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Kapitel 4
Mr.Duddle gab fröhliche Laute von sich, als ich ihm einen Wurm vor die Füße legte. Zuvor hatte ich ihn auf den Schreibtisch gesetzt, damit er nicht mein Bett voll sabbern konnte. »Na, schmeckt es dir?«, auch ich biss genüsslich in einen Apfel. Nachdem wir gegessen hatten, nahm ich den Eichelhäher auf den Arm und ging mit ihm an die frische Luft. Irgendwann mussten ja auch Vögel aufs Klo und besser draußen, als in meinem Zimmer. Konnte man mit fliegenden Tieren überhaupt Gassi gehen? Na ja, ich tat es einfach. Ich ließ ihn in meinem Garten herumhüpfen. Dieser erblühte in allen möglichen Farben, weil meine Mutter Blumen liebte. Wir hatten sogar ein kleines Gemüsebeet in dem Tomaten und Zucchini wuchsen. Auf unserer Holzterrasse stand nicht nur ein Grill, sondern auch zwei Liegen. Ich setzte mich auf eine Hollywoodschaukel, die sich perfekt unter die große Buche einfügte und schaute mich nach dem Vogel um. Er hüpfte ein wenig herum und verschwand kurzzeitig unter einem Busch, wahrscheinlich um sein Geschäft zu verrichten. Er wirkte happy draußen zu sein. Die Sonne schien immer noch. »Mr.Duddle, komm wieder her, ich muss jetzt schauen, was ich anziehen möchte«, rief ich dem Tier zu. Das Vogelvieh hob den Kopf, als würde er verstehen. Deshalb hüpfte er mir wahrscheinlich auch nach. Ich ging über die Terrasse in das Wohnzimmer und über das Wohnzimmer zurück in meinen Raum. Der Eichelhäher folgte mir ohne zu zögern. Das war vielleicht ein komischer Vogel. Nachdem ich (natürlich ohne Duddle) geduscht hatte, stand ich vor meinem Kleiderschrank, um ein passendes Outfit zu finden. Zuerst versuchte ich es mit einem schönen hellblauen, luftigen Strandkleid, entschied mich aber dagegen, weil es irgendwie zu elegant wirkte. Das schwarze Cocktailkleid hatte mir einen zu extremen Ausschnitt. Ich posierte die ganze Zeit vor dem Spiegel und vor dem Vogel, den ich um Rat bat. Wie dumm war das denn? Nach Zick versuchen fand ich etwas das mir gefiel. Eine schwarze Hotpants mit einem grau schillerndem T-Shirt. Mein Haar, das ich meist zu einem Pferdeschwanz trug, öffnete ich, sodass es mir die Schultern bedeckte. Ich legte nur dezentes Make-up auf, wobei ich meine rosa-roten Lippen hervorhob. Um dem Ganzen die Krönung aufzusetzen, zog ich schwarze Glitzer-Pumps an. Das ganze wirkte nicht zu aufgemotzt aber man sah, dass ich mir „ein wenig“ Mühe gegeben hatte, machte aber auch nicht den Eindruck, als hätte ich lange gebraucht um mich für ihn fertig zu machen. Es war lässig aber doch sexy. Es war perfekt. »Na, kann ich so gehen? Würdest du mich so mitnehmen?«, fragte ich den Eichelhäher aus Spaß. Da ich noch genügend Zeit hatte und meine Mum bei einem Geschäftsessen war, nahm ich Mr. Duddle und setzte mich mit ihm noch vor den Fernseher. Er lag, obwohl wir uns noch nicht lange kannten, gerne auf meinem Schoß. Nebenbei gab ich ihm seine Tablette, die er widerwillig schluckte. Es lief die Wiederholung von THE MASKED SINGER.
