das Leben verdorben hat. Und viele, die mit der Predigt in der Kirche nichts anfangen können und trotzdem Sehnsucht haben nach Inspiration und Lust über die großen Lebens- und Überlebensfragen nachzudenken.
Ein Geheimnis des Erfolges der Pfarrerstöchter scheint es zu sein, dass die Geschichten vom ‚Framing‘ der kirchlichen Verkündigung befreit sind, befreit aus der Fürsorglichkeit, die bestimmte Texte auswählt und andere, die das politisch korrekte Gottesbild des allmächtigen Vaters und ‚lieben‘ Gottes in Frage stellen, einfach weglässt. Befreit aus der klerikalen Fraglosigkeit, mit der die kirchliche Verkündigung Welt und Menschen gut redet. Auch befreit aus der Echokammer der geistlichen Männer und Frauen, die Texte in Watte packen, um ihre Schäfchen zu schützen vor den Abgründen, die in den biblischen Texten warten. Zum Beispiel vor jener bösen Vorstellung, dass Gott einen Menschen anfällt wie ein schwarzer Dämon und dass man mit ihm ringt bis zum Morgengrauen, wie in Genesis 32 beschrieben. Auch, dass dieser Gott von einem Menschen besiegt und zum Segen gezwungen werden kann, ist eine sehr befremdliche Vorstellung. Oder das Bild von einem Gott, der seine gegebenen Versprechen über undenkliche Zeiten nicht einlöst, wie jene Verheißung an Abraham, dass seine Kinder zahlreicher sein sollten als die Sterne. Ein Gott, der seine eigene Verheißung plötzlich wieder infrage stellt und Abraham auffordert, den eigenen einzigen Sohn zu opfern. Prüft man so die Tiefe eines menschlichen Glaubens? Und warum das alles? Ein Gottesbild, das man im Podcast – im Gegensatz zur Kanzel – zynisch und sadistisch nennen darf, ohne ihm seine menschlichen Erfahrungshorizonte zu nehmen.
DIE BIBEL: ANGEBOT ZUM DISKURS UND ZUM STREIT
Wir Pfarrerstöchter nehmen die Texte ernst und begeben uns in diesem Podcast zusammen mit dem Publikum selbst auf Entdeckungsreise – wohin sie uns auch führen mag. Ich, die Theologin und Predigerin, die seit 40 Jahren biblische Texte auslegt, lese dieses Buch jetzt mit neuen Augen. Erstaunt bemerke ich, welche archaischen und kindlichen Gottesvorstellungen da bisweilen verhandelt werden und wie widerstreitende theologische und politische Meinungen in der Bibel nebeneinander stehen, und mir wird klar, wie wir Predigerinnen in den letzten Jahren die Exegese sträflich vernachlässigt haben. Die Fragen meiner Schwester, der Journalistin, die alles nicht nur ungefähr, sondern genau wissen will, fördern das zutage.
Wir Geistliche blicken zurück auf ein Theologiestudium, das uns durch die alten Sprachen getrieben hat und durch eine kirchliche Praxis, die uns den harten Blick auf die Texte regelrecht ausgetrieben hat. Wir sollen Ansagen machen in der Predigt und trösten, wir sollen ausrichten, dass mit Christi Hilfe alles im Leben einen Sinn macht und am Ende alles gut wird. Und über die Jahre geraten wir in die Falle. Dann predigen wir nicht mehr die Texte, sondern uns selbst. Die eigene Befindlichkeit, die eigenen Ängste und Sehnsüchte, die persönliche politische Meinung und die persönliche spirituelle Erfahrung. Die Texte werden mit den Jahren nur noch zum Anlass fürs pastorale Selbstgespräch. Über die Fremdartigkeit und Provokation, die von der Bibel ausgeht, ihr Angebot zum Diskurs und zum Streit, ihre Herausforderungen und ihre Zumutungen wird einfach hinweggepredigt. Die Heilige Schrift wird klein gemacht und handlich. Sie wird jeden Sonntag ins Kinder-gartenformat gepresst und leicht verdaulich serviert.
Die Predigthörer und Gottesdienstbesucherinnen werden gezwungen, die Texte unanstößig zu hören – deshalb fühlen sie sich von ihnen auch nicht mehr angestoßen. Die Kanten sind geschliffen, die schmerzhaften Spitzen abgebrochen. In unserem Format Unter Pfarrerstöchtern besteht hingegen kein Zwang zur predigenden Verkündigung, an ihrer Stelle findet eine angeregte und wirklich interessierte Unterhaltung statt, mit dem Effekt, dass die Hörer sich (hoffentlich) nachdenklich, angeregt und unterhalten fühlen.
GESELL*INNEN EINES GESELLIGEN BUCHES
Vom „geselligen“ Gott, hat der vor hundert Jahren geborene Pfarrer und Dichter Kurt Marti gesprochen, er schreibt:
„Am Anfang: Beziehung.
