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Ich schlug die Augen auf. Tränen flossen über meine Wangen. Ich atmete schwer. Der Eichelhäher hüpfte auf mich zu und legte sich neben mich. »Danke«, flüsterte ich ihm zu. Er war wirklich kein normaler Vogel. Irgendwie musste er mich verstehen. Ich griff zu meinem Nachttisch, auf dem ich mein Handy abgelegt hatte. Aus eine der Schubladen angelte ich mir Kopfhörer. Die Musik hatte mir schon immer bei schlechten Träumen geholfen. Zu den Tönen von Christina Perris A thousand years schloss ich meine Augen erneut. Und nach sechs weiteren ruhigen Liedern, dämmerte ich weg.

Kapitel 9
Der Wecker weckte mich. Ich hätte ihn fast nicht gehört. Heute hatten wir Sport, weswegen ich mir nur wasserfeste Wimperntusche auftrug. Der Wetterbericht hatte für heute wieder schönes Wetter angesagt. Im Bad begutachtete ich meine Schrammen, sie waren soweit verschwunden, dass ich sie nicht mehr zu überschminken brauchte. Deshalb zog ich mir eine Jeans Hotpants an und darüber ein schulterfreies Top mit Spitze. Meine Sportsachen packte ich in einen Turnbeutel. Meine Mum stand bereits in der Küche, sie machte sogar Rührei und Bacon zum Frühstück. Lecker! »Gibt es irgendwas zu feiern?«, fragte ich sie und setzte mich auf die Bank. Sie schwenkte die Pfanne herum und befüllte meinen Teller: »Wie kommst du darauf?« »Sonst machst du nie etwas zum Frühstück«, erklärte ich ihr mit vollem Mund. Ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. Kein gutes Zeichen. »Was nicht als Kritik gelten soll. Es schmeckt echt super lecker. Besser sogar wie bei I-Hop«, versuchte ich die Stimmung zu retten. Mein Plan ging auf. »Das freut mich, Schatz«, sagte sie sichtlich glücklich darüber, dass es mir schmeckte. »Ohh. Schon so spät. Jessica, du musst los, sonst kommst du noch zu spät« Das musste ich zwar nicht aber ich wollte meiner Mutter nicht im Weg stehen bei dem was sie tat. Vielleicht traf sie sich mit jemanden. Das wäre schön, vor allem seit ich herausgefunden hatte, wie mein Vater wirklich gewesen sein musste. Ich gönnte es meiner Mum. »Du hast vollkommen recht. Ich bin schon auf und davon«, stimmte ich ihr grinsend zu. Schnellstmöglich verschwand ich. In meinem Auto schaltete ich die Klimaanlage ein. Meine Mutter stand sogar noch vor der Tür und winkte mir zu. Ich hupte ihr auch kurz zur und fuhr dann auf die Interstate. Nachdem ich an den vielen Fastfood Geschäften vorbei war, befand sich rechts von mir ein kleiner Waldstreifen. Zu meiner linken befand sich der Seitenstreifen, auf dem Bäumchen wuchsen, die rosa Blüten trugen. Während der Fahrt ließ ich mir die Sonne ins Gesicht strahlen, setzte mir aber meine Rafen Sonnenbrille auf. Auf halben weg rief ich Liss an. Ich stellte das Telefon auf laut. Nach drei Freitönen ging sie ran. »Morgen Lissy! Wie geht’s dir?«, begrüßte ich sie munter. »Morgen. Mir geht’s gut aber es ist zu früh«, maulte sie in den Hörer. »Ach was. Bei uns ist schönstes Wetter, da muss man einfach früh aufstehen. Wie ist es bei euch?« »Auch schön. Gibt es was Neues?«, fragte sie gähnend. Die Klimaanlage blies mir angenehme kühle Luft ins Gesicht. »Ja. Ich hatte schon zwei Dates mit Kevin, du weißt schon dem Basketballer«, trällerte ich. »Nein«, kreischte Liss. »Doch.