*
Um Punkt sieben Uhr klingelte es an der Tür und Kevin stand davor. Er trug eine blaue Jeans und ein graues Shirt, das so eng saß, dass man einige Muskeln sehen konnte. Als er mich sah, stieß er einen Pfiff aus: »Du siehst gut aus«, sagte er. »Danke, du aber auch«, erwiderte ich. Er lächelte. »Möchtest du noch kurz mit reinkommen? Ich muss meinen Vogel noch in mein Zimmer bringen«, erklärte ich ihm. »Du hast einen Vogel? Seit wann?«, fragte er erstaunt. »Also ich war joggen und da fiel er mir vor die Füße. Ich hab ihn dann mitgenommen, deshalb auch das Foto von Matz. Ich hab den Eichelhäher daraufhin zum Tierarzt gebracht und jetzt kümmere ich mich so lange um ihn, bis er keine Medizin mehr nehmen muss«, sagte ich. »Wow! Nicht nur schlau, sondern auch herzensgut«, erwiderte er. Ich lief zurück ins Wohnzimmer um ihm Mr. Duddle vorzustellen. Kevin wollte das Tier anfassen, aber das versuchte nach ihm zu schnappen. Davon peinlich berührt sagte ich: »Sorry, ich weiß nicht, was er hat. Ich bring ihn kurz hoch!« Während er von mir hochgetragen wurde, flüsterte ich ihn wütend an: »Du Ratte, du! Du kannst ihn doch nicht einfach beißen!« Der Vogel funkelte mich böse an. Ich setzte ihn auf meinem Bett ab und verschloss die Tür. Unten wieder angekommen hielt mir der Ballister-Boy den Arm hin und führte mich zu seinem Auto. Meiner Mutter schrieb ich eine WhatsApp Nachricht, damit sie wusste, wo ich war. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Ferrari sah. Kevin öffnete mir die Beifahrertür und stieg dann auf der Fahrerseite ein. Kurz nachdem wir losgefahren waren, ging die Sonne schon unter und machte den Sternen allmählich Platz. Im Inneren sah es so aus wie ich mir ein Cockpit vorstellte. »Na, gefällt es dir?«, fragte Kevin. »Ja! Der Wagen ist richtig toll und vor allem dieses rot«, ich deutete auf die Motorhaube. »Hast du Lust auf Sushi?« Ich verzog den Mund. »Ich dachte, alle Mädchen lieben Sushi«, sagte er belustigt über meinen Gesichtsausdruck. »Na ja ….Vielleicht mögen Leute wie Vanessa Sushi. Ich esse lieber ein Steak oder so was.« Kevin lachte: »Da bin ich aber froh. Ich kann Sushi nämlich nicht ausstehen. Fisch isst man nicht roh!« »Ganz genau«, stimmte ich ihm zu. »Aber um das Steak aufzugreifen, wie wär´s wenn wir zu Apple Beas fahren?«, schlug er vor. »Sehr gute Idee.« »Übrigens geht es mir in Mathe jetzt richtig gut. Alles nur dank deiner Nachhilfe.« »Das ist echt gut. Wen hast du denn als Lehrer?« »Mr. Struck.« »Ist er gut?«, fragte ich. »Ja, er kann echt gut erklären.«

Kapitel 5
Wir fuhren zu einem naheliegenden Restaurant in Newport News. Es war ein kleiner Laden aber er war Rechtgemütlich. Es gab rote Lederbänke und grün, rot und gelbe Lichter. Wir wurden von einer kleinen dunklen Kellnerin in Empfang genommen und von ihr in eine ruhige Ecke gebracht: »Hi, ich bin Nanzi und bin heute für Sie da.« Ich bestellte mir ein Wasser, zudem ein Steak mit Kartoffelbrei und Gemüse. Kevin nahm auch ein Steak, allerdings mit Pommes. Zum Schluss teilten wir uns einen Eisbecher. »Wie schaffst du es eigentlich so viel zu essen und immer noch so schlank zu bleiben? Ich meine Vanessa ist auch schlank aber die ernährt sich quasi nur von Grünzeug?