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„Ich verspreche dir, mehr aus mir zu machen, wenn sich mir die Möglichkeit bietet und ich damit leben kann. Doch für den Moment bin ich zufrieden mit dem, was ich habe“, sagte Jamie und legte ihrer Freundin eine Hand auf den Arm.
„Ich wünsche dir, dass du es irgendwann hier raus schaffst. Du bist gut, keine Frage, doch du kannst Besseres tun als das hier.“
Die Bewohner waren eindeutig gespalten, was ihre Loyalität anging. Einige wehrten sich mit allem, was sie hatten, andere hockten schon auf Knien, bevor Dawer auch nur einen Finger krumm gemacht hatte. So kämpften sie sich durch die Straßen oder eben nicht.
Einige Ecken der Stadt waren so schnell besetzt, dass es selbst für seine Leute unglaublich schien. Andere Straßenzüge mussten in Blut getränkt werden, damit überhaupt ein Durchkommen möglich war.
Spät in der Nacht hatten sie die Mauer zum Anwesen des Stadtherren endlich erreicht. Dawer lenkte sein erschöpftes Pferd durch die Menge an Soldaten, die Befestigungen aufbauten und dafür Sorge trugen, dass niemand das Anwesen betreten oder verlassen konnte.
„Männer, zu mir!“, befahl er und seine Leute sammelten sich um ihn. Er schaute jedem ins Gesicht und musterte sie im Allgemeinen.
Raek hatte einige Kratzer im Gesicht, am Hals und an den Händen, weil er mit Zweigen eines Dornenbusches von einer Hofgrenze vertrieben worden war. Sonst schien er wohlauf.
Thrace wirkte erschöpft, obwohl sein Schwert ungenutzt in der Scheide steckte und ihm nicht ein Pfeil im Köcher fehlte. Nur die Schutzzauber hatten an seinen Kräften gezehrt.
Océan und Dea sahen recht munter aus, doch auch sie hatten Kampfspuren am ganzen Körper. Vor allem Arme und Beine waren getroffen worden.
Ihm selbst hatte ein Bauer eine Heugabel ins Bein gerammt, doch dank seiner Rüstung war die Wunde nicht tief.
„Wir sind hier fertig. Ich gebe Meldung, dass wir zum Lager zurückkehren“, ließ er seine Männer wissen, die alle nickten. „Reitet vor. Ich komme nach.“ Er wendete sein Pferd und trieb es an. Er wollte schnell alles klären und hoffte, rechtzeitig im Lager zu sein, bevor Neyla anderweitig beschäftigt war.
Der Sonnenaufgang war fast schon wieder greifbar, als die ersten Männer kamen. Sie sahen durchweg aus, wie man eben aussah, wenn man von einem Schlachtfeld kam. Verdreckt und blutverschmiert. Jáne hatte Wachen angeheuert, die alle Männer wegschickten, die verletzt waren, schon zu betrunken oder noch in Kampfstimmung.
Sie hatte erklärt, dass viele noch aufgeheizt von den Kämpfen waren und vergaßen, dass die Frauen eben keine Männer seinen, gegen die man noch kämpfen musste. Es diente also rein der Sicherheit der Mädchen. Es kamen trotzdem genug durch die Prüfung und so bildeten sich schnell Schlangen vor den einzelnen Zelten der Huren. Auch vor Jamies Zelt warteten Männer, doch bis jetzt hatte sie keinen zu sich gelassen.
Sie hatte die Kampfgeräusche aus der Ferne gehört und auch die Schreie von Leuten, die sich nicht wehren konnten und trotzdem sterben mussten. Auch wenn Jamie gedacht hatte, die Geschehnisse von Helven hinter sich gelassen zu haben, traf es sie doch noch immer.
Die Wache vor ihrem Zelt klopfte an den Pfosten. „Neyla? Hier möchte jemand zu dir.“
Natürlich. Einige wollten das. „Ich bin noch nicht bereit“, sagte sie und hatte im Gefühl, dass es diese Nacht keiner zu ihr schaffen würde.
