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„15 Drachen“, blaffte der unfreundlich zurück und schenkte ihr weiter keine Beachtung.
„Was? Aber es kostete doch nur zehn?“
„Jetzt nicht mehr.“
„Warum denn? Was ist denn nun anders daran?“
„Heute ist der letzte Tag.“
Jamie runzelte die Stirn. „Na und? Dann müsste es sogar günstiger sein. Ich gebe dir fünf Drachen.“
Der Händler lachte. „15 und keinen Kupferling weniger.“
„Acht?“, versuchte sie einen vorsichtigen zweiten Anlauf.
„15.“
„In Ordnung. Es ist dein letzter Tag und du hast kaum noch was. Das hier wollte keiner, also ist es nicht das wert, was du vor drei Tagen haben wolltest. Ich gebe dir trotzdem die zehn, dann sind wir beide glücklich.“
Er schaute auf und direkt in ihr Gesicht, dann beugte er sich leicht zu ihr und sagte: „15. Ich habe keine Almosen zu vergeben. Wenn du es dir nicht leisten kannst, bist du nicht wert, es zu tragen. Leg’s hin und verschwinde, Weib.“
Unfähig auf diese Rede etwas zu erwidern, starrte sie ihn mit halb offenem Mund an. Eine Hand legte sich sanft auf ihre Schulter und sie wandte sich vom Händler ab. Dawer stand hinter ihr und lächelte freundlich.
Sofort schaltete Jamie auf Neyla um. „Oh, hallo auch“, lächelte sie, obwohl ihr gar nicht danach war. Nicht wegen Dawer, sondern wegen des Händlers. „Welch ein Zufall“, gab sie amüsiert an und meinte es ironisch. Die Stadt war nicht sehr groß und die einzigen Gasthäuser, die Dawers wohl großem Geldbeutel entsprachen, lagen am Rand dieses Marktplatzes.
„Guten Morgen, Milady. Es ist mir eine Freude, Euch hier zu treffen“, bekam sie als Antwort, wobei er es ernst meinte.
„Was ist denn dein Anliegen, werter Herr Vollidiot?“, fragte sie und spitzte frech die Lippen.
Er lachte. „Ich habe dich gesehen und wollte dir einfach einen guten Morgen wünschen.“
„Wie überaus wohlerzogen.“
„Ich gebe mein Bestes.“ Er wippte auf den Fersen vor und zurück, während er die Hände hinter dem Rücken verschränkt hatte.
„Nun“, sagte sie, wandte sich kurz um und legte das Kettchen an seinen Platz zurück. „Ich habe ein bisschen was zu tun. Ich hoffe, es kränkt dich nicht zu sehr, wenn ich dich schon wieder verlasse“, sagte sie und warf ihm ein verschmitztes Lächeln zu. Er warf einen Blick über die Schulter und sie spähte an ihm vorbei, um zu sehen, wonach er schaute.
An einem Tisch vor einer Gaststube saßen vier Männer, die alle samt beobachteten, was Dawer tat. Jamie erkannte aber nur einen von ihnen wieder. Den dunkelhaarigen Elf mit den hellblauen Augen, der sie gestern ebenfalls hatte haben wollen. Heute trug er normale Kleidung und war offenbar frisch gebadet. Sein Blick war nachdenklich auf sie gerichtet.
„Freunde von dir?“, fragte sie und hatte Dawers Aufmerksamkeit damit wieder.
„Ja. Meine Truppe“, gab er an und ein stolzes Funkeln trat in seine Augen.
„Ah, deine Truppe.“
Er lachte leise. „Die letzte Nacht war sehr angenehm, wenn ich so dreist sein darf, es zu erwähnen.“
„Danke gleichfalls“, erwiderte sie mit einem kleinen Knicks. Es war reine Höflichkeit von ihm und keinesfalls das erste Mal, dass sie diesen Satz hörte. Auch wenn sie zugeben musste, dass Dawer wirklich gut gewesen war.