«, fragte er mich. Bei dieser Frage musste ich lächeln. Er hatte mir ein Kompliment gemacht, über mein Aussehen! Und das nicht nur wegen meines Wissens. »Na ja …ich geh halt laufen. Ich glaube Nessa würde sicher nichts Anstrengendes tun, bei dem sie großartig schwitzen müsste!«, antwortete ich. »Warum bist du keine Cheerleaderin?«, kam gleich die nächste Frage. »Weil ich es albern finde, wie sie sich so aufmotzen und tun als wären sie die Queens der Schule, allerdings so dumm sind und sich von der ganzen Footballmannschaft flach legen lassen!«, beantwortete ich. »Und du würdest dich von niemanden flach legen lassen?«, fragte er grinsend. »Ich würde halt nicht zu jedem ins Bett steigen, nur um Spaß zu haben«, stellte ich klar. »Die Basketballmannschaft würdest du nicht gerne anfeuern?........ Ich mein bei deinem Körperbau, wäre es ja Verschwendung«, sagte er verschmitzt und ich wurde rot. »Du machst Witze, oder?« »Nein. Falls du Interesse hast, die Basketball Cheerleaderinnen treffen sich immer mittwochs nach der Schule«, erklärte er mir verschmitzt. »Was machst du denn so in deiner Freizeit?«, versuchte ich ein weniger schweres Thema anzugreifen. »Ich spiele Basketball aber das weißt du ja bereits, ich würde dich gerne mal in den Zuschauerrängen sehen oder auf einer After Game Party. Nicht nur die Footballer haben gute Feiern«, sagte er, »Und ich gehe auch gerne schwimmen. Und du?« »Ich schwimme auch gerne, gehe laufen und spiele Schach und backe gerne Kuchen«, zählte ich auf. »Dein Geburtstag ist am?«, löcherte er weiter. »Am 21. Juli. Und deiner?« »Am 13. Januar. Hast du einen Freund?« »Nein! Wie kommst du da drauf?« »Bei deinem Aussehen und Wissen. Außerdem hat der Quaterback damit geprahlt, er hätte dich, na ja, um den Finger gewickelt, du weißt schon was ich meine? Und dich dann abserviert….« »WAS! Das stimmt auf jeden Fall nicht! Und ich hab sein Bett noch nie gesehen! So ein Arsch!!«, rief ich empört. »Das dachte ich mir schon… Du magst ihn auch nicht?«, stellte er erfreut fest. »Du etwa auch nicht? Ich dachte alle Sportler mögen sich.« »Gott bewahre. Nein. Er ist ein Angeber und ein Blender, außerdem ein Weiberheld. Ich versteh gar nicht, warum die Mädchen ihn so gernhaben. Er behandelt sie ja nicht einmal gut.« Und noch etwas, das wir gemeinsam hatten. »Ich find deine Einstellung total toll«, gestand ich ihm. So etwas gab es selten. »Hast du eine Freundin?« »Nein, bis jetzt ist mir die richtige noch nicht begegnet«, erklärte er.
»Entschuldigung, das wäre die Rechnung«, unterbrach uns Nanzi. Kevin nahm die Rechnung sofort in Empfang. »Ich lade dich natürlich ein«, stellte er fest. »Wirklich? Ich kann auch meinen Anteil bezahlen.« »Nein, nein, ich bin doch gut erzogen worden.« War das zu fassen? Er übernahm die Rechnung, das hatte noch niemand für mich getan. Er war ein richtiger Gentleman! Natürlich brachte er mich auch heim.