Am Anfang: Rhythmus.
Am Anfang: Geselligkeit.
Und weil Geselligkeit: Wort.
Und im Werk, das sie schuf,
suchte die gesellige Gottheit sich
neue Geselligkeiten.
Weder Berührungsängste
noch hierarchische Attitüden.
Eine Gottheit, die vibriert
vor Lust, vor Leben.
Die überspringen will
auf alles,
auf alle.“
Warum steigen wir, die Pfarrer und Pastorinnen nicht von unserer inneren Kanzel herab und bereiten die Predigt im Gespräch vor? Mit Freundinnen, mit den Kindern, dem Partner oder in Netz-Foren? Warum trauen wir den Texten, die unsere Religion so lange getragen haben, so wenig zu? Ist es nicht gerade das Erbe Martin Luthers, die biblischen Texte aus der Umklammerung der klerikalen Lesart zu befreien?
Zurück zur Exegese. Mal wieder Kommentare lesen. Sich die Kontexte der biblischen Verse ansehen, ihre Wirkungsgeschichte wahr nehmen und die im Text verborgenen Dialoge entdecken. Es ist das Gespräch, und auch der Streit und der Zweifel, die jene alten Texte zum Klingen bringen. Nur ehrliche Fragen lassen uns Neues entdecken, nicht hermetische Antworten.
Das habe ich aus der Erfahrung mit dem Podcast für die eigene Predigt gelernt: Man kann Predigt als einen Akt der Kommunikation verstehen, ein inneres Gespräch, das in einer offenen Frage enden darf, und auch in hilfloser Wut und ohnmächtiger Klage über das eigene Leben. Wir sollten uns als fragende und begleitende Gesellen dieses geselligen Buches verstehen, die eine sehr turbulente Erzählgemeinschaft zwischen Himmel und Erde aufmacht und nicht die Erklär-Hierarchien der Kanzelrede nachvollzieht. Streng deinen eigenen Kopf an, Christ, dann redet Gott vielleicht mit dir!
Wir Pfarrerstöchter bekommen durchaus auch bitterböse Briefe, gerade weil wir die Texte vom Sockel holen, sie vom künstlichen Sound befreien, bei dem die Streicher im Hintergrund die Erhabenheit der Texte erzwingen wollen. Die biblischen Texte aber lieben es, wenn man sie ohne falschen Respekt behandelt und sie herausfordert. Die Bibel gehört mehr in die Welt, und weniger in die Kirche.
LITERATUR
Marti, Kurt, Die gesellige Gottheit. Ein Diskurs, Stuttgart 2004.
Die Texte vom Sockel holen für die, die nicht am Sockel stehen
Die Replik von Irmtraud Fischer auf Johanna Haberer
Die heute in der Liturgie – und damit auch in der Predigt – verwendete Sprache ist häufig in unerträglicher Weise floskelhaft. Sie paraphrasiert dogmatische Aussagen, die in Auseinandersetzung mit griechischer Philosophie entstanden sind und die heute niemand mehr versteht – außer wenige in antiker Philosophie Ausgebildete. Zu denen gehören im Normalfall aber nicht einmal die Absolvent*innen eines Theologiestudiums. Kein Wunder, dass Predigende Zuflucht in Phrasen suchen, die lehrmäßig zwar nicht falsch sind, aber mit denen ihre Zuhörer*innen nichts mehr anfangen können. Hier legt der Podcast Unter Pfarrerstöchtern den Finger präzise in die Wunde: Der „Tisch des Wortes“ ist mit Floskeln vollgeräumt, die in der ‚Echokammer der geistlichen Männer und Frauen‘ zirkulieren und kein Potential zur Sättigung mehr haben. Die Fragen der Menschen, insbesondere die großen Menschheitsfragen nach dem Leid und dem Tod, sind aber geblieben. Nur werden sie von den großen kirchlichen Institutionen, die sich vorrangig in moralischen Imperativen ergehen, nicht mehr so beantwortet, dass Menschen sie als hilfreich erfahren.
