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Damit hebt Nancy ‚Welt‘ (monde) dezidiert aus einer automatisierten Verwendung als Bezug auf die Welt heraus, zugunsten eines erschwerten Umgangs mit ‚Welt‘, insofern diese nicht ohne Weiteres als Ganzes sichtbar ist und sich auffächert in mehrere Welten. ‚GlobalisierungGlobalisierung‘ ist, wie Nancy in diesem Zusammenhang weiter ausführt, für ihn ein Prozess, der die Singularisierung der FdG ‚monde‘ herbeiführt. Ganz in diesem Sinne ist auch Nancys weitere Konzeptualisierung von ‚Globalisierung‘ als Vorgang des ‚Verknäuelns‘ zu lesen, welche die Etymologie von globus und glomus (lat. für Knäuel)6 aktualisiert – und so die AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems) der Globalisierung ins Bild zu rücken versucht (vgl. Nancy 14).Einheit7 Eine in Frage gestellte SichtbarkeitSichtbarkeit (von Ganzheit), sowie ein genereller Zweifel an der aktiven Rolle des Menschen als „Repräsentant des Seienden im Sinne des Gegenständigen“ (Heidegger 91), wie Heidegger sie stark macht, stehen bei Nancy somit im Vordergrund.
Festzuhalten bleibt hier, dass die Perspektive auf die GanzheitGanzheit in der Regel (und historisch) eine extrinsische Perspektive bevorzugt.8 In einer unterbrechenden Geste, wie gerade anhand der Arbeit Nancys an der FdG ‚monde‘ dargestellt, wird diese Haltung nicht geteilt. Damit soll eine solche ent-automatisierende Geste des Bestehens auf dem Innenraumcharakter von Ganzheit – etwa im Falle von Welt/monde – als Sonderfall im Denken über Ganzheit betont werden, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Wie erst jüngst gezeigt wurde, lässt sich ein Trend in aktuellen Theorien beobachten, der in diese Richtung geht: „Neuere Globalisierungstheorien unternehmen […] den Versuch, globale Zusammenhänge ‚von ebener Erde aus‘, ‚aus der Welt heraus‘ darzustellen.“ (Moser 40), so etwa durch die „Metaphorik der global landscapes“ oder die des „Welthorizonts“, denn dieser „impliziert die Absicht, den Globus in die Horizontale zu bringen“ (Moser 41) und ihn nicht länger aus einer vertikal erhöhten Position zu visualisieren. Damit gewinnt eine große Skepsis gegenüber der AußenperspektiveAußenperspektive (auchextrinsische Perspektive) konzeptuelle Gestalt, die Osterhammel und Petersson zur Frage formen: „Ist es unumgänglich, die Welt ‚von oben‘ zu sehen? Läßt sie sich nicht auch ‚von unten‘ konstruieren?“ (20) Hier bleibt festzuhalten, dass Ganzheit aus zwei verschiedenen Blickperspektiven gedacht werden kann und dass diese Perspektiven verschieden gelagerte Funktionen und Interessen haben.
Arendt weist jedoch darauf hin, dass dem Blick auf das Ganze nicht immer ganz zu trauen ist: „If the human eye can betray man to the extent that so many generations of men were deceived into believing that the sun turns around the earth, then the metaphor of the eyes of the mind cannot possibly hold any longer“ (275). In dieser Studie bleibt aufzuzeigen, wie sich die untersuchten literarischen Texte zu diesen unterschiedlichen Perspektiven verhalten – und welche Täuschungen sie aufzudecken vermögen.
Diese äußere (Blick-)Perspektive ist immer auch mit der Kompression von GanzheitGanzheit zusammenzudenken, bzw. mit der erhöhten Geschwindigkeit des Welt-Verkehrs verknüpft, wie Arendt deutlich macht:
The fact that the decisive shrinkage of the earth was the consequence of the invention of the airplane, that is, of leaving the surface of the earth altogether, is like a symbol for the general phenomenon that any decrease of terrestrial distance can be won only at the price of putting a decisive distance between man and earth, of alienating man from his immediate earthly surroundings. (Arendt 251)
Das Komprimieren von Distanzen setzt also eine – zunächst metaphorisch verstandene – ‚Distanz‘ zwischen den Menschen und der Erde voraus, die als Fremdwerdung („alienating“) der unmittelbaren terrestrischen Umgebung zu verstehen ist. Gleichzeitig wird von Arendt hier eine räumliche (und im Fall des Flugzeugs: reale) Distanz besprochen; diese Struktur einer doppelten ‚Distanz‘ ließ sich auch schon oben bei Cosgrove erkennen. Die Kompression der Erde entfernt den Menschen von dieser im doppelten Sinne, eine Distanz, für die das (damals) schnellste Mittel räumlicher Kompression – das Flugzeug – bei Arendt als „Symbol“ einsteht. Der Abstand des von Arendt bemühten Flugzeugs zur Erdoberfläche setzt denselben ‚extrinsischen Gestus‘ in Szene, auf dem die besprochenen Blickperspektiven fußen.
