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Grammatisch gesehen seien GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus zwei unabhängige Systeme. So argumentieren vor allem viele Gegner/innen einer gendergerechten Sprache und berufen sich auf strukturalistische Ansichten, die der LangueLangue die Priorität einräumen. Für sie ist sowohl die neutrale Interpretation als auch die Verwendung des generischen Maskulinums generell auf sprachsystematischer Ebene anzusiedeln und damit regelhaft und notwendig. Dies kollidiert jedoch mit der tatsächlichen Verwendungsweise, denn die Sprachbenutzer/innen interpretieren Genus als Hinweis auf das natürliche Geschlecht. Das ist einer der Hauptdiskussionspunkte der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik, da daraus Forderungen nach Änderungen des Sprachsystems folgen. Auch wenn dies auf rein grammatischer Ebene eigentlich gar nicht sein sollte, weil hier grammatische Eigenschaften von Lexemen und Bedeutungsaspekte verwechselt werden, tendieren die Sprachnutzer/innen dennoch immer wieder zu dieser Interpretation. Deswegen werden maskuline Formen auch männlich aufgefasst. Da außerdem Sprachwandel in der Regel vom Gebrauch ausgeht und sich irgendwann als Regelhaftigkeit und damit Teil des Sprachsystems niederschlägt, verbinden sich hier zwei Pseudoprobleme, die weniger an der Sprachwirklichkeit als vielmehr an der theoretischen Position hängen.
Eine Veränderung des Sprachsystems, um Änderungen im Denken zu erreichen, ist für strukturalistisch und generativ orientierte Sprachwissenschaftler/innen nicht möglich. Gerade die zweite Gruppe setzt Sprache unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten als Modul an. Bei solchen Diskussionen geht es darum immer auch um die Verteidigung eigener sprachpolitischer Ideologien, so dass ein Konsens nicht angestrebt wird. Daher sind in den Diskussionen immer wieder die Argumente zu hören, das generische Maskulinum sei neutral und systemhaft und daher nicht zu beanstanden. Deswegen seien Änderungen nicht nötig. Dabei werden historische und psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Fakten ignoriert.
5.4 Alternativen
Die kritischen Diskussionen führten zu der Forderung, u.a. Frauen eigens zu benennen. Dafür bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, zum Beispiel die Doppel- oder BeidnennungBeidnennung (Studentinnen und Studenten), Beidnennung mit SchrägstrichSchrägstrich (die Studenten/Studentinnen, die Student/innen), geschlechtsneutralegeschlechtsneutral PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung (Studierende, Lehrende im Plural, LehrkraftLehrer/in, -kraft, -schaft) oder das Binnen-IBinnen-I (StudentInnen, LehrerInnen). Der UnterstrichUnterstrich, auch gender gap genannt (Lehrer_innen), und das SternchenSternchen (Lehrer*innen) verweisen auf die Leerstelle zwischen weiblichen und männlichen Formen und berücksichtigen auch „queer“1. Sie sollen dabei bewusst irritieren (vgl. Bergmann/Schößler/Schreck 2012: 13, Diewald/Steinhauer 2017: 46f.).

Abb. 2: Straßenschild in Basel
Weiter lässt sich der Geschlechtsunterschied lexikalisch, durch den Zusatz von Adjektiven (weiblich, männlich) oder Kompositionsgliedern (Frau, Mann) klären, vgl. männliches/weibliches Kind, Ehefrau/Ehemann. Eine andere Möglichkeit ist Abstraktion: Statt sich zwischen einem Präsidenten und einer Präsidentin zu entscheiden, kann das Präsidium gewählt werden (Bußmann/Hellinger 2003: 157). Alternativ vermeiden geschickte Umformulierungen generische Maskulina, vgl. Antragsteller müssen das Formular vollständig ausfüllen vs. Um einen Antrag zu stellen, ist das Formular vollständig auszufüllen.