Johanna Haberer und Sabine Rückert haben es sich in ihrem Podcast zum Ziel gesetzt, biblische Texte „aus der klerikalen Fraglosigkeit“ zu befreien. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Die Texte haben ihr Potential offenkundig nicht verloren, schließlich ist die Bibel ja auch auf weiten Strecken große Weltliteratur – man denke hier nur an die Bücher Ijob oder das Hohelied. Die beiden gebildeten Frauen erarbeiten mit ihrem Podcast das, was man beste Kommentarliteratur nennen könnte: Sie holen die Texte und ihre Botschaft ins Heute, fragen ohne Angst vor Abgründen und ohne falsche Scheu, den Texten ihre Heiligkeit zu nehmen, wo sie für uns Heutige problematisch sind. Das ist genau das, was Menschen in vergangenen Generationen auch taten und gerade damit die Bibel lebendig hielten. Wer, wie Haberer schreibt, meint, die Bibel in Watte packen zu müssen und deswegen Sonntag für Sonntag ins „Kinder-gartenformat“ presst, nimmt dem Text die kanonische Würde. Nicht jene, die keck fragen und ungeschönt realistische Antworten formulieren, sind die Totengräber*innen der Bibellektüre, sondern jene, die meinen, dass die Heilige Schrift nur „klein gemacht und handlich“ dem Gottesvolk – und vor allem der eigenen biederen Theologie – zumutbar ist. Wer aus der Bibel auf die Fragen von heute die Antworten von gestern herausliest, konserviert einen Glaubensstand (meist ist es der des 19. Jahrhunderts), der nur aus einem ganz bestimmten Kontext heraus verständlich wird. „Hermetische Antworten“ schützen nicht die Gläubigen mit ihren berechtigten Fragen individueller, aber auch gesellschaftspolitischer Natur, sondern die Predigenden vor dem Verlust ihres Kinderglaubens. Eine biblische fundierte Spiritualität kann es nur geben, wenn Menschen sich in ihrer je eigenen Situation vom Wort treffen lassen, seien sie Exeget*innen, Prediger*innen oder einfach an diesem wichtigsten Buch der europäischen Geistesgeschichte Interessierte. Weiter so mit dem ungezähmten Podcast – er ist wesentlich missionarischer als frommes Gewäsch!
Die beiden gebildeten Frauen erarbeiten mit ihrem Podcast das, was man beste Kommentarliteratur nennen könnte: Sie holen die Texte und ihre Botschaft ins Heute, fragen ohne Angst vor Abgründen und ohne falsche Scheu, den Texten ihre Heiligkeit zu nehmen, wo sie für uns Heutige problematisch sind.
Man kann die Bibel falsch verstehen – und manchmal will man es wohl auch
Die Replik von Johanna Haberer auf Irmtraud Fischer
Ich habe die Überlegungen der Kollegin Fischer mit Zustimmung, Freude und zugleich großer Betroffenheit gelesen. Etwas zugespitzt möchte ich auf den Aspekt resümieren, dass eine katholische Fakultät das Erkenntnisinteresse offenbar stärker auf systematische und rechtliche Disziplinen fokussieren kann, anstatt die Bibelwissenschaft als Königswissenschaft in der Theologie zu sehen. Irmtraud Fischer beschreibt die Folgen dieser Nichtachtung der jüdisch-christlichen Masterurkunde als einen Verlust der „Wurzeln“, als eine Entwicklung, die eine lebendige Dynamik zwischen den alten Texten und den zeitgenössischen Ausleger*innen „verdorren“ lässt.
Entsprechend dürr und schwach erscheinen demnach die Verstehensprozesse biblischer Texte in die kirchlichen Strukturen hinein und der Einfluss der Bibellektüre auf das Bewusstsein der Gemeinden und der Kirchenleitungen. Die radikalen und sensationellen machtkritischen Texte etwa im ersten und zweiten Testament (Amos, Nathan und David, Bergpredigt) werden durch die Steinbruchexegese kirchlicher Repräsentanten und Ausleger ausgeblendet. Damit wird ein hierarchisches Kirchenverständnis zementiert.
Alle Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils scheint versiegt. Dort hatte man sich vorgenommen, dem christlichen Grundtext in Exegese und Predigt eine fundamentale Rolle einzuräumen. Doch es wird der Leserin des Textes von Frau Fischer sehr deutlich, dass der Interpretationsprozess der biblischen Texte fest in den Händen von loyalen Auslegern in der Hierarchie liegt und der wissenschaftliche Ertrag biblischer Forschungen besonders in Fragen nach der Rolle der Frauen in Kirche und Gemeinde schlicht negiert wird.
Eine Kenntnisnahme vor allem der Genderforschung in der katholischen Exegese würde die Rolle der Frau in der katholischen Kirche völlig neu definieren und die Frage nach der Öffnung des Priesteramtes für Frauen in einen weiten Horizont stellen. Auch in den Themenkomplexen der Sexualethik könnte man Entscheidungsträger aus dem jüdisch-christlichen Masterdokument lernen. Denn mir wurde bei der Lektüre auch klar, dass die Bewegung Maria 2.0 und die immer lauter werdenden Debatten über neue Rollendefinitionen für kirchliche Ämter, sowie die Forderung nach der Mitwirkung von Frauen bei der Verkündigung und im geistlichem Amt, ihre Wurzeln zum Teil wohl auch in der Arbeit katholischer Bibelwissenschaftler*innen haben.
Ja, ich stimme Frau Fischer zu: Man kann die Bibel falsch verstehen. Ihren Beitrag verstehe ich aber auch so, als wollte sie sagen: Manche kirchlichen Würdenträger wollen die Bibel falsch verstehen.
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