Hans Fallada – Gesammelte Werke

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Bei dem geringsten Anzeichen von Durst schon konnte ich einen Schluck nehmen. Zu Hause im Badezimmer war das einfach genug, aber auf dem Kontor, das Magda mit mir teilte, gab es manchmal Schwierigkeiten. Dann saß ich viele Minuten und grübelte über einen Vorwand, sie hinauszuschicken. Einmal, als mir gar nichts einfiel, ging ich sogar so weit, dass ich heimlich in ihrer Gegenwart – der Schreibtisch deckte mich gegen Sicht – die Flasche entkorkt auf den Boden stellte, dann den Radiergummi zu Boden fallen ließ und ihn mir umständlich suchte, zuletzt auf allen Vieren, wobei ich unter der Wölbung des Schreibtisches, sehr vergnügt über meine List, beträchtlichen Kognak in mich hineingluckern ließ.
Ich wechselte meine Ansicht, wieweit Magda mich durchschaute, fast stündlich. Meist war ich fest davon überzeugt, dass sie gar nichts ahnte, zu anderen Stunden, namentlich, wenn ich missmutig und gereizt war, wusste ich es beinahe, dass sie mich ganz und gar durchschaute. Dann grübelte ich wieder. Manchmal ging ich lange Zeit im Kontor nachdenkend auf und ab, immer an Magdas Platz vorüber; dann war ich böse, wie ich es nannte, nicht auf etwas speziell, nicht einmal auf Magda, sondern ich war einfach böse, wie eben ein Mensch schlecht und böse sein kann, von Urgrund her, so ist er einmal, so böse war ich, und ich suchte einen Grund, mit ihr Streit anzufangen.
In diesem Streit wollte ich die Gewissheit aus ihr herauslocken, ob sie gar nichts oder alles wusste, und wusste sie alles, so wollte ich auch den letzten Schein von Anstand fallen lassen. Gerade in ihrer Gegenwart, in der Anwesenheit meiner nüchternen, sauberen, tüchtigen Frau wollte ich mich toll und vollsaufen, ich wollte die Füße auf den Schreibtisch legen und wüste, schweinische Lieder singen und zotige Redensarten gebrauchen – welche Wollust, sie mit in den Dreck zu ziehen, ihr zu zeigen: Den hast du einmal geliebt, und unter deiner Liebe ist er so geworden … Nun gerade! Seht her!
Ich ging immer schneller auf und ab, ich genierte mich nicht mehr, ich warf ihr böse, herausfordernde Blicke zu, aber dann, direkt vor meinem Ausbruch, stand sie stets auf und verließ das Kontor. Ich aber starrte ihr nach, ich starrte wütend die braun gemaserte Tür an, ich ballte die Fäuste, ich knirschte mit den Zähnen: »Feige ausgerissen, aber das hast du aus mir gemacht, du – Tüchtige!« Schließlich setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch, trank kräftig und wurde müde und sanft.
Übrigens, wenn ich eben gesagt habe, ich hätte meine Arbeit nur soso gemacht, aus alter Gewohnheit, so ist nicht einmal das ganz richtig: Man soll sein Licht auch nicht unter den Scheffel stellen. Der Alkohol machte es, dass ich in dieser Zeit viel von meiner vornehmen Chefzurückhaltung verlor, ich konnte mit der Landkundschaft viel besser schwätzen, wir klopften einander auf die Schulter, erzählten uns Witzchen, wobei wir uns achtsam umsahen, ob Magda auch nicht in der Nähe war, und dabei gelang mir mancher ungewöhnlich vorteilhafte Abschluss.
Was ich früher nie getan hatte, wofür ich mich zu fein gehalten hatte und meine Firma zu ansehnlich, das tat ich jetzt gerne: Ich ging mit den Landwirten in eine kleine Kneipe, und dort, über einem zerschnitzelten Lindenholztisch, auf dem unsere Stangen kreisrunde nasse Ränder hinterließen, erzählten wir uns vielerlei, tranken noch mehr, und ich kaufte von den oft stark Angetrunkenen zu vorteilhaftesten Preisen. Wenn ich dann, wieder auf dem Büro angelangt, dem Hinzpeter diese Abschlüsse zur Verbuchung angab, sah ich wohl die Blicke, die der trockene Zahlenmensch mit meiner Frau tauschte, aber ich lachte nur darüber.
