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Eines der Szenarien, auf die ich manchmal hinweise, wenn ich über dieses Thema spreche, ist folgendes: Wenn man beispielsweise einmal alle Nachkommen von Ausländern, die heute in Amerika leben, und ihre Geburtenrate nimmt, und 50 Jahre dazu addiert, und dann dazu noch einmal die Tausenden von Einwanderern, die jährlich nach Amerika kommen und sich um die Staatsbürgerschaft bewerben und deren Geburtenraten hinzurechnet, und dass damit vergleicht, was in der Geschichte mit uns geschehen ist, dann sieht die Zukunft der Eingeborenen Völker der westlichen Hemisphäre nicht gerade rosig aus. Jährlich kommen diese Einwanderer und trampeln gedankenlos über unsere Sitten und Bräuche hinweg. Sie zeigen keinen Respekt gegenüber den Ureinwohnern und den Tieren dieses Landes. Für sie sind die Tiere nur Wild, das am Wochenende abgeknallt werden kann und der Kojote ist nur ein Schädling.
Aber jene Leute, die den Kojoten jagen und Prämien für sein Fell aussetzen und ihn grundlos töten, haben mit Konsequenzen zu rechnen. Der Kojote ist ein heiliges Tier und einer der großen spirituellen Helfer. Diese Leute sollten lieber vorsichtig sein, denn der Kojote ist die physische Manifestation eines Geistwesens.
Kurz nachdem man mich zu dieser Schule gebracht hatte, träumte ich eines Nachts von meinem Großvater. In diesem Traum taten wir all diese schönen Dinge, die wir immer zusammen getan hatten, als ich noch bei ihm lebte. Es schien mir, dass der Traum die ganze Nacht hindurch andauerte und genau in dem Moment begann, als ich zu Bett ging und den Kopf auf das Kissen legte. Ich besuchte ihn, und wir gingen angeln und verbrachten eine schöne Zeit miteinander. Als ich wieder aufwachte und mir klar wurde, wo ich wirklich war, und dass ich alles nur geträumt hatte, war ich sehr niedergeschlagen und zutiefst traurig. Etwa einen Monat nach diesem Traum bekam ich die Nachricht, dass mein Großvater gestorben war. Am Tag der Beerdigung wartete ich darauf, dass jemand käme, um mich abzuholen, aber niemand tauchte auf. Ich war gerade in der ersten Klasse und Mrs. Winnie, die Lehrerin, die die ersten Klassen unterrichtete, musste mich in einen anderen Raum bringen, sodass ich an diesem Tag allein sein konnte. Ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen.
Erst später wurde mir im Verlauf meines Lebens klar, dass der Traum, den ich von Großvater und mir hatte, so eine Art spirituelles und emotionales Trostpolster war, um den harten Schlag, der ja unausweichlich auf mich zukommen würde, etwas erträglicher zu machen. Gleichzeitig verschaffte er mir wundervolle Erinnerungen an den einzigen Mann in meinem Leben, der jemals gut zu mir gewesen war. Dies war auch mein erstes spirituelles Erlebnis, auch wenn ich das viele Jahre lang nicht verstanden hatte. Großvater liegt auf dem Wyandotte Indianerfriedhof am Highway 10 begraben, unweit vom Stammesbüro der Wyandottes, nicht weit von der Schule und dort wo er lebte.
Mein Mitbewohner in der Schule hieß Manuel Pittstubby. Er war ein Choctaw aus Durant, Oklahoma. Ich weiß nicht mehr warum, aber zuerst mochten wir uns nicht. Irgendwann änderte sich das und wir wurden Freunde und teilten dann das Zimmer miteinander. Manuel war ein großer schlaksiger Junge, bestand buchstäblich nur aus Haut und Knochen und sein Kopf wirkte viel zu groß für seinen Körper. Es war immer schon sehr kränklich und es geschah, als er wieder einmal kränkelte, dass die Krankenschwester der Schule, Mrs. Caraway ihn ins Claremore Indian Hospital nach Claremont nach Oklahoma brachte, in dasselbe Krankenhaus, in dem ich geboren worden war. Manuel kam nie mehr zurück.
Ich hörte, dass er Lungenentzündung gehabt hatte und kurze Zeit, nachdem er ins Krankenhaus gebracht worden war, dort verstarb.
