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Kapitel 7
Ein Pfeifen weckte mich auf. Als ich verschlafen die Augen öffnete, starrten mich zwei schwarze Äuglein an. »Ahhh!« Sofort richtete ich mich auf: »Du kannst mich doch nicht so erschrecken, Duddle. Beobachtest du mich etwa beim Schlafen?« Der Vogel zwitscherte noch mal, was mir ein Lächeln entlockte. Ein Eichelhäher, der mir beim Schlafen zu schaute? Wie verrückt war das denn? Ich schaute auf den Wecker, der auf meinem kleinen Nachtisch stand. Die leuchtenden Zahlen zeigten neun Uhr an. Meine Mum würde wahrscheinlich immer noch sauer auf mich sein, deshalb entschied ich, ihr einen guten Kaffee von Starbucks zu holen. Ich schlüpfte schnell in eine graue Jogginghose und zog mir ein blaues Langarmshirt über. Noch bevor ich die Treppen runter sausen konnte, rief meine Mutter nach mir: »Jessica, du hast Besuch, komm sofort herunter!« Oh, oh, dieser Ton hieß nichts Gutes, sie war also noch RICHTIG sauer auf mich. Wer wohl um diese Uhrzeit schon was von mir wollte, eigentlich hatte ich niemanden erwartet. Vielleicht war es ja Lena, mit der ich eine Physik Präsentation halten musste. Doch schon als ich die ersten Stufen hinuntereilte, erkannte ich die Stimme. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Flynn. Ich bin Kevin«, stellte er sich meiner Mutter vor. »Kevin?«, fragte sie skeptisch. Kevin wirkte ein wenig überfordert, bei so viel Unfreundlichkeit von meiner Mama. Katy hatte ihn nicht mal reingebeten. Insgesamt stand sie gerade neben sich. Sie trug einen Bademantel, rosa Pantoffeln, ihre Haare sahen aus, als ob ein Vogel in ihnen geniestet hatte (Wo der doch bei mir war ). Und dann ihre Augenringe, peinlicher ging es ja nicht. »Ja Mum, das ist Kevin. Du erinnerst dich? Ich habe ihm letztes Jahr Nachhilfe gegeben«, half ich ihm. »Mhhff«, stieß sie hervor. Da sie nicht vorhatte, uns ein wenig Privatsphäre zu gönnen, fragte ich ihn einfach: »Ähhm ja…..was machst du denn schon hier? Willst du reinkommen?« »Nein Danke, ich dachte, wir könnten zusammen an den Strand fahren und schwimmen gehen«, erklärte er. »Jessica hat noch nicht mal gefrühstückt«, motze meine Mum ihn an. »Bitte! Er ist ein Freund, außerdem hat er dir gar nichts getan. Von mir aus lass alles an mir aus aber nicht an ihm!«, zischte ich ihr energisch zu. »Das macht auch gar nichts. Ich hab hier nämlich Croissants und Kakao«, sagte er und holte eine Papiertüte hinter seinem Rücken hervor. Ich lächelte: »Bin gleich da. Muss nur noch meine Sachen holen.« Ich rannte so schnell in mein Zimmer, wie ich nur konnte, um ihn nicht unnötig mit meiner Mutter allein zu lassen. Wenn sie beleidigt war, war sie unausstehlich. Ich kramte in meinem Schrank nach einer Strandtasche. Die erstbeste war eine aus Stroh, mit einem Stern drauf. Dann schmiss ich wahllos Bikinis und ein Strandkleid rein. Ich lief noch ins Bad, um meine Haare zu kämmen. Daraufhin entschied ich mich dafür den blau-schwarzen Bikini schon hier anzuziehen, darüber zog ich dann doch eine kurze Hose an und ein weißes Shirt. In meiner Not schmierte ich noch Abdeckstift auf meine Schrammen. Da an meiner Schlafzimmertüren Jacken hingen, nahm ich mir noch eine luftige Regenjacke mit. Im letzten Moment erinnerte ich mich an das Tier auf meinem Bett. Ich gab ihm sein Futter.