Jedoch eines Morgens, nach einem solchen Abschluss, bei dem ich den Inspektor eines größeren Gutes regelrecht eingeseift und ihm einen ganzen Waggon Erbsen zu der Hälfte des regulären Marktpreises abgeschwatzt hatte, also am Morgen nach diesem vorteilhaften Einkauf hörte ich aufgeregtes Reden auf dem Hof des Geschäftes, und als ich ans Fenster ging, sah ich dort den jetzt sehr ernüchterten Inspektor, der wild auf meine Frau und Hinzpeter einredete. Ich sah durch die Scheibe eine ganze Weile zufrieden den aufgebrachten Mann an und dachte bei mir: ›Ja, rede du jetzt nur und sei so nüchtern, wie du magst. Deine Unterschrift auf dem Abschluss von gestern Abend kannst du doch nicht wegreden!‹
Jetzt sprach Magda, und der Inspektor nickte und schüttelte den Kopf und trat mit dem Fuß auf, und plötzlich sah er zu mir herüber und entdeckte mich wohl hinter dem Glas, und wirklich und wahrhaftig, der Mann hob den Arm und schüttelte die Faust gegen mich, vor den Augen meiner Frau und Hinzpeters, und nun schrie er sogar ein Schimpfwort gegen mich, und das lautete nicht anders wie: »Oller Leutebetrüger!« Ich wartete, ich wartete darauf, dass Magda den Frechling vom Hof weisen würde, aber sie redete nur auf ihn ein, und nach einer Weile ließ der Inspektor die Faust wieder sinken, und sie verhandelten weiter.
Mich ekelte vor der Schlappheit meines Weibes, und nach einer Weile, als sie immer noch verhandelten, setzte ich mich an meinen Schreibtisch nieder, öffnete das bewusste Fach und stärkte mich. Wieder nach einer Zeit, während ich da so gesessen und an nichts gedacht hatte, ging die Tür auf, und Magda kam blass herein, eine Mappe in der Hand. Sie legte die Mappe auf den Tisch und fing an, mit den Papieren zu rascheln, sonst war es ganz still bei uns im Kontor, und der Alkohol ging sachte in mir herum und machte mich friedlich und zufrieden.
Plötzlich aber ließ Magda die Papiere fallen, sie warf den Kopf auf den Tisch und weinte wild drauflos. Ich war sehr hilflos, wusste gar nicht, was ich tun sollte, war auch in dem jetzigen angenehmen Zustand viel zu bequem, etwas zu tun. So sagte ich nur etwas matt: »Aber was ist denn nur los? Beruhige dich bloß, Magda, es wird ja alles halb so wild sein!«
Sie aber warf den Kopf hoch und starrte mich mit ihren tränenüberströmten Augen an und rief: »Es ist doppelt schlimm! Es ist zehnfach schlimm! Nicht genug, dass du alle Tage stark betrunken bist, bringst du auch noch unsere Firma in Verruf. Überall erzählen sich schon die Leute, dass wir unsolide geworden seien und auf Betrug ausgehen …«
»Halt, stopp, Magda«, sagte ich langsam, und plötzlich war es mir ganz recht, dass es endlich zu einer Aussprache zwischen uns kam, und ich war fest entschlossen, ihr nichts zu ersparen … »Halt, stopp, Magda«, sagte ich. »Nicht so viel auf einmal! Was das angeht, dass ich alle Tage stockbetrunken sein soll, so möchte ich dich wohl fragen, ob du mich je einmal hast torkeln sehen oder lallen hören? Ich nehme dann und wann ein Gläschen, das gebe ich ohne Weiteres zu, aber ich vertrage es auch. Es macht mich klarer. Den Alkohol soll meiden, wer ihn nicht verträgt, das bin aber nicht ich.«
»Sieh«, sagte ich langsam und schloss wieder das bewusste Schreibtischfach auf, »hier haben wir eine Flasche Kognak, die war heute früh um neun Uhr noch voll, und jetzt ist etwa ein Drittel heraus, ein gutes Drittel, sagen wir. Stammle ich deswegen? Bin ich nicht Herr meiner Glieder? Bin ich unklar im Kopfe? Ich bin zehnmal klarer als du! Ich würde es nicht zulassen, dass ein hergelaufener Mistbock meine Frau Betrügerin schimpft, in die Fresse würde ich solchem Kerl schlagen!« schrie ich plötzlich.