Beim Nachhauseweg waren wir recht still und hörten langsame Musik im Radio. Ich warf ihm immer wieder flüchtige Blicke zu. Er brachte mich sogar noch genau vor die Haustür. Dann starrte er mich an. »Hat dir eigentlich schon mal einer gesagt, dass du wunderschöne Lippen hast?«, fragte er mit sanfter Stimme, »Ich würde gerne wissen, wie sie sich anfühlen.« Schon wieder lief ich bei seinen Worten rot an und musste schlucken. »Probiers doch einfach aus«, riet ich ihm mit quietschender Stimme. Bevor mir bewusst wurde, was ich gesagt hatte, spürte ich seine Lippen auf meinen und schloss die Augen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Seine Lippen fühlten sich weich an. Langsam löste er sich von mir und schaute mich lächelnd an. »Danke, für den schönen Abend. Das könnten wir ja mal wiederholen«, meinte er und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ich nickte: »Ich geh dann mal rein….. Wir sehen uns?« »Ja, wir sehen uns. Heb dir nächsten Freitag frei, da hab ich ein Spiel«, sagte er noch und stieg dann in seinen Wagen. Ich winkte ihm noch nach. Was für ein Abend. Es war schon dunkel aber schlafen gehen wollte ich noch nicht. Außerdem war mir trotz meines kurzen Outfits heiß. Ich musste mich erst beruhigen. Also zog ich mir die Heels aus und ging die Straße auf einem Grasstreifen hinunter. Vereinzelte Straßenlaternen leuchteten. Kein einziges Auto war zu sehen, somit war es eine ruhige Atmosphäre. Eine leichte Brise ließ mein Haar wehen. In Gedanken ging ich noch mal alles durch. Was war gerade passiert? Hatte Kevin mich wirklich geküsst? Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte ihn auch noch ermutigt. Allerdings war er ein guter Küsser, soweit ich beurteilen konnte, bis jetzt hatte ich keinen Vergleich. Er wollte mich sogar bei seinem Spiel dabei haben. Aber Cheerleaderin werden? Nein, das war unter meiner Würde. Es zog mich immer weiter, bis die Lichter weniger wurden und ich auf einmal in einer dunklen Gasse stand. Neben meinen beiden Seiten türmten sich große Häuser auf, die aus Beton bestanden. Sie waren mit Graffiti besprüht und an einer Seite befanden sich Mülltonnen. Ein dünner Nebel kroch am Boden entlang. Mein Puls, der sich gerade erst vom Kuss erholt hatte, schoss in die Höhe, als ich plötzlich ein tiefes Knurren hörte. Meine Nackenhaare stellten sich bei diesem Geräusch auf. Ich drehte mich langsam um. Hinter mir war eine Kreatur mit lederner Haut, sie hatte rot glühende Augen und ähnelte einem Wolf. Das Monster besaß schwarz blitzende Zähne, an denen blutiger Geifer herab lief. Schon im nächsten Moment bewegte es sich mit gekrümmter Haltung auf mich zu. Ich blieb wie erstarrt. Das war das Ungeheuer, von dem ich schon so oft geträumt hatte, nur das es jetzt in der Realität vor mir stand! Was sollte ich tun?! Das Monster schob sich immer weiter voran und drängte mich in eine Ecke, als wäre ich seine Beute. (Was ich ja auch irgendwie war.) Langsam regte sich mein Fluchtinstinkt. Ich hatte die High Heels als Waffen, die Absätze konnten hoffentlich tödlich sein. Aber es war zu spät, das Ungeheuer spannte seine Hinterläufe an und sprang, ehe ich überhaupt reagieren konnte. Plötzlich wurde ich zurück geschleudert, doch nicht von den Pranken der Wolfsmutation, sondern von menschlichen Händen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die