Ich brauche deine Hilfe, schrieb ich Kevin in meiner Not.
Wie kann ich dir behilflich sein?
Der Vogel muss unbedingt mit, sonst findet meine Mutter ihn noch.
Ok.
Du musst jetzt rau gehen und vor meinem Fenster warten.
Schon eine Minute später stand Kevin da, wo ich ihn haben wollte. Ich packte Mr. Duddle und setzte ihn in meine Tasche. Die Tasche ließ ich dann, per Wollschnur, zu meinem Freund runter. Dann ging ich an meiner Mama vorbei, die sich aufs Sofa warf und den Fernseher einschaltete und schloss die Tür. Kevin wartete bereits vorm Auto auf mich mit der Tasche. »Vielen, vielen Dank! Wie kann ich mich dafür erkenntlich zeigen?«, fragte ich ihn glücklich. »Wie wäre es mit einem kleinen Kuss?«, schlug er verschmitzt offen vor. Sollte ich? Ich ging auf ihn zu und drückte meinen Lippen auf seine. Zuerst war es ein ruhiger Kuss aber dann wurde er fordernder. Ich löste mich lächelnd langsam von ihm. »Du wolltest einen kleinen Kuss«, neckte ich ihn lächelnd. Er verzog das Gesicht zu einer Schnute: »Kann ich das im Nachhinein ändern?«, fragte er. »Nein« »Mist«, er tat gespielt betreten. Ich hüpfte um ihn herum ins Auto. »Kommst du? Ich dachte wir wollten schwimmen gehen. Außerdem hast du mir Frühstück versprochen« »Ich bin schon da«, er stieg in den Ferrari und überreichte mir die Tüte. Ich gab ihm als Belohnung ein Küsschen auf die Wange, das ihn lächeln ließ.
*
Weil es noch so früh war kamen wir schnell voran. Wir fuhren zum Backaro Beach. Dieser Strand war nicht so sehr von Touristen überfüllt. Zuerst sah man nur Wiese aber dann breitete sich der Sand aus. Alle fünfzig Meter führten meterhohe Stege ins Meer. Es war einfach wunderschön. Es gab sogar eine Strandbar. Wir legten unsere Handtücher in die Sonne und stellten einen regenbogenfarbenen Schirm auf. »Wer zuerst im Wasser ist«, rief Kevin plötzlich und stürmte voll angezogen auf die türkisen Wellen zu. Unterm Laufen zog er sich bis auf die Shorts aus. (Er trug blaue mit gelben und roten Laserstrahlen.). Ich tat es ihm gleich und stürzte mich in die Fluten. Das Wasser war angenehm kühl, denn obwohl es noch morgen war stieg die Hitze stetig an. »Schau! Da sind Tom, Severin, Taylor, Lena und die Zwillinge«, rief er erfreut. »Hey Leute!« Die anderen erkannten uns und winkten uns stürmisch zu sich. Die Jungs kannte ich nur flüchtig, denn sie waren alle Basketballer. Lena kannte ich aus Physik. Die Zwillinge, Ava und Lexi, kannte ich nur, weil Lexi Schülersprecherin war. Insgesamt schien die Gruppe nett zu sein, keine Zicken oder Spasten. Als wir uns durchs Wasser zu ihnen durchgearbeitet hatten, begrüßte er erst die Jungs mit einem komplizierten Handschlag und stellte mich dann vor. »Leute, das ist Jess aber ihr kennt sie vielleicht bereits« »Hi«, sagte ich schüchtern. »Nett dich kennenzulernen«, begrüßte mich Tom freundlich. »Du bist doch die, deren Vater gestorben ist, oder?« »Ava! Sei mal ein bisschen einfühlsamer«, ermahnte Lexi sie. »Das passt schon. Aber ja, mein Dad ist vor vier Monaten gestorben, ich bin schon darüber hinweg«, erklärte ich, bevor sie mich für labil hielten. »So was fragt man trotzdem nicht. Hi, ich bin Lexi.« Wow, sie war echt offen, höflich und direkt, kein Wunder, dass sie mit der Mehrheit der Stimmen gewonnen hatte. »Hey Leute, wie wärs mit Wasser Wrestling?«, schlug Taylor vor. Kevin tauchte unter mich und als er mich nur wenige Sekunden auf seine Schultern hievte, entwich mir ein Quietschen. Alle taten es unserem Beispiel gleich. Lexi saß auf den Schultern von Severin, Ava und Tom bildeten ein Team und Taylor nahm Lena auf die Schultern. Und schon ging die Schlacht los, immer zwei Teams versuchten sich gegeneinander ins Wasser zu befördern. Wir hatten einen Heidenspaß. Am Ende gewann Taylors Team, Kevin und ich wurden Zweite.