„Wir reisen leider noch heute ab“, meinte er dann und senkte den Blick. „Ich wollte nur fragen, ob ich auch bei unserem nächsten Besuch hier an dich denken darf?“
„Warum denn nicht? Denke so viel du willst an mich. Bei allem was du tust.“ Sie zwinkerte ihm zu und er schien zu wissen, was sie meinte.
„Das wird mir leichtfallen“, grinste er. „Dennoch. Wirst du hierbleiben oder die Stadt wechseln?“ Es war keine Seltenheit, dass Huren ihren Standort änderten. Es gab in jeder Stadt Flauten und sie waren da, wo es das meiste Geld zu verdienen gab.
„Momentan fühle ich mich hier ganz wohl. Ich denke, ich bleibe noch eine Weile“, gab Jamie an.
„Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme“, meinte Dawer und hoffte wohl, eine gesichertere Antwort zu bekommen.
Jamie trat vor und legte ihm eine Hand auf die Brust. „Und ich habe noch kein neues Ziel vor mir. Sollte ich dennoch nicht mehr da sein und dich verlangt es nach mir, frage Jáne in meinem derzeitigen Haus. Sie wird dir sagen können, wohin es mich verschlagen hat.“
Sein Grinsen wurde zu einem Lächeln und er nickte leicht. „Sehr gern.“
„Bitte entschuldige mich nun“, sagte Jamie, trat zurück und knickste leicht. „Mein Herr, Dawer.“ Dann drehte sie ab und machte sich auf den Weg zurück zum Freudenhaus.
4
Ein Auftrag für einen Söldner
Die Männer hatten ihre Sachen bereits gepackt, was schnell gegangen war, denn keiner hatte viel dabei oder überhaupt erst ausgepackt. So reihten sie sich mit als erste in die Karawane Kämpfer ein, die zum Trupp ihres neuen Auftraggebers gehörte.
„Ganz schön viele Leute“, meinte Thrace und sah sich argwöhnisch um. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so groß wird.“ Er fühlte sich ein wenig unbehaglich und hoffte, sie würden bald ihren gewohnten Platz am Ende des Zugs einnehmen.
„Es soll auch viel zu tun geben“, antwortete Raekwon, der neben ihm ritt. „Maidenwind ist wohl eine recht große Stadt.“
„Wir würden das auch allein schaffen“, baute Deaglán sich ein, ganz das Großmaul wie immer. Er schnippte mit den Fingern, wobei kleine Funken von Magie flogen. Der alte Elf zauberte so gut wie nie und schon gar nicht in Schlachten. Aber er mochte die Vorstellung, seine Gegner mit ein paar magischen Spielereien zu verunsichern.
Keiner der Elfen nutzte Magie in Gefechten, wenn keine anderen Offensivmagier anwesend waren. Nur Thrace schützte seine Leute, was ja zur Defensive gehörte und durchaus verständlich war. Warum auf derartigen Schutz verzichten?
Thrace lachte. „Du würdest sie ganz sicher allein bezwingen, wenn dir nicht vorher die Arme abfallen, weil dir dein Schwert zu schwer wird, alter Mann.“
Dea fletschte die Zähne in Thrace’ Richtung. „Schnauze, du Welpe!“, giftete er und wandte den Blick ab. Thrace stieß nur ein belustigtes pff aus und ließ den Blick wieder über die Menge schweifen.
„Apropos Welpe. Wo steckt der Kleine schon wieder?“, fragte Dawer genervt und meinte Lysján. „So langsam regt er mich auf.“
„Da kommt er.“ Océan deutete in Richtung Stadttor.
Lysján führte sein Pferd gemächlich zu ihnen und blieb dann vor Dawer stehen. „Ich komme nicht mit“, gab er an, schaute seinem Ausbilder aber nicht ins Gesicht. „Ich will das nicht.“
„Schwing deinen Welpenarsch auf das Pferd, Junge. Du gehst da hin, wo ich dich haben will“, wies Dawer ihn an.
„Aber ich will nicht da sein, wo du mich haben willst.“
„Denkst du, das schert mich einen Dreck? Dacré will, dass ich dich ausbilde, also tue ich genau das.“
„Es ist mir egal, was er will“, blieb Lysján bockig stur.
