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b) Angelophanien
Engel treten vornehmlich zu Beginn und am Ende des Lebens Jesu auf. Sie erscheinen in Traumvisionen oder direkt.1 Sie überbringen wichtige Botschaften Gottes und schützen den neugeborenen Messias vor dem Zugriff des Herodes (Mt 2,12.13–23). In der Apg befreien Engel die Apostel aus Lebensgefahr (Apg 5,17–25; 12,3–19; 27). In apkl. Kontexten übersetzen Engel göttliche Offenbarungen (angelus interpres; Sach 1–6; Dan 7–12; Apk 19,9f.; 22,8f.).
c) Christophanien
Christophanien offenbaren die transzendent-göttliche Identität Jesu. Beispiele sind der Seewandel (Wahrnehmung Jesu als ‚Gespenst‘, gr. phántasma, Mk 6,45–52), die Verklärung (Jesus im Dialog mit Mose und Elia; Mk 9,2–13parr.), die Ostervisionen1 sowie die Himmelfahrt (Lk 24,50–53par. Apg 1,9–11). Dreimal erzählt die Apg die Christophanie des Paulus (Apg 9,1–9; 22,3–21; 26,4–23).
d) Pneumatophanien
Der Heilige Geist erscheint bei der Taufe Jesu und beim Pfingstwunder (Mk 1,9–11parr.; Apg 2,1–4). Hier manifestiert er sich sichtbar als Taube (Taufe Jesu) bzw. als Feuerzungen (Pfingstwunder). Die Pneumatophanien stehen am Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu bzw. der Apostel. Im weiteren Verlauf der Apg wird der Heilige Geist nicht mehr öffentlich sichtbar, sondern in vielen Wirkungen wie etwa in besonderen Gaben und Fähigkeiten (Charismen) erfahrbar.
1.6.9 Weitere Wunderformen
Weitere Wunderformen sind Metamorphosen, Entrückungen, kosmisch-apkl. Zeichen, Schadenzauber, Führungswunder und prophetische Zeichenhandlungen.
a) Metamorphosen
Verwandlungen von Göttern und Menschen sind in der antiken Religionsgeschichte verbreitet. Göttervater Zeus verwandelt sich meisterhaft, um inkognito seine Pläne zu verwirklichen, etwa als Schwan bei Leda oder als Stier bei Europa. Ovid und Apuleius bieten Metamorphosen-Sammlungen. Paulus spricht in 1 Kor 15,51 von der Metamorphose des psychischen in den pneumatischen Körper. Mk 9,2 nennt die Verklärung Jesu eine Metamorphose. – Ein hell. Textbeispiel findet sich bei Apuleius (2. Jh. n. Chr.), Metamorphosen (Der goldene Esel), Buch 3:
„Allererst zieht sich Pamphile fasernackt aus. Nachher schließt sie eine Lade auf, woraus sie verschiedene Büchschen nimmt. Eines von diesen Büchschen öffnet sie und holt daraus eine Salbe, die sie so lange zwischen beiden Händen reibt, bis sie völlig zergangen ist, alsdann beschmiert sie sich damit von der Ferse bis zum Scheitel. […] In einem Augenblick sind auch starke Schwungfedern gewachsen, hornicht und krumm ist die Nase; die Füße sind in Krallen zusammengezogen. Da steht Pamphile als Uhu! Sie erhebt ein gräßliches Gekrächze und hüpft zum Versuche am Boden hin. Endlich hebt sie sich auf ihren Flügeln in die Höhe und in vollem Fluge hinaus zum Erker! Also ward Pamphile vorsätzlicherweise durch ihre magische Wissenschaft verwandelt […].“1
b) Führungswunder
Führungswunder versetzen Menschen urplötzlich an von der Gottheit vorbestimmte Orte und auf Wege. Klassisches Beispiel ist Odysseus, der über lange, göttlich gesteuerte Irrfahrten an sein vorbestimmtes Ziel gelangt. Auch der Exodus Israels aus Ägypten, die anschließende Wüstenwanderung und die Landnahme-Erzählung lesen sich als fortgesetzes Führungswunder.1 Der Heilige Geist erweist sich durch überraschende ‚Umleitungen‘ der Apostel als Lenker der Weltmission (Apg 8,26–29.39f.; 10; 16,6–10 u.a.).