»Ich geh an die Bar, wer kommt mit?«, erklärte Tom. »Ich!!«, schrien alle wie aus einem Munde.
Die Bar war aus Bambus gebaut worden und auf ihrem Dach lagen sogar Palmwedel. Sie stand auf einer Holzterrasse, auf der sich auch Tischchen und Stühle befanden. Unter dem Tresen kreuzten sich an der Wand zwei blaue Surfbretter. Der Tresen selbst wurde von einer Lichterkette umrahmt. Vom Dach hingen bunte Lampions und der Weg zu der Hütte wurde in der Nacht von Strandfackeln beleuchtet.
Wir setzten uns an eine äußere Kante der Terrasse. »Leute, würde es euch etwas ausmachen, wenn ein Vogel in unseren Reihen wäre?«, fragte ich sachte nach. »Nö, hast du einen?«, erwiderte Ava. »Ja« »Seit wann?«, wollte Lena wissen. »Seit Freitagmorgen. Deshalb stand ich auch im BH vor Matz«, erklärte ich ihnen. »Dachte mir schon, dass es nicht stimmt was der Quaterback gesagt hat. Du hast mich noch nie so angeschaut, als ob du was von dem willst«, sagte Severin. »Mann, hat hier überhaupt jemand Feingefühl? Seht ihr nicht, dass es ihr unangenehm ist über solche Sachen zu sprechen?«, Lexi schüttelte den Kopf. »Hol deinen Vogel und dann schlagen wir ein anderes Thema an. Ein nicht so peinliches und auch keins über Volltrottel. Verstanden?«, die letzten Worte richtete sie an alle. Keiner konnte sich ein Lächeln über ihre Eskapade verkneifen. Sie war wirklich direkt. Aber irgendwie gefiel mir das, vielleicht konnten wir ja Freunde werden. Dankbar war ich ihr. »Ich begleite dich«, erklärte mir Kevin. Zusammen gingen wir, um den Eichelhäher zu holen. »Und?«, fragte er. »Und was?«, wollte ich wissen. »Wie findest du die anderen?« »Ich find sie toll! Sie sind so freundlich«, erzählte ich. »Vor allem Lexi. Du hättest mich aber ruhig vor ihr warnen können«, sagte ich mit gespielter Empörung. »Ja, sie kann echt direkt sein, du hättest ihr aber auch nichts vorspielen können. Ich glaub, sie mag dich auch«, antwortete er. Bei meiner Tasche angekommen hörte ich schon saures Piepen. »Sorry. Du bekommst gleich was«, entschuldigte ich mich bei meinem Haustier und hob ihn eingewickelt in ein Tuch hoch. Zurück bei den anderen bekam er Brotkrümel von Lena und Ava. »Wie heißt er eigentlich?«, wollte Tom wissen. »Ich hab ihn Mr. Duddle genannt« »Wie süß! Duzzi Duu. Wer ist ein super süßer Voggi. Ja, du Mr. Duddle!«, fing Ava sofort an mit ihm in Babysprache zu sprechen. »Also ich werde euch Mädels wohl nie verstehen. Dieser Name allein schon, tut mir leid Jess, und dann noch diese Babyspeach. Der Eichelhäher versteht dich doch eh nicht«, brach es aus Taylor heraus. Lena warf ihm einen bösen Blick zu, musste dann aber auch lachen, als Taylor in Gelächter ausbrach. Dieser Blick von ihr sah echt komisch aus. »Ich wette, du schaffst es nicht einen Tag lang dich anständig aufzuführen. Geschweige denn Feingefühl oder Vorbildfunktion zu repräsentieren«, forderte Lex ihn raus. »Ich dachte du wettest nicht meine Liebe«, erwiderte er. »Für dich mach ich eine Ausnahme«, erklärte sie verschmitzt. »Gut. Wir wetten um einen Kuss«, kam die Antwort von Taylor. »Taylor! Das ist meine Freundin!!«, mischte sich Severin entsetzt ein. »Okay, Okay«, er nahm die Hände hoch »Dann zahlt der Verlierer dem Gewinner halt Eis, so viel er will.« »Passt, ich würde auf jeden Fall Vanille nehmen, nur das du es schon mal weißt«, willigte die Schülersprecherin ein.