Und fuhr ruhiger fort: »Du aber verhandelst mit ihm und begütigst ihn, und wenn ich dich und das ängstliche Huhn, den Hinzpeter, recht kenne, so habt ihr ihm sogar den guten Erbsenabschluss gestrichen oder die Preise erhöht …« Ich sah sie spöttisch an.
»Gewiss haben wir das!«, rief sie, und ihre Tränen waren jetzt versiegt, und sie sah mich ohne jede Liebe und Zuneigung an. »Gewiss haben wir das. Wir haben den Abschluss gestrichen, den guten Kunden sind wir aber trotzdem los für alle Zeit.«
»Soso«, antwortete ich noch viel spöttischer. »Ihr habt den Abschluss gestrichen. Ich bin ja hier bloß der letzte Laufbursche, und das, worunter ich meinen Namen setze, ist nur ein Wisch! Ich will dir aber eins sagen, Magda: Wenn der Inspektor Schmidt vom Fliederhof seinen Abschluss nicht bis auf den letzten Zentner erfüllt, so klage ich gegen ihn, und ich werde recht bekommen. Denn ein Abschluss ist ein Abschluss, das wird dir jeder Rechtsanwalt sagen, und wenn er mein niedriges Angebot angenommen hat, so ist das seine Schuld, nicht meine. Ich habe ihn nicht besoffen gemacht, sondern er hat mich besoffen machen wollen, und wenn er dabei hereingefallen ist, ist es nicht meine Schuld.
Und, Magda«, sagte ich und stand jetzt auf von meinem Stuhl, »ich will dir noch sagen, dass ich hier der Chef bin, ich allein, und wenn Abschlüsse gelöst werden sollen, so werde ich gefragt und kein anderer. Das passt mir nicht mehr, dass du dich hier aufspielst, und willst mich unter deinen Fuß treten und redest von Stockbesoffenheit, wo ich nüchtern bin wie ein Aal im Wasser und zehnmal klüger und tüchtiger als du. Ich bin hier der Chef, und mich verdrängst du nicht. Geh wieder zu deinen Kochtöpfen, da rede ich dir nicht hinein. Ich habe dich nicht hierher gebeten, aber jetzt bitte ich dich, zu gehen.«
Ich hatte sehr ernst und überlegt gesprochen, und während ich so sprach, war mir immer klarer geworden, dass ich wirklich in allem recht und sie in allem unrecht hatte. Nun setzte ich mich wieder.
Magda hatte mich sehr aufmerksam angesehen, während ich so gesprochen hatte, gleichsam als wollte sie jedes einzelne Wort von meinem Munde ablesen. Nun, da ich geendet hatte, nickte sie und sagte: »Ich sehe schon, dass mit dir nicht mehr zu reden ist, Erwin. Du hast jedes Gefühl für Recht und Unrecht verloren. Dem Inspektor hat sein Graf gesagt, er wird die Stellung verlieren, wenn dieser betrunkene Abschluss nicht auf der Stelle rückgängig gemacht wird, und du sollst wegen Betrugs angezeigt werden …«
»Das soll er nur tun!«, rief ich spöttisch. »Dir imponiert natürlich solch Graf, bloß weil er sich blaublütig schimpft, mir aber nicht so viel!« Ich schnippte mit den Fingern. »Er soll mich nur anzeigen, er wird schon sehen, wie er dabei hereinfällt!«
»Ja«, rief wieder Magda, »dir ist es schon ganz gleichgültig geworden, ob dein ehrlicher Name vor den Gerichten in den Schmutz gezerrt wird, das habe ich jetzt alles leider begreifen müssen. Doch ich gebe es auf, mit dir darüber zu reden, der Schnaps hat jedes Rechtsgefühl in dir zerstört. – Ich möchte dich aber etwas anderes fragen, Erwin …«
»Frage nur zu«, antwortete ich mürrisch, war aber sehr auf meinem Posten, denn mir schwante schon, dass jetzt nichts Gutes kommen würde. »Wer viel fragt, bekommt viel Antwort.«
»Ich brauche nicht viel Antwort«, sagte Magda wieder, »ich brauche nur ein einfaches, klares Ja oder Nein.« Sie holte Atem, sie sah mich fest an. Dann sagte sie: »Bist du noch ein Mann von Wort, Erwin? Ich meine, stehst du noch zu dem, was du mir einmal versprochen hast?«