« »Wie war es?«, fragte sie aufgeregt. »Schön.« »Nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!«, jammerte sie. »Er hat mich beide Male eingeladen. Dann waren wir einmal im Kino, das war der Wahnsinn und schwimmen waren wir auch. Er hat mich einfach ohne Vorwarnung abgeholt«, plapperte ich drauf los. »Habt ihr euch geküsst?«, drängte sie zu erfahren. »Ja, schon bei unserem ersten Treffen.« »Wie hat er dich gefragt?« »Mit einem Zettel im Unterricht«, erklärte ich ihr. Sie schien auf einmal viel wacher zu sein. »Vollhirnie!« »Meinst du mich, Jess?« »Nein, da war nur grad so ein Depp, der mich überholt hat. Der hat seinen Karren einfach so auf meine Spur gezogen«, erklärte ich ihr. »Ahh, du fährst. Und was ist das dann? Seid ihr zusammen? Aber ihr habt noch keinen Schritt weiter gemacht, oder? Sonst bin ich immer noch die einzige Jungfrau!«, löcherte sie mich. »Nein, um Gottes willen! Das war letzten Freitag. Ich weiß nicht genau ob wir zusammen sind. Ich weiß nicht mal, ob ich was von ihm will«, klärte ich sie auf. »Halloo! Das ist der Kevin. Soweit ich mich erinnern kann, sieht der recht gut aus.« »Ja schon. Er ist auch ein Gentleman…..aber ich weiß nicht, ob ich bereit für eine Beziehung bin. Er hat sogar gefragt, ob ich nicht für ihn cheerleadern möchte. Er hat bis jetzt nichts klar gestellt«, schwärmte ich. »Der will auf jeden Fall was von dir«, stellte sie klar. »Okay. Das wollte ich aber eigentlich nicht mit dir diskutieren«, erzählte ich ihr. »Was dann?« »Ich hab den Laptop von meinem Dad gehackt«, fing ich an, wurde aber so gleich von ihr unterbrochen. »Du kannst hacken? Das letzte Mal, als ich dich Live erlebt habe, hast du es nicht geschafft deinen Laptop anzuschalten. Also sag mir nicht, du hast es allein geschafft«, erklärte sie. »Ja, Kevins Bruder hat mir geholfen und ja, das werde ich dir auch detailliert beschreiben, doch nicht jetzt«, gab ich zu, »Also ich war in den Dateien drinnen. Es ging hauptsächlich um ein Experiment« »Dein Vater war Wissenschaftler. Was ist da so besonders?«, fragte sie kritisch. »Ich glaube es war ein menschliches Experiment. Ein Mann hat ihn nämlich beschuldigt seinen Sohn gekidnappt zu haben. Und er hat in einem Dokument, dass er 2018 verfasst hat, geschrieben, dass das Versuchsobjekt 18 wurde. Verstehst du? Das passt mit den Geburtsdaten des Jungens überein«, sprudelte es aus mir heraus. »Okay, das ist echt krass. Bis du dir wirklich sicher? Wie kommst du da Überhaupt drauf?«, befragte sie mich. »Sicher bin ich mir noch nicht zu 100 Prozent, aber ich glaube ich habe den Jungen gesehen«, beantwortete ich ihre Fragen. »Das musste ich jemanden mitteilen. Ich muss jetzt auflegen, weil die Schule gleich los geht.« »Tschau, Jess. Halt mich auf dem Laufenden, nicht nur über deinen Vater. Und pass auf dich auf«, verabschiedete sie sich. »Du bist unmöglich!«, rief ich noch in den Hörer bevor sie auflegte. Ich schüttelte den Kopf. Ihre Gedanken schwirrten immer um einen Jungen. Ich parkte und stieg aus. Auf dem Campus saßen Lena und Ava zusammen auf einer roten Picknickdecke. Ich schulterte meine Schultasche und gesellte mich zu ihnen. Eine hauchdünne Tauschicht war im Schatten noch zu erkennen. Sie hatten allerlei Häppchen auf Tellern drapiert. »Ein Morgen Picknick?