Kapitel 8
Wir hatten den ganzen Tag über eine schöne Zeit. Nachdem wir Volleyball gespielt hatten, brachen wir auf, weil es zu regnen anfing. Kevin brachte mich noch zurück. Dann blieb ich allein zurück. Da morgen wieder Schule war, ging ich früh ins Bett. Meine Mum hatte sich bereits in ihr Zimmer zurückgezogen. Ich machte mir ein Wurstbrot und nahm es mit auf mein Zimmer. Nachdem ich es gegessen hatte, legte ich mich ins Bett. Mr. Duddle durfte mit einer Decke auf meinem Schreibtisch schlafen.
Ich lag in der Wiese auf einer roten Decke. Drei Meter von mir entfernt erstreckte sich ein Wald. Die Sonne schien und es zog mich magisch zu den Bäumen hin. Ich ging so lange, bis ich auf einer Lichtung angelangte. Vereinzelte Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg durch das saftig grüne Blätterdach. Magie lag in der Luft. Es war friedlich. Während ich in der Mitte der freien Fläche stand, näherten sich mir die Waldbewohner. Ein brauner Hase kam hüpfend auf mich zu und auch ein Eichhörnchen blickte mich neugierig von einem Baum aus an. Hinter einem Strauch erkannte ich ein Rehkitz, das mich an Bambi erinnerte. Ich kniete mich hin, um den niedlichen Hasen anzulocken. Die weißen Gänseblümchen auf der Wiese verströmten einen süßlichen Duft. Eine leichte Brise wehte durch mein Haar und ließ mich frösteln. Das Eichhörnchen spitzte die Ohren und verschwand, auch das Bambi schaute sich ruckartig um und eilte mit weiten Sprüngen davon. Der Hase, der sich zuvor auf mich zu bewegt hatte, trat die Flucht an und auch die Vögel verstummten abrupt. Eine Kälte ersetzte die Wärme, die mich zuvor erfasst hatte. Der Himmel verdunkelte sich schlagartig. Nebel kroch aus den Tiefen des Waldes auf mich zu. Plötzlich hörte ich ein Rascheln. Ich drehte mich um, konnte aber nicht bestimmen aus welcher Richtung es kam. Mein Blick huschte zum Ende der Lichtung, wo ich eine Bewegung wahrnahm. Dann ein Aufblitzen roter Augen. Auf einmal war ein hohes grausames Heulen zu hören. Es war zurück. Bevor ich aufstehen konnte, warf sich die Mutation auf mich. Sein raues Fell drückte es auf meine Nase und ich zog den verfaulten Duft von Aas ein. Es zog seine Lefzen hoch und biss in meine Kehle, ich spürte einen unaufhaltbaren Schmerz. Ich stieß einen gequälten Schrei aus und versuchte nach Luft zu ringen, doch es ging nicht. Mein Körper zuckte unkontrolliert. Langsam verschwamm alles vor meine Augen. Ich versuchte die Augen offenzuhalten aber es ging nicht. Eigentlich hoffte ich, dass mich die Dunkelheit von den grausamen Qualen erlöste, doch sterben wollte ich noch nicht. Ich spürte wie mich die Lebensenergie verließ. Doch bevor mir das Vieh die Augen auskratzte und Blut aus meinen Augenhöhlen spritzte, konnte ich eine Gestalt erkennen. Ich sah nicht viel, doch die grünen mit orange gesprenkelten Augen und auch die rot glühende verfolgten mich bis in die Früh.