»Natürlich tue ich das«, sagte ich mürrisch. »Ich würde zum Beispiel Verträge halten, ob ich nun bei ihrem Abschluss nüchtern oder betrunken war.«
Sie achtete gar nicht auf meinen Spott. »Du hast«, sagte sie, »damals, als du nach Hamburg fuhrst, mir fest versprochen, hinterher mit mir zum Arzt zu gehen. Willst du dein Wort jetzt einlösen, willst du heute Nachmittag mit mir zu Dr. Mansfeld gehen?«
»Halt mal!«, rief ich aufgeregt. »Du stellst schon wieder mal die Dinge auf den Kopf, Magda! Ich habe dir nie versprochen, unter allen Umständen nach der Hamburger Reise zum Arzt zu gehen, ich habe nur gesagt, wenn ich krank zurückkäme. Ich bin aber ganz gesund wiedergekommen.«
»Ja, so gesund«, sagte Magda bitter, »dass du in der Nacht nach deiner Ankunft alle meine Flaschen in der Speisekammer leer getrunken hast. Und seitdem bist du auch nicht eine Minute nüchtern gewesen. Ich sehe aber, du willst nicht zu deinem Wort stehen.«
»Zu meinem Wort schon, aber in dieser Sache habe ich dir nie mein Wort gegeben, so nicht.«
»Aber, Erwin«, fing Magda wieder an, doch jetzt sanft, »warum sträubst du dich denn so, dich einmal vom Arzt untersuchen zu lassen? Wenn es so ist, wie du sagst, und der Arzt bestätigt es, so ist ja alles gut … Ist es aber nicht so …«
»Nun, was ist dann?«, sagte ich spöttisch.
»… dann muss eben irgendetwas für deine Gesundheit geschehen. Denn du bist krank, Erwin, du bist so krank, wie du noch gar nicht ahnst …«
»Ach«, sagte ich gelangweilt, »lass das doch. So kriegst du mich auch nicht rum. Du redest sanft mit mir, aber deinen Augen sehe ich es an, dass du es böse mit mir meinst. Ich lasse mich aber nicht von meiner Frau kommandieren, sie mag so tüchtig sein, wie sie will.«
»Ich will dich gar nicht kommandieren …«
»Bitte: erst löst du meine Abschlüsse, dann soll ich zum Arzt gehen, weil du dir Torheiten einbildest, und schließlich möchtest du hier wohl meinen Chefplatz einnehmen, was? In meinem Sessel hattest du es dir in meiner Abwesenheit ja schon recht bequem gemacht, nicht wahr?«
»Nun gut«, sagte sie, und jetzt flammten ihre Augen wirklich böse auf, und in ihrer Stimme war keine Spur von Sanftheit mehr, »du willst nicht. Du willst nichts als trinken und Schaden stiften. Ich lasse es aber nicht zu, dass du mich und die Firma ruinierst. Ruiniere dich selbst nur, soviel du willst. Dann muss ich eben andere Schritte ergreifen.«
»Ergreife nur, ergreife nur«, sagte ich spöttisch, »du wirst ja sehen, wie du dabei hereinfällst. – Würdest du übrigens vielleicht die Güte haben, mir zu sagen, welche Schritte du etwa vorhast?« Mein Spott hatte sie ganz außer sich gebracht.
»Jawohl werde ich es dir sagen«, rief sie zornig, »zuerst werde ich mich von dir scheiden lassen …«
»Sieh mal an!« lachte ich. »Also von mir scheiden lassen! Ich wüsste nicht, dass ich dir schon einen Scheidungsgrund gegeben hätte. Aber was nicht ist, kann noch werden. – Und was hast du noch vor?«
Aber sie wollte nicht mehr. »Du wirst schon sehen«, sagte sie und setzte sich wieder an ihren Tisch und zu ihren Papieren.
»Ich kann es auch abwarten«, antwortete ich. Ich nahm die Kognakflasche und legte sie zu dem noch ungegessenen Frühstück in die Aktentasche. »Mach dir immerhin schon klar, dass nach dem Gesetz alles mir gehört, da du nichts mit in die Ehe eingebracht hast: Haus und Einrichtung und Firma, alles mein!«
Ich lachte, als ich ihre zornige Protestbewegung sah.
