Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache

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3.3.4 Artikelaufbau
Die MakrostrukturMakrostruktur von WikipediaartikelnWikipediaartikel ist zum Teil durch die Wikitechnologie vorgegeben (cf. Pentzold/Fraas/Meier 2013: 96), weswegen Artikel unterschiedlicher Sprachversionen einen zunächst homogenen Eindruck erwecken. Die Wikifunktionalitäten bleiben in jeder Sprachversion gleich, die Schaltflächen werden jedoch in der jeweiligen Sprache der Version betitelt. So kann im Browser die Artikelansicht (fr. article, it. voce) im LesemodusLesemodus (fr. lire, it. leggi) gewählt werden, womit der Enzyklopädieartikel für die einfache Rezeption dargestellt wird. Wird dagegen der BearbeitungsmodusBearbeitungsmodus gewählt (fr. modifier, it. modifica), so kann der Artikel in einem visuellen Editor bearbeitet werden. Mithilfe des Modus Quelltext anzeigen (fr. modifier le code, it. modifica wikitesto) ist es möglich, die Bearbeitungen in Wikicode vorzunehmen. Zusätzlich lässt sich die VersionsgeschichteVersionsgeschichte zum Artikel (fr. voir l’historique, it. cronologia) anzeigen. Diese enthält sämtliche vorherige Versionen, wobei für eine Version jeweils das Abänderungsdatum, das Pseudonym des Nutzers, ein Link auf dessen persönliche DiskussionsseiteDiskussionsseite und dessen Abänderungen, die Größe der Änderung in Oktetten, und manchmal ein kleiner Kommentar angezeigt werden. Zudem ist der automatische Vergleich zweier Versionen möglich. Mithilfe weiterer Programme können Artikelstatistiken generiert werden. Verknüpft mit der Artikelseite ist die zugehörige DiskussionsseiteDiskussionsseite (fr. discussion, it. discussione). Da Form und Inhalt der Artikel auf der DiskussionsseiteDiskussionsseite verhandelt werden, spricht Herring (2013: 5) von einer Text-Text-KonvergenzText-Text-Konvergenz, die sich auch in anderen Web 2.0Web 2.0-Anwendungen, wie etwa Kommentaren zu Zeitungsartikeln, zeigt. Auch die DiskussionsseiteDiskussionsseite lässt sich wiederum in den genannten Modi darstellen. Die Darstellbarkeit des Artikels im Lese- und BearbeitungsmodusBearbeitungsmodus sowie die Verknüpfung mit der DiskussionsseiteDiskussionsseite und der VersionsgeschichteVersionsgeschichte haben zur Folge, dass ein Enzyklopädieartikel nicht nur als Produkt rezipierbar ist, sondern dass auch dessen Entstehungsprozess nachvollzogen werden kann:
Wikis lenken die Aufmerksamkeit nicht nur auf das sich wandelnde Textprodukt, sondern auch auf den Entstehungsprozess, da eine Verschränkung von fließendem Textprodukt, von Diskussionsseiten und einer mehrstufigen Versionsverwaltung Einblicke in die Textentstehung sowie deren Dokumentation erlaubt (Endres 2016: 39).
Obwohl in der vorliegenden Studie der Fokus auf die Artikelansicht gelegt wird, stellt sich die Frage, ob sich diese in Wikipedia überhaupt als eigenständiger Text abgrenzen lässt, oder ob ein WikipediaartikelWikipediaartikel nicht vielmehr aus einem ganzen Geflecht von Texten zusammengesetzt ist, das die Artikelansicht, die DiskussionsseiteDiskussionsseite und die VersionsgeschichteVersionsgeschichte umfasst (cf. Endres 2016: 40; Gredel 2017: 102). Neben den verschiedenen Darstellungs- und Bearbeitungsmöglichkeiten ist der Artikel über Suchfunktionen auffindbar, welche die hypertextuelle Vernetzung der Artikel vor Augen führen und die zumeist alphabetische MakrostrukturMakrostruktur traditioneller Enzyklopädien weit übertreffen. In Wikipedia existieren ein alphabetischer Zugriff, eine Suche nach Schlagwörtern und ein thematischer Zugriff. Ein weiterer Effekt des Wikisystems ist die Vielzahl von Links zu anderen Wikipediaartikeln, zu detaillierteren Artikeln, externen Quellen oder Seiten der Wikipediagemeinschaft. Die Mindestanforderung an einen WikipediaartikelWikipediaartikel besteht in einem StichwortStichwort und einem Link zu einem anderen Artikel (cf. Pentzold/Fraas/Meier 2013: 93).
