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Die Enkel des Kolumbus

Автор:
Rüdiger Euler
Die Enkel des Kolumbus

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Rüdiger Euler

Umschlagbild:       Mónica Vásquez de Euler

Einleitung:

Es steht wohl außer Zweifel, dass Kolumbus in erster Linie Spaß am Entdecken hatte. Seine Entdeckung führte dann jedoch leider dazu Südamerika zu erobern. Im Namen der Krone, des Kreuzes und des lukrativen Goldraubes.

Man könnte seine Entdeckung in gewisser Hinsicht mit der Entdeckung der Atomenergie vergleichen: beides geriet dann in die Hände der Politiker, und Mord und Totschlag konnte beginnen.

In kurzer Zeit hatten die Spanier das geraubte Gold verpulvert, und etwa 300 Jahre später mussten sie Südamerika räumen. Lange Zeit dämmerten sie dann vor sich hin: sie hatten nichts anderes gelernt als aus anderer Leute Taschen zu leben.

Im Geschichtsunterricht hörten wir von großen Feldzügen und Helden: Alexander der Grosse, die Römer, später Napoleon, die Zaren, die Kolonialkriege. Neueren Datums, – ich hörte davon in den 50er Jahren schon nichts mehr im Geschichtsunterricht -, Hitlers Krieg mit seiner Idee vom Lebensraum im Osten, die Japaner in Fernost, und brandneu: der Irakkrieg der US-Amerikaner.

Die Welt ist jedoch dabei sich zu verändern. Die Früchte der militärischen Siege werden immer zweifelhafter. Hitlers 1000 jähriges Reich war recht kurzlebig, Putin sieht in Tschetschenien nicht sehr gut aus, und Bush hofiert händeringend die UNO um sich aus dem Dilemma im Irak wieder herauszuziehen. Das Zeitalter der Eroberungsfeldzüge und Besatzungsmächte scheint vorüber. Selbst „erfolgreiche“ Wirtschaftskriege weiten sich zu Eigentoren aus. Als Thailand und Korea mit finanzpolitischen Machenschaften ruiniert wurden bekam es sogar die internationale Hochfinanz mit der Angst zu tun.

Die Enkel von Kolumbus müssen andere Hausaufgaben machen, um ein besseres Leben genießen zu können. Hochrangige Politiker von Industrienationen besuchen bettelarme afrikanische Staaten (Kanzler Schroeder, 2004) und beschwören sie doch was für ihre Entwicklung zu tun, damit man mit ihnen Geschäfte machen könne.

Die UNO gewinnt an Einfluss, wirtschaftliche Zusammenarbeit ist aktueller denn je!

Meine Welt.

Ich war Anfang der Fünfziger 8 Jahre alt, sensibel und still. Ein braver Junge, aber mit “Eigenleben”. Ich spürte damals mehr als es zu wissen, dass da was schrecklich schief gelaufen war mit meinem Vaterland. Wir lernten Geschichte bis zum letzten deutschen Kaiser. Für die Zeit danach war Funkstille. Die Weimarer Republik wurde gerade noch gestreift.

Die arbeitsfähigen Deutschen verdrängten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Vergangenheit. Sie lebten intensiv die Gegenwart. Arbeit war das Wichtigste. Es gab viel Solidarität untereinander.

Hilfsbereitschaft und Zusammenarbeit waren das Gebot der Stunde. Geld gab´s im Rahmen des Marshallplans. Die Alliierten hatten aus der Geschichte gelernt: den Fehler von Versailles wiederholten sie nicht.

Das Resultat war binnen weniger Jahre ein Wirtschaftswunder in Deutschland. Der zigarrenrauchende dicke Kanzler Ehrhard flößte den Deutschen Vertrauen ein. Damals war es wohl einfacher Kanzler zu sein in Deutschland als heute. Es ging beständig bergauf im Land. Langsam aber sicher kehrte Wohlstand ein.

Aber es war absolut nicht alles in Ordnung in dieser Zeit. Die Deutschen hatten einen schlechten Ruf. Sie waren die bestgehasste Nation der Erde. Sie hatten 40.000.000 Tote auf dem Gewissen, hatten der Welt Elend und Verderben gebracht. Und zuhause? Ich erinnere mich nicht, dass über Hitler oder über den Krieg oder darüber wie die Familie durch all die Jahre gekommen war gesprochen wurde. Meine Schwester bekam da schon mehr mit. Sie war bei Kriegsausbruch 5 Jahre alt, und 1945, auf der Flucht vor den Russen die nach Berlin einmarschierten, war sie schon 11. Sie konnte gut rennen und sich wieselflink in den Straßengraben werfen, wenn die Jagdbomber den Flüchtlingstreck beschossen. Sie erlebte die Bombardierungen Berlins und die Flucht in einprägsamen Bildern, und konnte später zuhause recht gut die Gesprächsfetzen einordnen und sich einen Reim daraus machen, wenn mal etwas über diese Zeit gesagt wurde.