„Er sagt, er sei ein Freund.“
Sind sie das nicht alle? „Bitte. Nein. Ich möchte nicht.“
„Neyla?“, drang eine andere Stimme zu ihr und sie erkannte sie.
Jamie stand auf und ging zum Eingang. Die Wache stand mittig vor der Plane, die als Tür diente und Jamie spähte vorsichtig an dem Mann vorbei. Océan stand vor dem Zelt, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und lächelte vorsichtig.
„Océan. Hallo.“ Sie schob sich an die Seite der Wache und gab ihr ein Zeichen, dass es in Ordnung war, wenn der Elf näherkam.
Océan machte einen Schritt und reichte ihr eine Hand. „Darf ich dich entführen?“, fragte er noch immer lächelnd.
„Es tut mir leid. Ich glaube nicht, dass ich ...“
„Bitte. Nur ein Spaziergang, nicht mehr. Ich passe gut auf dich auf. Versprochen.“ Er wandte kurz den Kopf zur Schlange vor ihrem Zelt, dann sah er wieder sie an.
Jamie überlegte, entschied aber, dass ein Spaziergang nicht schlimm war. Und da sie den Elf als recht nett kennengelernt hatte, vertraute sie ihm, dass er ihr nichts tun würde. Außerdem war er einer von Dawers Männern und er sah weder angetrunken noch vom Kampf zu erhitzt aus.
Sie nickte und gab ihrer Wache ein Zeichen. Er nickte zurück und machte sich auf den Weg zu Jáne, um ihr über Jamies Verbleib Auskunft zu geben.
„Ich danke dir, Neyla“, lächelte der Elf und hielt ihr den Arm hin, in den sie sich einhakte. Gemeinsam liefen sie durch das Lager und weiter Richtung Rand, wo es ruhiger war.
„Geht es euch allen gut?“, fragte sie ihn schließlich und hoffte tatsächlich, dass seine Truppe heil aus dem Kampf gekommen war. Sie musterte ihn kurz. Er hatte seine Rüstung schon abgelegt und sich Blut und Schmutz von der Haut gewaschen. Seine Haare waren noch nass und glänzten im Schein einzelner Feuer.
„Alles bestens. Ein paar Schnitte und Kratzer, aber alles im normalen Bereich.“ Wieder lächelte er freundlich, wobei das Grün seiner Augen funkelte, als würde es angestrahlt werden.
Jamie schwieg und wandte den Blick auf den Weg zu ihren Füßen.
„Du hast jemand anderes erwartet, nehme ich an?“, meinte Océan nach einer Weile und sie sah im Augenwinkel, wie er schmunzelte.
„Vielleicht. Aber ist das wichtig?“
„Ist es nicht. Aber um es dich wissen zu lassen, auch Dawer geht es sehr gut.“
„Das freut mich“, entgegnete sie ehrlich erleichtert.
Sie kamen an einem Feuer an, um das noch niemand saß und Océan bedeutete ihr, sich zu setzen. Sie tat es und bekam kurz darauf einen Becher in die Hand gedrückt, in den der Elf etwas heißen Met füllte.
„Nur damit dir nicht kalt wird“, sagte er und schenkte sich ebenfalls ein.
„Schon klar“, grinste sie, nahm aber einen Schluck. „Wart ihr erfolgreich?“, wollte sie dann wissen und der Elf nickte.
„Wir sind am Anwesen angekommen. Die Soldaten sichern es.“
„Was macht ihr jetzt?“
Er zuckte mit den Schultern. „Nichts. Kommandant Welsh gibt dem Stadtherren Zeit, zu kapitulieren oder zu verhandeln, wenn er das nicht tut, wird er ausgehungert, bis er aufgibt.“
„Wird er verhandeln?“, hakte Jamie wirklich daran interessiert nach.