Eine größere Variation zwischen Artikeln aus verschiedenen Sprachversionen und zu verschiedenen Stichwörtern zeigt sich an denjenigen Elementen der Artikelstruktur, die nicht durch die Wikisoftware vorgegeben werden. In ihrem Aufsatz analysieren Pentzold/Fraas/Meier (2013: 91–97) den Artikel Chemnitz aus der deutschen Wikipedia und heben insbesondere die deutliche grafische Abtrennung des Lemmas und die horizontalen Überschriften hervor, die die Rezeption des Artikels erleichtern. Das Lemma wird im ausgewählten Artikel von geografischen Koordinaten und Aussprachehinweisen begleitet. Auffällig ist zudem die Vielzahl von Bildern, Landkarten, Tabellen und Diagrammen mit Bildunterschrift. Am Ende des Artikels befinden sich Literaturhinweise, Referenzen und Listen mit Weblinks (cf. Pentzold/Fraas/Meier 2013: 91–97). Ebenfalls einen Artikel aus der deutschen Wikipedia analysieren Fandrych/Thurmair (2011: 106–108), nämlich den Eintrag zum Stichwort Kritik. Sie stellen dabei eine mit gedruckten Enzyklopädieartikeln vergleichbare Textstruktur fest, wobei einige Elemente stärker ausgebaut sind. Dazu gehören die ausführlichen etymologischen Angabenetymologische Angabe, das vorgeschaltete Inhaltsverzeichnis und die breite Besprechung allgemeiner Verwendungsweisen von Kritik (cf. Fandrych/Thurmair 2011: 106–108). Der von Liebert/Kohl (2004: 139f.) aus der deutschen Wikipedia gewählte Artikel Ozonloch weist die Elemente Überschrift, Zusammenfassung, Inhaltsverzeichnis, Bild und Artikeltext auf. Auffällig ist auch, dass Fachausdrücke mit einem Link auf den entsprechenden Artikel versehen und nicht weiter erläutert werden. Der Artikel selbst ist kurz, weil über den Hypertext weitere Informationen in andere Artikel ausgelagert werden. Zudem sind unterschiedliche Kapitel in der deutschen und in der englischen Fassung feststellbar (cf. Liebert/Kohl 2004: 139f.).
Den Artikel Euro untersucht Reutner (2013b, 2014a) hinsichtlich der Artikelstruktur in der italienischen, französischen, englischen, spanischen und deutschen SprachversionSprachversion (der Wikipedia)– deutsche der Wikipedia. Als häufig auftretende Strukturelemente identifiziert Reutner das einleitende Resümee, die Infobox, ein Inhaltsverzeichnis, den in Kapitel gegliederten Textkörper, Fußnoten, eine Bibliografie und eine Liste mit Links. Allerdings fehlen im spanischen und deutschen Artikel die Fußnoten und im italienischen Artikel zum Stichwort Euro die Bibliografie, was zeigt, dass die genannten Elemente nicht in jedem Artikel zwingend auftreten müssen. Zudem weisen die Elemente eine unterschiedliche Länge auf. Der italienische Artikel zeichnet sich beispielsweise durch ein besonders langes Resümee aus. Die unterschiedliche Länge der Elemente bewirkt eine Schwerpunktsetzung der Artikel auf jeweils spezifische Themen.1 Ebenso variiert die Frequenz von Bildern, die im italienischen Artikel mehr Platz beanspruchen als im deutschen Artikel.
