- -
- 100%
- +
Konkrete Beispiele, die freilich keinerlei Anspruch auf die ohnehin unmögliche vollständige Erfassung der jeweiligen Quelle erheben, veranschaulichen im Folgenden die einzelnen Arbeitsschritte. Sie beziehen sich in diesem Buch vorwiegend auf den Ersten Weltkrieg: ein intensiv erforschtes Geschehen, das unsere Welt und unsere Weltauffassung bis heute formt, das deshalb auch bis in unsere Gegenwart hinein immer wieder zu großen Debatten führt, unter Historikern wie in der Gesellschaft,15 das sich multiperspektivisch und weit jenseits der eigentlichen Kriegshandlungen untersuchen lässt – und ein Geschehen, an dem besonders deutlich wird, inwiefern Historiker sich in die Wahrnehmung der Zeitgenossen hineinversetzen müssen. Selbst Fotografien aus dem Krieg waren keine Abbilder, sondern auf ihre Weise jeweils Simulationen und Stimulationen der Wirklichkeit; wer historisch arbeitet, befasst sich nicht allein, aber eben auch mit vergangenen Bedeutungszuweisungen, wie sie etwa auf einer Feldpostkarte mit der Motivbeschriftung „Mittagspause im Feindesland“ erfolgte (siehe S. 143).
Bei allen Aha-Erlebnissen, die sich aus den Beispielen ergeben mögen, gilt: Historisch Arbeiten geschieht in der Manufaktur, nicht am Fließband. 08/15 ist eine höchst ungeistige Angelegenheit – und als Metapher übrigens ein Beleg für die anhaltende Bedeutung des Ersten Weltkriegs: 08/15 war ursprünglich nur die Bezeichnung eines deutschen Maschinengewehres, ist aber zur Chiffre für die im Krieg forcierte Standardisierung geworden.16 Auch deshalb lädt dieses Buch zu verschiedenen Lektüren ein. Die Lektüre primär anhand der typographisch abgesetzten Beispiele (vor allem im Abschnitt „Lesen & Denken“) ist eine unter mehreren Möglichkeiten. Wer mag, kann umgekehrt vorgehen und auf die konkreten Beispiele gerade verzichten – um sich an den etwas abstrakter gefassten Regeln zu orientieren. Wer sich einen ersten Überblick verschaffen möchte oder bereits intensive eigene Erfahrungen erworben hat, mag wiederum nur einzelne Teile des gesamten Buches ausführlich studieren und seine Lektüre auf die Rubrik Kurzum konzentrieren wollen, oder sich von fett gedrucktem Merksatz zu fett gedrucktem Merksatz hangeln. Wer hingegen ganz am Anfang des Studiums (oder vielleicht auch einer Hausarbeit in der Schule) steht, dürfte von einer geschlossenen Lektüre des Buches von der ersten bis zur letzten Seite besonders profitieren: Es soll als genereller Ratgeber ebenso dienen wie als konkreter Begleiter für die einzelnen Arbeitsschritte. Ein Anhang mit diversen Checklisten, die auch unabhängig von der weiteren Lektüre zur Anwendung kommen können, soll eine Selbst-Überprüfung ermöglichen; dieser Anhang umfasst zudem Reflexionen zu den diversen Vertiefungs-Übungen, die am Ende der einzelnen Buchkapitel stehen.
Suchen und Finden, Lesen und Denken, Schreiben und Reden sind die tragenden Elemente des Historisch Arbeitens. Sie ruhen auf dem Fundament der Formalia. So wie die nebenstehende Abbildung ist auch dieses Buch insgesamt notwendigerweise idealtypisch angelegt. Es beschreibt das Wesen des Historisch Arbeitens und bildet es auf einen idealen und zugleich einen typischen Verlauf eigener Studien ab. Die drei Elemente Suchen und Finden, Lesen und Denken sowie Schreiben und Reden stellen drei Arbeitsphasen dar – die sich in der Theorie gut scheiden lassen, in der Praxis allerdings zeitlich wie gedanklich überlagern. Die Recherche, die hier am Anfang dargestellt ist, begleitet selbstverständlich den gesamten Arbeitsablauf; gelesen und gedacht werden muss bereits beim Suchen und Finden. Während des Schreibens, ja selbst beim Reden wiederum findet immer ein Denkprozess statt, der bisweilen zu neuen Rechercheaufträgen führt. Das geschieht nicht, weil man es sich vornimmt, sondern ist eine List der Vernunft, gegen die sich niemand schützen kann: glücklicherweise!