2.2 Unsichtbarkeit und Paranoia
Den im vorhergehenden Abschnitt genannten Blickperspektiven ist gemeinsam, dass sie eine SichtbarkeitSichtbarkeit (von Ganzheit) generieren, die natürlich nicht gegeben ist. Nun ist zusätzlich auf einige weitere Ansätze einzugehen, die sich der Thematik der Sichtbarkeit von GanzheitGanzheit aus anderen Richtungen annähern. Fredric Jameson geht explizit von einer ‚Unzugänglichkeit‘ von stark raumgreifenden Zusammenhängen aus, ohne diese über die Metaphorik des Sehens (oder Nicht-Sehens) zu konzipieren. Zweitens soll – unter Bezug auf Emily Apter – auf eine ‚hypersensible Allsichtigkeit‘ im Kontrast zur These der ‚Unsichtbarkeit‘ des Ganzen hingewiesen werden.
Jameson führt in Cognitive Mapping aus:
[G]lobal realities are inaccessible to any individual subject or consciousness– […] –which is to say that those fundamental realities are somehow ultimately unrepresentable or, to use the Althusserian phrase, are something like an absent cause, one that can never emerge into the presence of perception. Yet this absent cause can find figures through which to express itself in distorted and symbolic ways: indeed, one of our basic tasks as critics of literature is to track down and make conceptually available the ultimate realities and experiences designated by those figures, which the reading mind inevitably tends to reify and to read as primary contents in their own right. (350; Hervorhebung T.E.)
Die Abwesenheit der Metaphorik des Sehens ist – gerade im Kontrast zu den bisher untersuchten Ansätzen – auffallend. Jameson spricht betont neutral von einer „unzugänglichen Realität“, von deren Nicht-Repräsentierbarkeit, und einer sehr allgemein gehaltenen „Wahrnehmung“. Laut Jameson steht die individuelle Erfahrung und Wahrnehmung in einem Verhältnis völliger Disjunktion zu den „global realities“, der maßgeblichen sozialen Totalität. Die von Jameson beschriebenen Zusammenhänge (bezogen auf die aktuelle, spät-kapitalistische Stufe der GlobalisierungGlobalisierung) sind nicht unmittelbar wahrnehmbar oder evident, und bedürfen daher erheblicher – literaturwissenschaftlicher – Arbeit, um sie erkenn- und wahrnehmbar werden zu lassen. Die von ihm so genannte ‚konzeptuelle Arbeit‘ kann, so Jameson, „global realities“ verfügbar machen. Auch wenn Jameson hier eine Analyse der Gegenwart bespricht, ist die vorliegende Studie zu einem gewissen Grad diesem Ansatz beizuordnen, insofern hier durch ‚konzeptuelle Arbeit‘ die Verschränkungen von FdG mit Körpern als „figures“ gelesen werden, die stark raumgreifende Zusammenhänge wahrnehmbar werden lassen.
Auch auf David McNallys Monsters of the Market kann hier verwiesen werden, in dem er, mit Bezug auf Marx, von einer – diesmal explizit so genannten – ‚Unsichtbarkeit‘ des „capitalist market system“ (5) ausgeht. Er beendet dabei seine literarischen Analysen, die bis zu Shellys und Shakespeares Texten zurückgehen, mit einer Untersuchung des Verhältnisses zeitgenössischer afrikanischer Zombieliteratur zur ‚GlobalisierungGlobalisierung‘. Seiner Hauptthese zufolge lassen MonsterMonster in der Literatur das kapitalistische System sichtbar werden.1 Mittel zur Sichtbarmachung eines stark raumgreifenden Zusammenhangs – des besagten capitalist market systems – sind demnach literarisch auf spezifische Weise inszenierte Körper (vgl. hierzu genauer III.4.4). Hier ist nur festzuhalten, dass auch McNally, ganz wie Jameson, von einer Unverfügbarkeit des Ganzen ausgeht, wobei beide Autoren eine marxistische Perspektive verbindet, auf die die These von der Unsichtbarkeit kapitalistischer Zusammenhänge zurückzuführen ist (vgl. McNally 5–9).