c) Entrückungen
Entrückungen an ferne oder himmlische Orte sind eine Möglichkeit göttlicher, wunderhafter Führung. Jesu Himmelfahrt ist eine Entrückung in der Tradition Elias (Lk 24,50–53par. Apg 1,9–11; vgl. 2 Kön 2); Henoch wird in den Himmel entrückt (Gen 5,24), ähnlich, wie Herakles im gr. Mythos unter die Götter versetzt wird. Der Heilige Geist entrückt Philippus zum nächsten Einsatzort (Apg 8,39f.). Entrückungen in den Himmel dienen in apkl. Texten der Kundgabe göttlichen Wissens.1 Dieses ist nach der Rückkehr des Visionärs den Menschen kundzutun. – Über die Entrückung des Herakles schreibt Diodorus Siculus (1. Jh. v. Chr.):
(Herakles ist dem Sterben nahe) „Der Gott aber gab das Orakel, Herakles solle mit der Kriegsrüstung auf den Öta gebracht werden und man solle in seiner Nähe einen großen Scheiterhaufen errichten; um die übrigen Dinge aber, sagte er, werde sich Zeus kümmern. Als die Leute um Jolaos das Angeordnete getan hatten und als sie aus einer Entfernung das, was geschehen würde, erwartungsvoll beobachteten, gab Herakles die Hoffnung für sich auf, bestieg den Scheiterhaufen und ermahnte jeden, der hinzukam, den Scheiterhaufen anzuzünden. Da aber keiner zu folgen wagte, ließ sich allein Philoktet überreden. Er empfing als Dank für den Dienst die Pfeile als Geschenk und zündete den Scheiterhaufen an. Sogleich fielen Blitze vom Himmel herab, und der ganze Scheiterhaufen loderte auf. Danach kamen aber die Leute um Jolaos zur Sammlung der Gebeine. Und sie fanden überhaupt keinen einzigen Knochen und nahmen daher an, daß Herakles den Orakeln gemäß aus den Menschen zu den Göttern versetzt worden sei.“2
d) Kosmisch-apokalyptische Zeichen
Kosmisch-apkl. Zeichen kündigen endzeitliche Großereignisse, wie die allgemeine Totenauferstehung und die Parusie Christi, an.1 – Jesus selbst verweigert kosmische Zeichen als Beweis seiner Vollmacht (Mk 8,11; Mt 12,38–40). – Der jüdische Targum Pseudo-Jonathan (1.–3. Jh. n. Chr.) zu Num 11,26 schildert kosmische Zeichen im Kontext des apkl. Endzeitdramas:
„Siehe, ein König wird ausgehen vom Land Magog am Ende der Tage. Er wird versammeln Könige, die Kronen tragen, und Befehlshaber, die Rüstung tragen, und alle Völker werden ihm gehorchen. Sie werden eine Schlacht anzetteln im Lande Israel gegen die Kinder der Zerstreuung, aber der Herr wird bereit sein, für sie auszubrennen den Atem des Lebens aus ihnen mit der Feuerflamme, die hervorkommt neben dem Thron der Herrlichkeit. Ihre toten Leiber fallen auf die Berge des Landes Israel, und die wilden Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels werden kommen und sie vertilgen. Danach werden alle Toten Israels auferweckt werden und werden genießen die guten Dinge, die geheim für sie bereitgehalten worden sind seit Anbeginn, und sie werden empfangen die Vergeltung ihrer Arbeit/Mühe.“2
e) Schadenzauber
Fluchformeln und Gebete der ‚schwarzen Magie‘ sollten die Götter dazu bewegen, bestimmten Menschen Schaden zuzufügen. Wunderhaft ist die unerwartete und unabwendbar scheinende Wirkung dieser Praktiken. 1 Sam 28 lehnt Schadenzauber strikt ab und stellt ihn unter göttliche Strafe (Totenbeschwörung der ‚Hexe‘ von Endor → 1.7.4).1 – Plinius der Ältere (1. Jh. n. Chr.), nat. 28,29, berichtet über die Wirkmacht von Schadenzauber:
Plinius behauptet, „dass es niemanden gäbe, der sich nicht fürchte, durch irgendwelche schaurigen Beschwörungen […] verflucht zu werden […]. Wo besteht die Gefahr? Überall. Es drohen gesundheitliche Schäden, mangelnde Konzentrationsfähigkeit in intellektuellen Berufen […], wirtschaftlicher Misserfolg, Liebeszwang zu einer Person hin, Frigidität gegenüber anderen […].“2
Eine Fluchtafel mit einem Rachegebet aus Groß-Gerau beinhaltet die Bitte um Verfluchung der Verräterin Priscilla:
„Größter aller Götter, Atthis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter (des Pantheons)! Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf daß ihr mich an Priscilla, Tochter des Carantus, rächt, die den großen Fehler beging zu heiraten. Bei Eurer Großen Göttermutter, rächt die altererbten Geheimnisse (oder: die Geheimnisse des Paternus). Priscilla soll zugrunde gehen! Bei der großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert(?) Tagen, an Priscilla, die meine Geheimnisse verrät! Priscilla erachte ich als absolut null und nichtig. Sie hat einen Nichtsnutz(?) geheiratet, weil Priscilla (ebenso) geil wie irre ist.“3
f) Prophetische Zeichenhandlungen
Staunenswerte Zeichenhandlungen sind das Markenzeichen von Hosea und Ezechiel. Sie bilden das kommende Unglück Israels ab.1 Auch Jes 20,3 und Jer 28 bieten Zeichenhandlungen. Die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12–14.20parr.) ist kein Strafwunder, sondern ein Hinweis auf die Macht des Gebets. Das Fischwunder Lk 5,1–11 läuft auf das Menschenfischer-Wort V. 10f. zu und ist damit auch als Zeichenhandlung verstehbar.
1.6.10 Wundersummarien
Wundersummarien fassen die Heilungs- und Exorzismustätigkeit Jesu oder der Apostel zusammen.1 Die Frage des Täufers nach Jesu Identität beantwortet dieser mit dem Hinweis auf zahlreiche Wundertaten als Erfüllung prophetischer Verheißung (Mt 11,5par. Lk 7,21f.; vgl. Lk 4,18–21).
1.6.11 Wunder im Neuen Testament – Textgrundlage
Grundlage der weiteren Ausführungen sind nicht nur Wundertexte im formkritischen Sinne, sondern auch Wunder an Jesus und den Aposteln, kurze Erwähnungen von Wundern, Wunder anderer Wundertäter sowie wunderhafte Geschehnisse wie Epiphanien, Metamorphosen und kosmische Zeichen.1
a) Wunder Jesu
Die Evangelien bieten ca. 35 Wundererzählungen Jesu (ohne Parallelüberlieferungen). Hinzu kommen Wundersummarien. Abgesehen von Strafwundern und Schadenzauber, sind alle Wundergattungen vertreten.
1 Heilungswunder/Therapien: Abgesehen von Exorzismen und Normenwundern, enthält das MkEv sieben Therapien: (1) Mk 1,29–31parr. Mt 8,14f.; Lk 4,38f. (Schwiegermutter des Petrus; in Lk 4,38f. als Exorzismus stilisiert); (2) Mk 1,40–45parr. Mt 8,2–4; Lk 5,12–16 (Aussätziger); (3) Mk 2,1–12parr. Mt 9,1–8; Lk 5,17–26; EvNik 6 (Gelähmter); (4) Mk 5,25–34parr. Mt 9,20–22; Lk 8,42–48 (Blutflüssige); (5) Mk 7,31–37 (Tauber); (6) Mk 8,22–26 (Blinder); (7) Mk 10,46–52parr. Mt 20,29–34; Lk 18,35–43 (Bartimäus). – Matthäus und Lukas kennen darüber hinaus folgende Therapien: Mt 8,5–13parr. Lk 7,1–10; Joh 4,46–54 (Hauptmann von Kapernaum); Mt 9,27–31 (zwei Blinde); Lk 17,11–19 (zehn Aussätzige); Lk 22,50f. (Ohr des Soldaten).