»Ja, erkundige dich erst einmal bei einem Anwalt, dann wirst du dir die Scheidung noch gewaltig überlegen. Und nun«, sagte ich und nahm meinen Hut vom Riegel, »überlasse ich dir erst einmal leihweise meine Firma. Sei recht fleißig, liebe Magda, und löse recht viele vorteilhafte Abschlüsse auf … Na, was denn? Willst du mir jetzt einen Scheidungsgrund geben?!«
Mein Spott hatte sie ganz rasend gemacht. Sie hatte das nächste, was ihr zur Hand war, einen Tintenlöscher, ergriffen und nach mir geschleudert. Ich hatte gerade noch ausweichen können. Sie sah mich schneeweiß und wutzitternd an. Ich hielt es für besser, sie jetzt nicht noch weiter zu reizen, stellte den Löscher auf seinen Platz zurück und verließ Kontor und Firma.
11
Ich war auch fest entschlossen, so bald nicht wieder dorthin zurückzukehren. Mochte sie ruhig eine Weile dort allein weiterwursteln, ich machte ihnen ja doch nichts zu Dank. Der ganze Kram langweilte mich schon lange, jetzt hatte ich eine bessere und interessantere Aufgabe gefunden, die meiner augenblicklichen Stimmung viel eher entsprach: mein Kampf gegen Magda! Sie sollte sich nur an mir versuchen, es würde mir direkt Spaß machen, ihr zu beweisen, wie viel klüger und gesetzeskundiger ich war als sie!
Ich war wieder auf der Wanderung, meine Aktentasche unterm Arm, durch einen schönen, aber schon recht heißen Tag am Ausgang des Frühlings. Die Königin des Alkohols – ich hatte sie viel zu lange vergessen. Langweilig war die jedenfalls nicht. Außerdem musste ich mir endlich meine Schuhe zurückholen. Niemand sollte mir nachsagen können, dass ich in der Trunkenheit meine Kleidung durch halb Europa verstreute. Niemand, nicht einmal Magda.
Es war ja so ziemlich klar, was diese tüchtige Dame, mit der ich bisher verheiratet gewesen war, beabsichtigte. Scheidung, nun schön, aber Scheidung ging nicht so schnell; vor einer Scheidung mussten auch erst einige Vorbereitungen getroffen werden, zum Beispiel eine Untersuchung durch den Arzt.
Magda stand sich sehr gut mit Dr. Mansfeld, schon seit vielen Jahren. Er hatte sie immer behandelt, wenn sie krank gewesen war, ich kannte ihn weniger, mir hatte eigentlich noch nie etwas gefehlt. Sie würde ihn schon zu ihrer Auffassung überreden, und dann sollte vermutlich so etwas kommen wie Entmündigung und Unterbringung in einer Trinkerheilstätte. Das würde ihr so passen, der guten Magda: der Mann sitzt in einer Anstalt, natürlich möglichst dritter Klasse, und sie wirtschaftet in und mit seinem Eigentum, leitet die Firma.
Aber es gab andere Ärzte, berühmtere und tüchtigere als der gute alte Dr. Mansfeld, der schließlich und endlich nur ein einfacher praktischer Arzt war; gleich in den nächsten Tagen schon würde ich zu einem oder mehreren von ihnen gehen und mir Atteste über meine völlige Gesundheit geben lassen. Mit einem solchen Ziel vor Augen würde es leicht sein, ein oder zwei Tage vor dem Arztbesuch überhaupt nichts zu trinken.
Sie würde schon sehen, mit wem sie da angebunden hatte, die gute Magda; trotz fünfzehn Jahren Ehe kannte sie ihren Mann noch lange nicht! Jedenfalls: Ehe ich ihr mein Eigentum überließ, steckte ich ihr lieber die Villa über dem Kopf an, das war klar.
So etwa gingen meine Meditationen während meines heißen Weges in jenen Dorfgasthof, und das Ausmalen bis in alle Details hinein kürzte mir die Zeit auf das Angenehmste. Ich konnte zum Beispiel lange dabei verweilen, wie ich in irgendeiner Zelle der Trinkerheilanstalt mit eiskaltem Wasser geängstigt und mit schlechtem Essen gefüttert wurde, während Magda in unserem hübschen Speisezimmer ein Kalbskotelett mit Stangenspargel aß. Dann kamen mir fast die Tränen der Rührung über mein schlimmes Los und Magdas Ungerechtigkeit in die Augen.