*
Wieder einmal wachte ich schweißgebadet auf mein ganzes Bett war davon feucht. Ich lag zitternd in meinem Bett. Der Eichelhäher starrte mich treuherzig an, als er mich sah. Ich glitt aus meinem Bett und verweilte vor dem Spiegel im Bad. Ich hatte dunkle Augenringe und meine Haare standen wild vom Kopf ab. Bevor ich aus diesem Haus ging, musste ich erst mal unter die Dusche. Etwas war anders gewesen, als die letzten Male: Diese Person oder besser gesagt diese Augen. Ich ließ mich an der Duschwand hinuntergleiten und setzte mich, während ich versuchte mit dem heißen Wasser die Überreste des Albtraums zu verscheuchen. Im Hintergrund hörte ich A thousand years. Als dieses Lied von Enriques Subeme La Radio abgelöst wurde, stemmte ich mich auf und zog mich an. Ich entschied mich für eine lange luftige Schlabberhose mit blau-schwarzen Muster darauf, die meine Schrammen verdeckte und ein türkises Top. Dazu trug ich einen Hauch an rosa-roten Lippenstift auf. Für meine Augen musste eine große Menge an Concealer herhalten. Ich beschloss heute früher loszufahren, so konnte ich in der Schule noch lernen. Mein Zimmer schloss ich vorsichtshalber ab, nicht dass meine Mum den Vogel finden würde. Da ich trotzdem ein Frühstück brauchte, fuhr ich zuvor noch zu I-Hop. Dort bestellte ich mir Rührei, Würstchen und Pancakes. Für Mr. Duddle nahm ich Pommes mit, die konnte er dann zu Abend essen.
An der Blackwood High angekommen setzte ich mich auf eine Bank auf dem Campus. Es war angenehm warm. Die Hitze würde erst gegen Mittag unerträglich werden. Ich saß im Schneidersitz und hatte mein Latein Buch vor mir aufgeschlagen, wahrscheinlich würden wir heute einen Kurztest schreiben. Nach kurzer Zeit setzten sich zwei Jungs neben mich. Zuerst hielten sie einen gebührenden Abstand, doch langsam fingen sie an immer näher an mich heranzurücken. Ihre Nähe fing an unangenehm zu werden. Einer legte plötzlich eine Hand um meine Schulter, der andere legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich sprang auf, um ihre Hände abzuschütteln »Habt ihr sie noch alle!«, fauchte ich sie ungehalten an. Was waren das denn für Schweine! »Hey, beruhig dich«, sagten sie lässig »Du bekommst dein Geld aber erst nach dem Spaß« »Was glaubt ihr eigentlich wer ihr seid!« »So bekommst du kein Cash«, erklärten sie mir. »Obwohl das auch heiß ist, wenn du aggressiv bist« »Ich bin doch keine Nutte!« Die beiden standen nun auch auf und gingen auf mich zu. »Sam, Tobi, habt ihr ein Problem?!«, rief eine Stimme die beiden streng. Schon schlängelte sich Lexi durch eine Gruppe von Schülern, die gerade in das Gebäude eintraten. Sofort hielten die Zwei inne. »Belästigt ihr etwa Jessica?«, wollte Lexi in eiskaltem Ton wissen. Sie war echt respekteinflößend. Die Jungs schüttelten vehement die Köpfe: »Nein, nein ……, das..ääh….war bloß ein Missverständnis.« »Das will ich hoffen! Das nächste Mal kommt ihr nicht so leicht davon«, sprach sie eine Drohung an die beiden Schüler aus, die gleich verschwanden. »Wow. Das war echt der Wahnsinn. Die haben ja richtig Angst vor dir. Übrigens vielen Dank«, bedankte ich mich. »Nichts zu danken. Komm, der Unterricht beginnt gleich, ich bring dich zu Kevin«, sagte sie gelassen. Wir fanden meinen Klassenkameraden vor dem Klassenzimmer. Er wartete vor der gelben Tür. »Hi, Mädels!« »Ich muss in meinen Unterricht«, rief die Schülersprecherin ihm zu und verschwand noch bevor ich bei ihm angelangt war. Vor der Tür blieben wir stehen und starrten uns erst an. Ich verlagerte mein Gewicht nervös von einem Bein auf das andere. »Sollen wir?