Den Aufbau von Wikipediaartikeln untersuchen auch d’Achille/Proietti (2011). Ihr Korpus besteht aus jeweils zwölf Artikeln der italienischen, französischen, englischen und deutschen Sprachversion.2 In ihrem Korpus stellen d’Achille/Proietti als häufige Elemente ein kurzes einführendes Resümee fest, das der DefinitionDefinition des StichwortsStichwort dient. Der kürzeste Artikel im Korpus Anacoluto besteht ausschließlich aus einem Resümee und enthält keine weiteren Elemente. In anderen Sprachversionen ist der entsprechende Artikel hingegen deutlich länger. Auf das Resümee folgt in allen Sprachversionen das Inhaltsverzeichnis. Auffällig sind auch die Abschnitte mit Verweisen auf weitere Wikipediaartikel oder Wikimedia-Projekte, externen Links, Fußnoten und die Bibliografie. Diese Elemente sind nicht zwingend bei jedem Stichwort vorhanden. Außerdem gleichen sie in einigen Fällen ungeordneten Listen. Zudem erhalten in den Wikipediaartikeln des Korpus ParatexteParatext wie Bildergalerien ein sehr starkes Gewicht.
Mit der Struktur von Wikipediaartikeln beschäftigt sich auch Tereskiewicz (2010). Sie untersucht sämtliche Artikel der englischen Wikipedia zum Anfangsbuchstaben U, was ein Korpus von insgesamt 968 Artikeln ergibt, die sich auf einem Kontinuum von konventionellen über unkonventionelle bis hin zu anti-enzyklopädischen Artikeln anordnen lassen. Die konventionellen Artikel machen 23 % des Korpus aus und zeichnen sich durch einen hohen Grad an logischer Konsistenz, Kohärenz und eine klare Struktur aus. In der Gruppe der unkonventionellen Artikel lässt sich einerseits die Tendenz zu einer mangelnden Strukturierung und andererseits die Tendenz zu einer verstärkten Fragmentierung feststellen. Insgesamt 267 Artikel im Korpus sind durch das Fehlen von Absätzen gekennzeichnet, was jedoch zunächst nur die grafische Gliederung des Artikels betrifft. Allerdings sind auch Artikel zu finden, in denen Teilaspekte ungeordnet aufgezählt werden und keinerlei Abschnitte zu einzelnen Themen feststellbar sind wie im Artikel Ugaritic language (cf. Tereszkiewicz 2010: 105). Obwohl auch in Printenzyklopädien die Artikel keine Absätze aufweisen, so sind sie doch strikt nach Teilaspekten gegliedert. Im Falle einer verstärkten Fragmentierung, die bei 174 Artikeln festgestellt worden ist, werden einzelne Sätze zu Aspekten einfach isoliert nebeneinandergestellt. Dies ist in den Artikeln Uria und Urs der Fall und entsteht durch die Praktik des kollaborativen Schreibenskollaboratives Schreiben:
The flow of paragraphs in such articles is abrupt, as successive authors insert new sentences into the structure in a random fashion, without paying attention to the effect their contribution produces on the overall structures and coherence of the article (Tereszkiewicz 2010: 107).
Neben diesen Ergebnissen von Tereskiewicz werden Abweichungen vom traditionellen Modell des gedruckten Enzyklopädieartikels auch in weiteren Studien beschrieben. So weist Augustin auf Serienartikel zu Stichwörtern aus den Klassen Asteroiden, Gemeinden, Tier- und Pflanzennamen hin, „die nicht selten identische bzw. teilidentische Sätze enthalten, bei denen sich ggf. nur das Subjekt und die Numeralia unterscheiden“ (Augustin 2016: 11). In manchen Artikeln wird das einleitende Resümee aus bereits vorhandenen Sätzen im Artikel zusammengestellt. Ebenso wird in d’Achilles/Proiettis Korpus die Bibliografie in den Fußnoten dupliziert (cf. d’Achille/Proietti 2011: 96). Des Weiteren stellen sie Artikelteile fest, die aus automatischen Übersetzungen resultieren, oder aus anderen Sprachversionen kopiert worden sind. Trotz einer erheblichen Länge decken manche Artikel die wichtigsten Punkte nicht vollständig ab (cf. d’Achille/Proietti 2011: 105). Ebenso bleiben manche Artikel StubsStub ʻStummelartikelʼ, die auf ihre Fertigstellung warten (cf. Tereszkiewicz 2010: 160). So manche angelegte Überschrift enthält keinen Artikeltext.