Augen geschlossen hatte. Erst als ich sie aufschlug konnte ich einen Jungen sehen, der versuchte das Ungetier zu vertreiben. Während ich in einer der Ecken kauerte packte er es im Genick, wie einen Welpen und schleuderte es an die Wand. Dann nahm er in Sekundenschnelle eine Fackel und zündete sie an. (Hatte er die etwa bei sich getragen?). Die Kreatur wich vor den Flammen zurück. Der Junge näherte sich mir rückwärts, immer noch mit der Fackel fuchtelnd. Die Mutation bewegte sich nun raubtierhaft auf uns zu. Seine Augen funkelten mich an. Ich fing an zu zittern. Als das Vieh das erblickte, hätte ich schwören können, dass es sein Maul zu einem Fratzenlächeln verzog. Ohne eine Vorwarnung seines Muskelspiels warf es sich auf den Unbekannten. Doch statt vor dem Monster zu weichen, hob er einfach seine Fackel und bohrte sie in das Herz des Ungetüms. Dieses stieß daraufhin einen gruselig hohen Schrei aus und zerfiel zu Asche. Zurück blieb nur ein schwefelhaltiger Gestank. Und ich, mit dem Typen, der eindeutig kein Mensch war. Ich glaubte nicht, dass ein Normaler so ein etwas erledigen könnte. Mühsam versuchte ich mich aufzurappeln und spürte einen stechenden Schmerz in der Seite. Sofort sackte ich stöhnend zurück auf den Boden. Langsam kam der Junge auf mich zu. Er hatte schwarze Haare und stechend grüne Augen. Eindeutig kein Mensch. Vielleicht ein Alien, wegen dem grün? Ich hatte mir auf jeden Fall den Kopf gestoßen. Sein schwarzes T-Shirt schmiegte sich perfekt an seinen Oberkörper an, was seine Muskeln stark hervorhob. Irgendwie sah er selbst aus wie ein Schatten. Ich rückte noch weiter in die Ecke, verzog aber sogleich das Gesicht. Der Junge blieb auf Mitte des Weges stehen und sagte mit leiser Stimme: »Sssshhh. Ganz ruhig. Alles ist gut. Ich will dir nichts tun.« Er duckte sich zu mir runter und streckte mir die Hand aus, als wäre ich eine Katze, die er verschrecken könnte oder die weglaufen würde. »Ich bin Cayden und du musst Jessica sein«, fuhr er fort. Woher kannte er meinen Namen?! Ich war mir sicher, ihm noch nie zuvor begegnet zu sein. »Bist du verletzt?«, fragte er mich weiter. Ich schüttelte den Kopf, immer noch leicht geschockt von dem was gerade geschehen war. Dann verschwand er einfach. Keine Ahnung wohin, er war einfach weg. Ein zweites Mal versuchte ich aufzustehen, dieses Mal zog ich mich an den alten Mülltonnen hoch und es klappte. Ich schaute mich um. Müssten nicht andere Menschen etwas mitbekommen haben? Doch keine Seele war zu sehen. Ich war immer noch in der Gasse, doch kein Nebel, kein Junge, keine Bestie und auch der Geruch war verweht worden. Meine Schuhe konnte ich bei der Dunkelheit nicht mehr finden. Es waren zwar meine lieblings Heels aber ich wollte nicht länger als nötig hier verweilen. So schnell es eben ging, mit stechendem Schmerz in der Seite, eilte ich nach Hause. Meine Mum war nicht zu Hause. Ich ging straight ins Bad. Als ich in den Spiegel blickte, erkannte ich mich kaum wieder. Meine Augen waren vor Schreck geweitet und mein Gesicht war mit dem Dreck des Straßenbodens beschmutzt. Auch mein restlicher Körper war mit Schrammen übersät und meine Haare waren verwuschelt. Aus dem Schränkchen unter dem Waschbecken kramte ich nach einer Heilsalbe, die ich nach dem Duschen auftrug. Dann ging ich in mein Schlafzimmer. Im Bett kramte ich in meinem Gedächtnis, aber diesen Cayden hatte ich noch gesehen. Daran hätte ich mich erinnert. Wenn ich jedoch so darüber nachdachte, kam er mir bekannt vor. Vielleicht wegen den Augen? Doch bevor ich weiter grübeln konnte viel ich in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 6