Ich wurde 1942 in Berlin geboren. Wir wohnten in Hermsdorf -, ein Villenviertel im Norden Berlins. Als Säugling, – mein Geburtstag war im Sommer -, verbrachte ich viel Zeit unter den alten Kiefern im Garten hinter dem Haus, erzählte mir meine Mutter. Die Idylle war kurz: schon bald heulten die Sirenen, und meine Mutter hastete mit mir auf dem Arm in den Keller, weil sie dachte sie wäre dort vor den Bomben sicher. Zum Zeitpunkt der Flucht war ich, unglaublich für diese Zeit in der es nichts zu essen gab, ein dickes Baby. Ich aß gerne Grützensuppe, etwas anderes gab es eh nicht. Es wird mir ein Rätsel bleiben wie meine Eltern die Flucht überlebt haben, es schafften mit mir auf dem Arm zu überleben in diesem Inferno. Wie sie mir später erzählten schleppten sie auch noch einen Handkarren mit, voll mit den Sachen die man brauchte. Wo kam eigentlich das Essen her in dieser Zeit? Es gab keine Geschäfte, kein Geld, keine Landwirtschaft, es gab… nichts.

Meinen Bruder hingegen hatte es böse erwischt. Er ist Jahrgang 29 und kam als

16-jähriger, kurz vor dem Zusammenbruch, mit seiner Schulklasse zum Waffeneinsatz gegen die von Westen vordringenden Amerikaner. Die Klasse wurde “aufgerieben”, mein Bruder wurde von einer Kugel aus dem Bord-MG eines Panzers getroffen. Ein Teil seines Rückenmarks wurde zerstört. Später fand ihn mein Vater über Listen des Roten Kreuzes in einem Militärlazarett der Amerikaner. Er war halbseitig gelähmt. Mit eiserner Willenskraft lernte er jedoch sich zu bewegen und zu gehen. Aber die Nervenbahnen waren geschädigt und versagten nach und nach wieder den Dienst. Die letzte Zeit saß er im Rollstuhl, und vor 2 Jahren erlag er den fortschreitenden Lähmungen im Körper. Mein Vater arbeitete vor dem Krieg in der Verwaltung der evangelischen Kirche Deutschlands in Berlin. Dies führte dazu, dass er während des Krieges zur Zivilverwaltung der Stadt Berlin abgestellt wurde. Da er nicht Soldat war bekam er nach dem Krieg sofort Anstellung im Sozialministerium in Rheinland-Pfalz. Zuerst in Koblenz, dann in Mainz. Rheinland-Pfalz war damals französische Besatzungszone. Unser Gymnasium in Mainz war eigentlich mehr ein Trümmerhaufen als ein Gebäude. Ganz Mainz war ein Trümmerhaufen. Die alliierten Bombergeschwader legten Mainz in einer Februarnacht 1945 in Schutt und Asche. Im Keller der Schule gab es ein paar Räume in denen wir unterrichtet wurden. Die Mäuse liefen munter auf den Rohren unterhalb der Zimmerdecke entlang und fesselten unsere Aufmerksamkeit. Obwohl wir im Keller waren tropfte das Regenwasser durch die Decke.Auf dem Schulweg war ein Hotel: der Mainzer Hof. Eines der wenigen Häuser im Mainzer Zentrum welches nicht zerstört war. Manchmal stiegen da Ausländer aus einem Auto und gingen in das Hotel. Ich fand das aufregend. Wenn dies während dem Schulweg passierte blieb ich meist stehen und schaute mir das Schauspiel an. Meine Phantasie arbeitete auf Hochtouren: wo die wohl herkommen?

Zum ersten mal war ich im Ausland als 8 jähriger im Rahmen einer Kinderverschickung, organisiert vom Deutschen Rotem Kreuz. Es ging im Zug über die Alpen, durch die Poebene an die Adria nach Çesenatico, bei Rimini. Zum ersten mal am Meer, zum ersten mal der Anblick der Alpen! Es war überwältigend. Es war das Größte was mir passieren konnte. Alles, alles fand ich unglaublich schön.