„Mir für gewöhnlich auch.“
„Dann werde ich jetzt nach Hause reiten.“
„Du bleibst, Kleiner“, meldete Raekwon sich zu Wort. „Du wurdest für einen Auftrag gebucht und den führst du aus.“
„Ich will aber nicht!“, fuhr Lysján auf.
„Heulst du?“, ging Dawer ihn an. „Bist du ein Mann oder ein Mädchen? Beweg deinen Heulsusenhintern aufs Pferd, sofort!“
„Nein“, blieb der Kleine störrisch.
Thrace sah die Wut in Dawers Blick und ahnte, was kommen würde.
Schon stieg der Anführer ab, trat auf den Jungen zu und baute sich Nase an Nase vor ihm auf. „Ich hab hier das Sagen und ich will, dass du auf dein verfluchtes Pferd steigst und den Auftrag erledigst, für den du gebucht wurdest! Danach kannst du tun, was immer du willst und von mir aus Blumenkränze binden gehen oder durch eine Sommernacht tanzen! Aber jetzt und hier, tust du, was ich dir sage!“, knurrte er voller Zorn.
„Aber ...“ Weiter kam Lysján nicht, denn Dawer hatte ausgeholt und ihn mit einem Fausthieb zu Boden geschlagen.
Er kniete sich neben den Jungen und packte dessen Kragen. „Du unterstehst mir! Du hast Respekt zu zeigen und Befehle zu befolgen, ist das klar!“
Der Welpe starrte den großen Mann nur mit aufgerissenen Augen an.
Dawer ließ ihn los und erhob sich. „Steh auf und steig auf das Pferd.“
Lysján rührte sich nicht.
„Steh auf, verfluchter Bastard!“ Erneut ging er in die Knie, packte Lysjáns Hemd und zog ihn ohne Mühe hoch. Dem Jungen lief das Blut aus der Nase und seine Augen waren tränenfeucht. Ohne ein weiteres Wort hievte Dawer ihn auf das Pferd und drückte ihm die Zügel in die Hand. „Du reitest vor mir! Die ganze Zeit! Ich will dich im Blick haben! Verstanden?!“
Nun nickte der Welpe, den Blick auf seine Hände gesenkt.
Dawer saß wieder auf und trieb sein Pferd an. „Folgt mir, Männer. Lys? Vorwärts ans Ende vom Trupp!“
Der Kleine ließ sein Pferd laufen und die anderen folgten.
Thrace schloss zu Dawer auf. „Musste das sein?“
„Was denn?“, brummte ihr Anführer, noch immer grimmig.
„Er will nicht hier sein.“
„Er muss. Ich hab’s mir auch nicht ausgesucht, ihn an der Backe zu haben.“
„Aber musstest du ihn schlagen?“
Dawer wandte den Blick zu Thrace. „Was wird das denn? Hast du deine Ausbildung vergessen?“
Thrace schüttelte den Kopf. Das hatte er nicht und das würde er auch nie.
Er war relativ jung gewesen, als er beschlossen hatte, sich der Armee des Landes Kahár anzuschließen. In Thrace’ Heimat, dem Südkontinent Ilhár, hatte er keine Möglichkeit gehabt, das Kämpfen zu lernen. Er hatte die Wahl gehabt zwischen Magie und Forschung. Er hatte Magie gewählt und ein Talent für Verteidigungszauber entwickelt.
Allerdings brauchte man dieses Können eher selten auf Ilhár, denn dort herrschte stets Frieden. Das war keineswegs Zufall. Die Elfen, Ilhárs Volk, schirmten das komplette Land mit Magie ab. Es gab kein raus- oder reinkommen, ohne dass es jemand erfuhr. Thrace hätte sich dieser Abwehrmacht, wenn man es so nennen wollte, anschließen können. Doch was hätte er dann zu tun gehabt?
Alles was sie taten, waren die Schutzzauber, um die große Insel zu prüfen und ab und an zu erneuern oder zu tauschen. Das war, wie er fand, der langweiligste Beruf überhaupt. Deshalb war er zum Hauptkontinent Kahár übergesetzt und hatte sich dessen Streitmacht angeschlossen.