Ich erinnere mich noch, wie ich zu jemandem sagte, dass einige von uns zur Beerdigung gehen sollten, und einige der älteren Schüler durften daran teilnehmen. Es verletzte mich, dass ich nicht gehen durfte, denn ich war es doch, der den Vorschlag gemacht hatte, und außerdem war er mein Zimmerkamerad. Aber Goodlow ging hin. Ich erinnere mich noch, wie er auf der Treppe innerhalb der Unterkunft saß und in einem seltenen Anflug von Mitgefühl an Manuel dachte und meinte, was für ein guter Junge er doch gewesen sei. Aber woran ich mich auch erinnere ist, dass Goodlow Manuel gar nicht mochte und gelegentlich richtig gemein zu ihm gewesen war. Ich wunderte mich darüber, dass er so tat, als sei er traurig über dessen Tod. Vielleicht war er es ja auch oder vielleicht wünschte er, er hätte ihn besser behandelt, als er noch lebte. Das einzig gute, was ich überhaupt aus dieser Zeit im Internat mitnehmen konnte, waren Freundschaften. Nicht viele, aber ich hatte immer wieder spezielle Freunde.
Ich traf David Edward Logan ungefähr um 1958 herum. Er kam zusammen mit seinem Bruder Philipp auf die Schule, mit dem ich mich zuerst anfreundete. Als ich Dave zum ersten Mal begegnete, prügelten wir uns. Ich weiß nicht mehr warum, und auch nicht mehr, wer gewonnen hat, aber während der letzten Jahre auf der Seneca Indian School wurden wir enge Freunde, und diese Freundschaft vertiefte sich im Jugendalter bis in die 20er hinein.
Dave stammte aus einer Großfamilie, bestehend aus acht oder neun Geschwistern, seinen Eltern und einer hochbetagten Großmutter. In diesen Tagen in den 1950ern war sie bereits über 90. Ich glaube nicht, dass sie je Englisch gelernt hatte. Sie war schon geistig dement und ihre Tochter, Daves Mutter, rügte sie manchmal, weil sie schlechte Verhaltenweisen an den Tag legte, die anscheinend mit hohem Alter einhergehen.
Dave und seine Familie nahmen regelmäßig am jährlichen Green Corn Festival der Seneca und Cayuga teil. Das war eigentlich mehr eine Zeremonie und sie wurde am Lake Cowskin nördlich von Grove, Oklahoma, abgehalten. Jedes Jahr trampte ich dorthin, übernachtete bei Dave und seiner Familie und nahm an ihren Zeremonien teil.
Sie haben mich immer wie einen Teil ihrer Familie willkommen geheißen und hatten immer einen Platz in ihrem Camp.
Wir tanzten die ganze Nacht lang den Stomp Dance und ich lernte die meisten der Lieder, auch wenn ich die Bedeutung der Worte nicht verstand. Der Stomp Dance ist eigentlich ein Ritual. Hierbei versammeln sich die Tänzer um ein Feuer und tanzen mit den Füßen stampfend drum herum. Heutzutage kann es aber auch als ein rein soziales Ereignis gefeiert werden. Einige Jahre später, als ich an einer bewaffneten Besetzung der Sechs Nationen der Irokesenföderation in den Adirondak Mountains im Staate New York teilnahm, hörte ich die gleichen Lieder wieder, und es richtete mich auf. Irgendwie habe ich die Seneca und Cayuga von Oklahoma, die Mitglieder der Sechs Nationen sind, gedanklich nie mit den Sechs Nationen in New York oder Kanada zusammengebracht. Die Lieder aus der Zeit meiner Kindheit dort an diesem Ort zu hören, berührte mein Herz auf eine Weise, die ich niemals vergessen werde.