2 Exorzismen fehlen im JohEv. Markus bietet vier Texte: Mk 1,23–28par. Lk 4,33–36 (Kapernaum); Mk 5,1–20parr. Mt 8,28–34; Lk 8,26–39 (Gerasener); Mk 7,24–30par. Mt 15,21–28 (Frau aus Syrophönizien); Mk 9,14–29parr. Mt 17,14–20; Lk 9,37–43a (Mondsüchtiger bzw. taubstummer Junge). Auch die Sturmstillung (Mk 4,35–41parr.) hat exorzistische Züge (Mk 4,29parr.). – Über Markus hinaus enthalten das MtEv und das LkEv folgende Texte: Mt 9,32–34parr. Mt 12,22–24; Lk 11,14f. (Blinder bzw. Stummer); Lk 4,38f. (Schwiegermutter des Petrus) und Lk 8,2 (Maria Magdalena).
3 Totenerweckungen finden sich in allen Evangelien (Tochter des Jairus1, Jüngling zu Nain [Lk 7,11–17] und Lazarus [Joh 11,1–45]). Die Evangelisten gehen sparsam mit solchen Berichten um; nur Lk nennt zwei Erweckungen.
4 Geschenkwunder: Die Speisung der Fünf- bzw. Viertausend2, das Staterwunder (Mt 17,24–27), das Fischwunder (Lk 5,1–11par. Joh 21,1–14) und das Weinwunder zu Kana (Joh 2,1–11) repräsentieren diese Wundergattung.3
5 Normenwunder begegnen in Mk 3,1–6parr. Mt 12,9–14; Lk 6,6–11 (verdorrte Hand), Lk 13,10–17 (verkrümmte Frau), Lk 14,1–6 (Wassersüchtiger), Joh 5,1–18 (Gelähmter, vgl. V. 16) und Joh 9,1–7 (Blindgeborener, vgl. V. 14). Auch die Therapie Mk 2,1–12parr. (Gelähmter) ist als Normenwunder zu sehen (Frage der Sündenvergebung). Wunder Jesu, in denen ‚Unreine‘ und Nichtjuden geheilt werden, lassen sich ebenfalls dieser Kategorie zuordnen.
6 Natur- und Rettungswunder: Markus kolportiert die Sturmstillung4 und den Seewandel.5 Letzteren ergänzt Matthäus um den Seewandel des Petrus (Mt 14,28–31) und Johannes um eine Entrückung (Joh 6,21).
7 Christophanien: Ostervisionen klären die Identität des Auferstandenen und dienen der Jüngerbelehrung. Osterwunder bieten Mt 28,9–20parr. und Joh 20,11–21,25. Paulus hat vor Damaskus eine Christophanie (Apg 9,1–9parr.). Die Parusie ist die letzte Christophanie (Mk 13,24–27parr. u.a.).
8 Prophetische Zeichenhandlungen: Das Fischwunder Lk 5,1–11 ist auch als prophetische Zeichenhandlung zu deuten (vgl. die Prophetie V. 10f.).6 Die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12–14.20–25par. Mt 21,18–22) weist auf die Kraft von Gebet und Fluch hin. Das Staterwunder (Mt 17,24–27) ist einerseits ein Geschenkwunder, andererseits eine prophetische Zeichenhandlung, denn der Text weist auf Gottes Fürsorge um die Mittellosen hin.