Abb. 1: Elemente des Historisch Arbeitens
Daraus geht hervor, was das vorliegende Buch nicht darstellen kann: eine Patentlösung für alle denkbaren Fälle des Historisch Arbeitens oder für die Analyse einzelner Quellen. Jeder Handwerker hat seine eigenen Fertigkeiten, individuell angeeignet aus allgemeinen Anleitungen; er passt seinen Werkzeugkasten stets an seine Erkenntnisbedürfnisse und die Beschaffenheit seines Materials an, nutzt seine eigenen Methoden, seine eigenen Kniffe, seine eigenen Techniken der Selbstüberlistung. Zu jeder Fragestellung und Darstellung gehört immer auch die Persönlichkeit des Fragenden beziehungsweise Darstellenden. Deshalb versteht sich dieses Buch vornehmlich als erfahrungsgesättigte und systematisierte Sammlung von Hinweisen, worauf es beim Historisch Arbeiten ankommt.
Kurzum
Historisch Arbeiten macht Lust: zunächst einmal Ihnen selbst, dann aber Ihrem Publikum – konkret etwa durch einen neugierig stimmenden Titel, durch eine anregende (gerne auch kontroverse) These, durch eine transparente Gliederung Ihrer Darstellung, nicht zuletzt durch eine schöne sprachliche Ausgestaltung.
1Auch den großen Meister macht die Übung, wie etwa die folgende Sammlung von Schreiberfahrungen prominenter Gelehrter lehrt: Narr, Wolf-Dieter/Stary, Joachim (Hg.): Lust und Last des Wissenschaftlichen Schreibens. Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer geben Studierenden Tips, Frankfurt am Main 22000.
2Darunter wären etwa zu empfehlen: Jordan, Stefan: Einführung in das Geschichtsstudium, Stuttgart 2005; Freytag, Nils/Piereth, Wolfgang: Kursbuch Geschichte. Tipps und Regeln für wissenschaftliches Arbeiten, Paderborn 52011. Mit Blick auf das Internet: Danker, Uwe/Schwabe, Astrid: Geschichte im Internet, Stuttgart 2017.
3Daran orientieren sich auch empfehlenswerte praxisnahe Einführungsdarstellungen wie: Blum, Hartmut/Wolters, Reinhard: Alte Geschichte studieren, Konstanz 22011; Hartmann, Martina: Mittelalterliche Geschichte studieren, Konstanz 2004; Emich, Birgit: Geschichte der Frühen Neuzeit studieren, Konstanz 2006; Wolbring, Barbara: Neuere Geschichte studieren, Konstanz 2006.
4Details etwa bei: Jordan, Stefan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 32015; Cornelißen, Christoph (Hg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, Frankfurt am Main 42000.
5Brandt, Ahasver von: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, Stuttgart 182012.
6Jannidis, Fotis/Kohle, Hubertus/Rehbein, Malte (Hg.): Digital Humanities. Eine Einführung, Stuttgart 2017.
7Orientierung stiften etwa: Eibach, Joachim/Lottes, Günter (Hg.): Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, Göttingen 22011; Goertz, Hans-Jürgen (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 32007.
8Baberowski, Jörg: Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault, München 2005. Einen Überblick anhand von Quellentexten ermöglichen: Hardtwig, Wolfgang (Hg.): Über das Studium der Geschichte, München 1990; Rau, Susanne/Studt, Birgit (Hg.): Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiographie (ca. 1350–1750), Berlin 2010.
9Tac. Ann. I 1.