Er war einer von wenigen Elfen bisher gewesen und die Menschen taten sich noch immer sehr schwer mit seinem Volk. Bis auf wenige Ausnahmen, wie die Männer um ihn herum. Wobei zwei von denen ja zu seinem eigenen Volk gehörten.
Thrace hatte sich bei der Streitmacht damals als Schutzmagier beworben und war auch als solcher aufgenommen worden. Doch schnell hatte sich herausgestellt, dass seine Fähigkeiten nicht wirklich gefragt waren. Es gab Menschenmagier, die es ebenso beherrschten und die wurden bevorzugt, egal wie gut Thrace’ eigene Leistung auch war.
Also hatte er auch mit anderen Waffen, als nur seinem Bogen trainieren müssen, und war dabei immer unzufriedener geworden, denn die Männer hatten ihn mehr als Übungsobjekt gesehen, denn als gleichwertigen Mitstreiter.
Er wäre noch immer dort und noch immer unzufrieden, wenn Océan nicht aufgetaucht wäre und ihm von den Söldnern erzählt hätte. Auch hier war Thrace skeptisch gewesen, denn deren Anführer, Dawer, war ebenfalls ein Mensch. Doch der große Mann hatte ihn wohlwollend aufgenommen und hier, in dieser kleinen Gruppe von Kämpfern, hatte Thrace endlich die Aufgabe, die ihm am meisten Spaß machte. Verteidigung und Schutz mit Magie im Kampf.
Nun schaute er zum Welpen nach vorn und verengte die Augen. „Was willst du Dacré sagen, wenn du den Kleinen gehen lässt?“
Dawer hob die Schultern. „Nichts. Dacré wird ihn entweder zusammenstauchen oder von der Burg jagen, wenn er jetzt schon wieder auftaucht.“
„Willst du ihn denn einfach gehen lassen?“
„Was soll ich denn tun? Ich kann ihn nicht an mich ketten. Das will ich auch gar nicht. Wäre er für diesen Auftrag nicht gebucht, hätte ich ihn ziehen lassen. Aber wir haben einen Ruf zu verlieren. Was er dann macht ...“ Erneut hob der große Mann die Schultern. „Soll er sich ein Stück Stoff zum Besticken suchen, wenn er meint, Talent dafür zu besitzen.“
„Er wird seine Freundin nicht heiraten dürfen.“
„Nicht mein Problem.“
Sie waren am Ende des Zugs angekommen, hielten ihre Pferde an und jeder überprüfte ein letztes Mal, ob er auch alles hatte und ob auch alles in Ordnung war. Nur Lysján nicht. Er saß stur im Sattel und starrte auf seine Hände.
Thrace ritt neben ihn, reichte ihm ein Tuch, beugte sich zu ihm, legte seine Hand an Lys’ Wange und sprach einen kurzen Heilzauber, der die Blutung stillen sollte, dann meinte er: „Wisch dir das Blut ab und sieh zu, dass du auf andere Gedanken kommst. Es ist nur noch dieser Auftrag.“
Der Kleine wischte das Blut weg und nickte. „Danke.“
Thrace klopfte Lysjáns Pferd auf den Hals und ließ sich zu den anderen zurückfallen, als der Marsch sich schließlich in Bewegung setzte. Er hoffte, der Kleine würde in der Schlacht keine Behinderung werden.
Sie ritten lange und machten keine großen Pausen. Wenn das Heer anhielt, hatten sie gerade genug Zeit, die Pferde zu versorgen und ein wenig zu schlafen. Kommandant Welsh war bekannt für seine harte Führung, und das spürte auch jeder in der Truppe.
„Jetzt ein kleines Bisschen Zerstreuung“, stöhnte Dawer neben Thrace. Sie standen gerade bei den Pferden und prüften die Riemen und Schnallen, bevor es weiterging.
Thrace verkniff sich ein Augenrollen. „Was tust du, wenn wir wiederkommen, und sie ist weg?“
Dawer zuckte mit den Schultern. „Hoffen, dass sie nur in der nächsten Stadt ist. Elf, das Mädchen ist mit Abstand eine der besten. Ich muss zugeben, dass du mir ein bisschen leidtust.“
„Arschloch.“
Dawer lachte. „Ach komm. Soll ich mal ein gutes Wort für dich einlegen?“, scherzte er, doch es kam überhaupt nicht an.