Doch kann der Prozess der ‚konzeptionellen Verfügbarmachung globaler Realitäten‘ auch völlig anderes eingeschätzt werden. So schlagen Apters Ausführungen zu der von ihr so genannten ‚oneworldedness‘ vor, einen Extrempunkt des Nachdenkens über die GanzheitGanzheit als ‚ParanoiaParanoia (Oneworldedness)‘ zu beschreiben. Paranoia ist damit die Steigerung von Vorstellungen, wie sie Netzwerktheorien oder der Slogan „everything is connected“ transportieren, hin zu einer Vorstellung vom Ganzen, in der jedes größere politische Ereignis und jeder relevante Handlungsträger mit allen anderen Ereignissen und Handlungsträgern verknüpft werden kann. Interessant ist dabei vor allem Apters Beobachtung, dass die Größe einer solchen ‚Welt‘ der oneworldedness gleichzeitig sehr groß und sehr klein ist, insofern sie alle Ereignisse und Handlungsträger enthält und verknüpft, und die gesamte Welt auf einen Erklärungszusammenhang reduziert (namentlich den vom paranoiden Denken gewählten):
In this picture, as the world expands to include everybody, it paradoxically shrinks into a claustrophobic all-inclusiveness. Paranoid oneworldedness obeys a basic law of entropy that posits that increased disorder diminishes available energy within the confines of a closed system. (370)
Die Darstellung oder Konzeption von GanzheitGanzheit setzt notwendig voraus, dass ein großer Zusammenhang auf eine (wörtlich und übertragen verstanden) überschaubare Größe reduziert wird (s.o. bei Arendt). Steigert sich diese Reduktion ‚zu weit‘ und gerät ‚zu nah‘ an eine „claustrophobic all-inclusiveness“, dann läßt sich mit Apter von paranoider „oneworldedness“ sprechen. Die Grenzen verlaufen hier nicht trennscharf, denn die Beschreibung als ‚zu weit‘ bezieht sich nicht auf eine sichere Skala. So gesehen laufen alle Vor- und/oder Darstellungen von Ganzheit Gefahr, paranoid zu werden, bzw. sind es alle zu einem gewissen Grade notwendigerweise. Am anderen Ende des Spektrums steht jedoch eine Perspektive auf die Ganzheit, in der sich diese als chaotische, unmöglich zu überschauende Menge an Informationen und Ereignissen präsentiert, die unmöglich zu deuten ist, und die – mit Jameson gesprochen – gänzlich absent bleibt. Anders gesagt: ‚Konzeptuelle Arbeit‘ mit dem Anspruch größere Zusammenhänge zu fassen, kann immer in paranoide Erklärungsmuster verfallen. Die Alternative jedoch erscheint mindestens ebenso unattraktiv: mit einer unbegreiflichen Menge an Ereignissen und Informationen konfrontiert zu sein, die nicht als ‚Welt‘ gefasst (oder: zu einer solchen reduziert, geordnet) und damit nicht verständlich werden kann.
Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheint auch Wallersteins Ansatz als potenziell paranoid – und nicht umsonst geht Apter am Beginn ihres Textes von Wallersteins Welt-SystemWelt-System aus: „Wallerstein’s central idea of the world as one but unequal is easily extended to a paradigm of planetary paranoia marked by cyber-surveillance, cartographies of cartels, and webs of international relationality within and outside the nation, and on the edges of legality.“ (365) Apter will damit jedoch nicht gesagt haben, Wallersteins Beschreibungen seien tatsächlich paranoid:
ParanoiaParanoia (Oneworldedness), I am suggesting, underwrites a one-worldist paradigm that differs from transnational or global ascriptions of world-systems theory in fully realizing the psychotic dimension of planetarity. (370)
Das Risiko der ParanoiaParanoia (Oneworldedness) anheimzufallen ist unumgänglich, doch gleichzeitig ist Reduktion der unvermeidbare Grundmodus des Sprechens über GanzheitGanzheit, vorausgesetzt es will „global realities“ (Jameson, „Mapping“ 350) zur Darstellung bringen.