Dave und seine Familie pflegten auch zum jährlichen Quapaw Powwow zu fahren und auch dort schlief ich bei ihnen. Abgesehen von meiner Großmutter und den anderen Familienmitgliedern waren sie meine erste Berührung mit den indianischen Wegen. Ich tanzte den Sonnentanz nach der Art wie ihn die Six Nations tanzten. Das war, als ich ungefähr elf oder zwölf Jahre alt war. Zur gleichen Zeit rauchte ich auch meine erste Pfeife. Ich denke, es hat etwas mit ihrer spirituellen Großzügigkeit zu tun, dass ich heutzutage etwas über die Zeremonien weiß, die ich ausführe. Es war Dave, der mich in meinen wilden Jahren als Teenager und später als junger Mann mehr als einmal vor der Polizei versteckte, oder mir sogar zur Flucht verhalf, wenn sie wegen irgendwelcher kriminellen Delikte hinter mir her waren. Er hat mich nie im Stich gelassen, wenn ich seine Hilfe brauchte, und am Ende seines Lebens, als sein Körper von Diabetes zerfressen und von Nierenversagen und damit einhergehenden Dialysetherapien geschwächt war, versuchte ich im Gegenzug ihm zur Seite zu stehen. Schließlich wurde er im September 1996 nach längerem Leiden durch den Tod erlöst. Eines der Dinge, die mich wirklich wütend machten, während er so krank war, und die mich auch heute noch aufregen, ist es, wenn ich daran denke, dass Diabetes, Alkoholismus, zerstörte Familien, Gehirnwäsche usw. vom weißen Mann hierhergebracht und an unsere Vorfahren weitergegeben wurden. Wir haben Dinge von ihnen geerbt, die uns auf die eine oder andere Weise töten können. Meinen Freund tagtäglich etwas mehr sterben zu sehen, war extrem hart. Es berührte mich dermaßen, dass ich Hassgefühle entwickelte und Rache nehmen wollte für jeden Indianer, der durch eine Krankheit des weißen Mannes gestorben ist.
Als es langsam mit ihm zu Ende ging, hatte er sich noch eine nicht heilen wollende Staphylokokken-Infektion zugezogen. Die Ärzte schnitten das tote und infizierte Gewebe heraus und ließen seine Schädeldecke geöffnet, doch auch damit konnten sie ihn nicht heilen. In den frühen Morgenstunden fand ihn seine Tochter Mickey, die nach ihm sehen wollte, tot in seinem Zimmer. Sie war zwar noch ein Teenager, hatte aber mutig und tapfer die Aufgabe übernommen, ihren sterbenden Vater zu pflegen.
Vor seinem Tod, als man ihm mitgeteilt hatte, dass er möglicherweise an die Dialyse angeschlossen werden musste, nahm ich ihn zu einer Heilungszeremonie mit, aber es war bereits zu spät. Er hatte wohl zu lange gewartet und ich denke auch, dass er sich gedanklich bereits soweit mit der Dialysemaschine beschäftigt hatte, dass die spirituellen Heilungsversuche wirkungslos blieben. Aus diesem Grund konnte er nicht gesund werden. Ich hatte die traurige, aber ehrenvolle Aufgabe ihn auf den Friedhof zu geleiten und ihn neben seinen Verwandten, seiner Mutter Jane, seinem Vater Dave senior, seinen Brüdern John und Sydney und seiner Schwester Jackie zu bestatten. Wenn es etwas Positives gab, das aus meinem Besuch in der Boarding School resultierte, dann war es die enge Freundschaft, die sich zwischen diesem wunderbaren Menschen und mir entwickelt hatte. Er war und ist immer noch mein Freund, und ich vermisse ihn sehr. Wenn ich nach Hause komme, dann ist es nicht mehr so wie es war, als er noch lebte. Sein Bruder Phil und ich sind zwar auch befreundet und es ist auch okay, ihn zu besuchen, aber wir sehen uns nicht so oft wie Dave und ich uns getroffen haben.
Anfang der 60er, nach dem ich höchstwahrscheinlich mehr als irgendein anderer von allen Internatsschulen weggelaufen bin, wurde ich zusammen mit vier oder fünf anderen Ausreißern der Schule verwiesen. Ich wurde wieder nach Hause geschickt, aber leider war mein Aufenthalt dort nur sehr kurz. Man hatte das Büro für Indianerangelegenheiten auf mich aufmerksam gemacht und man hatte eine andere Boarding School für mich ausgesucht. Der Hauptunterschied zwischen der Seneca Indian School und Oaks Mission war, das letztere eine Missionsschule, die erste eine Schule war, die von der Bundesregierung geleitet wurde. Auf der Seneca Indian School mussten wir zwar eine der drei Kirchen besuchen, die sich in Wyondotte befanden, aber ansonsten wurde der religiösen Erziehung nicht allzu viel Aufmerksamkeit gewidmet.