Thrace schwieg.
„Es liegt einzig an deinem Auftreten.“ Océan kam rüber und klopfte Thrace’ Pferd auf den Hals. „Du hast es dir nur verdorben, weil du so verwahrlost vor ihr gestanden hast. Das Mädchen hat Klasse und du ...“ Sein Freund musterte ihn von oben bis unten. „Na ja.“
„Vielleicht kann ich sie überreden, sich irgendwo in der Nähe von Fellwart niederzulassen“, warf Dawer nachdenklich ein. „Sie kommt auch aus dem Süden. Obwohl ...“
Bei Dawers letztem Wort horchten beide Elfen auf.
„Obwohl?“, hakte Océan nach, bevor Thrace es tun konnte.
Dawers Blick zeigte Unbehagen, als er die beiden ansah. „Sie kommt aus Helven“, setzte er sie in Kenntnis und wandte den Blick wieder ab. Er wirkte tatsächlich leicht gequält.
Océan zischte und Thrace blies die Wangen auf. Das war hart. Sie waren alle dabei gewesen, als Helven niedergebrannt worden war. Sie hatten die Schreie gehört und sie hatten hilflos daneben stehen und zusehen müssen, wie alles geschehen war.
„War sie in der Stadt?“, wollte Océan bekümmert wissen.
„Ich glaube nicht. Sie war anscheinend damals schon Hure und meinte, sie hat es nur gesehen. Ich denke, sie war außerhalb.“
„Hast du ihr erzählt, dass wir da waren?“
Dawer nickte nur.
Océan stöhnte und Thrace resignierte vollends. Wenn sie das wusste, würde sie mit keinem von ihnen noch mal ins Bett gehen. Die Kleine war nicht blöd. Sicher dachte sie, die Männer hätten ihren Anteil daran gehabt.
„Ich hab ihr erklärt, dass wir uns nicht beteiligt haben“, meinte der Anführer, zog einen letzten Riemen fest und wandte sich ihnen dann komplett zu. „Ich denke, sie hat’s verstanden.“
„Also denkst du auch, du darfst wieder zu ihr?“, wollte Océan wissen. „Ich kann’s mir nicht vorstellen. Wahrscheinlich hat sie nur so getan, als würde sie es verstehen, damit du endlich wieder gehst.“ Seine Worte hätten was Scherzhaftes haben können, wenn das Thema nicht so ernst gewesen wäre.
In Dawers Gesicht spiegelten sich verschiedene Gedanken, die Thrace quasi hören konnte, als würde der Anführer sie laut aussprechen.
Hat Océan recht? War sie nur freundlich, weil es ihre Aufgabe ist? Wird sie noch in Nordbrand sein? Werde ich sie wiederfinden?
Die Kleine musste echt was an sich haben, das Dawer fesselte. Normalerweise war er nicht so auf eine Hure fixiert und vor allem hinter ihr her. Allerdings musste Thrace auch eingestehen, dass er es nachvollziehen konnte.
Als er sie gesehen hatte, war es aber nicht das Verlangen nach Sex gewesen, dass ihn hatte aufstehen und zu ihr gehen lassen. Viel mehr war es eine Art Neugierde gewesen. Ihre Blicke hatten sich nur kurz getroffen, doch es hatte gereicht, um etwas in ihm hervorzurufen.
Was es genau war, würde sich hoffentlich noch zeigen, denn im Moment wusste Thrace überhaupt keinen Rat, warum gerade eine Hure, ein leichtes Mädchen, solche Gedanken bei ihm auslöste.
5
Ein Auftrag für eine Hure
Die Zelte waren schnell aufgebaut und die ersten Männer standen bereits in einiger Entfernung und warteten darauf, dass die Liebesdamen sich freigaben. Der Marsch hatte drei Tage gedauert und viele waren einfach nur froh, endlich angekommen zu sein.