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass WikipediaartikelWikipediaartikel sprachübergreifend durch die Funktionalitäten der Wikisoftware geprägt sind, die neben der Artikelansicht auch die Prozesse der Artikelproduktion nachverfolgbar machen und den Text durch die Bearbeitungsfunktion dynamisieren. Typische Elemente eines WikipediaartikelWikipediaartikels sind: Stichwort – Definition – einleitendes Resümee – Inhaltsverzeichnis – Textkörper mit Themenblöcken – Fußnoten – Bibliografie – Links auf andere Artikel – Links auf andere Wikiprojekte – externe Links – Portale – Kategorien – Hinweis auf die letzte Modifikation. Diese treten jedoch nicht notwendigerweise bei jedem Stichwort auf. In Artikeln zum selben Stichwort aus verschiedenen Sprachversionen können unterschiedliche Artikelelemente zum Einsatz kommen. Im Vergleich mit den Artikeln von Printenzyklopädien fallen die deutliche Abgrenzung des StichwortStichworts, die ausformulierte Definition, das einleitende Resümee und das automatisch generierte Inhaltsverzeichnis auf, die einerseits die Textstrukturierung verbessern, andererseits aber auch dem großzügigen Umgang mit Platz geschuldet sind (cf. Reutner 2013b: 245). In die verbesserte Textstrukturierung passt zudem die vermehrte Verwendung von Tabellen, Grafiken, Diagrammen, Medienelementen und Auflistungen (cf. Pentzold/Fraas/Meier 2013: 93; Augustin 2016: 11; Reutner 2013b: 245). Die Vielzahl der Quellennachweise geht auf die Tatsache zurück, dass anstelle von Experten Verweise auf Quellen die Glaubwürdigkeit der Inhalte erhöhen sollen (cf. Liebert/Kohl 2004: 141). In Wikipedia lassen sich darüber hinaus Artikelstrukturen finden, die sehr deutlich vom traditionellen Modell eines Enzyklopädieartikels abweichen. Dazu gehören Artikel, die entweder unvollständig sind oder eine mangelhafte Gliederung aufweisen. Ebenso existieren zirkuläre oder redundante Strukturen, die teilweise durch Kopieren von Textpassagen entstanden sind.
3.3.5 Sprachlich-stilistische Merkmale
Ebenso wie der Artikelaufbau können die sprachlich-stilistischen Merkmale von WikipediaartikelnWikipediaartikel je nach Untersuchungskorpus variieren. In ihrer Studie untersuchen Emigh/Herring (2005) englischsprachige Artikel1 aus den OnlineenzyklopädienEnzyklopädie– Online-~ Wikipedia und Everything2. In ein Zusatzkorpus werden die mit den Wikipediaartikeln verlinkten Nutzerdiskussionen und Artikel zu denselben Stichwörtern aus der Onlineversion der Columbia Encyclopedia gegeben. Die Artikel werden hinsichtlich des Grads sprachlicher FormalitätFormalität analysiert, wobei die sprachlichen Merkmale Kontraktionen (I’m, don’t, he’s, etc.) und Personalpronomina (I, we, you, he/she, they), größere Artikellänge und kürzere WortlängeWortlänge auf einen eher niedrigeren Grad an sprachlicher Formalität hindeuten. Die nominalen Suffixe -ment, -(t)ion, -ity, -ism, -ance/-ence, -age, eine eher kürzere Artikellänge und eine größere WortlängeWortlänge zeigen dagegen einen höheren Grad an sprachlicher Formalität an (cf. Emigh/Herring 2005: 5). Werden nur die beiden Merkmale Artikellänge und WortlängeWortlänge berücksichtigt, so ergibt sich ein geringerer Grad an sprachlicher Formalität in den Wikipediaartikeln als in den Artikeln der Columbia Encyclopedia. WikipediaartikelWikipediaartikel sind durchschnittlich länger, haben aber durchschnittlich kürzere Wörter. In der Columbia Encyclopedia ist es genau umgekehrt. Werden alle Merkmale ausgewertet und einer Faktorenanalyse unterzogen, so ergeben sich keine statistischen Unterschiede zwischen Artikeln aus Wikipedia und der Columbia Encyclopedia. Allerdings zeigt sich eine Verteilung der nominalen Suffixe je nach StichwortStichwort, wobei im Artikel zum Golfspieler Ben Hogan am wenigsten Nomina mit den untersuchten Suffixen auftreten, im Artikel Karl Marx schon deutlich mehr und im Artikel Corporation am meisten (cf. Emigh/Herring 2005: 7). Die exemplarische Analyse des Artikels String Theory zeigt in Wikipedia und in Columbia Encyclopedia einen vergleichbaren Grad an sprachlicher FormalitätFormalität. Somit kommen Emigh/Herring auf der Basis des von ihnen gewählten Korpus und der ausgewerteten Merkmale zu folgendem Schluss:
Surprisingly, Wikipedia is statistically indistinguishable from the print encyclopedia in terms of the formality features measured in this study (Emigh/Herring 2005: 9).2
Sie schätzen WikipediaartikelWikipediaartikel deswegen als „case of genre reproduction“ (Emigh/Herring 2005: 9) ein und kontrastieren die an traditionellen PrintartikelnPrintartikel orientierten WikipediaartikelWikipediaartikel mit den DiskussionsseitenDiskussionsseite in Wikipedia, aber auch mit der OnlineenzyklopädieEnzyklopädie– Online-~ Everything2, die deutliche Spuren der InformalitätInformalität trägt und deswegen als neues Internetgenre betrachtet wird.