Die zweite Gelegenheit Ausland zu erleben ergab sich Jahre später über unser Gymnasium. Unser Englischlehrer, Herr Dirk, war auch der Leiter des deutsch-englischen Jugendclubs in der Schule. Er fragte mich, ob ich im Club mitmachen wollte. Gut dass er mich darauf ansprach: von alleine wäre ich nicht auf die Idee gekommen zu fragen, selbst wenn ich das gedacht hätte. Aber ich fand die Sache natürlich prima! Meine Mutter fand das auch gut. Mein Vater äußerte sich nicht dazu. Wir machten Zeltlager, Bogenschiessen und „Indiaka“ (ein weicher Lederball mit drei Federn) waren unsere Clubsportarten, wir hatten spannende Zusammenkünfte, sangen Lieder und machten uns gegenseitig Julpakete zu Weihnachten. Diese Julpakete sind vielleicht mit den russischen Püppchen vergleichbar: es sind viele Päckchen ineinander, immer mit einem anderen Namen drauf. Wer das letzte Päckchen öffnete war dann der dem das Päckchen gehörte.

Das Aufregenste: unser Club hatte Verbindung mit einem College in Birmingham und dem dortigen englisch-deutschen Jugendclub. Wir konnten interessierte Schüler vom College in Birmingham während der Ferien zu uns einladen, und hatten die Möglichkeit im Austausch nach England zu fahren. Meine Eltern waren mit beidem einverstanden. Mainz war zwar eine Trümmerstadt, trotzdem kam ein Junge aus Birmingham für 2 Wochen zu uns auf Besuch. Mit meinem Englisch klappte das überhaupt noch nicht, mit seinem Deutsch noch weniger. Ich glaube der Junge fühlte sich nicht wohl bei uns. Im nächsten Jahr reisten einige Jungs vom unserem Club nach Birmingham, zusammen mit unserem Englischlehrer. Ich war dabei. Mit dem Englisch war das immer noch eine Katastrophe. Der Aufenthalt bei der Familie in Birmingham war nur kurz, denn die Hauptattraktion der Englandreise war eine Wanderung in der Grafschaft Yorkshire, mit Übernachtungen in Jugendherbergen. Wir wanderten mit den britischen Mädels und Jungs für circa 10 Tage von Jugendherberge zu Jugendherberge, querfeldein, kraxelten über Steinwälle, flüchteten vor wütenden Bullen auf der Weide, verpackten uns in Plastik gegen den ziemlich starken Wind und Nieselregen. Ich hatte eine “Agfa-Box” dabei und machte Fotos. Die Einstellung an der Kamerablende mit dem Sonnensymbol konnte ich vergessen. Das Hebelchen blieb konstant auf “Wolken”. Aber die Gesichter unter dem Plastik waren immer fröhlich. Es war wieder ein unglaublich schönes Erlebnis.

 

Und da war noch ein anderer “Auslandskontakt”: als Junge hatte ich damals Gelegenheit einige Franzosen kennen zu lernen. Das kam so: mein Vater, Beamter in der Landesverwaltung Rheinland-Pfalz, hatte seinerzeit mit Franzosen zu tun, weil die Hoheitsverwaltung in Rheinland-Pfalz in Händen der französischen Besatzungsmacht lag. Die Franzosen, die diese Aufgabe in Mainz wahrnahmen, sprachen häufig gut Deutsch. Ein Teil ihrer Verwaltung war in der Zitadelle: eine alte Festung auf einem Hügel, mit Blick auf die Stadt und den Rhein. Mein Vater nahm mich mal mit bei einem Besuch auf der Zitadelle: er hatte dort dienstlich etwas mit den Franzosen zu tun. Für mich wurde daraus ein Erlebnis: die Franzosen waren nett zu mir, lachten, ließen mich überall herumlaufen, erlaubten mir sogar in den am Eingang geparkten Kübelwagen zu steigen! Ein Schwimmwagen, der hinten eine kleine Schiffsschraube hatte. Ich bekam zu hören, dass man damit, wenn man wollte, durch den Rhein fahren, konnte! Ich war begeistert.

Es stellte sich heraus, dass die Franzosen regelmäßig auf die Jagd fuhren. Als mein Vater ihnen gelegentlich erzählte, dass die Jagd sein großes Hobby sei, luden sie eines schönen Tages unsere ganze Familie ein zu einem Wochenende auf einer Jagdhütte in den Wäldern bei Kaub am Rhein. Mein Vater bekam einen Jagderlaubnisschein von den Franzosen, und aus den Jagdausflügen entwickelte sich eine jahrelange Freundschaft die noch lange fortbestand, selbst als die Besatzungsmacht wieder nach Frankreich abgezogen war.