Es war das erste Mal für Jamie, dass sie für ein Heerlager gebucht worden war. Bisher waren ihre Freier immer zu ihr gekommen. Nun, sie taten es auch jetzt, doch die Frauen waren mit den Männern gereist und nur für sie abgestellt. Der General bezahlte sie für alle Grundleistungen.
Es gab wohl auch einige Sonderbehandlungen für höhergestellte Männer. Jáne hatte veranlasst, dass diese Männer kleine Perlen bekamen, die sie den Frauen gaben, um anzuzeigen, dass sie eine Sonderbehandlung bekommen durften. Diese Perlen gaben die Frauen dann an Jáne weiter und die wiederum, holte den Lohn für die Dienste beim Kommandanten ab.
Auch wenn Jamie Jánes beste Frau war, hatte sie bei den Männern hier nun weniger Auswahl und würde auch auf welche zurückgreifen müssen, die ihr nicht gänzlich zusagten. Zumindest, wenn sie mehr verdienen wollte.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und Jáne ließ ihre Frauen die Zelte öffnen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis fast alle zu tun hatten. Jamie hielt sich noch im Hauptzelt auf, ließ den Blick schweifen und wartete auf einen, der ihr gefiel.
Einige drängten um sie herum und machten ihr Angebote, doch sie waren allesamt nicht das, was sie wollte. Sie wusste, sie konnte es sich leisten, nein zu sagen, und sie wusste, sie war damit nicht die Beliebteste bei den anderen. Die hatten weniger Freiheiten und damit weniger Freude.
Es gab nur zwei Mädchen neben Jáne, die Jamie wirklich wohlgesonnen waren, Ráya und Levi. Diese beiden und sie selbst waren mit 25, 20 und 21 Jahren, die drei die Jüngsten unter Jánes Hand. Ráya, die als Elfenfrau exotisch war und Levi, die die Naive vom Lande mimte und die Männer dann doch ausnahm, hatten als einzige kein Problem mit Jamie, die als einziges Kind des Erzmagiers von Helven, statt der Magie, die Hurerei als Beruf gewählt hatte.
Jamie hatte nie ein Händchen für die Zauberei gehabt und zum Schluss nicht mal mehr jemanden, der es ihr hätte beibringen können. Also war sie eben eine Dame der Liebe geworden, denn damit verdiente man wenigstens Geld. Zumindest, wenn man es richtig anstellte.
Das erste Jahr war teilweise wirklich schlimm gewesen, denn Jamie hatte keine Erfahrung gehabt und die Männer hatten sie nur als Mädchen gesehen, das man benutzen konnte. Mittlerweile wusste sie aber, wie man es anstellen musste, und hatte so unter Jáne schon die zweite Anstellung als bessere Hure bekommen.
Jetzt gerade langweilte sie sich aber, denn noch immer kamen keine Männer, die ihrer Dienste wert gewesen wären.
„Mädchen“, sprach sie einer an und streckte eine Hand aus. Seine Finger fühlten sich rau an, als er ihr über die Wange strich. „Ich habe Geld dabei. Komm mit mir.“
Sie musterte ihn kurz und fragte dann mit einem koketten Lächeln: „Wir werden bezahlt, aber nicht von dir. Wofür also das Geld, mein Guter?“
„Ich habe gehört, für ein paar extra Münzen macht ihr es mit dem Mund.“
„Was du alles so hörst“, säuselte sie.
„Wie steht’s?“, wollte er wissen und grinste. Einer seiner Schneidezähne war abgebrochen und alle anderen standen krumm und schief. Jamie packte fest in seinen Schritt. Sein Lächeln verschwand und sein Mund öffnete sich.
„Mmm. Also im Moment steht nichts, würde ich sagen.“ Sie ließ ihn los und sein Grinsen kam zurück.
„Du kannst das sicher ändern. Komm schon.“
„Ich bedauere, dich enttäuschen zu müssen“, ließ sie ihn wissen und stand auf. „Aber ich bin leider schon anderweitig beschäftigt.“ Damit wandte sie sich ab und verließ das Zelt. Sie würde einen Spaziergang machen. Bei der Gelegenheit konnten die Männer sie sehen und Jamie konnte ausmachen, ob es hier überhaupt etwas Besseres für sie gab.