10Jaeger, Friedrich/Rüsen, Jörn: Geschichte des Historismus. Eine Einführung, München 1992; Nordalm, Jens (Hg.): Historismus im 19. Jahrhundert. Geschichtsschreibung von Niebuhr bis Meinecke, Stuttgart 2006.
11So besagt das vielzitierte Fragment: Schlegel, Friedrich: Athenaeum, Band 1 (1798), Zweytes Stück, S. 20.
12Ranke, Leopold von: Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514, Leipzig/Berlin 1824, S. Vf.
13Oder in Humboldts Formulierung: Der Historiker sucht nach „Ideen, die, ihrer Natur nach, ausser dem Kreise der Endlichkeit liegen, aber die Weltgeschichte in allen ihren Theilen durchwalten und beherrschen“: Humboldt, Wilhelm von: Über die Aufgabe des Geschichtschreibers, in: Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden, Band 1: Schriften zur Anthropologie und Geschichte, hg. v. Andreas Flitner/Klaus Giel, Darmstadt 1960, S. 585–606, hier: S. 601.
14Dazu unübertroffen und auch im Digitalzeitalter unverändert gültig: Eco, Umberto: Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Doktor-, Diplom- und Magisterarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften, Heidelberg 122007.
15Wie etwa im Falle von: Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013 – zur kontroversen Rezeption exemplarisch: Winkler, Heinrich August: Und erlöse uns von der Kriegsschuld, in: Die Zeit, 31. Juli 2014, S. 14.
16Die bis heute bestehenden DIN-Normen gehen auf den im Jahre 1917 gegründeten Normenausschuß für den Maschinenbau zurück: Berz, Peter: 08/15. Ein Standard des 20. Jahrhunderts, München 2001, S. 73–76.
Suchen & Finden
Die Materialrecherche ist die Voraussetzung für ein gutes und erfolgreiches Studium, mithin auch die Kernkompetenz für gelungene Hausarbeiten sowie alle anderen Genres. Zum einen weisen Sie mit der eigenständigen Recherche eine wesentliche Befähigung zur Wissenschaft nach. Zum anderen entscheidet die Qualität Ihres Materials über die Qualität Ihrer Arbeit – also auch über deren Benotung. In der Regel erhalten Sie von Ihrem Hochschullehrer zwar bereits Hinweise auf wichtige Werke, die Sie aber keineswegs von der Pflicht zur eigenständigen, vertieften Suche entbinden.
Am Anfang einer wissenschaftlichen Arbeit stehen das Interesse für ein bestimmtes Thema und die Entwicklung einer provisorischen Fragestellung. Darauf folgt die Recherche des Materials, also der Quellen und Literatur – rasche Rückwirkungen auf die Definition Ihres Themas eingeschlossen. Auch wenn wir im Folgenden Quellen- und Literaturrecherche separat vorstellen, gehen in der Praxis beide Formen meist Hand in Hand.

Abb. 2: Der Einstieg in die Arbeit
1. Recherchestrategien
Bei allen Themen lohnt es sich, verschiedene Strategien für die Suche in Bibliothekskatalogen und Datenbanken anzuwenden. Das heißt zum Beispiel, freie Suche, Schlagwortsuche, Suche nach Erscheinungsdatum und anderes zu kombinieren. Außerdem lohnt es sich stets, die Suchworte etwa auch in englischer und französischer Schreibweise einzugeben. Erstens ist gerade bei älteren Datensätzen die Verschlagwortung bisweilen suboptimal, so dass Sie einschlägige Titel verfehlen könnten. Zweitens sollten Sie grundsätzlich fremdsprachige Literatur in die Recherche einbeziehen, denn Wissenschaft darf nicht an Sprachgrenzen enden. Häufig sind nur kleinere Änderungen nötig, bisweilen unterscheiden sich die Begrifflichkeiten deutlich: Der „Delisch-attische Seebund“ heißt im Englischen „Delian League“, die „Dunklen Jahrhunderte“ der Bronzezeit sind indes von den „Dark Ages“ des Mediävisten zu unterscheiden – und der „Erste Weltkrieg“ wird als „Great War“ bezeichnet.