Immer noch habe ich meine erste (platonische) Liebe vor Augen: ich war 14 Jahre alt, als es zuhause klingelte. Vor der Tür stand eine bildschöne Französin, vielleicht 20 oder 25 Jahre jung, und fragte nach M. Wonson, von dem sie wusste, dass wir mit ihm befreundet waren. Sie war aus Paris angereist um ihn zu suchen. Mit herrlichem französischen Akzent “sang” sie: “Bonjour, ich bin eine Freundin von

M. Wonson und von Paris hierher ´getreten´ und suche M. Wonson…. “. Während der Zeit der Suche nach M. Wonson wohnte sie bei uns. Ich war fasziniert. Nachmittags gingen wir im verwilderten Park gegenüber unserer Wohnung spazieren, wenn sie da war. Mit unserem Dackel an der Leine. Meine Spielkameraden verstanden die Welt nicht mehr. Ich eigentlich auch nicht.

Nach einigen Tagen fuhr sie wieder nach Paris zurück: M. Wonson war nicht auffindbar. Später erfuhren wir über gemeinsame französische Bekannte, dass er zu dieser Zeit in Afrika war, auf Abenteuertour.

Eigentlich war es so, dass ich damals ein bisschen Angst vor den Franzosen hatte. In der Zeit, als wir für einige Monate in Koblenz wohnten nach dem Krieg, war folgendes passiert: als 7 jähriger Knirps warf ich aus meinem Versteck in den Büschen am Straßenrand Steine auf einen französischen Militärwagen der gerade vorbeifuhr. Was ich mir so gar nicht vorgestellt hatte passierte dann: der Stein traf das Auto, der Wagen bremste scharf ab, zwei Soldaten sprangen heraus und fischten mich aus den Büschen. Sie packten den schlotternden Jungen in den Wagen und nahmen ihn mit zur Militärkommandantur. Dort saß ich dann eine ewige Zeit in einem Zimmer, – vielleicht 10 Minuten -, und dann schickten sie mich böse dreinschauend nachhause. Das war schlimm. Irgendwie fand ich sogar, dass ich da was falsch gemacht hatte.

Danach war bezüglich Kontakten zu Ausländern über 10 Jahre lang absolute Funkstille. Aber ich war bereits “angesteckt”: mir blieb eine Sehnsucht, die mich mein Leben lang nicht mehr los ließ.

Noch etwas stellte sich als wichtig heraus für mich: später pachtete mein Vater die Jagd bei Kaub, mitsamt der dazugehörigen Jagdhütte. Unzählige Wochenende verbrachten wir auf der Jagdhütte bei Kaub, und die vielen Ansitze und Pirschgänge brachten mich dem Wald, der Natur und der Fauna so nahe, dass ich mich ganz natürlich als Teil des Ganzen fühlte.

Es war meinem Vater keineswegs unrecht dass ich Förster werden wollte. Mein Bruder hatte auch die Forstlaufbahn eingeschlagen, nicht zuletzt auf Grund einer Familientradition: mein Groß- und der Urgroßvater waren auch Förster. Wegen seiner Kriegsverletzung blieb mein Bruder in der Bezirksforstverwaltung. Mein Vater (geb. 1906) hatte eigentlich auch Förster werden wollen, aber nach dem 1. Weltkrieg war die Forstlaufbahn für viele Jahre für junge Leute gesperrt, da die Regierung die sogenannten „Zwölfender“ (Soldaten die zwölf und mehr Jahre gedient hatten) im Zuge der Zivileingliederung als Forstbeamte einsetzte. Der Schritt später der Forstverwaltung einen paramilitärischen Status zu geben war dann nicht mehr weit, und im zweiten Weltkrieg rekrutierten sich die Soldaten der Jägerbataillone und der Gebirgsjäger weitgehend aus der Forstverwaltung.