Die ersten Sonnenstrahlen weckten mich auf. Mein ganzer Körper schmerzte, aber nicht so sehr wie letzte Nacht. Ich setzte mich auf und dachte nach. Erst jetzt wurde mir bewusst, was am Vorabend geschehen war und ich bekam Panik. Ich hätte gestern sterben können! Aber ich war am Leben. Es stellte sich nun die Frage: Wer oder was war Cayden und warum war er dort gewesen? Doch die wichtigere Frage: Was hatte mich da angegriffen? Obwohl ich kein Genie war, wusste ich, dass es dieses Tier oder was es auch war, eigentlich nicht geben dürfte. Je länger ich darüber nachdachte, wäre ein Laborunfall wohl am logischsten. Das viele Denken machte mich hungrig. Bevor ich mit meiner Mutter frühstücken konnte, musste ich unbedingt noch mal ins Badezimmer. Nachdem ich den Bademantel ausgezogen hatte, fiel mir sofort ein blauer Fleck an meinen Rippen auf. Die Rippen taten mir zwar weh aber es war zum Aushalten. Auch heute schmierte ich mir die Wunden mit Bepanthen ein. Meine Füße hatten viel abbekommen, das bedeutete ich würde die nächsten Tage, trotz Hitze, keine kurzen Hosen tragen können, wenn ich meine Mutter nicht beunruhigen wollte. Deshalb entschied ich mich für eine hautfarbene Strumpfhose, die ich unter ein knielanges, rotes Kleid zog. Meine Haare flocht ich zu zwei Zöpfen, die ich über meine Schulter fallen ließ. Kevin hatte mir in der Zwischenzeit eine Nachricht geschrieben, in der er mich fragte, wie es mir ging und ob ich gut geschlafen hätte. Wie süß! Als ich in der Küche ankam, saß meine Mum bereits auf der Bank mit (wer wundert sich?) einem Kaffee. »Morgen. Wann bist du zu Hause gewesen?«, fragte ich meine Mutter. »Ich war um 12 Uhr zu Hause. Ich bin nämlich Mr. Shell begegnet und er wollte mich unbedingt noch zu einem Drink einladen.« Mr. Shell war ein Mann des Bestattungsinstituts, der auf meine Mama stand. Um heute nicht schon am Frühstückstisch einen Streit zu verursachen, aß ich nur eine Banane. Am Wochenende aß meine Mutter immer etwas und legte sich dann wieder ins Bett, um zu lesen. Ich wartete also schweigend, bis sie fertig war, dann fuhr ich sofort zu Wallmart. Dort besorgte ich mir Pfefferspray, ein kleines Messer und eine Taschenlampe. Außerdem nahm ich ein Feuerzeug mit. (Die gab es wirklich in allen Farben und Formen, ich nahm mir ein blaues mit Glitzer.) Das war nun die Grundausstattung meiner Handtasche. Die Lampe und das Feuerzeug kaufte ich, weil das Monster mit Feuer vernichtet wurde. Nach dem Einkauf fuhr ich zum Starbucks am Riverdale Circle. Es war eine kleinere Filiale, die an einer Nebenstraße des Highways lag. Ich bestellte mir einen Caramell Frappochino. Das Tolle an diesem Laden war, dass er erstens nicht so viele Gäste hatte und zweitens freies Wifi hatte. Ich setzte mich in die Nähe eines Fensters, das Aussicht auf ein paar Fliederbüsche gab. Ich packte meinen Apple Laptop aus und stellte ihn auf den Tisch. Zuerst googelte ich Menschen mit Superkräften, das hätte ich mir allerdings sparen können, denn daraufhin kamen nur die Treffer für die Avengers