«, fragte ich. Ava strahlte mich an: »Setz dich zu uns. Wir haben genug für zehn.« »Gibt es etwas zu feiern?«, fragte ich neugierig. Lag heute irgendetwas in der Luft? Erst meine Mama und dann die zwei. »Heute ist der 21. Juni. Sommeranfang!«, riefen sie freudig im Chor. »Verstehe, ihr habt Sommergefühle«, sagte ich grinsend und setzte mich ebenfalls auf die Decke. Sie hatten einen richtig guten Platz erwischt. Wir saßen schön in der Sonne hatten aber auch einen Kirschenbaum als Schattenspender. »Dieser Tag kann einfach nur gut werden«, erklärte Lena und schob sich eine Erdbeere in den Mund. Auch ich nahm mir eine Weintraube. »Die sind ja himmlisch«, schwärmte ich. »Meine Mama hat die selbst gezüchtet. Den Marmorkuchen hab ich gemacht, probier mal«, prahlte Ava. Hinter Ava stellte Lena Verrenkungen an, die wohl bedeuten sollten, den Kuchen nicht zu essen. Warum das denn? Ich biss in ein Stück hinein, die Bäckerin schaute mich erwartungsvoll an: »Und?« Ich kaute auf dem Stück herum, dann kam mir ein bitterer Geschmack in den Mund, der von Salzgeschmack abgelöst wurde. Ich musste Husten. Ich konnte mir gerade noch verkneifen das Gesicht großartig zu verziehen. Der Kuchen war grauenhaft! Das konnte ich ihr aber unmöglich sagen. Was hatte sie da rein getan? War das da Tomate im Kuchen? »Sag schon, wie schmeckt er?«, drängte der Zwilling. »Es schmeckt interessant«, erklärte ich neutral. Lena prustete los und kugelte sich auf dem Boden vor Lachen. »Was ist daran so witzig?«, wollte Ava beleidigt wissen. »Was ist denn alles drinnen?«, versuchte ich sie abzulenken. Ihr Gesicht hellte sich zu einem vierzig Watt Lächeln auf. »Also … ich hab zuerst einen Grundteig gemacht, aus Öl, Mehl, Zucker, Eiern und Backpulver. Dann hab ich ihn verfeinert mit Kakao, Ingwer, einer Prise Salz, Limonen Saft, Lemongras und als Geheimzutat eine Chilichote«, zählte sie auf. Also keine Tomate sondern Chilli. »Das darfst du aber keinem weiter sagen«, beschwor sie mich. »Das würde ich auf keinen Fall machen«, erklärte ich feierlich. »Was wirst du auf keinen Fall machen?« Kevin tauchte hinter mir auf. »Sie …hihi …wird die geheime Zutat ….hahah.. vom weltbesten Kuchen ….hihih ….nicht verraten«, beantwortete Lena immer noch kichernd. »Willst du ein Stück?«, fragte Ava aufgeregt. Lena hinter ihr schüttelte den Kopf vehement. Kevins Augen wurden groß. »Ähhm…. Ich hab schon gefrühstückt, trotzdem danke!«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Warum isst keiner meinen Kuchen?«, fragte sich Ava grübelnd. »Biete doch Mr. Brand oder Miss. Winzler ein Stück an«, schlug Ballister Junior vor. Sie nickte. Als der Schulgong ertönte, packten die Mädchen ihre Sachen zusammen. Kevin und ich halfen ihnen, dann begaben wir uns in den Unterricht. »Du siehst ziemlich blass aus. Du hast von dem Kuchen gegessen, oder?«, vermutete er. »Ja, ich hätte wohl besser auf die Zeichen von Lena reagieren sollen.