In den 50er Jahren beschlossen die Westmächte Deutschland wieder zu bewaffnen und die Wehrpflicht wurde eingeführt. In den Kriegsszenarien des kalten Krieges war Deutschland damals von der NATO als Schlachtfeld für den 3. Weltkrieg vorgesehen. Die deutschen Soldaten hatten die Aufgabe auf dem Feld der Ehre den Vormarsch der ersten Angriffswellen der Warschauer Paktstaaten zu verlangsamen. Der Zeitgewinn bis zur Vernichtung der Bundeswehr durch die Sowjetarmee war strategisch wichtig um Teil 2 der Abwehrschlacht zu organisieren: Einsatz der alliierten Luftwaffe unter Anwendung der schon im zweitem Weltkrieg erprobten Materialschlachttechniken, diesmal mit Raketenunterstützung. Natürlich musste Teil 2 schnell greifen, damit sich die Front nicht etwa schon jenseits der Westgrenzen Deutschlands installiert hat. Da die Warschauer Pakt – Staaten mit ihren konventionellen Streitkräften eine erdrückende Übermacht hatten musste der Verteidigungsschlag atomar erfolgen. Das Umpflügen von jedem Quadratmeter Erde und allem was darauf war an Sowjetsoldaten, verbliebenen Deutschen, Städten, Wäldern und Feldern hatte in Deutschland stattzufinden.

Meinem Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht wurde nicht entsprochen. Sechs (6) Monate nach meinem Dienstantritt im Forstdienst der Bezirksregierung Neustadt/ Weinstraße wurde ich zum Wehrdienst einberufen. Ich konnte allerdings erreichen, dass ich als Soldat nicht dem Verteidigungsministerium unterstellt wurde, sondern meine Wehrpflicht in der sogenannten Territorialverteidigung abdienen konnte, welche dem Innenministerium unterstellt war.

Meine erste Stelle im Forstdienst war im Forstamt Neustadt-Süd. Mein Chef, Forstdirektor Weber, wusste dass ich an Auslandskontakten interessiert war. Zwei (2) mal wöchentlich bekam ich für ein paar Stunden dienstfrei (holte ich an anderen Tagen nach) um an einem Französischkurs an der Volkshochschule Neustadt teilzunehmen. Die Idee dahinter war mich aktiv in die Kontakte des BdF (Bund der Forstleute) mit der französischen Forstverwaltung und französischen Forstleuten einzubringen. Dazu musste ich natürlich erst mal gut Französisch sprechen lernen. Das fiel mir nicht schwer, denn ich hatte Französisch im Gymnasium ab der Sexta als Pflichtfach, da Rheinland-Pfalz französische Besatzungszone war. Dass ich später einmal mein Französisch in Algerien brauchen würde war zu dieser Zeit noch nicht absehbar… .

Anfang 1967 ging meine 18-monatige Wehrpflichtzeit in Hechtsheim bei Mainz zuende. In dieser Zeit traf in der Kaserne ein Brief für mich ein. Absender: Forstdirektor Weber, Neustadt/ Weinstrasse. Darin teilte er mir mit, dass in der Landesregierung Rheinland-Pfalz eine Stellenausschreibung für vier (4) Forstleute im Umlauf sei die sich für die Arbeit in einem Forstprojekt in Afghanistan interessieren. Postwendend stellte ich die für die Bewerbung notwendigen Unterlagen zusammen und sendete sie auf dem Dienstweg an die GAWI1 in Eschborn bei Frankfurt, die damals zur Abwicklung von Projekten der deutschen technischen Hilfe im Auftrage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) zuständig war. Ich wurde zu einem Auswahlgespräch in die Bundesstelle für Entwicklungshilfe (BfE) nach Frankfurt eingeladen, und kurze Zeit später traf die Mitteilung ein, dass ich berücksichtigt worden war. Und dies, obwohl ich nicht verheiratet war! Die Stellen waren nämlich für Verheiratete vorgesehen, da Afghanistan als eines der konservativsten muslimischen Länder der Welt für einen Junggesellen etwa so saftig ist wie ein trockenes Stück Holz. Man fürchtete einen Koller und schlechtes Betragen.. .

Nun ja: “guerra avisada no mata gente” sagt man in Quito/ Ecuador, was bedeutet: ein angekündigter Krieg bringt die Leute nicht um.

Die Landesregierung beurlaubte mich für die Zeit meines Einsatzes im Forstprojekt Paktia in Afghanistan unter Fortfall meiner Dienstbezüge, jedoch bei Wahrung aller Beamtenrechte und der Garantie der Wiedereingliederung in den Forstdienst nach Ablauf des Projektes.

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1 GAWI = “Garantieabwicklungsgesellschaft”, eine ehemalige Kolonialbehörde, in den ersten Jahren mit der Abwicklung der Deutschen Entwicklungshilfe betraut

1967, Afghanistan.