«, durchbrach ich die Stille und deutete in Richtung Klassenraum. »Ja«, war seine einfache Antwort. Wow, wann war das denn passiert. Sonst war er doch nicht so verlegen. Als wir eintraten, hielt er mir die Tür auf. Ich saß normalerweise in der ersten Reihe und er in der Letzten, aber heute setzte er sich neben mich. Als Miss Mc Kell eintrat, geschah das, was ich vermutet hatte: wir schrieben ein Extemporal. Als uns der Gong erlöste, brachte mich der Gentleman noch zum nächsten Klassenzimmer. »Hättest du gedacht, dass sie heute ne Ex schreibt? Wie fandst du die Fragen? Ich fand sie viel zu schwer, das Thema hatten wir vor einer Woche schon abgeschlossen!«, beschwerte er sich. »Ja, ich habe damit gerechnet und so schlimm wird’s schon nicht sein«, tröstete ich ihn. Mir war es erstaunlich gut ergangen. Das Lernen vor Beginn des Unterrichts hatte wohl etwas gebracht.
*
In Geschichte musste ich wieder an meinen Vater denken und an das, was meine Mutter gesagt hatte oder besser gesagt, was sie nicht gesagt hatte. Wir behandelten gerade das Thema Mittelalter, für das ich mich nicht sonderlich interessierte. Deshalb stellte ich mein Buch wie einen Schutzwall vor mich auf und fing an mit meinem Tablett den Namen meines Vaters zu googeln, ohne andere Suchbegriffe. Keine Ahnung warum ich nicht schon früher darauf gekommen war, aber wie schon Titus Livius zu sagen pflegte : Besser spät als nie. Gleich nachdem ich auf die Suchtaste gedrückt hatte, sprangen mich die eisblauen Augen meines Vaters an. Auf dem Foto war mein Vater zu sehen, neben ihm stand Katy und ein fremder Mann, den ich als Forscherkollegen erkannte. In seiner linken Hand hielt Geronimo die Hand meiner Mum und in der rechten einen weißen Laptop. Und plötzlich hatte ich einen Geistesblitz. Diesen Computer hatte ich letztens erst gesehen. Bloß wo? Vielleicht waren dort Informationen gespeichert. Sicherlich auch welche über diesen Cayden. Möglicherweise sogar Chatverläufe. Ich sprang auf und wollte mich schon auf den Weg machen, als: »Miss Flynn, möchten sie meine Frage beantworten?«, scharf von Mr. Brand gerufen wurde. »Wir hören …« »Ääähhhhhmmmm…….« »Das hatte ich mir schon gedacht. Setzen Sie sich sofort und bauen Sie diese Buchwand ab!«, befehligte er mich. Ich ließ mich zurück auf meinen Stuhl plumpsen. Das war was. Aber ich hatte noch Glück gehabt. Mr. Brand war beider US-Armee gewesen, so führte er sich auch auf. Sein Aussehen und Verhalten entsprachen vollkommen dem Klischee eines Generals in Filmen. Kurz geschorenes Haar, Muskeln, strenger Blick und donnernder Stimme. Man könnte meinen er würde süße Kätzchen zum Frühstück verspeisen Außerdem machte er immer den Eindruck, als hätte er einen Stock verschluckt. Jeder der sich nicht benahm, dazu gehörte auch lachen, würde bestraft. Meist mit extra Sportstunden, in denen man sich fühlte, als wäre man bei der Armee und würde seine ersten grauen Haare bekommen. »Wer kann mir sagen, wann das Mittelalter beendet war?«, fragte er. Ich meldete mich, um ein paar Pluspunkte zu bekommen. »Miss Flynn« »1500 nach Christus«, antwortete ich. »Richtig. Es freut mich, dass Sie sich wieder auf den Unterricht konzentrieren«, erklärte er »In den nächsten Stunden werden wir uns mit den Germanen beschäftigen. Lesen Sie daher bis zum nächsten Mal die Seiten 67-69 in ihrem Buch.« Damit schloss er die Stunde.
