Hans Fallada – Gesammelte Werke

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»Spitzbuben seid ihr«, schrie ich wütend. »Scheren Sie sich zum Teufel, ich ziehe!«
»Sehr wohl, mein Herr«, sagte Polakowski und ging.
Aber natürlich blieb er der Sieger. Nach einer Weile stand ich, vom Durst gepeinigt, auf und ächzte die Treppe hinab und rief ihn (lange ließ Polakowski sich rufen), und ich schmeichelte ihm und gab ihm die Erlaubnis, meinen Ehering für fünfundzwanzig Mark zu verkaufen – und dann endlich, nach einer langen, langen Zeit qualvollen Wartens, bekam ich eine neue Flasche Korn und konnte wieder trinken und brechen, trinken und brechen.
So wurden aus einem Tag ein zweiter und ein dritter und eine Reihe von Tagen, und ich verließ die Stube bei Polakowski nie …
15
In dieser ersten Woche, die ich bei Polakowski zubrachte, gingen meine beiden Ringe, meine goldene Uhr und meine Aktentasche in seinen Besitz über. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Jude nur eine vorgeschobene Person und dass der eigentliche Erwerber meiner Goldsachen der »sehr arme Mann« Polakowski selbst war. Was ich dafür bekam, war lächerlich wenig. Vielleicht zwölf bis vierzehn Flaschen Schnaps, die Flasche zu vier Mark gerechnet (übrigens holte er auch immer mindere Qualitäten), und dann und wann ein wenig Essen. Denn ich aß fast gar nichts mehr.
Sah ich mich jetzt gelegentlich im Spiegel an, so betrachtete ich mit grausamer Wollust mein Gesicht, das, von alten Bartstoppeln bedeckt, gedunsen und doch abgezehrt, ja wie ausgebrannt aussah. ›So zerstört man sich selbst‹, sagte ich mir dann frohlockend. Und gleich dachte ich weiter an Magda und wie sie erschrecken würde, wenn sie mich in diesem Zustand sähe, und wie ich es ihr dann ins Gesicht schleudern würde, dass sie, sie allein die schmähliche Ursache dieser Veränderung sei!
Gesundheitlich ging es mir sehr wechselnd in diesen Tagen. An die geplante Entwöhnung dachte ich natürlich mit keinem Gedanken mehr, ich trank, soviel ich in meinen Magen bekommen konnte. Meistens streikte er, und ich hatte viel Mühe, mein Quantum in mich hineinzubekommen; zu anderen Zeiten war er aus rätselhaften Gründen willig genug, zu schlucken und zu behalten, was er bekam.
Dann hatte ich gute Stunden. Dann saß ich am Fenster, die Flasche immer dicht bei mir, ich sang leise vor mich hin, alte Volks- und Wanderlieder, und sah dabei hinaus auf die Stadt unter mir, bis zu dem Haus hin, das fern im bläulichen Dunste lag und das das Meine war. Dann dachte ich daran, was Magda jetzt wohl tun würde; und in diesen Stunden war ich fest davon überzeugt, dass ich sie liebte wie eh und je, und dass sie es war, die unsere Liebe verraten hatte. Dann malte ich mir aus, wie ich eines Tages gesund und fröhlich heimkehren würde: Irgendwie war ich auf geheimnisvolle, aber sehr rechtliche Weise in den Besitz von viel Geld gelangt, und ich machte alle glücklich, und alle bewunderten mich, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Aus solchen kindischen Träumen erweckte mich Polakowski rau genug. Er eröffnete mir, dass es weder Schnaps noch Quartier bei ihm mehr gäbe, wenn ich nicht sofort Geld herbeischaffte …
Wir gerieten in ein endloses Gezänke, von seiner Seite immer höflich, leise, einschmeichelnd, von der meinen grob, mit jähzornigem Aufflammen und dann fast wieder in Tränen schwimmend. Aber es half mir gar nichts, dass ich ihm immer wieder vorwarf, zu welchen Wucherpreisen er meine Goldsachen an sich gebracht, wie wenig, fast nichts, er dafür geliefert; er verschanzte sich hinter seinem Juden, der eben nicht mehr geben wollte, schwor Stein und Bein, dass er noch nicht einen Pfennig an mir verdient habe, und blieb unerbittlich dabei, dass ich Geld schaffen oder ziehen müsste.
Ja, schon jetzt machte er dunkle Andeutungen, dass sich die Polizei vielleicht sehr für Personen wie mich interessieren würde, und dass eigentlich solch Wohnen ohne jede Anmeldung gar nicht zulässig sei und ihn in Gefahr bringe. Auf dieses drohende Geschwätz gab ich damals noch gar nichts, aber gewiss war es mir, dass ich Geld schaffen musste, der sanfte Polakowski war hart wie ein Kieselstein.