2.3 ‚Welt‘ und Literatur
Wie ist die Literatur in das Problemfeld der Darstellung von GanzheitGanzheit einzuordnen? Aus der hiesigen Perspektive ist auf die weitverbreitete Vorstellung einzugehen, dass Literatur fiktive Welten erzeugt, bzw. auf den Gemeinplatz, literarische Texte erzeugten/seien ‚Welten im Kleinen‘. Christian Moser und Linda Simonis äußern sich wie folgt zum Verhältnis zwischen ‚Welt‘ und Literatur:
Indem Literatur fiktive Welten entwirft, verfehlt sie nicht etwa ihren Weltbezug, sie stellt ihn allererst her. Die Bedeutung, die Literatur für Globalisierungsprozesse gewinnen kann, beruht gerade auf ihrer Fähigkeit, fiktive Welten zu produzieren. Wenn GlobalisierungGlobalisierung ein Bewusstsein von der EinheitEinheit der Welt beinhaltet, dann ist sie auf die Existenz von Bildern und Narrativen angewiesen, die diese Einheit vorstellig machen. Das Ganze der Welt ist der Wahrnehmung nicht zugänglich – es bedarf imaginärer (literarischer und künstlerischer) Weltentwürfe, um diese zu veranschaulichen. (12)
Einerseits entsprechen diese Darstellungen zu weiten Teilen dem von Jameson als ‚konzeptueller Arbeit‘ gefassten Vorgang, insofern Moser und Simonis „Bildern und Narrativen“, die sich in der Literatur finden, die Funktion zuschreiben, die „EinheitEinheit vorstellig [zu] machen“. Der Fokus auf dem Problem der Sichtbarmachung und Veranschaulichung, das hier genannt wird, lässt sich ebenfalls in die bisherigen Ausführungen eingliedern, insofern mehrfach beschrieben wurde, dass das „Ganze der Welt […] der Wahrnehmung nicht zugänglich“ ist.
Andererseits illustriert die zitierte Passage ein Verständnis der Relation zwischen Literatur und ‚Welt‘, von dem ich mich absetzen möchte. Denn im Passus werden zwei grundverschiedene Bedeutungen der FdG ‚Welt‘ gleichgesetzt: ‚Welt‘ als Wort zur Beschreibung der ‚sozialen Realität‘, wie „Globalisierungsprozesse“ sie hervorbringen einer-, und ‚Welt(en)‘ als Wort zur Benennung des von Texten hervorgebrachten ‚abgeschlossenen Ganzen‘ andererseits (dessen Status, wie zu zeigen ist, alles andere als unmittelbar evident ist; vgl. Hutchinson 174–177; Hayot 44–47). Durch das Gleichsetzen dieser beiden Bedeutungen wird die Relevanz von Literatur für „Globalisierungsprozesse“ postuliert: Insofern Literatur selbst ‚Welten‘ generiere, könne sie gar nicht anders, als ‚welthaltig‘ zu sein. Die vermeintliche Evidenz der Tautologie dieser Behauptung verdeckt dabei, dass das Verhältnis zwischen fiktiven ‚Welt(en)‘ und ‚unserer Welt‘ nicht schlicht auf das doppelte Auftauchen des Wortes ‚Welt‘ reduziert werden kann. Denn, dass literarische Texte eine Welt, oder Welten, generieren, sagt noch nichts über das Verhältnis dieser Einzelwelten zu der Welt (im Sinn der ‚GanzheitGanzheit der sozialen Realität‘) aus. Auch wenn sich ein solcher Zusammenhang zwischen literarischen Welten und der ‚Welt‘ natürlich untersuchen lässt (und von der Literaturwissenschaft weiter untersucht werden sollte), so wird er hier, unzulässig, mittels einer nur scheinbar stimmigen Entsprechung – ‚Welt‘ hier und ‚Welt‘ da – gesetzt.