„Keine Ahnung.“
„Und ihr? Ich meine du und deine Leute. Was ist eure Aufgabe?“
„Wir warten. Entweder auf einen neuen Einsatzbefehl oder auf unseren Sold.“
„Ihr wisst also nicht, was ihr jetzt tun könnt?“, fragte sie ungläubig. „Ist das nicht ineffektiv für euch?“
Der Elf kicherte amüsiert. „Wir sind jetzt auf Abruf und werden für diesen Auftrag eh nach Zeit bezahlt. Der Sold kommt also so oder so. Es macht keinen Unterschied.“ Er streckte die Beine und zischte leise.
„Ist wirklich alles gut?“, fragte Jamie argwöhnisch.
„Geht schon. Ein Pfeil hat mich am Bein getroffen. Ist nur ein Kratzer.“
„Du solltest es versorgen lassen. Auch Kratzer können sich entzünden.“
„Werde ich, wenn es schlimmer wird. Aber ich beherrsche ein bisschen Heilmagie. Es ist also wirklich alles gut. Keine Sorge.“
„Warum bist du zu mir gekommen?“, wollte sie dann wissen und musterte ihn. Sie hatten noch nicht viel miteinander gesprochen, denn meist war ihre Aufmerksamkeit für Dawer bestimmt gewesen.
„Die Wahrheit?“, stellte der Elf eine Gegenfrage und warf ihr von der Seite her einen schelmischen Blick zu.
„Ich bitte darum“, lächelte sie und nahm noch einen Schluck.
„Dawer ist noch beschäftigt und du damit nicht. Ich musste das ausnutzen, weil ich so was wie eine Wette mit Thrace am Laufen habe. Er ist stinkig, weil du ihn immer wieder ignorierst und nur bei Dawer bist. Er meinte, ich hätte genauso wenig Chancen und ich will ihm beweisen, dass es nicht so ist.“
Jamie zog die Brauen hoch und sah Océan erstaunt an. „Ehrlich?“
„Total ehrlich.“
„Also hattest du Hintergedanken, als du mich aus meinem Zelt gelockt hast?“, fragte sie, musste aber über seine freche Dreistigkeit grinsen.
„Hatte ich. Aber ich sehe dir an, dass ich heute wohl keine Chancen habe.“
Sie senkte den Becher von den Lippen in ihren Schoß, sagte aber nichts weiter. Den Blick dann ebenfalls gesenkt, drehte sie ihr Getränk in den Händen und spürte förmlich Océans Blick auf sich ruhen. Sie schaute auf und sah die Frage bereits in seinen Augen, bevor er sie laut stellte.
„Dawer hat uns erzählt, wo du herkommst. Wie geht es dir?“
„Gut“, war ihre knappe Antwort.
„Wirklich? Du siehst nicht danach aus.“
Sie lachte unecht. „Was willst du denn hören?“
„Die Wahrheit.“
„Ich werde Albträume haben“, gab Jamie zu und senkte den Blick wieder. „Das hier ist nicht wie damals. Aber auch in Helven habe ich die Schreie von der Ferne gehört und konnte nichts tun.“
„Es tut mir leid, was da passiert ist. Es muss schlimm für dich gewesen sein.“
Sie nickte und spürte ihre Augen brennen. „Können wir über was anderes reden?“, fragte sie und schaute auf. Sie wollte nicht schon wieder wegen dieser Sache weinen. Es war lange her und nichts als Erinnerung.
„Natürlich. Hast du etwas, über du reden möchtest?“
„Du bist ein Elf“, sagte sie und er grinste.
„Gut erkannt.“
„Thrace und Deaglán auch.“
„Auch gut erkannt.“
„Was hat euch nach Kahár verschlagen? Würdet ihr nicht ruhiger auf Ilhár leben?“
Sein Blick wurde erstaunt.