Ich saß in einer Maschine der Lufthansa auf dem Weg nach Kabul. In der Tasche einen Arbeitsvertrag für 2 Jahre als Förster in einem Forstprojekt in den Bergen des Hindukush2. Beim Abschied im Frankfurter Flughafen sagte mir mein Vater: “Also, gut, wenn du unbedingt gehen willst… . Aber komm mir bloß nicht nach einem halben Jahr mit verheulten Augen und eingeklemmten Schwanz zurück. Es ist deine Entscheidung, und das musst du jetzt durchstehen”. Meine Mutter verstand mich wohl besser. Sie lächelte zum Abschied, und wünschte mir viel Glück.Und ich hatte wirklich Glück mit Afghanistan. Das war ein Land… : 100 % nach meinem Geschmack. Die Afghanen fand ich auf Anhieb vertrauenserweckend und angenehm. Stolze Menschen, freiheitsliebend, kultiviert, unglaublich gastfreundlich. Sie lebten in einfachen Verhältnissen: Armut, wie ich sie aus den 50er Jahren von Deutschland her kannte, konnte man das nicht nennen. Alles war ursprünglich, erdig und natürlich.

Die Bergzüge Afghanistans3 ziehen sich im Grossen und Ganzen von Nord-Osten, aus dem Karakorumknoten des Himalajas kommend in Richtung Süd-West. Die Tallagen sind etwa 1500 bis 2000 m hoch, und die höheren Berge haben 5000 bis 7000 Meter; der Tiritschmir, der höchste unter ihnen, ist über 7000 m hoch. In Ostafghanistan begrenzen die Berge nach Pakistan hin das Indusbecken. Insbesondere Nuristan4 im Nordosten Afghanistans und das südlich davon gelegene Paktia erhalten Feuchte von den aus dem Indusbecken Pakistans aufsteigenden Warmluftmassen die sich, wenn sie auf die Kaltluft der Berge stoßen, zu Wolken kondensieren und abregnen. Das ist in einem etwa 100 km breiten Streifen von der Ostgrenze Afghanistans ins Landesinnere hin der Fall. Weiter nach innen hin wird das Klima zunehmend kontinental, mit extrem trockenen und heißen Sommern und sehr kalten Wintern. Das führt mangels Wasser insbesondere im Süd- und Nordwesten Afghanistans zur Wüstenbildung. Einige der heißesten Wüsten der Erde finden sich in Afghanistan. Namen wie Dasht-e-Naomid”5 und “Dasht-e-Margo”6 lassen das erahnen. In den Bergen im Osten des Landes hingegen, mit Sommerregen und ausgiebigen Schneefällen im Winter, wächst Wald. Die wichtigsten Holzarten sind Zedern, Hochgebirgsformen von Fichten und Tannen mit nadelspitzen Kronen, damit der Schnee nicht auf den Ästen liegen bleiben kann und sie abbrechen lässt, eine Weimutskiefernart (Pinus hallepensis), eine Kiefer mit heller Rinde und Samen die die Afghanen geröstet gerne zum Tee knappern (Pinus gelrosa) und die Balluteichen.

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2 daraus wurden dann insgesamt fast 8 Jahre

3 “Afghanistan” heißt “das Land der Afghanen”

4 “Nuristan” heißt das “Land des Lichtes”

5 “ die Wüste der Verzweiflung”, und 6 “die Wüste des Todes”

In Nuristan bordet die Natur regelrecht über: intensives Sonnenlicht, viel Regen und gute Waldböden bringen alles zum Extrem. Extrem hohe und dicke Bäume, wilde Trauben die in die Kronen der Balluteichen ranken, Tannen- und Fichtennadeln, die

so lang sind wie Kiefernnadeln (und länger), Haselnüsse die sich zu Bäumen mit beträchtlichen Stämmen auswachsen. Wasser rauscht durch alle Täler, feuchte Pfade führen in die Hochlagen der Berge wo das Vieh weidet. Dort verbringen die Hirten