b) Wunder anderer Wundertäter
1 Jünger und Apostel: Jesus überträgt den Jüngern Wundervollmacht (Mt 10,8; vgl. Mt 16,17f.). Lk 10,17–20 stellt ihre Wunderkraft ausdrücklich fest. Sie scheitern nur an Dämonen (Mk 9,18.28f.). – Solange der Glaube trägt, kann Petrus über das Wasser gehen (Mt 14,28–31). Überhaupt kann der Glaube bei allen Menschen Wunder wirken (Mk 9,23; 11,23f.; Lk 17,5f.). – Die Apostel vollziehen laut der Apg Therapien, Erweckungen und Strafwunder; Naturwunder fehlen. – In Röm 15,18f. nennt sich Paulus ein charismatisches Medium der Wunderkraft Christi. Heilkraft, Wunderkraft und prophetische Rede gehören nach 1 Kor 12,9f. zu den Charismen (vgl. Jak 5,14–16).
2 Fremde Wundertäter: Das Wirken des fremden Exorzisten wird in Mk 9,38–40 gutgeheißen, da er im Namen Jesu handle. Kritischer liest sich Mt 7,22: Wer im Namen Jesu Wunder tut, aber Gottes Willen missachtet, wird nicht ins Himmelreich kommen. Die Söhne der Pharisäer können laut Mt 12,27par. Lk 11,19 wie Jesus exorzieren und tun es wie er in göttlicher Vollmacht.1 An einem Exorzismus scheitern dagegen die sieben magisch begabten Skeuassöhne und werden mit einem Strafwunder belegt (Apg 19,13–17).
3 Von Satan und satanischen Mächten werden Wunder kolportiert, die denen Jesu und der Apostel zum Verwechseln ähnlich sehen. Zu diesen Mächten gehören Pseudochristusse und -messiasse (Mk 13,6.22parr.), der röm. Kaiser und der Statthalter von Kleinasien (2 Thess 2,9; Apk 13,4.12–14).
c) Wunder an Jesus und den Aposteln
Das NT berichtet auch von Wundern, die an Jesus und den Aposteln vollzogen werden. Die Berichte stellen ihre besondere Bedeutung heraus oder verdeutlichen, unter wessen Schutz sie stehen. Die Wunderformen sind Angelophanien, Metamorphosen, Führungs- und Rettungswunder sowie Totenerweckungen.
1 Epiphanien finden sich insbesondere zu Beginn und am Ende des Lebens Jesu. Engel kündigen die Geburt Jesu und des Täufers an (Mt 1,19–25par. Lk 1,11–17.26–38; Lk 2,8–20)1, schützen Jesus und seine Familie vor dem Zugriff des Herodes (Mt 2,13–23). Eine Theo- und Pneumatophanie offenbart bei der Taufe Jesu dessen Gottessohnschaft (Mk 1,9–11parr.). Engel erscheinen den Frauen und Jüngern an Jesu Grab (Mk 16,1–8parr.). – Joh 1,1–18 kennzeichnet das gesamte Wirken Jesu, des Schöpfungs-Logos, als Epiphanie Gottes.
2 Mk 9,2–13 schildert die Verklärung als Metamorphose (V. 2: metemorphóthe). Sie ist eine halböffentliche Offenbarung Jesu als Gottessohn (V. 7). Die Verklärung bereitet die nachösterlichen Christophanien vor.
3 Mehrere Führungswunder bietet Mt 2,1–23 (Magier aus dem Orient; Bewahrung des Jesuskindes). Auch die Reise der Familie Jesu nach Bethlehem lässt sich als stille göttliche Führung verstehen (Lk 2,1–7).
4 Entrückungen begegnen in Joh 6,21b (Entrückung am Ende des Seewandels), in Apg 8,39f. (Philippus), in 2 Kor 12,1–4 (Paulus) und in Apk 4ff. (Thronvision des Sehers Johannes). Bei Lk beschließt eine Entrückung (Himmelfahrt Jesu) die Ostervisionen (Lk 24,50–53; Apg 1,9–11; vgl. Mk 16,19).