In der Pause setzte ich mich zu Ava, Severin und den anderen vom Strand. Sie hatten mich wild gestikulierend zu sich gewunken, als ich in die Mensa gekommen war. Die Mensa befand sich im Westflügel des Gebäudes, daher konnte man von ihr aus in den kleinen begrünten Innenhof gelangen. Nur eine Glasfront trennte uns von der Wiese. Ich hatte eigentlich gar keinen Hunger, weswegen ich lustlos in meinem Essen herum stocherte. »Also, was sagst du dazu?«, wurde ich von Lena aus meinen Gedanken gerissen. »Was? Ich hab gerade nicht aufgepasst«, erklärte ich entschuldigend. »Sie hat dich gefragt, ob du auch zu ihrer Feier kommst«, klärte mich Taylor auf. »Wann ist die denn?« »Dieses Wochenende«, sagte Lena »Du darfst natürlich auch jemanden mit bringen.« »Das ist nett, also Zeit hab ich aber ich bringe niemanden mit.« »Jessy, Tom, habt ihr es schon gelesen? Bei uns fällt heute Mathe aus«, sagte Kevin, der sich gerade auf einem Stuhl neben mir niederließ. »Juppi jay jey«, lachte Tom. »Wer kommt heute nach der Schule mit zu Starbucks?«, wollte Ava wissen. » Ich kann nicht, weil ich mich doch um Mr. Duddle kümmern muss«, sagte ich schnell. Es war nicht ganz richtig aber gelogen war es auch nicht. Ich wollte nach der Schule nämlich nur nach Hause, um diesen Laptop zu suchen, der mir hoffentlich Informationen bringen würde. Das musste ich auf jeden Fall machen, noch bevor meine Mutter von der Arbeit kommen würde. Das Läuten zum Unterricht löste unsere Gruppe auf, da jeder in einen anderen Kurs musste. Ich hatte jetzt Kunst, was mich total freute, denn dort konnte ich malen und nebenbei ungestört meinen Gedanken nachhängen. Was würde passieren, wenn ich diesen Computer fand? Wahrscheinlich war er sowieso mit einem Passwort gesichert. Das bedeutete, ich brauchte einen Hacker. Aber wo bekam ich einen her? Vielleicht einen aus der Computer AG aber das Problem war, dass ich dort keinen kannte. Doch selbst wenn ich in die Dateien käme, was würde ich dann mit ihnen machen? Oder hätte ich gleich Mr. Lockwood informieren sollen, dass ich seinen Sohn gesehen hatte, und dass er nicht normal war? Warum war mir der Gedanke nicht schon früher gekommen? Jedes Elternteil freute sich doch zu erfahren, dass sein Kind am Leben war. Oder? Obwohl … würde er mir überhaupt glauben, ich war schließlich die Tochter des vermeintlichen Kidnappers. Aber mein Vater war ja jetzt tot. War es Zufall, dass Cayden auf einmal wieder da war und Geronimo nicht? »Miss Flynn?« Ich blickte verwirrt von meiner Zeichnung, einem trauerndem Engel, auf. Mrs. Mondi saß am Pult und nahm einen Schluck Kaffee aus ihrer selbst bemalten Tasse. Ich blickte mich im Kunstraum um und bemerkte den Fehler. Kein Schüler außer mir war noch hier. »Entschuldigung, bin schon weg«, sagte ich und packte schnell meine Malutensilien in meine Tasche. Diese schulterte ich und lief an einer Außentreppen, die mit Efeu überrankt war, vom Keller hinauf zum Parkplatz. Es war niemand außer mir dort, was verständlich war, denn ich hatte ja früher aus. Ich fuhr auf kürzestem Weg in meine Straße. Es gab wenig Verkehr, da ich mich nicht wie üblich zur Mittagszeit auf den nach Hause Weg machte.