den Sommer mit ihren Tieren. Gegen Abend mag da ein Hirte sitzen, unter einem Baum, mit einem fantastischen Blick auf die Kulisse schneebedeckter 5- und 6 Tausender um ihn herum, und spielt ein Lied auf seiner Flöte. Es kann gut sein, das er blonde Haare hat, blaue Augen und eine griechische Nase: Nachkommen der Soldaten Alexander des Grossen, die es satt hatten die Welt zu erobern, sich in den Bergen Nuristans versteckten und beschlossen dort zu bleiben. Das Projektgebiet lag in Paktia, eine landschaftlich ausgesprochen reizvolle Region im Hindukush7. Wir bauten uns selbst unsere Forststation auf, neben dem Dorf Kotgai. Der schneebedeckte Safeth Ko (auf Paschtu: „Spin Ra“, knapp 5.000 m hoch) war unser Hausberg, sozusagen im Vorgarten. Er verdiente seinen Namen zu recht: der weiße Berg. Von Kotgai aus führte der Weg noch ein paar Kilometer weiter bergan, bis zum Fort an der pakistanischen Grenze, in ca. 3000 m Höhe. Von diesen Grenzforts gab es eine ganze Reihe im Projektgebiet. Wir wurden den Grenzkommandanten vorgestellt, weil das Grenzgebiet eigentlich für Ausländer gesperrt war. Unsere Vorstellung gestaltete sich einfach, da unsere Counterparts hohe Militärs waren. Die Regelung unser Counterpartpersonal aus dem Militär zu rekrutieren bot sich an, denn es gab damals keine Forstverwaltung in Afghanistan. Andere jeep-befahrbare Wege existierten nicht im Projektgebiet. Um das Gelände zu erkunden beschaffte ich mir erst einmal ein Pferd. Damit kam ich schnell und sicher in die entferntesten Ecken des Waldgebietes von Mandaher, da es an Nah- und auch Fernpfaden nicht mangelte.

 

Die Afghanen hatten immer gute Beziehungen zu den Deutschen. Das ging zurück bis in König Amanullahs Zeiten (1919 bis 1929). Als Deutschland den ersten Weltkrieg verloren hatte war König Amanullah der Erste der Deutschland offiziell Staatsbesuch erstattete. Deutschlands verwundeter Volksseele tat das gut. Die Menschen jubelten ihm in Massen zu. In vielen Städten gab es plötzlich “Amanullah-Bars”: Afghanistan war groß in Mode. Vielleicht hatte König Amanullah nicht mit solch einem überwältigend warmherzigen Empfang gerechnet: jedenfalls er war begeistert von den Deutschen, und es wurde ein Kulturabkommen unterzeichnet, wie es vielleicht so weitgehend noch nie in der Geschichte eines gegeben hatte. Es wurde der Bau der Nedjad Oberrealschule in Kabul beschlossen, eine Hochschule für Ingenieurswesen gegründet, und König Amanullah beschloss ganze Schulklassen geschlossen auf ________________________

7 “Hindukush” bedeutet “Hindutöter. Die Inder gaben den Bergen diesen Namen.

Gymnasien nach Deutschland zu schicken, damit sie dort das Abitur machen und danach gleich inDeutschland bleiben um zu studieren. Einer unserer Projektdolmetscher war mit solch einer Klasse in Deutschland. Er begrüßte uns mit den Worten: “na alter Junge, alles in Butter? Prima dass ihr hier seid. Wirklich dufte!” Er hatte in Berlin studiert, und sich vor seiner Rückkehr nach Afghanistan etwas Geld als Taxichauffeur verdient.König Amanullah hätte wohl damals auch einen Assoziierungsvertrag mit Deutschland unterschrieben, wenn es jemandem eingefallen wäre so etwas vorzuschlagen. Das wäre für die Afghanen deshalb akzeptabel gewesen, weil ja alles “in der Familie” geblieben wäre. Wir, die Deutschen, sind nämlich nach Meinung der Afghanen ihre Brüder. In unseren Adern fließt das Blut dergleichen Rasse. Afghanen und Deutsche sind beide Arier. Ein Stamm der, wie sie sagen, vor langer Zeit in Afghanistan lebte.

Hierzu möchte ich eine Geschichte erzählen:

Eine der Aufgaben welche wir uns seinerzeit im Rahmen unserer Arbeit im Forstprojekt Paktia stellten waren Aufforstungen in der Nähe der Gebirgsdörfer, weil die Wälder wegen der laufenden Brennholznutzung um die Dörfer herum inzwischen verschwunden waren, und die Frauen zum Brennholz holen Stunden und Stunden unterwegs waren, mit Körben auf dem Kopf, oder mit Eseln als Lasttiere.