« »Oh ja. Ava ist wie eine Hexe, bei ihr kommt alles ins Essen«, erklärte er mir. Das entlockte mir ein Schmunzeln. »Wie eine Hexe sieht sie ja nicht gerade aus«, widersprach ich. »Sie ist halt eine moderne Hexe oder eine Giftmischerin«, sagte er. »Hexen haben etwas mit Magie zu tun, wir wollen uns aber der Physik zu wenden«, erklärte Mr. Dotterl unser Physik Lehrer. Er sperrte den Klassenraum auf und wartete mit dem eintreten, bis wir durch die Tür gegangen waren. Er sah aus wie ein verrückter Professor, Brille, Kittel und vom Kopf abstehende graue Haare. In seinem Unterricht war die Klasse meist unruhig, anders wie bei Mr. Honsales, unserem Spanisch Lehrer, den wir in der zweiten Stunde hatten. Er war Referendar und vielleicht sechs Jahre älter als wir. Er war schlank gebaut, hatte schwarzes Haar und war ein totaler Macho. Das schlimmste war, dass er mit den Mädchen während des Unterrichts flirtete und ihnen in den Ausschnitt starrte. Am Anfang des Schuljahres hatte ich mich in die erste Reihe gesetzt, um gut mitzukommen, da hatte ich noch nicht gewusst, dass wir so einen Referendar bekommen würden. Vanessa und andere Mädchen fanden ihn sehr attraktiv und kamen immer äußerst freizügig in seine Stunden. Das Problem war, dass er nach Verhalten und Aussehen die Noten gab. Jungs wurden in seinem System generell benachteiligt, schließlich hatten die keine Oberweite. Ich saß also in der ersten Reihe, weshalb ich mir meist eine Jacke mit Reißverschluss mit in den Unterricht nahm. Heute hatte ich allerdings vergessen, mir eine mitzunehmen. Doch zu meinem Glück zog Lochness die Augen der ganzen männlichen Schüler- und Lehrerschaft auf sich. Die Blondine hatte sich einen extrem kurzen Minirock, in creme, angezogen und dazu nur einen BH, der mit weißer Spitzte beklebt war. Um das noch zu toppen, trug sie weiß glitzernde High Heels. Wahrscheinlich wollte sie heute eine eins bekommen. »Miss Morani, Sie sind zu spät. Und wer zu spät kommt, wird ausgefragt«, erklärte Honsales sachlich. »Zuerst einmal dekliniere sagen. Dann schreibe bitte auf Spanisch: Es ist heiß. Gibt es hier irgendwo Wasser«, forderte er. Nachdem sie das getan hatte, ließ sie absichtlich die Kreide fallen. »Hups. Wie tollpatschig von mir.« Dann bückte sie sich nach unten, wobei Mr. Honsales ihr Hinterteil im Gesicht hatte, an dem der Rock fast gar nichts mehr überdeckte. »Nun, die letzten zwei Wörter. Schreiben sie bitte auf was Hund und fragen bedeutet«, stellte er die Aufgabe. »Das war eine ordentliche Ausfrage. Nun geben sie mir bitte die Kreide«, forderte er zum Schluss. Auch hier ließ sie den Stift fallen, doch dieses Mal bückte sich auch Honsales. Somit hatte er eine wahnsinnige Panoramasicht auf ihre Brüste. Die Beiden standen auf und Nessa setzte sich auf ihren Platz der sich (Wer hätte das gedacht?) in der vordersten Reihe befand. Das war echt gemein. Warum waren Tussis immer reich gesegnet? Und jeder, der für Mr. Honsales einen halben Stribtie hinlegte, bekam super Noten. So verzweifelt war ich glücklicherweise nicht. Ich besaß genügend Gehirnmasse um ihn zu überzeugen, wobei das auch nur daran lag, dass ich vom anderen Geschlecht war. Denn Ben, unser Streber, hatte in Spanisch nur schlechte Noten. Die Meisten von uns durften sich sogar bei Mr. Macho schminken. Das einzig Positive war, dass ich Mr. Honsales bei meinem Abschluss, also nächstes Jahr, nicht mehr haben konnte.