Stattdessen müsste man genauer die Frage stellen, wie Literatur fiktive Welten generiert – denn diese Annahme wird allzu leicht als Gemeinplatz hingenommen (vgl. Pavel 43–72). Zunächst wäre dazu die „tension between world as whole world and world as self-contained unity“ (Hayot 45) zu adressieren. Hayot führt außerdem aus:
Literary critics have usually, however, focused on the artwork’s world-content, not world-form, trusting the general concept of aesthetic or generic form to address the work’s relation to worldedness. This pattern of thought means that the world-forming quality of the work, though often sensed or felt, has rarely been directly looked at. Novels, we all know, have certain kinds of worlds. But what kinds? (25)
So wäre also weiter zwischen ‚Welt-Form‘ und ‚Welt-Haltigkeit‘ zu unterscheiden. Erst nachdem man dieses Verhältnis geklärt hat, ließe sich die anschließende Frage stellen, wie sich das literarische Generieren von Welten zu der Welt verhält. Fraglich ist jedoch ob Hayot, obwohl er das Problem immerhin sehr akkurat benennt, eine eindeutig bessere Konzeption vorzuweisen hat.1 So führt er aus: „Aesthetic worldedness is the form of the relation a work establishes between the world inside and the world outside the work. The history of aesthetic worldedness is thus always, simultaneously, a history of the idea of the world as such“ (45). In Abgrenzung zu Moser und Simonis lässt sich – mit Bezug auf Hayot – festhalten, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Literatur zu der Welt nicht auf dessen ‚Entwerfen von fiktiven Welten‘ (s.o.) reduzieren lässt, zumindest nicht ohne den Zusammenhang zwischen der Welt einerseits und fiktiven Welten andererseits genauer darzulegen.2 Die intuitive Einschätzung, das Verhältnis gestalte sich in Form einer Synekdoche – die ‚Welt‘ eines Romans also sei eine ‚Welt im KleinenWelt im Kleinen (Synekdoche)‘ – ist also mit einiger Vorsicht zu genießen, denn sie fußt auf einer Tautologie, und übergeht mehr Fragen als sie beantwortet. Steven Hutchinsons Ausführungen zum Verhältnis zwischen ‚Welt‘ und Literatur zeigen, wie schwierig es ist, ‚Welt‘ im Sinne eines überschaubaren, kleineren Ganzen klar zu definieren:
In its most elementary use, “world” evokes an identifiably complex, autonomous community or society of beings with its own culture and economy, its own patterns of behavior and interaction and modus vivendi, spread out in a more or less extensive spatial domain. To conceive of the world or a world necessarily involves thinking in terms of territory, time, nature, life, and sociocultural order and infusing these with specific characteristics and principles. The notion of “world,” then, comprehends any isolable environment in which culture, society, economy, politics, and history–or a plurality of these–are thought to be enacted. This notion need not imply human inhabitants since there maybe worlds of gods, or dogs for that matter, or of any other real or imaginary species, as long as these are anthropomorphized to the extent that they are capable of at least the rudiments of culture. Nor need it imply any ontological grounding: a world lacking such grounding is a utopia. Since no text is cast in a total void, it could be argued that any text whatsoever somehow conveys some sense of “world,” however fragmentary or diffuse this might be, insofar as it reveals perspective and value while opening up and characterizing an illusory ambient space. (Hutchinson 174f.)
Die äußerst weite Definition von ‚Welt‘ als „any isolable environment in which culture, society, economy, politics, and history–or a plurality of these–are thought to be enacted“ illustriert, wie schwer das Verhältnis zwischen der Welt und den Welten in Texten zu bestimmen ist. Und auch die Formulierung „it could be argued that any text whatsoever somehow conveys some sense of ‘world,’ however fragmentary or diffuse this might be“ legt offen, auf welch unsicherem Fundament (oder: Allgemeinplatz) die angenommene Beziehung zwischen der Welt einerseits und Welten in Texten andererseits fußt.
Abhilfe schafft hier die Arbeit von Edward Said, der in The World, the Text, and the Critic darauf aufmerksam macht, dass es in der Literaturwissenschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Trennung zwischen „der Welt“ („the world“, mit bestimmtem Artikel) und dem Text kommt.