5 Natur- und Rettungswunder: Das Osterwunder lässt sich als Befreiung aus dem Grab interpretieren (Mk 16,1–8parr.). Mt 28,2 erwähnt ein Erdbeben als begleitendes kosmisches Zeichen. Apg 5,17–25, 12,3–17 und 16,23–40 berichten von der Befreiung der Apostel aus Gefängnissen, zum Teil in Kombination mit kosmisch-apokalyptischen Zeichen (Apg 16,26).2
6 Kosmisch-apokalyptische Zeichen begleiten Tod und Auferstehung Jesu (Mt 27,45–28,2)3 und werden für die Parusie angekündigt (Mk 13,24–27parr.).
d) Wunder in den Apokryphen
Apokryphe Wundertexte sind oftmals fragmentarisch und haben legendarischen oder erbaulichen Charakter.1 Berichtet wird vom Jesuskind, das in kindlicher Unreife Therapien und Strafwunder wirkt; magisch muten Überlieferungen an, denen zufolge selbst Jesu Windeln und sein Badewasser Heilkraft hatten.2 Das Jesuskind wird von Tieren und Götterbildern angebetet.3 Wundertaten des erwachsenen Jesus fehlen jedoch weitestgehend. Man spürt den Texten eine Freude am unterhaltsamen, illustrierenden Erzählen ab; historische Glaubwürdigkeit oder theologische Reflexion sind nicht von Interesse. – Ein Textbeispiel ist die Erweckung eines verunglückten Spielkameraden (Junge auf dem Dach):
(1) Wiederum spielte Jesus nach vielen Tagen auch mit anderen Kindern auf dem Söller eines Hauses. Eins der Kinder jedoch stürzte hinab und starb. Als das die anderen Kinder sahen, gingen sie nach Hause. Sie ließen Jesus als einzigen zurück. (2) Und die Eltern des Toten kamen, machten Jesus Vorwürfe und sprachen: „Du hast unser Kind hinabgeworfen!“ Jesus aber antwortete: „Ich habe das Kind nicht hinabgeworfen!“ (3) Während jene tobten und schrieen, stieg Jesus vom Dach hinunter, stellte sich zum Leichnam und rief mit lauter Stimme: „Zenon, Zenon (denn so hieß er), stehe auf und sage, ob ich dich hinabgeworfen habe!“ Und der stand auf und sprach: „Nein, Herr!“ Und als sie es sahen, staunten sie. Und Jesus sprach abermals zu ihm: „Lege dich wieder zur Ruhe!“ Und die Eltern priesen Gott und beteten das Jesuskind an.4
Das Petrusevangelium (EvPetr 9,35–11,45; ca. 1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.) schildert, anders als die ntl. Evangelien, den eigentlichen Wundervorgang:
(9,35) In der Nacht, in der der Herrentag anbrach, als die Soldaten jeweils zu zweit Wache hielten, erscholl eine laute Stimme im Himmel. (36) Und sie sahen, wie die Himmel geöffnet wurden und zwei strahlend leuchtende Männer von dort herabkamen und sich dem Grab näherten. (37) Jener Stein aber, der vor der Tür lag, zog sich von selbst rollend teilweise zurück und das Grab öffnete sich und beide jungen Männer gingen hinein. (10,38) Als jene Soldaten nun (dies) sahen, weckten sie den Zenturio und die Ältesten, denn auch sie waren geblieben, um Wache zu halten. (39) Und als sie berichteten, was sie gesehen hatten, sahen sie wiederum, wie drei Männer aus dem Grab herauskamen, wobei zwei den einen unterstützten und ein Kreuz ihnen folgte. (40) Und der Kopf der zwei reichte bis zum Himmel, der des von ihnen Geführten überragte die Himmel. (41) Und sie hörten eine Stimme von den Himmeln, die fragte: „Hast du den Gestorbenen gepredigt?