Mit zunehmender Erfahrung werden Sie Ihre Suchstrategien und dadurch Ihre Ergebnisse verbessern. Wie Sie Ihre Recherchefähigkeiten erhöhen und die Angebote der Kataloge über die triviale Titelstichwortsuche hinaus besser nutzen, müssen Sie selbst ausprobieren. Dabei helfen Ihnen Einführungskurse, die es an den meisten Universitätsbibliotheken gibt, Online-Hilfen etwa bei den Verbundkatalogen und eigene Bücher.17
2. Ad fontes! – Wege zu den Quellen
Quellen stellen die Basis jedweder historischen Arbeit dar. Entsprechend bedeutsam ist die Suche nach geeigneten Quellen – ob Sie nun für eine konkrete Fragestellung einschlägige Quellen suchen oder Quellenbestände auf der Suche nach lohnenden Fragestellungen systematisch durchforsten. Die Wege zu den Quellen sind so vielfältig wie die Quellen selbst.
2.1 Quellenformen
Quellen können in verschiedenen Formen vorliegen – im Original oder vervielfältigt, gegenständlich, gedruckt, digital. Für die Quellenrecherche ist zunächst die Trennung zwischen edierten und unedierten Quellen bedeutsam. Unedierte Quellen liegen gewissermaßen in Rohform vor, im Originalzustand oder was im Laufe der Zeit davon übrigblieb. Das können Originalschriftquellen sein, Bilder oder materielle Quellen (Orden, Kleidung, Denkmäler oder Ruinen und vieles andere mehr), auch immaterielle Quellen (wie Sitten, Gebräuche, mündlich tradierte Erzählungen). Manche Quellen werden in Museen und Archiven aufbewahrt, andere auch auf dem Dachboden Ihrer Großeltern oder (im Falle von Bauwerken und Monumenten) in aller Öffentlichkeit, andere stecken wortwörtlich in den Menschen: Sagen, Volkslieder, Manieren und mehr.
Edierte Quellen – zumeist Schrift- oder Bildquellen, aber auch materielle Zeugnisse – stellen eine nach wissenschaftlichen Kriterien aufbereitete Form von Quellen dar, ob gedruckt oder digital. Erst die Edition macht die Originale einem breiteren Nutzerkreis zugänglich. Außerdem vermittelt sie wichtige zusätzliche Informationen über Zustand, Überlieferungswege (Fundkontext bei archäologischen Zeugnissen, handschriftliche Überlieferung bei Texten) und dergleichen. Bei vielen schriftlichen Quellen beginnt die Edition mit Entzifferungsarbeit, etwa bei antiken Papyri oder mittelalterlichen Handschriften. Doch selbst neuzeitliche Schriftquellen wie eine Feldpostkarte müssen zunächst im Wortsinne genau gelesen und entschlüsselt werden. Quelleneditionen sind Produkte historisch-kritischer Forschung und daher nicht identisch mit der Originalquelle. Gute Editionen zeichnen den Weg vom Original zur Edition nach.
Je nach Quellentypus und Quellengattung unterscheidet sich die Gestaltung der Editionen. Bei Bildquellen besteht sie zumeist aus einer gedruckten oder digitalen Reproduktion, kombiniert mit ergänzendem Textkommentar, dessen Umfang sehr unterschiedlich ausfallen kann. Bei gegenständlichen Quellen ist eine genaue Beschreibung des Objektes sowie der Fund- und Überlieferungsumstände angefügt (insbesondere bei Quellen, die durch archäologische Grabungen zutage gefördert wurden).