In Oaks Mission wurde RELIGION hingegen großgeschrieben. Inzwischen hatte man mich zu einem „Mündel des Gerichts“ gemacht, weil ich so oft von der Schule weggelaufen war. Man hatte mich gewarnt, dass man mich einsperren würde, wenn ich nicht dort bliebe. So blieb ich eine Weile dort, aber im Sommer fragte ich sie, ob ich meine Familie besuchen könne. Man sagte mir, dass es vielleicht möglich wäre, zwei Wochen lang beurlaubt zu werden. Aber zwei Wochen erschienen mir nicht lang genug, und so tat ich, was ich tun musste: Ich lief davon. Ich fuhr nach Fairland, Oklahoma, und verbrachte dort den größten Teil des Sommers mit meiner Tante Katherine (Oogie) und ihrem Mann Vic. Aus irgendeinem Grund erlaubte sie mir, bei ihr zu bleiben, obwohl sie über mich Bescheid wusste. Aber als die Schule wieder anfing, wurde ich von der Polizei abgeholt und ins Gefängnis gesteckt. Von dort aus brachte man mich in ein Waisenhaus in den Hügeln nicht weit von Talequah, Oklahoma. Es wurde Cookson Hills Christian Home genannt. Dort versuchte man erneut, mich religiös zu indoktrinieren.
Es ist wirklich schön dort. Ich glaube, als die Regierung die Cherokees aus North Carolina hierher umsiedelte, müssen sie sich einen Ort gesucht haben, der ihrer ursprünglichen Heimat ähnelte. Dieser Ort erinnert wirklich ein wenig an die Smokey Mountains in North Carolina. Pretty Boy Floyd, einer der Verbrecher aus der Ära John Dillingfer, Clyde Barrow und Bonnie Parker hat sich in den Cookson Hills verstreckt, und ich denke, er war sicher nicht der einzige.
In Cookson gab es eine Reihe von Häusern mit zwei bis sechs, oder sogar acht Kindern und einem meist verheirateten Paar, die wir Mom und Dad zu nennen hatten. Soweit es die Einrichtungen betraf, war es ein netter Ort, aber nicht nett genug für mich. Ich blieb nur so lange dort, bis ich Zeuge wurde, wie ein älterer Junge von einem männlichen Betreuer eine Ohrfeige erhielt. Bevor mir so etwas passieren könnte, wollte ich lieber abhauen.
Zum Holztransport oder für andere Tätigkeiten um das Haus herum, war es den älteren Jungs gestattet, die Pick-up Trucks zu benutzen. Ich hatte mich mit einem Jungen angefreundet, der ähnlich wie ich dachte und kurze Zeit, nachdem wir uns kennengelernt hatten, schmiedeten wir einen Fluchtplan. Er hatte die Erlaubnis, einen der Wagen zu benutzen und auf diese Weise wollten wir abhauen. Er besaß eine Pistole, die er mir zeigte, und diese trug er bei unserer Flucht bei sich. Aber wir kamen nicht weit. Noch am ersten Tag der Flucht wurden wir von der Autobahnpolizei angehalten und ins Gefängnis von Vinita, Oklahoma, gesteckt. Ich erinnere mich nicht mehr, wie er hieß und weiß nicht, was danach mit meinem Freund passierte. Danach schickte man mich als Mündel des Gerichts nach Miami zurück und sowohl das Gericht als auch die Verantwortlichen der Stadt schickten mich nun in eine Besserungsanstalt.
Im gleichen Jahr, in dem man mich von der Seneca Indian School suspendierte, hatten mir die Polizei, Sozialarbeiter, das Schulpersonal und selbst meine Großmutter prophezeit, und mir auch damit gedroht, dass man mich irgendwann zur Helena State Training School schicken würde, wenn ich mich nicht besserte. Mit dem Diebstahl des Pick-up Trucks und meiner Flucht aus dem Waisenhaus hatte ich mir nun Helena eingebrockt, deren Pforten ich am 1. Januar 1964 durchschritt. Ich war gerade erst 13 Jahre alt und hatte über die Hälfte meines Lebens in den Institutionen des weißen Mannes verbracht.
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