“ (42) Und eine Antwort wurde gehört vom Kreuz: „Ja.“ (11,43) Sie überlegten nun miteinander, wegzugehen und dies dem Pilatus zu sagen. (44) Und als sie noch berieten, erschienen die Himmel wieder geöffnet und ein Mensch kam herab und ging ins Grab. (45) Als sie dies sahen, eilten die um den Zenturio nachts zu Pilatus und verließen das Grab, das sie bewachten. Und sie berichteten alles, was sie gesehen hatten, und sagten voll großer Angst: „Er war wirklich Gottes Sohn.“5
Die apokryphen Wundertexte bieten tendenziell eine fiktionale Anpassung Jesu an bekannte Wundertäter und Heroen der religionsgeschichtlichen Umwelt. Die Zeichenfunktion der Wunder auf das Wirken Gottes spielt keine Rolle.6
Form Vorkommen Akteure Besonderheiten Heilungswunder/Therapien Evangelien, Apg Jesus, Kranke, z.T. Jünger und Helfer Betonung des physischen Aspekts (gilt für alle Gattungen) Exorzismen synEvv., Apg Jesus, Kranke, Dämon Wunder als Machtkampf Totenerweckungen Evangelien, Apg Jesus, Toter, Angehörige sparsamer Gebrauch; Skepsis der Augenzeugen (außer Lk 7) Geschenkwunder Evangelien Jesus, Jünger, andere Zeichen messianischer Fülle Normenwunder Evangelien Jesus, Kranke, Gegner Vollmachtsfrage; Motive der Ablehnung Jesu Natur- und Rettungswunder Evangelien, Apg Jesus, Jünger/Apostel Furchtmotiv Strafwunder Apg 5; 13; 19 Apostel, Gegner, Augenzeugen Strafwunder fehlen in den Evangelien Epiphanien Evangelien, Apg Gott, Engel, Christus, Geist, Adressaten Klären die Bedeutung Jesu Christi Metamorphosen synEvv., 1 Kor 15 Gott, Jesus, Jünger physisch-leiblicher Aspekt Führungswunder/Entrückungen Himmelfahrt; Mt 2,1–23; Apg 8 Gott, Geist, Jesus, Jünger; Apostel u.a. Klären die Bedeutung Jesu; lenken die Mission Kosmisch-apkl. Zeichen Mk 13parr.; Mt 27f.; Apg; 2 Petr 3; Apk Jesus, Augenzeugen; Apostel (Apg); satanische Mächte beschränkt auf Tod und Auferstehung Jesu, Parusie und Weltende Prophet. Zeichenhandlungen Feigenbaum, Fisch-Wunder, Stater-W. Jesus, Jünger Prophetische Ansage steht im FokusVergleich traditioneller Wundergattungen
1.7 Wunderspezifische Termini
Der Abschnitt klärt zentrale Fachtermini, welche die religionsgeschichtliche Einbettung der Wunder Jesu betreffen (Charisma, Dämonen, Magie, Zauberei, Schamanismus), solche, die mit der Wundererfahrung zu tun haben (Mythos, Spiritualität, Mystik) und solche, welche die historische Wahrheitsfrage betreffen (Rationalismus, weiche Fakten sowie Faktualität und Fiktionalität).
1.7.1 Charisma
Charisma meint umgangssprachlich die Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft eines Menschen. Der biblische, maßgeblich von Paulus geprägte Begriff bezeichnet eine besondere Gabe der Gnade (gr. cháris) bzw. des Heiligen Geistes (gr. pneumatikón, Röm 12,3–8; 1 Kor 12,1–11). Jesus gilt als der Geistträger schlechthin: Er ist vom Geist gezeugt (Lk 1,35; Mt 1,18.20), erhält ihn bei der Taufe (Mk 1,9–11parr.), er ist immun gegen satanische Übergriffe (Mt 4,1–11parr.), entwickelt Überzeugungskraft und mehr, was zum Gelingen seines Auftrags beiträgt.1 Deutlich wird an Jesus die polarisierende Wirkung von Charisma (→ 2.4.1).