Schriftquellen werden wissenschaftlich durch sogenannte kritische Editionen erschlossen, in denen in der Regel ein kritischer Apparat erläutert, wie die Original-Quelle in gedruckte Form gebracht wurde – angefangen mit der Definition, was denn das „Original“ sei. Bei einer mittelalterlichen Urkunde aus dem Archiv scheint die Frage noch leicht beantwortbar (wenngleich deren Echtheit und die mögliche Existenz weiterer handschriftlicher Exemplare auch hier zu prüfen sind). Doch welches ist das „Original“ eines geläufigen Quellentextes wie Caesars Bericht über den Gallischen Krieg? Die Antwort lautet in diesem Fall schlicht: keines! Das Original-Manuskript, das Caesar seinen Schreibern diktierte, ist unwiederbringlich verloren. Wir besitzen lediglich Abschriften aus späterer Zeit, die durch einen jahrhundertelangen Abschreibeprozess auf uns gekommen sind; in diesem Beispiel datieren die ältesten Handschriften, deren gemeinsame spätantike Vorlage nicht mehr erhalten ist, aus dem 9. Jahrhundert. Der Text von Caesars Commentarii, den Sie möglicherweise im Lateinunterricht in Buchform vorliegen hatten, resultiert aus Versuchen, den wenigstens teilweise entstellten – sei es durch Abschreibfehler, sei es durch aktive „Korrekturen“ – „Originaltext“ auf Basis viel jüngerer Handschriften zu rekonstruieren. Über diese Versuche legen in wissenschaftlichen Editionen die kritischen Apparate Rechenschaft ab, indem sie verschiedene Lesarten wiedergeben und bewerten: bei Caesars Commentarii wie bei sämtlichen anderen antiken literarischen Texten.
Doch nicht nur antike Quellen oder mittelalterliche Urkunden bedürfen einer solchen Edition, um über einen engen Kreis von Spezialisten hinaus für Historisch Arbeiten benutzbar zu werden. Selbst moderne, gedruckte Quellen haben eine mitunter komplexe Entstehungsgeschichte: so beispielsweise Ernst Jüngers Beststeller „In Stahlgewittern“ – die mehrfach überarbeiten Kriegstagebücher des Autors aus dem Ersten Weltkrieg, bei denen sich die Auflagen erheblich voneinander unterscheiden. Kritische Ausgaben versetzen Sie also in die Lage, selbst ad fontes zu gehen, ohne das jeweilige Original selbst in der Hand zu haben.
Kurzum
Benutzen Sie – wo immer möglich – eine solide, wissenschaftliche Quellenedition!
2.2 Archive: Schatzkammern des Historikers
Wer die Maxime „ad fontes!“ ernst nimmt, findet auch den Weg ins Archiv. Archive sind die Schatzkammern der Quellenarbeit. Quellen aus Archiven sind zwar nicht „besser“ oder „schlechter“ als Quellen aus Editionen, die ihrerseits wiederum meist aus Archivbeständen erarbeitet werden – aber weitaus weniger genutzt: Hier besteht die Chance zu echten Pioniertaten. In Archiven können Sie Quellen entdecken, an denen bislang kaum jemand oder vielleicht noch niemand gearbeitet hat. Nutzen Sie die Gelegenheiten, die Ihnen Archive in der Umgebung bieten – fast immer sogar unentgeltlich!
Woher weiß man, welches Archiv für die eigenen Studien relevant ist? Erste Hinweise geben Quelleneditionen oder Fachliteratur: Sie weisen die Herkunft ihrer Quellen nach. Am Fundort können Sie oft ähnliche oder weitere Quellen finden. Einen zentralen Katalog für die Bestände aller Archive gibt es freilich nicht, auch keine Datenbank, die alle Archivalien erfasste – aber doch Portale, die diesem Zwecke für einzelne Länder oder Themen zumindest nahekommen: darunter der Kalliope-Verbund für Nachlässe und Autographen (http://kalliope-verbund.info) oder das Archivportal-D (https://www.archivportal-d.de). Größere Archive, insbesondere das Bundesarchiv (http://www.bundesarchiv.de) und die Archive der Bundesländer, ermöglichen oft online eine erste Bestandsübersicht; kleinere Archive können diese Aufgabe selten leisten, haben aber oft faszinierende Bestände.