Kapitel 10
»Ich hasse dieses spanische Arschloch«, schimpfte Kevin nach der Stunde drauf los. Seit unserem ersten Date begleitete er mich fast überall hin. »Ich kann ihn auch nicht leiden«, stimmte ich in seine Tirade mit ein. »Er ist so ein Weiberheld, schlimmer noch als Matz«, ging es weiter. An der Tür zur Umkleide trennten wir uns. Eigentlich mochte ich Sport nicht besonders aber es war um einiges besser als Spanisch, schließlich hatten wir hier wenigstens eine Lehrerin. »So, zehn Runden um den Platz!«, begrüßte Mrs. Lammel uns, als wir auf den Sportplatz kamen. Sport hatten wir mit unserer Parallelklasse, in der ich zwei Freundinnen hatte. Doris und Claire. Doris war eine Afroamerikanerin mit langen schwarzen Haaren, in die sie meist lila Strähnen flocht. Claire war zierlich hatte einen Porzellanteint, blonde, gelockte Haare und tief dunkelblaue Augen. Wir liefen immer zusammen. »Was habt ihr bis jetzt schon gehabt?«, fragte ich die beiden, während wir langsam auf der Tartanbahn liefen. »Chemie und Englisch. Und du?« »Holla chikos«, äffte ich die Stimme von Honsales nach. »Du Arme«, bemitleideten sie mich. Sie hatten ihn selbst schon oft als Vertretung gehabt. »Schaut! Da kommen die Jungs!«, rief Doris entzückt. Kevins Blick wanderte über die Sportanlage und als er mich sah, winkte er mir zu. Überfordert mit dieser Situation winkte ich zurück. Claire stieß mich an: »Er scheint dich ja zu mögen.« »Ja, ich glaub auch.« »Seid ihr zusammen?«, bohrte sie weiter nach. »Keine Ahnung ….also irgendwas ist da schon zwischen uns aber was, das weiß ich leider auch nicht«, erklärte ich den beiden offen. »Ach, es ist so schrecklich! Warum haben wir nur einmal in der Woche Sport? Sonst wüssten mir viel mehr über dich und den Basketball Captain«, sagte Doris theatralisch. Ich schüttelte nur den Kopf. »Meine Damen, nur weil hier der männliche Teil trainiert, heißt das für sie nicht, dass sie sich nicht an meine Anweisungen halten«, stellte Mrs. Lammel in strengem Ton klar. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir langsamer geworden waren. Schnell nahmen wir unser ursprüngliches Tempo wieder auf. »Sitzt mein Make-up?«, hörte ich Vanessa hinter mir Stephanie fragen. Ich legte einen Sprint hin, um einen Abstand zwischen uns zu bringen. Meine Freundinnen folgten meinem Beispiel.
Nachdem wir uns warm gelaufen und uns gedehnt hatten, legten wir mit Volleyball los. Ich hasste es. Aber unsere Lehrerin pflegte immer zu sagen: Volleyball ist der einzige Sport, den Frauen und Männer gegeneinander spielen können, ohne das die Frau einen Nachteil hat. Wie dumm war das denn?