und X-Man Filme. Dann versuchte ich es mit Wolfsmutationen aber auch hier konnte ich nichts zu meinem Angreifer finden. Zum Schluss versuchte ich es mit dem Namen meines Retters, kombiniert mit dem Wohnort Virginia und tatsächlich gab es einen Ausschnitt. Es ging um Cayden Lockwood, der vor 5 Jahren als vermisst gegolten hatte. Sein Vater hatte Geronimo Flynn, meinem Vater, das Verschwinden seines Sohnes angeschuldet. Mir stockte der Atem. Der Vater von Cayden hatte meinen Vater beschuldigt, er habe sein Kind entführt. Aber warum hätte mein Dad so etwas tun sollen? Er war Wissenschaftler. Zwar war er kein perfekter Vater gewesen aber ganz sicherlich kein Kidnapper. Doch wenn der Junge als vermisst gemeldet war oder noch immer vermisst wurde, warum hatte er mir geholfen? Es gab so viele Fragen aber keine Antworten. Dieser Fall hatte in der Zeitung gestanden, verfasst von Mr. Bees. Ich gab den Namen von Joshua Lockwood ein, dem Vater von Cayden und fand heraus, dass er Rechtsanwalt und begnadeter Tierschützer war. Die beiden hatten sich scheinbar schon öfter gegenseitig verklagt. Das hatte ich nicht gewusst, allerdings hatte ich mich nie mit der Arbeit oder den Problemen meines Vaters beschäftigt. Doch außer den einen Artikel über den Junior Lockwood gab es nichts Brauchbares. Mir blieb also nur eine Möglichkeit: Ich musste jemanden fragen, der live dabei gewesen war. Meine Mutter.
Ich trank meinen Frappo leer, und fuhr heim. Da auf meinem Navi eine Staumeldung angezeigt wurde fuhr ich nicht über die Hauptstraße, sondern über den Interstate Highway, an dessen linken Seite sich ein Wäldchen befand und an der rechten Seite sich lauter Restaurants erstreckten. Da ich wusste, dass meine Mama chinesisches Essen liebte und ich sie für unser Gespräch in gute Stimmung versetzen wollte, frei nach dem Motto captatio bene valentiae, hielt ich bei Panda- Express an.
»Voospaise? Lais oda Nudaln?«, fragte mich der chinesische Angestellte. »Frühlingsrollen, bitte. Reis und einmal Hühnchencurry«, bestellte ich.
*
Im Santa Clara Drive angekommen fuhr ich durch die Einfahrt, an der zwei weiße Löwenstatuen standen, und parkte dort. Bevor ich hochging, pflückte ich Blumen und deckte schon mal den Tisch. Als ich in mein Zimmer kam, erwartete Mr. Duddle mich bereits. Er legte den Kopf schief, irgendwie schien ihm aufzufallen, dass mit mir etwas nicht stimmte. Auch Gestern, als ich mit meinen Wunden zu ihm kam, hatte er besorgt ausgesehen. Ich hatte noch ein bisschen Zeit bis zum Abendessen, deshalb schaute ich noch mal ins Bad, um mein Make-up zur Schrammenüberdeckung, zu erneuern. Der Einkauf und das Autofahren hatte mich etwas geschwächt, weshalb ich beschloss, ein Bad zu nehmen. Den Vogel nahm ich mit und setzte ihn auf die Toilettenschüssel, um die Befragung meiner Mutter durchzuspielen. Wenn sie wüsste, was gestern passiert war, würde sie mich wahrscheinlich nie wieder rauslassen. Die Badewanne füllte ich mit Lavendelduft und extra viel Schaum. Ich ließ mich in die Wanne sinken. Die Wärme tat meinem Körper gut, denn obwohl es draußen warm war, hatte meine Mum das Haus mit der Klimaanlage sehr stark gekühlt. »Na, wie findest du das: Mama wir müssen reden... Nein, das klingt zu dramatisch, oder? Mum ich hab eine Frage …. Ja, das klingt gut.«
Was machst du so? , kam eine Nachricht von Kevin.