5.5 Strategien des Widerstands
Die Forderungen, durch sprachliche Änderungen mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern zu erzielen, stießen und stoßen immer noch auf erstaunliche Widerstände (Kap. 2.4). Hellinger (1990: 133ff.) stellte sechs Strategien zusammen: leugnen, beschwichtigen, ignorieren, warnen, herabsetzen und lächerlich machen. Es wird geleugnet, dass Sprache und Gesellschaft zusammenhängen und dass Maskulina Frauen ausschließen. Die Interrelation wird als trivial gesehen, ein möglicher Sexismus durch Maskulina sei nicht so gemeint. Die Thematisierung des Problems und die Alternativvorschläge werden ignoriert. Vor den Alternativen wird gewarnt, da sie umständlich oder unschön seien und die Redefreiheit bedrohten. Schließlich werden die Vertreter/innen gendergerechter Sprache bzw. ihre Arbeiten als unwissenschaftlich kritisiert oder auch lächerlich gemacht. Diese Vorgehensweisen sind nach wie vor aktuell trotz beinahe 40 Jahre dauernder Versuche, auf einer sachlichen Ebene zu bleiben und Argumente durch Forschungsergebnisse zu untermauern. Nach wie vor wird behauptet, generische Maskulina seien geschlechtsneutralgeschlechtsneutral und GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus seien stets zu trennen. Einige meinen, kognitiveKognition, kognitiv Effekte seien zwar möglich, aber nicht wichtig, ein aktives Bemühen um gendergerechte Sprache sei daher unnötig oder gar unzumutbar. Noch weiter gehen polemische oder gar aggressive Kritik oder Spott (Mensch*_Innen). Hierzu sei auf die vielen Kommentare zu ernst gemeinten wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwiesen, vorzugsweise im Internet, wo im Schutz der Anonymität mit emotionalen und oft auch beleidigenden Bewertungen wie Schwachsinn, Quatsch, Gender-Gaga, Sprachverstümmelung, Sprachklempnerinnen, totalitärer Irrsinn, unsinnig, abstrus, manipulativ nicht gespart wird, ohne gleichzeitig die Argumente und die Diskussion zur Kenntnis zu nehmen. Selbst in seriösen ZeitschriftenZeitschrift und ZeitungenZeitung sind immer wieder aggressive und unwissenschaftliche Kommentare zu lesen. Auch aktuell gibt es noch Diskussionen zwischen wissenschaftlichen und polemischen Gruppen, die immer wieder die längst entkräfteten Argumente bemühen. So will der Band von Meinunger/Baumann (2017) in einem gut gemeinten Versuch einen sachlichen und aktuellen Beitrag zur Debatte zusammenstellen, wiederholt aber alte, längst widerlegte Argumente oder Fehler und ist auch stilistisch keineswegs immer sachlich-neutral. Es ist die Rede von Ungeheuerlichkeiten, von Unsinnin, die es auf die Gipfelin treibt, von Genderei. Die Reihenfolge Bürgerinnen und Bürger wird als verkehrt herum bezeichnet, die Sapir-Whorf-HypotheseRelativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese als sprachdeterminierend charakterisiert und nicht ernst genommen. Das generische Maskulinum sei Schicksal, reiche vollkommen aus und richte sich an alle Menschen. Gendergerechte Sprache sei ermüdend, unmöglich zu lesen.
Als weiteres Beispiel sei Josef Bayer in der NZZ genannt mit Formulierungen wie „[u]nd da kommen jetzt auf einmal missionarisch getriebene Sprachklempnerinnen daher“1. Die Debatte ist mittlerweile von konservativen, rechts ausgerichteten Seiten auch politisch instrumentalisiert worden.
5.6 Zusammenfassung
GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus sind verschiedene Systeme, die grammatische vs. semantischeSemantik, -isch Informationen anzeigen. Sprachen nutzen unterschiedlich viele Genera, das Deutsche hat drei. Unabhängig davon markieren Sprachen das Geschlecht grammatisch, lexikalisch und sozial. Auf der grammatischen Ebene werden im Deutschen wie in vielen anderen Sprachen Maskulina auch neutral bzw. generisch verwendet und dann entsprechend generisches Maskulinumgenerisches Maskulinum genannt. Das war im Sprachsystem historisch nicht gegeben.
Bei Menschen- und Tierbezeichnungen korrelieren Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und GenusGenus oft, so dass sich die Grenzen zwischen dem grammatischen und semantischen System verwischen und Genus immer mehr als semantische Information uminterpretiert wird. Die Sprachbenutzer/innen fassen daher Maskulina tatsächlich männlich auf, so dass die generische Funktion unklar und beliebig wird. Dies können viele psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Verfahren belegen.
Das generische Maskulinum wird u.a. deswegen kritisiert, weil es mehrdeutig ist, weil Frauen sprachlich nicht sichtbar werden, weil sie darum weniger Identifizierungsmöglichkeiten haben und weniger wahrgenommen werden. Darüber hinaus kommt es zu weiteren Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern auf sprachlicher Ebene, die unterschwellige Botschaften zu Hierarchien und Klischees vermitteln. In den Debatten um mehr Gleichberechtigung stellten sich diese Aspekte als Kritikpunkte heraus: Solche sprachlichen AsymmetrienAsymmetrie bestimmen gesellschaftliche Asymmetrien wesentlich mit. Versuche, dies zu ändern, etwa mithilfe von alternativen Schreibweisen, die Frauen sichtbar machen oder die weitere Gendertypen berücksichtigen, stießen und stoßen nach wie vor auf erheblichen Widerstand.