Einen Vergleich zwischen Artikeln aus Britannica und der englischen Version der Wikipedia nimmt Elia vor. Ihr Korpus enthält pro Enzyklopädie eine Zufallsstichprobe aus 100 Artikeln, wobei jeweils zehn Artikel aus den Kategorien Kunst, Biografie, Kultur, Gesellschaft, Geografie, Geschichte, Mathematik, Philosophie, Wissenschaft und Technik ausgewählt worden sind.3 Das Korpus enthält durch dieses Verfahren Artikel von unterschiedlicher Qualität und in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Ausgeschlossen sind jedoch Artikel im Anfangsstadium und StubsStub (cf. Elia 2008: 64). Die Artikel werden vorwiegend quantitativ hinsichtlich ihres Grades an sprachlicher FormalitätFormalität untersucht. Dabei werden die folgenden dreizehn Merkmale ausgezählt, die als Indikatoren eines eher hohen Grads an sprachlicher Formalität gelten: Länge der WörterWortlänge in Buchstaben, SatzlängeSatzlänge, lexikalische Dichtelexikalische Dichte (tokens/types), NominalisierungenNominalisierung (anhand von Suffixen), Einsatz des Gerundiums und des Partizip Präsens, definite und indefinite Artikel, Nomina, Adjektive, Präpositionen, PassivformenPassivform, Konjunktionen und Konnektoren. Insgesamt ergibt die Summe aller Merkmale etwas höhere relative Frequenzen in den Britannicaartikeln (79,80 %) als in den WikipediaartikelnWikipediaartikel (76,10 %) (cf. Elia 2008: 270). Um den Grad an sprachlicher InformalitätInformalität zu bestimmen, werden insgesamt zehn sprachliche Merkmale im Korpus abgefragt: Orts- und Zeitangaben, Personalpronomina, Demonstrativa, Indefinitpronomina, abschwächende und verstärkende Formulierungen, Modalverben, die Frequenzen geläufiger Vollverben, Verneinungen, Interrogativsätze und Kürzungen. Die Frequenzen in diesem Set zeigen insgesamt in beiden Enzyklopädiekorpora gleich niedrige Ergebnisse (beide 7,5 %), woran ersichtlich wird, in welchem Maße sprachliche Mittel, die den sachlich-neutralen Stil der Enzyklopädieartikel beeinträchtigen würden, vermieden werden (cf. Elia 2008: 271). Die Ergebnisse aus den beiden Sets sprachlicher Merkmale zeigen somit, dass Britannicaartikel etwas höhere Frequenzen an sprachlichen Mitteln enthalten, die auf einen hohen Formalitätsgrad hindeuten, während Mittel der sprachlichen InformalitätInformalität in beiden Korpora in gleichem Maße nur gering ausgeprägt sind.