*
»Mr. Duddle, ich hab dir was mitgebracht«, trällerte ich. Er stieß einen fröhlichen Laut aus, als ich ihm die Fritten unter den Schnabel hielt. »Na, wie war dein Tag? Ich habe heute einen Test geschrieben, wurde ermahnt aber habe etwas Neues herausgefunden«, teilte ich ihm mit. Ich brachte ihn kurz nach draußen, damit er sein Geschäft verrichten konnte. »Mr. Duddle ich vertraue dir und da ich glaube, du kannst ein bisschen verstehen was ich sage, sage ich dir: du musst hier bleiben und nicht, ich betone das nicht, weggehen, fliegen oder was du noch alles kannst. Okay?«, trichtert ich ihm ein. Ich glaubte ernsthaft, dass ein Eichelhäher mich verstand. Es wäre wohl besser, wenn ich nicht nur den Vogel noch mal zum Arzt brachte. Ich vergewisserte mich, dass meine Mutter nicht doch daheim war und dann legte ich los. Zuerst stellte ich das Wohnzimmer auf den Kopf. Ich wühlte mich durch Schubladen und das große Bücherregal an der Wand, doch ohne Erfolg. Ich war so dumm! Wer bitte versteckte wichtige Sachen im Wohnzimmer, wo jeder sie sehen konnte? Das Durchsuchen hatte mich Zeit verschwenden lassen, die ich brauchte. Deshalb versuchte ich es mit Köpfchen. In der Küche stand der Laptop bestimmt nicht, da würde er durch die Feuchtigkeit und die ständige Hitze kaputt gehen. Womit wir auch das Bad von der Liste streichen konnten. Auch in meinen Räumen befand sich der Laptop nicht, das hätte ich bemerkt. Damit blieben nur noch das Schlafzimmer meiner Eltern und das Büro meiner Mutter. Ich wusste, dass sie ihr Büro immer absperrte, weshalb ich es zuerst im Schlafzimmer versuchen wollte. Ich schlich in den Raum meiner Eltern. Alles darin war aus dunklem Kiefernholz. Außer einem Bett und einem Schrank befanden sich nur noch zwei Nachtkästchen neben je einer Bettseite. Ich ging zur Schrankhälfte meines Vaters und hatte Glück! Tatsächlich stand der Laptop dort, wie auch andere Sachen meines Dads. Katy hatte noch nichts weggeschmissen. Wahrscheinlich weigerte sie sich immer noch, sich den endgültigen Tatsachen zu stellen. Geronimo war tot. Er kam nicht wieder und doch warteten seine Sachen hier auf ihn. Aber mich ging es nichts an was Mum tat. Sie war alt genug. Ich ging in mein Zimmer und zu meiner Überraschung wartete dort mein Haustier auf mich. Ich stieß einen Quietscher aus. »Du bist ja so schlau!«, rief ich freudig. Irgendwie war ich stolz auf mein neues Haustier. Draußen hatte es angefangen zu stürmen, das hatte der Wetterbericht nicht kommen sehen, deshalb schaltete ich das Licht ein. Nun wirkte der ganze Raum, weil er in goldenes Licht getaucht wurde, gemütlicher. Ich setzte mich auf mein Bett und der Vogel hüpfte näher. Ich klappte den Computer auf, doch wie ich vermutet hatte, war er gesichert. Nach drei Eingaben gab ich den Versuch auf das Kennwort zu knacken. Genau in diesem Moment kam eine Nachricht von Kevin.