Die Truppe unter Dawer hatte ihre Zelte am Rand des Heerlagers aufgeschlagen und ein Feuer entfacht um das herum nun alle auf Baumstämmen saßen. Lys hatte gefühlt nur drei Worte gesprochen, seit sie aufgebrochen waren, und er schwieg noch immer, was Thrace mehr und mehr Sorgen machte. Der Junge würde im Kampf keinen vollen Einsatz bringen und wenn er das nicht tat, war er eine Gefahr für sich und alle anderen.
„Dawer“, sprach Thrace den großen Mann gegenüber an.
Der hob nur fragend den Blick.
„Was willst du tun?“, fragte Thrace und nickte Richtung Lysján.
„Nichts“, war Dawers schlichte Antwort.
„Es wird gefährlich werden“, gab Thrace zu bedenken, doch der Anführer zuckte nur mit den Schultern.
„Bevor es so weit kommt, schlage ich ihm den Kopf eigenhändig ab.“ Er grinste, weil es nicht mehr als eine leere Drohung war, doch Lys schaute auf und wurde kreidebleich. Noch bevor Thrace etwas dazu sagen konnte, wurde ihm selbst anders. Allerdings auf eine angenehme Weise. Aus dem Dunkel hinter Dawer tauchte eine Frau auf, deren Augen belustigt funkelten.
„Werter Herr Vollidiot“, kam es Jamie über die Lippen, als sie ihn entdeckte. Sie grinste, als sie abbog und von hinten auf ihn zu trat. „Na schau mal einer an.“
Dawer wandte sich ihr zu und ein überraschtes aber breites Lächeln stellte sich auf seinen Zügen ein. „Neyla!“ Er streckte den Arm aus, als sie nah genug war, packte sie um die Mitte und zog sie auf seinen Schoß. „Welche Freude, Milady.“
Sie lachte und ließ den Kuss auf ihren Hals zu. „Milord, ich bitte Euch. Wir sind nicht allein.“
Er lachte ebenfalls, ließ locker, hielt sie aber auf seinem Schoß fest. „Du bist eine willkommene Überraschung.“
„Gibt es denn auch Unwillkommene?“
„Durchaus. Hinterhaltangriffe und derart.“
„Ahh. Stimmt. Die sind wirklich nicht schön.“
„Da spricht jemand aus Erfahrung“, meinte einer der anderen Männer und grinste ihr zu.
Sie schaute zu ihm und erkannte einen alten Elfen in ihm. Weißgraue Augen, die sehr viel Lebenserfahrung zeigten, lächelten sie freundlich an. Mit geübtem Blick - und damit unauffällig - musterte sie ihn. Groß, schlank aber nicht hager. Etwas längere, dunkle Haare, die schon viele graue Strähnen aufwiesen und zu einem Zopf gebunden waren. Sein genaues Alter konnte Jamie nicht ausmachen. Sie wusste, dass Elfen anders alterten, weshalb sie länger jung aussahen, obwohl sie schon steinalt sein konnten. Er hier war definitiv schon älter, wirkte aber sympathisch und Jamies Bauchgefühl mochte ihn.
„Hinterhalte gibt es überall. Es kommt auf die Situation an“, gab sie ihm zurück, als wüsste sie genau, welche Art Hinterhalt ein Söldner erfahren musste.
Der Elf lachte. „Ich wäre erfreut, in einen von deinen zu geraten.“
Jamies Blick fiel zurück auf Dawer. „Hast du mich etwa verraten?“
„Das würde mir nie in den Sinn kommen. Ich müsste dich vielleicht teilen.“
„Sein Blick war’s“, teilte ihr wieder ein anderer mit. Ein Jüngerer mit ebenfalls spitzen Ohren. Für einen Moment hing Jamies Blick an ihm, er war ebenfalls ein Elf und etwas an seinem Wesen, zog sie an. Er sah wirklich gut aus. Eine jüngere Ausgabe des alten Elfen. Dunkle, aber kurze Haare und er war ebenfalls nicht fett. Seine Augen hatten ein fast leuchtendes Grün.