Ich war nicht gut in Volleyball. In meinem gesamt Notenbild hatte ich in Sport immer eine drei minus und auch nur, weil wir einmal gesprintet waren und eine Note auf Dauerlauf bekommen hatten. »Teilt euch in fünf Teams auf, dann spielt ihr gegeneinander. Ein Team setzt kurz aus«, befahl unsere Lehrerin. Wir gingen mit Nila, einer kleinen Chinesin und Julia in eine Mannschaft. Sie hatte kastanienbraunes Haar und braune Augen. Keiner von uns war ein großer Ballsport Fan. Mrs. Lammel verschwand kurzzeitig, um nur wenig später mit den Jungs wiederzukommen. »So Ladys, jetzt merkt ihr mal, dass es keine Diskriminierung im Volleyball gibt«, erklärte sie voller Überzeugung. Die meisten bei uns fingen an zu kichern. »So Jungs, ihr teilt euch auch in fünfer Gruppen auf. Dann sucht ihr euch bitte ein Mädchenteam als Gegner und spielt gleich los«, forderte sie auf. Natürlich gesellte sich Kevin mit seinen Kollegen zu uns. Bei ihm waren ein groß gewachsener, blonde Junge namens Collin, zwei Amerikaner mit afrikanischen Wurzeln und ein schwarzhaariger, den Claire James nannte. »Na Mädels, bereit zu verlieren?«, fragte Mike. »Wir werden euch fertig machen«, stellte Julia klar. Wir begaben uns auf die Positionen. Ich stand vorne rechts am Netz. Collin machte den Aufschlag. Claire nahm den Ball an, spielte ihn zu Nila, sie zu mir und ich unbeholfen übers Netz. Bei unseren Gegnern ging die erste Runde nicht so gut, James baggerte zu Mike und der pritschte zu Milo, doch der sah den Ball nicht kommen. »Leute, ihr könnt den Ball nicht zu mir werfen! Ich trage meine Brille doch nicht«, schimpfte der. Da wir rotierten machte Doris nun den Einwurf. Dieses Mal waren die Jungs besser. Sie schafften es sogar bis über das Netz, sie wussten bloß nicht, dass wir schon fast das halbe Jahr über Volleyball übten.

Kapitel 11
Als es um den finalen Schlag ging, machte ich von meiner Waffe Gebrauch. Kevin war es, der den Ball annehmen sollte. Ich stand wieder vorne am Netz und warf ihm eine Kusshand zu, die ihn so verwirrte, dass er den Volleyball nicht beachtete. »Juhu!!!!!«, kreischten Doris und Julia, »WIR haben gewonnen!!!« Ich musste grinsen. »Mann, was war das denn Kevin?«, wollten Collin und James wissen. »Wir wollen eine Wiederholung, ich wurde abgelenkt«, forderte Kevin empört. »Sorry, aber gewonnen ist gewonnen«, erklärte ich ihnen. Mrs. Lammel stieß einen Pfiff mit ihrer Trillerpfeife aus: »Der Unterricht ist beendet.« Die Jungs, die sich zusammengestellt hatten, schauten uns an. Dann rief Kevin: »RACHE!« Seine Mannschaft stürmte auf uns zu, warf uns über ihre Schultern und lief los. Wir versuchten uns zwar zu retten aber gegen Basketballer hatten wir keine Chance. Lachend zappelten wir. Johlend joggten sie mit uns als Last um den Platz. Nach einer Runde trugen sie uns bis zu den Kabinen, dort ließen sie Claire, Nila, Julia, Doris und mich herunter. »Wollt ihr uns nicht noch herein bitten?«, fragte Collin unschuldig. »Auf gar keinen Fall!«, riefen wir. »Vielleicht wenigstens ein Abschieds Küsschen?« »Wir sehen uns doch gleich wieder«, hielt ich dagegen. »Ein Dankeschönskuss, weil wir euch bis zur Tür geleitet haben?