Zwischendurch verfütterte ich, da ich wie meist in der letzten Zeit nicht den geringsten Hunger verspürte, mein Frühstücksbrot an dörfliche Enten und Gänse, tauchte auch von Zeit zu Zeit hinter einer Hecke vor aller Sicht unter und nahm einen Schluck. Ich verlor nie ganz ein leises Gefühl der Beschämung darüber, dass ich, Erwin Sommer, mich hinter einer Hecke versteckte, einen Flaschenhals an den Mund setzte und Schnaps in mich hineinlaufen ließ wie der letzte Walzenbruder. Es wurde mir nicht selbstverständlich, dagegen stumpfte ich nicht völlig ab. Doch es musste nun einmal sein, es ging eben nicht anders.
Kurz vor meinem Ziel war ich mit meiner Flasche alle, ich warf sie in den Straßengraben und machte mich an die letzten fünf Minuten Weg. Vom Kirchturm des Dorfes läutete es gerade zur Mittagsstunde; vor mir, an mir vorbei, mir nach zogen die Dörfler, die vom Felde kamen, Hacken oder Spaten auf der Schulter. Manche grüßten mich, andere sahen mich nur musternd von der Seite an, wieder andere schließlich stießen sich an, verzogen die Gesichter und lachten, während sie an mir vorbeigingen.
Es mochte ja nur die übliche dörfliche kritische Einstellung dem stadtfein angezogenen Fremden gegenüber sein, ich hatte aber doch den Argwohn, dass mir vielleicht etwas von meinem Alkoholgenuss anzumerken oder etwas an meiner Kleidung nicht in Ordnung sei. Ich hatte es schon erfahren, dass eine der schlimmsten Gaben, die der Alkohol mit sich bringt, dieses Unsicherheitsgefühl ist, ob irgendetwas an einem nicht ganz stimmt. Man kann sich noch so oft im Spiegel mustern, die Kleidung abtasten, jeden Knopf nachprüfen – nie, wenn man etwas getrunken hat, ist man ganz sicher, dass man nicht doch etwas übersehen hat, etwas ganz offen Zutageliegendes, das man aber doch trotz gespanntester Aufmerksamkeit immer wieder übersieht. Im Traum hat man ganz ähnliche Gefühle, bewegt sich heiter in der gewähltesten Gesellschaft und entdeckt plötzlich, dass man vergessen hat, seine Hosen anzuziehen.
Also, dieses Angestarrtwerden wurde mir lästig, zudem fiel mir ein, dass gerade die lebhafte Mittagsstunde nicht die richtige Zeit sein würde, meine Hübsche aufzusuchen. Ich schlug einen seitab führenden Feldweg ein und warf mich unter einem schattenden Gebüsch ins Gras. Sofort verfiel ich in Schlaf, in jenen tiefschwarzen Schlaf, den der Alkohol bringt, wobei man gewissermaßen ausgelöscht ist, einen befristeten Tod stirbt. Keine Träume gibt es da mehr, keine Ahnung von Licht und Leben – fort ins Nichts! Das ist es.
Als ich wieder erwachte, stand die Sonne schon tief, ich musste vier, vielleicht sogar fünf Stunden geschlafen haben. Wie immer in dieser Zeit hatte mich der Schlaf gar nicht erfrischt, ich erwachte alt und müde, ein zittriges Gefühl in den Gliedern. Meine Knochen waren steif, als ich mich aufrichtete, und mit dem Gehen kam ich nur schwer zurecht. Ich wusste aber jetzt schon, dass das alles mit den ersten Schnäpsen, die ich zu mir nahm, sich rasch geben würde, und beeilte mich darum, in den Gasthof zu kommen.
Ich hatte die Stunde gut gewählt: Wieder einmal war die Schankstube leer, auch hinter der Theke stand niemand. Steif ließ ich mich in einen Korbsessel fallen und hallote durstig nach der Bedienung. Erst steckte sich ein Mädchenkopf durch die Türspalte, es war aber nicht meine blasse Hübsche, sondern ein zottliges, rotnasiges Wesen älterer Machart, dann sah eine dicke Frau zu mir hin, rief: »Gleich! Gleich!« und öffnete die Treppentür, die ich in jener Nacht, blind an der Hand geführt, hinaufgestiegen war.