Ein anderes Korpus liegt der Studie von Tereszkiewicz (2010) zugrunde, die ausschließlich Artikel der englischsprachigen Wikipedia analysiert, die mit dem Buchstaben U beginnen. Diese Vorgehensweise ergibt ein Korpus von 968 Artikeln unterschiedlicher Länge und Qualität. Die Analyse der Artikel zeigt teilweise erhebliche Abweichungen von den diskurstraditionellen Normen eines Enzyklopädieartikels. So stellt Tereszkiewicz auf der Diskursebene fremde DiskursmusterDiskursmuster und narrative Elemente fest.4 Auf der Textebene zeigen sich unvollständige Artikel, zirkuläre Definitionen und ein Mangel an KohäsionKohäsion und KohärenzKohärenz. Zudem treten teilweise eine abweichende SatzgliedstellungSatzgliedstellung auf. In der Lexik fallen die Verwendung eines inadäquaten Vokabulars, eine ausschweifende Darstellung, HeckenausdrückeHeckenausdruck, umgangssprachliche Ausdrücke und idiomatische Formulierungen auf. Ebenso werden sprachliche Mittel verwendet, die subjektive Standpunkte transportieren oder sich stärker am Leser orientieren. Nicht zuletzt sind Fehler in OrthografieOrthografie und InterpunktionInterpunktion in den Artikeln zu finden. Diese Abweichungen können je nach Artikel unterschiedlich häufig sein, was Tereszkiewicz (2010) zu der Annahme führt, dass sich WikipediaartikelWikipediaartikel auf einem Kontinuum vom konventionellen Artikel (23 %) über unkonventionelle Artikel (65 %) bis hin zu antienzyklopädischen Artikeln (12 %) anordnen lassen, wobei letztere die InformationsfunktionInformationsfunktion eines Enzyklopädieartikels aufgrund ihrer Unverständlichkeit nicht mehr erfüllen:
Consequently, Wikipedia offers a collection of texts ranging from an expository presentation of information, through an involved and interactive expression of personal views, to unintelligible and obscure texts (Tereszkiewicz 2010: 168).
Angesichts der Tatsache, dass die meisten Artikel im Korpus der mittleren Kategorie angehören und somit deutliche Abweichungen von den diskurstraditionellen MusternDiskursmuster zeigen, stuft Tereskiewicz WikipediaartikelWikipediaartikel als eine neu entstehende Diskurstradition ein:
Its in-between composite structure places Wikipedia among the emergent genres, in which the conventional genre characteristics undergo far reaching changes due to the affordances of the new internet technologies (Tereszkiewicz 2010: 170).
Insgesamt demonstrieren die drei Studien zu Artikeln der englischsprachigen Wikipedia, dass sich je nach Merkmal und Korpus unterschiedliche Befunde ergeben. Während Herring in ihrer Studie keinerlei statistisch signifikante Unterschiede zwischen sprachlich-stilistischen Merkmalen von Print- und Wikipediaartikeln feststellt, zeigt sich im Korpus Elias ein etwas höherer Grad sprachlicher FormalitätFormalität der Britannicaartikel. Gravierende Abweichungen stellt Tereszkiewicz fest, was jedoch auch daran liegt, dass sie beispielsweise StubsStub in das Korpus integriert, die sehr viel deutlicher den Produktionsprozess eines Wikipediaartikels reflektieren als mehrfach bearbeitete oder gar prämierte Artikel.
Während zu den englischen Wikipediaartikeln bereits Korpusanalysen vorliegen, beschränken sich Untersuchungen sprachlich-stilistischer Merkmale in deutschen Wikipediaartikeln auf exemplarische Analysen. Fandrych/Thurmair (2011) analysieren den deutschen Wikipediaartikel zum Stichwort Kritik. Im Gegensatz zu PrintartikelnPrintartikel fallen die Ausschreibung aller Tokens von Kritik, die weniger starke nominale Verdichtungnominale Verdichtung und tabellenförmige Auflistungen auf (cf. Fandrych/Thurmair 2011: 107).
Augustin vergleicht den Artikel Mannheim in der gedruckten Brockhausenzyklopädie von 2006 mit dem Wikipediaartikel von 2011 (cf. Augustin 2016: 14). Beide Texte weisen Verdichtungsmerkmale wie komplexe Attribuierungen und Nominalphrasen auf. In keinem der beiden Textauszüge finden sich anaphorische Pronomina, weil diese für Enzyklopädieartikel nicht diskurstraditionell sind. Im Unterschied zum PrintartikelPrintartikel macht jedoch der Wikipediaartikel seltener Gebrauch von Strategien der nominalen Verdichtungnominale Verdichtung. Zudem wird auf EllipsenEllipse und AbkürzungenAbkürzung verzichtet, was mit dem vermehrten Platzangebot in Wikipedia zusammenhängen dürfte. Der Brockhausartikel ist insgesamt auch kürzer (cf. Augustin 2016: 14).