«, versuchte er es weiter. »Dagegen fällt mir keine Erwiderung ein«, erklärte Claire. Sie ging auf Collin zu und gab ihm einen Kuss, weil er sie getragen hatte. Doris wurde von Mike, Nila von Milo, Julia von James getragen. Mich hatte (natürlich) Kevin über die Schulter geworfen, weshalb ich ihm einen Schmatzer auf den Mund gab. Doch er wandelte ihn in einen richtigen Kuss um. Seine Zunge öffnete meine Lippen und er erkundete meinen Mund. »Oh ho! Bei euch geht’s gleich richtig ab«, witzelte Mike. Langsam löste Kevin sich von meinen Lippen. Mir schoss die Röte ins Gesicht. »So, danke und tschüss«, sagte Claire und schob mich in die Umkleide. Außer uns fünf waren keine mehr hier, schließlich hatten wir viel Zeit mit unseren Gegnern vergeudet. »Also, wie keine Ahnung was zwischen uns ist, sah das aber nicht aus«, stellte Doris fest. »ER scheint dich jedenfalls sehr zu mögen, wenn er dich in der Öffentlichkeit küsst«, stimmte Claire zu. »Okay, wie wäre es mit Themenwechsel? ….. Wie gut küsst zum Beispiel Collin, der stammt schließlich auch nicht von schlechten Eltern«, versuchte ich die anderen abzulenken. Es war zwar schon ein interessantes Thema über Jungs zu reden aber ich machte das lieber mit meiner besten Freundin, auch wenn sie nicht live vor Ort war. Liss hatte die besten Tipps, obwohl sie noch keinen einzigen Freund gehabt hatte. »Er kann es schon recht gut, auf einer Skala bekommt er acht Punkte«, erklärte sie ganz selbstsicher. »Du hast doch nicht mal einen Vergleich … und nein, dein Freund aus Grundschuljahren zählt nicht«, mischte sich Doris ein. »Es war trotzdem gut«, hatte Claire das Schlusswort. Ich zog meine knielange Nike Hose aus und wechselte auch mein blaues Sport-Shirt. Dann zog ich mir meine schwarzen Sandaletten an. Ich konnte mich unmöglich in der Pause zu Kevin setzen. Waren wir jetzt zusammen oder nicht? Aber das Schlimmere war ja, wollte ich überhaupt einen Freund? Wir gingen geschlossen in den Pausenpark vor der Mensa. Julia setzte sich auf eine Bank und reckte das Gesicht der Sonne entgegen. Ich tat es ihr gleich. Eine leichte Brise ließ mein Haar sachte durch die Luft wehen. Da wir Sportpause hatten, waren außer meiner Klasse und der von Doris, niemand hier. Und da das Lochnessmonster keine Sonne vertrug, saß sie mit ihrer Gefolgschaft im Inneren der Schule und konnte uns nicht nerven. Auf der Wiese blühten vereinzelt Gänseblümchen und lila Blumen. Wenn man jetzt leise war konnte man nicht nur Vögel zwitschern, sondern auch Bienen summen hören. Ich packte meine Brotzeit aus, die mir Katy heute gemacht hatte. Ein geschnittener Apfel und Cookies waren in der Box. Sofort ging es los: »Bekomme ich einen?«, »Darf ich auch einen haben, bitte?« »Okay, jeder bekommt einen«, erklärte ich gutmütig. Ich schaute mich zwar die ganze Zeit nach einer bestimmten Person um, doch die war nicht zu sehen. »Wenn du die erbärmlichen Basketballer suchst, die trainieren, obwohl sie das gar nicht brauchen, denn sie verlieren sowieso«, meinte ein Kumpel von Matz überheblich. »Hat dir dein Herrchen überhaupt erlaubt, raus zu gehen? Sollen wir ihn zurück bringen? Wir müssen Matz beibringen seine Schoßhündchen anzuleinen, sonst landen sie noch im Zwinger«, erwiderte ich, beim letzten Teil wandte ich mich an meine Volleyball-Mannschaft. Verdutzt starrte mich David an. »Kusch, Kusch, Hündchen!! Wir können grad echt nicht mit dir Gassi gehen«, verscheuchte Claire ihn. »Ich bin kein Hund! Außerdem trifft sich Kevin mit Melanie. Kann