„Dachtest du ich weiß nichts über dein Volk?“, grinste sie und bekam es gespiegelt. „Es ist eine Tatsache, dass 99 von 100 Elfen auf Ilhár geboren werden. Ich muss zugeben, das Risiko, falschzuliegen, war da, allerdings wohl verschwindend gering. Meinst du nicht?“
Nun stieß Océan erheitert die Luft aus. „Da muss ich dir recht geben, auch wenn du nicht vollkommen richtig liegst.“
„Wo lag denn mein Fehler?“
„Ich wurde in Kahár geboren.“
„Ach“, stieß nun Jamie erstaunt aus. „Wirklich? Wo?“
„In der Hafenstadt, Daunt. Ich habe ganze drei Tage in diesem Land hier gelebt, dann ist meine Mutter mit mir zurück nach Ilhár übergesetzt.“
Jamie musste lachen. „Alles klar. Aber da lag ich wirklich nur knapp daneben.“
Auch er lachte und hob die Hand, um mit Daumen und Zeigefinger das Knapp anzuzeigen. Die Hände wieder im Schoß verschränkt, setzte er sich um und wieder kam ein leiser Schmerzenslaut.
„Geh zu einem Heiler, Océan.“
„Geht schon. Ich hab doch gesagt, ich hab auch ein bisschen was drauf, was Heilzauber angeht. Heiler werden überbewertet.“
„Bist du so darauf bedacht, deine Wette zu gewinnen?“, fragte Jamie und verstand die Männerwelt mal wieder nicht. Er hatte offensichtlich Schmerzen, doch er versuchte es ebenso offensichtlich, herunterzuspielen.
Sein Blick verriet ihr die Antwort erneut, bevor er sagte: „Thrace ist ein Rumtreiber. Er denkt, er würde immer gewinnen, weil die Frauen auf ihn stehen. Ich will ihm zeigen, dass es eben nicht immer so ist.“
Jamie schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich sollte zu meinem Zelt zurückgehen und dich hier sitzen lassen. Du versuchst, mich zu manipulieren, und denkst, ich würde es nicht merken. Du erzählst mir die Wahrheit und spekulierst darauf, ich würde dir helfen. Sicher denkst du, wenn ich ihr jetzt sage, es ist in Ordnung, wenn heute nichts läuft, dann hat sie Mitleid oder was auch immer und schon läuft was. Hältst du mich für blöd?“
Seine Augen hatten sich verengt, während sie gesprochen hatte, doch nun flog ihm ein unterdrücktes Lächeln über die Züge. „Also, ich denke keineswegs, du wärst blöd. Deine Schlussfolgerung gerade hat mir nun auch bewiesen, dass du es nicht bist. Ich muss allerdings sagen, dass ich wirklich mit der Absicht kam, heute Nacht deine Gesellschaft als Gespielin zu bekommen.
Dann habe ich dich gesehen und bemerkt, dass du nicht bereit dafür bist. Ich hatte es schon akzeptiert, als mir gerade eben die Idee kam, es mit diesem Trick zu versuchen. Allerdings habe ich auch hier nicht wirklich mit Erfolg gerechnet. Eben weil es offensichtlich war.“
„Also wolltest du mich tatsächlich mit Mitleid rumkriegen?“
Er zog eine Schnute und wackelte mit dem Kopf. „Irgendwie.“
„Gut gespielt, Elf“, ließ sie ihn wissen und nickte anerkennend.
„Danke. Leider nicht sehr erfolgreich, wie mir scheint.“
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht wirklich.“ Dann stellte sie den Met weg, stand auf, ging zu ihm rüber und setzte sich frontal zu ihm auf seinen Schoß. Sein Blick wurde fragend, als sie sachte mit einem Finger über einen Kratzer an seiner Wange strich.
„Aber du hast Glück“, meinte sie dann.
„Ach ja?“
Jamie nickte. „Du bist ehrlich gewesen, auch wenn’s Eigennutz war. Aber weißt du, was dir auch zuspielt?“
„Verrate es mir.“
Ganz nah an seinem Ohr flüsterte sie. „Ich bin neugierig auf dich.“ Dann nahm sie sein Ohrläppchen zwischen die Zähne und zog daran.
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