Eine Analyse des Artikels zum Stichwort Euro in der französischen und italienischen SprachversionSprachversion (der Wikipedia)– italienische der Wikipedia nimmt Reutner vor. Punktuell werden zusätzlich die deutsche und die englische Version des Artikels hinzugezogen (cf. Reutner 2013b; cf. ebenso Reutner 2014a zum italienischen Euroartikel). Zudem werden die Wikipediaartikel zum Stichwort Euro Artikeln zum Stichwort Lira aus den italienischen Printenzyklopädien Enciclopedia Italiana (1934), Enciclopedia Hoepli (1955), Grande Dizionario Enciclopedico UTET (1969) und der Enciclopedia Treccani (2010) gegenübergestellt. Einige der analysierten Unterschiede lassen sich auf ein vermehrtes Platzangebot in Wikipedia zurückführen. In allen untersuchten WikipediaartikelnWikipediaartikel wird das KopulaverbKopulaverb in der Definition gesetzt, und nicht, wie in den Artikeln der untersuchten gedruckten Werke, ausgelassen, wobei lediglich in Enciclopedia Italiana von diesem Prinzip abgewichen wird (cf. Reutner 2014a: 694). Ebenso wird in den Wikipediaartikeln weitestgehend auf AbkürzungenAbkürzung verzichtet. Der logische Zusammenhang zwischen Sätzen wird im italienischen Artikel explizit durch KonnektorenKonnektor versprachlicht (cf. Reutner 2014a: 696), selbst wenn diese teilweise unpassend eingesetzt werden (cf. Reutner 2014a: 695). Im französischen Artikel finden sich trotz des Platzangebots und entgegen der Forderung nach vollständigen Sätzen im Stilblatt elliptische SätzeEllipse. Allerdings sind im französischen Artikel auch komplexe Hypotaxen festzustellen, die einem lakonischen LexikonstilLexikonstil zuwiderlaufen (cf. Reutner 2013b: 242). Ebenso finden sich im italienischen Wikipediaartikel HervorhebungskonstruktionenHervorhebungskonstruktion, die zwar syntaktisch aufwändiger, dafür aber auch expressiver sind (cf. Reutner 2014a: 695). Von einem sachlich-nüchternen LexikonstilLexikonstil weichen zudem Vermutungen ab, die im französischen Artikel verwendet werden und durch Formulierungen wie fr. il est possible que oder fr. semble-t-il versprachlicht werden. Auffällig sind auch rhetorische Fragenrhetorische Frage und Hervorhebungen durch die Verfasser in Formulierungen wie fr. il est à souligner. Obwohl Erläuterungen in ParenthesenParenthese für Enzyklopädieartikel diskurstraditionell sind, weisen französische Wikipediaartikel teilweise überdeutliche und damit redundante Erläuterungen auf. Die häufigen Wortwiederholungen, die zwar aufgrund des Anspruchs der Präzision diskurstraditionell sein können, wirken an einigen Stellen ungeschickt. Nicht diskurstraditionell ist die witzige Geschichte zur Bezeichnung ecu im italienischen Wikipediaartikel zum Stichwort Euro, die mit einem Spannungsbogen erzählt wird und einem narrativen Vertextungsmuster folgt (cf. Reutner 2013b: 246, 2014a: 695). Insgesamt zeichnen sich die untersuchten Wikipediaartikel im Vergleich zu den PrintartikelnPrintartikel durch eine geringere Informationsdichte, eine schwächere syntaktische Komplexitätsyntaktische Komplexität, eine geringere lexikalische Elaboriertheit, Wortwiederholungen und eine punktuelle EmotionalitätEmotionalität aus. Diese Merkmale sind dem größeren Platzangebot, einer stärkeren Orientierung am Leser, aber auch der unterschiedlichen Kompetenz der Wikipediaautoren geschuldet. Allerdings zeigt jede Sprachversion kulturspezifische Ausprägungen der genannten Tendenzen, wobei Stilideale der angloamerikanischen Sprachversion, wie Klarheit und Kürze, an Einfluss gewinnen (cf. Reutner 2013b: 247).