Viele der sprachlichen AsymmetrienAsymmetrie auf Wort- und Phraseologismenebene spiegeln längst überkommene Klischees wider. Einige Beispiele lassen sich historisch erklären, denn auch heute bildet unsere Sprache die früher männlich dominierte Wirklichkeit ab. Entsprechend ist es berechtigt, neue Realitäten auch sprachlich auszudrücken.
5.7 Forschungsaufgaben
In kleineren Forschungsarbeiten können emotionale, polemische Kommentare von Wissenschaftler/innen und Politiker/innen auf Methodik, Taktik und den Wahrheitsgehalt hin geprüft werden als Übung zu Manipulation, richtigem Argumentieren und wissenschaftlich korrektem Verhalten. Hier ist vor allem auf Falschaussagen und Verschweigen von Tatsachen zu achten. Haß-Zumkehr (2003) macht Vorschläge, wie sich anhand von Korpusanalysen Sprachwandelerscheinungen untersuchen lassen. Motschenbacher (2017) listet einige Fragestellungen und Analysevorschläge auf. Kleinere Studien können aktuelle Texte auf die Verwendung des generischen Maskulinums hin prüfen. Hier erscheinen auch bei unbelebten Subjekten mittlerweile öfter Femininformen, etwa die Firma Müller ist Auftraggeberin für die Baumaßnahmen, die Mafia gilt als Drahtzieherin hinter den Morden, die Universitätsbibliothek als Betreiberin, die Firma X als Partnerin. Es gibt bislang keine Untersuchungen, seit wann, in welchem Ausmaß, in welchen Textzusammenhängen und bezogen auf welche Begriffe dieser Typ Kongruenz auftritt. Ein Vergleich mit älteren Texten mit mehr maskulinen Formen könnte einen Sprachwandel zeigen. Ein anderer Aspekt bezieht sich auf belebte Bezugsnomen im grammatischen Neutrum, aber mit weiblicher SemantikSemantik, -isch, die vermehrt feminin aufgenommen werden, vgl. das Mädchen von nebenan ist der Gewinner/die Gewinnerin des Wettbewerbs.
5.8 Literatur
Diewald/Steinhauer (2017) bieten einen übersichtlichen und gut verständlichen Überblick über die sprachsystematischen Grundlagen. Zur Vertiefung eignen sich beispielsweise Samel (2000), Bußmann/Hellinger (2003), Kotthoff et al. (2018). Vor- und Nachteile der Möglichkeiten bespricht Henning (2016). Zur Geschichte des generischen Maskulinums vgl. Doleschal (2002), Irmen/Steiger (2005). Kurze Darstellungen der Situation zum Ende des letzten Jahrhunderts aus Sicht verschiedener deutschsprachiger Länder stammen von Doleschal (1998), Peyer/Wyss (1998), Schoenthal (1998), Trempelmann (1998). Diewald/Steinhauer (2017) diskutieren die verschiedenen Möglichkeiten gendergerechter Sprache und die damit verbundenen Probleme und bieten Formulierungshilfen. Argumentationshilfen bei Einwänden stellen auch Tanzberger/Schneider (2007) oder Schneider et al. (2011) zusammen. Zu sprachpolitischen Maßnahmen und Umsetzungen in Österreich vgl. Wetschanow/Doleschal (2013), in der Schweiz vgl. Elmiger et al. (2017). Zu Widerständen gegen Gleichstellungsarbeit und gendergerechte Sprache vgl. u.a. Hayn/Marx (2019), für Österreich Wetschanow/Doleschal (2013). Die textlinguistisch ausgerichtete Studie von Pettersson (2011) untersucht die konkrete Verwendung generischer Maskulina in Abhängigkeit von Textsorte, Ko- und KontextKontext.
Die meisten Institutionen haben mittlerweile Leitfäden zu gendergerechter Sprache zusammengestellt, die Vorschläge, Formulierungs-, aber auch Argumentationshilfen und Verhaltensratschläge enthalten. Eine Sammlung findet sich z.B. unter http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/gender_budget__leitfaden_checklisten.pdf. Wetschanow (2017) gibt eine kritische Zusammenstellung. Harnisch (2016) macht auf Fehler aufmerksam (der Studierende statt der Student ist keine Verbesserung).
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