man auch verstehen. Du, Jessica, und deine Freunde, will man ja nicht mal geschenkt«, fing er an zu sticheln. Nila reichte mir, hämisch lächelnd, einen Tennisball. Ich drehte mich zu meinen Kameradinnen um, alle nickten und Doris machte sogar das Daumenhoch Zeichen. »Mal sehen ob du ein begabter Hund bist. Achtung, ich werfe«, warnte ich ihn noch. Ich täuschte einen Wurf von oben an, warf ihn aber dann nach unten……. und landete einen Treffer direkt in die Kronjuwelen. David schrie auf, sackte dann zusammen und rollte sich zu einem Häufchen zusammen. Hinter mir hörte ich Kichern. »Ein erbärmlicher Hund bist du, vielleicht hast du recht. Du bist kein Hund, du bist ein Loser«, sagte ich zuckersüß »Ach, so spät! Wir müssen los, der Unterricht beginnt gleich«, mit diesen Worten drehte ich mich um, stapfte ins Schulhaus und ließ ihn fluchend zurück. Julia klopfte mir anerkennend auf die Schulter: »Das hast du super gemacht!« »Ja, dem hast du es gezeigt! Wir müssen allerdings in die andere Richtung, wir haben Doppelstunde Mathe«, verabschiedete sich Doris. Zum Abschied umarmte mich jede der vier. Dann ging ich in den dritten Stock, in dem sich das Latein Klassenzimmer befand. Passend zum Gong trafen auch Kevin und Lena ein. Ich saß in der dritten Reihe, Lena neben mir und Kevin zwei Tische weiter hinten. »Salve discipuli!«,begrüßte uns Miss Mc Kell. Heute trug sie einen schwarzen Rock und eine seidig grüne Bluse. Ihre kupferfarbenen Haare hatte sie zu einem Dutt zusammen gebunden. »So, ich gebe euch das Extemporale heute schon heraus. Der Schnitt war 3, 75. Manche von euch müssen das Thema dringend wiederholen. Doch bevor ihr es bekommt kontrollieren wir es noch gemeinsam«, gab sie ihren Plan für heute bekannt. Bei der Verbesserung fand ich natürlich wieder Fehler. Zuerst hatte ich gedacht es könnte eine gute Note werden, doch jetzt war ich mir nicht mehr sicher. Nach dem Korrigieren teilte sie die Blätter aus. Mein Puls beschleunigte sich. In meinem Magen bildete sich ein Knoten. Unruhig wippte ich mit meinem Stuhl. Es waren schon die ersten enttäuschten Gesichter zu erkennen. Langsam schritt sie in meine Richtung, mein Herz hämmerte noch lauter. Sie legte das Blatt verkehrt herum auf meinen Tisch. Ich drehte es um ……und ein Stein viel mir vom Herzen. Eine zwei Plus! Ich schielte zu Kevin herüber. Er zog eine Grimasse. Das Leuten der Glocke erlöste uns. Alle stürmten aus dem Raum. »Was für eine Note hast du?«, fragte er mich auf dem Weg zum nächsten Unterricht. Wir liefen den mint gestrichenen Gang entlang bis zum Treppenhaus, von dort aus begaben wir uns ins Erdgeschoss. »Eine zwei. Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war es bei dir nicht so gut?«, tastete ich mich vorsichtig heran. »Ach, eine vier, hätte besser laufen können aber so schlecht ist das nicht«, erklärte er trocken. »Also muss ich dir dieses Jahr Nachhilfe in Latein geben? Die ersten zwei Stunden gibt es sogar kostenlos«, machte ich ihm ein Angebot, bei dem er lachen musste. »Liebend gern bin ich wieder dein Schüler«, erklärte er mir freudig. In der letzten Stunde hatten wir Technologie. Auch hier setze sich der Basketball Captain neben mich. Normalerweise wäre es mir egal gewesen aber heute war ich nicht begeistert. Wir mussten eine Präsentation über ein Sommerprojekt machen.