Am Anfang steht die Überlegung, welche Quellen in welcher Art von Archiven am ehesten erhalten sein könnten. Viele Faktoren sind dabei zu beachten: der erwartete Inhalt der Quelle, die erwartete Art der Quelle, nach der Sie suchen, ihre Provenienz (Herkunft), das Schicksal ihrer Überlieferung – etwa Beute-Archivalien aus Kriegszeiten. Quellen, die unmittelbar mit dem Staat verbunden sind, finden Sie naturgemäß am ehesten in staatlichen Archiven, Quellen über unternehmerische Aktivitäten in Unternehmensarchiven, Taufregister und Vergleichbares in kirchlichen Archiven. Einen Überblick über die wichtigsten Archive und einen ersten Einblick in die Archivkunde erhalten Sie andernorts leicht.18 In Deutschland bestehen unter anderem folgende Arten von wichtigen Archiven:










Die Benutzung der Archive ist in Benutzungsordnungen geregelt. Machen Sie sich damit am besten vertraut, ehe Sie eine weite Reise zum Archiv antreten: Zum Beispiel gibt es oftmals feste Bestellzeiten für die Lesesäle und andere Regularien. Sie sind für Ihre Recherchen ebenso wichtig wie generelle Regeln. Staatliche (und manche kirchlichen) Archive unterscheiden sich prinzipiell von privaten. Letztere dürfen willkürlich selbst entscheiden, wem sie welche Quellen vorlegen, und bestimmen selbst über die Bedingungen der Benutzung und Verwertung; vielfach müssen Sie zunächst Ihr Forschungsinteresse benennen, ehe Sie Zugang bekommen oder eben auch nicht. Anderes verhält es sich bei ersteren: Hier haben Sie als Staatsbürger einen Rechtsanspruch auf Einsicht in Archivalien, der seine Grenzen nur in gesetzlich genau fixierten Einschränkungen findet – wie insbesondere dem Schutz der Privatsphäre (ein großes Streitthema etwa bei der Nutzung der „Stasi-Unterlagen“, von denen manche gar nicht oder nur teilweise geschwärzt zugänglich sind) und Sperrfristen (meist 30 Jahre, in manchen Fällen auch länger, potentiell ewig, so laut Bundesarchivgesetz dann, wenn „das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde“19).
Übrigens verfügen viele Archive auch über mehr oder weniger umfangreiche Bibliotheken, die zu den jeweiligen Beständen passen: Nutzen Sie auch diese Möglichkeiten! Und vor allem: Nehmen Sie vorab Kontakt zu den Experten auf – die jeweiligen Archivare freuen sich über die Zusammenarbeit mit Archivbenutzern und kennen die Bestände selbst meist so gut, dass sie oft geradezu sprechende Findbücher sind. Sie geben Ihnen wertvolle Tips für Ihre Recherche. Zuvor sollten Sie sich freilich mit der Bestände-Übersicht befassen und, falls verfügbar, mit den einschlägigen Findmitteln: Repertorien oder Findbücher verzeichnen die Bestände eines Archives und erfassen sie bisweilen bereits so feingliedrig, dass Sie vorab gezielt bestimmte Bestände (mit entsprechenden Signaturen erfasst) zur Einsicht vor Ort im Archiv bestellen können.
Für die Suche nach Nachlässen bestimmter Personen eignen sich etwa der Kalliope Verbundkatalog (http://kalliope-verbund.info) oder die Nachlassdatenbank des Bundesarchives (http://www.nachlassdatenbank.de). Wenn Sie beispielsweise mehr über die Entstehung des „Aufrufs an die Kulturwelt“ (siehe S. 142) erfahren wollen, könnten Sie nach Nachlässen der Unterzeichner suchen. Dazu zählte auch der renommierte Archäologe Wilhelm Dörpfeld, dessen Unterlagen teilweise im Wuppertaler Stadtarchiv aufbewahrt werden.20
2.3 Digitale Sammlungen und Editionen
Internet und Digitalisierung haben die Suche nach Quellen einerseits erleichtert. Andererseits verliert man in der schieren Unübersichtlichkeit der Angebote leicht den Überblick. Insbesondere in der scheinbar mühelosen Verfügbarkeit liegen Gefahren. So verführerisch es ist, eine Suchanfrage bei Google abzuschicken und dem erstbesten Treffer zu folgen, so groß ist auch die Gefahr, aufs Glatteis zu geraten.