Ich bade gerade, und du?
Ich bin gerade im Fitnessstudio. Schickst du mir ein Foto ;) schrieb er mit grinse Smiley
Nur, wenn du mir auch eins schickst =)
Tatsächlich schickte er mir ein Foto von ihm, mit nacktem Oberkörper. Jetzt war ich dran. Ich schickte ihm ein Selfie mit Mr. Duddle. Sofort kam eine Antwort von ihm.
Jetzt beneide ich den Vogel total, erklärte er mir.
»Jessi, ich bestell Pizza, willst du auch eine?«, fragte meine Mutter durch die Tür hindurch. »Nein, Mama. Ich hab dir was vom Chinesen mitgebracht. Geh schon mal runter, das Essen steht im Kühlschrank. Ich komm gleich nach!«, rief ich ihr zu.
Ich hüpfte aus der Badewanne, schlüpfte in den lila Seidenkimono und lief zu meiner Mutter. »Schätzchen, das ist ja so lieb von dir«, sagte sie. »Du hast ja sogar an Blumen gedacht!«, stellte sie erfreut fest. Nachdem wir beide gegessen hatten und wir uns noch ein Eis gönnten, sah ich meine Chance. »Mum, eine Frage« »Ja« »Kennst du eigentlich Joshua Lockwood?«, ging ich gleich aufs Ganze. Sie erstarrte in ihrer Bewegung etwas zu trinken. »Warum willst du das wissen?«, fragt sie. »Ich mein bloß….weil er Dad doch beschuldigt seinen Sohn entführt zu haben«, tastete ich mich weiter vor. Katy schaute mich entgeistert an: »Und du glaubst das oder was?! Wie kommst du überhaupt darauf, das ist jetzt schon fünf Jahre her.« »Versuch nicht von meiner Frage abzulenken, Mama!«, erwiderte ich etwas heftiger als beabsichtigt. Die Augen meiner Mutter wurden glasig. Das war das Problem, immer wenn ich etwas lauter oder ein wenig wütend wurde, weil sie mir auswich, fing sie an zu weinen. »Jessica, warum bohrst du immer in der Vergangenheit nach? Dein Vater weilt nicht mehr unter uns und jetzt fängst du an zu glauben, er wäre ein schlechter Mensch! Schon die Römer haben gesagt: De mortuis nihil nisi bene. Über die Toten wird nichts gesagt, wenn es nicht gut ist«, ihre Stimme brach. »Es reicht! Mum reiß dich zusammen! Was ist passiert!«, schrie ich sie wutentbrannt an. Katy fing an zu weinen, wandte sich von mir ab und ging in ihr Zimmer. Manchmal fragte ich mich, ob wir überhaupt verwandt waren. Sie hatte blonde, ich brünette Haare, sie hatte blaue und ich grüne Augen. Auch unser Charakter war grundverschieden, sie versuchte immer allem auszuweichen, vor allem wenn es unangenehm wurde, und ich stellte mich diesen Sachen. Sie war leise, ich war auch nicht unbedingt laut, nur wenn ich wütend war. Und das war ich jetzt. Auch ich stapfte in mein Zimmer, nachdem ich das Geschirr in die Spülmaschine geräumt hatte. Dann gab ich meinem Haustier seine Körner, Würmer und die Medizin. Ich zog mir meinen Schlafanzug an, der aus einer gelben Stoffhotpants und einem rosa Shirt bestand, und warf mich auf mein Bett. Es stand in einer der Ecken, auf einem vanille-weißen Teppich, der auf meinem dunkelbraunen Holzboden lag. Ich suchte den Laptop, der unter meinem Bett versteckt war, lotste den Vogel auf mein Bett und machte Netflix an. »Wir schauen Shadowhunters«, erklärte ich dem Eichelhäher. Nach drei Folgen vielen mir die Augen zu.