»Elinor! Elinor! Komm runter!« rief die Wirtin, versicherte mir noch einmal, dass ich gleich bedient werden würde, und verschwand wieder in der Küche.
Also Elinor hieß sie, da hatte ich mit Elsabe nicht ganz schlecht geraten. Aber Elinor war auch sehr gut, war eigentlich noch besser. Elinor passte zu ihr. Elinor, la reine d’alcool, wirklich sehr hübsch!
Und da hörte ich sie auch schon die Treppe herunterkommen, gar nicht rehfüßig übrigens; die Tür klappte, und sie trat ein. Sie hatte sichtlich geschlafen, das Haar war nicht so glatt und ordentlich aufgesteckt wie sonst, und ihr helles Kleid hatte etwas Zerdrücktes, Unordentliches. Sie stand da einen Augenblick und sah zu mir herüber. Sie erkannte mich nicht gleich, sie musste gegen die Sonne sehen. Dann rief sie ganz vergnügt: »Ach, das ist ja nur das Väterchen, das so gern Schnaps trinkt!«, rief’s und lief schon wieder die Treppe hinauf.
Ich nahm ihr die neuerlichen, für meinen Durst eigentlich schmerzlichen Worte gewiss nicht übel, war ich doch nur froh über diesen unbefangenen Empfang. Ein bisschen hatte ich mich doch gefragt, wie sie mich nach meinem Abgang über das Schuppendach in jener Nacht aufnehmen würde. Nun aber war alles gut, und ich wartete mit Geduld die fünf Minuten, bis sie, nunmehr geschniegelt und glatt, wieder auftauchte. Sie kam gleich an meinen Tisch, bot mir wie einem alten Freund die Hand und sagte freundlich: »Ich dachte schon, Sie wollten gar nicht mehr wiederkommen! Was haben Sie denn so lange gemacht? Sind Sie nun schon ganz bankrott?«
»Noch nicht, ma reine«, sagte ich, auch lächelnd. »Vorläufig habe ich erst einmal das Geschäft meiner Frau übertragen, mit der ich übrigens in Scheidung liege. Was meinst du dazu, meine Hübsche? In acht Wochen bin ich vielleicht schon zu haben! Noch ganz gut erhalten, wie?«
Sie sah mich einen Augenblick an, dann verschwand das Lächeln von ihrem Gesicht, und sie sagte ganz kühl und geschäftsmäßig: »Einen Korn, nicht wahr? Oder gleich wieder eine ganze Flasche, wie?«
»Richtig, meine Goldene!«, rief ich. »Gleich wieder eine ganze Flasche! Und für dich wiederum eine Flasche Sekt!«
»Nicht am Tage«, antwortete sie kurz und ging.
Einen Augenblick später hatte ich zu trinken, ausgiebig, von diesem wasserhellen Stoff, den ich schon mehr liebte als den Kognak. Aber sonst kam ich an diesem Nachmittag nicht auf meine Kosten. Elinor war ständig beschäftigt, in und außer der Gaststube, und wir konnten nur dann und wann ein paar Worte wechseln. Darüber verdrossen, trank ich mehr als gewohnt, schon nach anderthalb Stunden musste mir Elinor eine zweite Flasche bringen, und ich spürte selbst, dass ich schwer berauscht war.
Dann kamen ein paar junge Burschen, darunter auch jener junge Maurer, mit dem Elinor so vertraut gesprochen hatte; und bloß um das Mädchen an meinen Tisch zu ziehen (was aber auch nur für Minuten gelang), ließ ich sie alle bei mir Platz nehmen und bestellte für jeden, was er sich wünschte. Schon nach kurzer Zeit bot mein Tisch einen wilden Anblick: Bier- und Schnapsgläser, Wein- und Sektflaschen standen in einem wilden Durcheinander auf ihm, und um ihn gruppierte sich eine Rotte wild durcheinander redender, schreiender, lachender, fuchtelnder Gestalten, und ich war eine der wildesten und betrunkensten von allen. Ich fühlte mich ganz losgelassen, ich war wirklich wie ein Stein, der in den Abgrund stürzt – ich dachte an nichts mehr.