Da blieb eigentlich kaum noch Zeit für die Kleinkinder, die Feld- und Hausarbeit. Und Holz ist in dieser abgeschiedenen Gebirgswelt die einzige Energiequelle zum Kochen, oder zum Wärmen in den bitterkalten kontinentalen Wintern. Die Menschen in den Hindukushtälern leben heute, wie schon vor Tausenden von Jahren, von der Viehzucht und vom Ackerbau. Die Felder in den Tälern werden mit “Djuis” (Wassergräben) bewässert die von den Bergflüssen abgeleitet werden. Ihre Viehherden bestehen hauptsächlich aus Ziegen und Schafen, mit denen sie zur Futtersuche weite Strecken unterwegs sind. Für die Ziegen hauptsächlich wären unsere Aufforstungen Leckerbissen gewesen, wenn man sich nicht um ihren Schutz gekümmert hätte. Was wir im Rahmen unseres Dorfpflanzungsprogramms machten war den “Chan” (der von allen respektierte Chef im Dorf) zu bitten eine “Djirga” (Versammlung) der Dorfältesten einzuberufen, um über den Plan Dorfpflanzungen anzulegen zu sprechen. Ziel der Absprache war mit dem Dorf einen Vertrag abzuschließen, worin das Projekt sich verpflichtete das Pflanzmaterial und die Pflanzgeräte zu stellen sowie den Transport der Pflanzen und die Pflanzarbeit selbst zu organisieren. Das Dorf stellte die Arbeiter zur Durchführung der Pflanzungen, übernahm den Schutz der Pflanzungen und hatte dafür später das exklusive Recht der Holznutzung. Für die Viehherden wurden “Korridore” belassen, um die Möglichkeit zu haben mit den Tieren in die Weidegründe abseits der Pflanzungen zu ziehen. Solche Verträge abzuschließen war einfach, den die Dorfpflanzungen waren begehrt! Es hatte sich im übrigen ja spätestens nach der ersten Djirga in den Gebirgstälern herumgesprochen was wir machten, und die Leute fanden das wirklich gut. Manchmal war es so, dass der Chan im Nachbardorf schon mit den Dorfältesten gesprochen hatte. Wenn wir kamen erhielten wir eine Einladung beim Chan, und ohne spezielle Djirga wurde am gleichen Tag der Pflanzvertrag unterschrieben. Mit Stempelkissen und Daumenabdruck.

Deshalb hatten unsere Versammlungen manchmal mehr den Sinn sich gegenseitig kennen zu lernen, zusammen Tee zu trinken und sich Geschichten zu erzählen. Aber das war mindestens genau so wichtig. Wir saßen in dem Gästezimmer gleich rechts hinter dem Haustor. Die zweite Eingangstür war verschlossen, damit die Gäste (Gäste sind immer Männer, weil Frauen nicht unterwegs sein können um Besuche zu machen) nicht in das Hausinnere schauen konnten, wo sich die Familie bewegt. Das Zimmer hatte die rötlich-braune Farbe des Lehms mit dem die Wand verputzt war. An den spiegelglatten Wänden entlang lagen große Kissen mit farbenfrohen Mustern, und ein großer roter Afghanteppich füllte den ganzen Raum aus. Durch ein kleines Fenster in der dicken Lehmwand fiel Sonnenlicht und erhellte kontrastreich einige Kissen. Wir saßen entspannt auf den riesigen Kissen und warteten auf das Erscheinen des Chans. Dann öffnete sich die grob geschnitzte Holztür, und er kam: ein alter Mann, gekleidet wie alle: ein langes Hemd über der Pluderhose, darüber eine kurze Weste, auf dem Kopf der Turban. Ein langer roter Bart zierte das spitze Gesicht. Natürlich gehörten auch über der Brust gekreuzte Patronengurte dazu, der dazu gehörige Revolver, und der riesige Pashtunendolch im Gürtel. Das war alles unabdingbarer Bestandteil der Kleidung und hatte nicht im mindesten etwas mit einem Misstrauen gegen uns zu tun.

Wir erhoben uns zur Begrüßung und erhielten einen warmen Händedruck. Ein klarer ruhiger Blick erfasste uns, ein unmerkliches Lächeln spielte in seinem faltigen Gesicht. Alle Bewegungen waren gemessen, würdig und stolz. Nach den rituellen Begrüßungsformeln (salemaleikum, zangai, djurli, chai, bachai…) bedeutete uns der Chan mit einer leichten Handbewegung wieder Platz zu nehmen. Mein Counterpart, Herr Navor Shah, sprach fließend Deutsch. So ging die Unterhaltung flüssig; die Übersetzungspausen empfand ich manchmal sogar als angenehm, da man Zeit hatte nachzudenken und zu beobachten während Paschtu gesprochen wurde, und es war leicht eine klare Antwort zu formulieren. Nach einem Jahr hatte ich mich so gut auf Paschtu eingehört, dass ich durchaus mitbekam, wenn etwas nicht gut übersetzt wurde (was bei Navor Shah nie der Fall war), obwohl ich nicht Paschtu sprechen konnte.