American literary theory of the late seventies had retreated into the labyrinth of “textuality,” dragging along with it the most recent apostles of European revolutionary textuality–Derrida and Foucault–whose trans-Atlantic canonization and domestication they themselves seemed sadly enough to be encouraging. It is not too much to say that American and European literary theory now explicitly accepts the principle of noninterference, and that its peculiar mode of appropriating its subject matter (to use Althusser’s formula) is not to appropriate anything that is worldly, circumstantial, or socially contaminated. “Textuality” is the somewhat mystical and disinfected subject matter of literary theory. (3)
Dieser Trend zur ‚Textualität‘ und deren Analyse als ausschließlicher, d.h. von „der Welt“ nicht „kontaminierter“ Gegenstand, wird von Said scharf kritisiert. Weiter erläutert Said sein Verständnis von ‚Welt‘ ausdrücklich, welches sich durch eine Ersetzung dieser durch ‚Realität‘ und/oder ‚Geschichte‘,3 wie er selbst vorschlägt, annäherungsweise beschreiben lässt. Außerdem versteht er hierbei den jeweiligen Text als Ergebnis eines eigenen Produktionsprozesses, und/oder als Reaktion auf einen spezifischen historischen Kontext. Von der Fähigkeit ‚Welten zu erzeugen‘ spricht er nicht, und vermeidet somit eine Vermischung dieser beiden Aspekte. Deutlich macht er dies durch eine simple Adjektivbildung: Texte sind – seiner Terminologie nach – „worldly“, womit er folgende Haltung beschrieben wissen will: „My position is that texts are worldly, to some degree they are events, and, even when they appear to deny it, they are nevertheless a part of the social world, human life, and of course the historical moments in which they are located and interpreted.“ (World 4) Das Adjektiv ‚worldly‘ steht somit ein für die Positionierung von Texten in ihrem historischen Kontext, und für ihre gesellschaftliche Rolle als (potenzielle) ‚Ereignisse‘. Said öffnet somit den Raum für die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Texten und ihrem historischen Kontext.4
2.4 Körper und Ganzheit
Das allgemeine Darstellungspotenzial des Körpers präsentiert sich als nahezu grenzenlos:
The body is a model which can stand for any bounded system. Its boundaries can represent any boundaries which are threatened or precarious. The body is a complex structure. The functions of its different parts and their relation afford a source of symbols for other complex structures. (Douglas 142)1
Nicht nur erklärt Mary Douglas den Körper hier zur ‚Super-Trope‘, die für „jedes geschlossene System stehen kann“, er ist darüber hinaus ein Modell, dessen Bildpotenzial sich aus seiner „komplexen Struktur“ ableitet. Da der Körper komplex ist, so die Argumentation, lässt er sich zur Abbildung anderer komplexer Strukturen instrumentalisieren. In Der fiktive Staat beschreibt Koschorke (et al.) dieses Potenzial des Körpers – anhand des Beispiel des ‚Staatskörpers‘ – wie folgt:
Besondere Aufmerksamkeit gebührt dabei solchen rhetorischen Figuren, die ein Bild der Gesellschaft als GanzheitGanzheit entwerfen, wie es in erster Linie die Metapher des sozialen Körpers tut. Gehört zum Begriff der Ganzheit nämlich die Idee der Totalität und „Übersummativität“ des Gebildes (dass es, nach klassischer Definition, „mehr“ ist als die Summe seiner Teile), so ist doch gerade diese Totalität und Übersummativität, also gerade das ‚Ganze‘ der Ganzheit, sinnlich nicht wahrnehmbar: Weder das extensive Ganze der Gesellschaft noch die Gesellschaft als intensive Ganzheit sind mögliche Gegenstände einer empirischen Anschauung. Metaphern für das ‚Ganze‘ eines Gemeinwesens sind als Hypotyposen, Versinnlichungen eines Begriffs, die mit rhetorischen Mitteln vor Augen stellen, was anders nicht gesehen werden kann. (58)
Die Metapher des Staatskörpers bringt den Staat zur sichtbaren Darstellung, wobei dies überhaupt erst nötig ist, weil „das ‚Ganze‘ der GanzheitGanzheit […] sinnlich nicht wahrnehmbar“ ist. In ihren Teilen kann Ganzheit wahrnehmbar sein, aber nicht als Ganzheit natürlich (oder: „empirisch“) gesehen werden. Immanuel Kant, auf den Koschorke (et al.) sich hier bezieht,
unterscheidet zwischen schematischen Hypotyposen, ‚da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird‘, und symbolischen Hypotyposen, ‚da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken kann und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche unterlegt wird‘. (Koschorke et al. 59)Hypotypose2
Die Notwendigkeit zur Verwendung von Hypotyposen/Versinnlichungen ist bei der Darstellung von Ganzheiten dabei in besonderem Maße gegeben, da
nach der klassischen philosophischen Erkenntnislehre Ganzheiten nur vermöge der Einbildungskraft apperzipiert werden können, weil sie nicht als solche empirisch ins Auge fallen, so muss auch die soziale Synthesis den Umweg über eine Erkenntnisform nehmen, die das, was man nicht sehen kann, in ein Bild kleidet. (Koschorke et al. 59)