Das Einzige, was ich von ihm erreichte, war, dass er mir noch eine Flasche Korn »in Vorschuss« besorgte, damit ich für meine nächtliche Expedition auch »frisch« sei. Ich hatte gerade einen meiner »guten« Tage, das heißt, einen Tag, an dem mein Körper dem Alkohol gut gesinnt war; das war noch ein Glück. An einem anderen Tag hätte ich eine solche Wanderung unmöglich unternehmen können.
Dass der Weg zur Bank mir versperrt war, wusste ich: Dort hatte man bestimmt schon längst mein Verschwinden angezeigt und die Weisung gegeben, bei einem etwaigen Auftauchen von mir nichts ohne vorherige Benachrichtigung zu zahlen. Ich musste also in mein eigenes Haus einbrechen. Der Gedanke, dabei Magda zu begegnen, war mir heute, da mir eine solche Begegnung ziemlich sicher war, nicht so angenehm wie vor einer Woche, da ich von ihr nur geträumt hatte. Aber es musste sein.
Ich schob die Kornflasche in meine Hosentasche – der sanfte Polakowski hatte mir hartnäckig die leihweise Hergabe meiner Aktentasche verweigert – und machte mich auf den Weg. Es war kurz nach Mitternacht. Polakowski ließ mich aus dem Haus und flüsterte mir zu, dass es sehr dunkel sei. Ich solle mich besonders auf der Brücke über die Schmie in acht nehmen.
»Ich warte auf Sie, Herr«, flüsterte er. »Es kann noch so spät werden. Ich halte eine Flasche für Sie bereit. Und dann, Herr«, er flüsterte immer leiser, »dann, Herr, wenn Sie noch etwas Schmuck oder auch Silber haben – ich habe jetzt einen Händler an der Hand, der sehr anständige Preise zahlt, nicht so wie dieser Scheißjude! – bringen Sie, was Sie kriegen können, ich werde schon gut für Sie sorgen.«
›So fängt man Gimpel‹, dachte ich im Gehen und war dabei doch Gimpel genug, dem geschickten Polakowski meine Anerkennung nicht zu versagen, weil er als Preis für meine Rückkunft eine Flasche Korn bereithielt. Freilich hatte ich ganz andere Pläne, von denen er nichts ahnte.
Das Gehen wurde mir viel leichter, als ich gedacht hatte, ich empfand auch kaum ein Bedürfnis, zu trinken. Ich war wohl ziemlich aufgeregt. Gut erinnere ich mich, dass ich mich den ganzen langen Weg ängstlich bemühte, nicht an das Bevorstehende zu denken. Ich sagte mir alle Gedichte, die ich aus meiner Schulzeit noch auswendig wusste, immer wieder her und ertappte mich doch dabei, dass ich zwischen zwei Versen mit Magda sprach oder überlegte, welchen Handkoffer ich als den zweckmäßigsten wählen sollte.
Schließlich, nach fast dreiviertelstündigem Marsch, war ich vor der Gartenpforte meiner Villa angelangt. Vor Kurzem hatte es von den drei Kirchtürmen der Stadt ein Uhr geschlagen. Ich zog die Pforte leise hinter mir zu und ging, unter Vermeidung der gekiesten Wege, über das Gras um mein Haus herum. Es lag alles still und dunkel. Lange stand ich unter Magdas Schlafzimmerfenster und meinte, ihren ruhigen Atem zu hören; es war aber nur mein eigenes Herz, das unruhig und laut in der eigenen Brust pochte.
Als ich darüber nachdachte, dass ich hier bei meinem eigenen Haus, fünf Meter von meiner eigenen Frau als ein mittelloser Fremdling in der Nacht stand, seit einer Woche nicht mehr gewaschen und rasiert, da überkam mich ein solches Mitleid mit mir selbst, dass ich in bittere Tränen ausbrach. Ich weinte lange und schmerzlich, am liebsten wäre ich zu Magda ins Zimmer gedrungen und hätte mich von ihr trösten lassen. Schließlich erwies sich aber auch hier der Schnaps als der beste Tröster; ich trank lange und sehr viel. Mein Schmerz beruhigte sich. Ich kämpfte eine Neigung, erst eine Weile zu schlafen, nieder und ging zurück an die Vorderseite des Hauses.
16
Ich stehe in Strümpfen auf der Diele meines Hauses, die Schuhe habe ich schon im Vorplatz gelassen. Es ist noch dunkel, aber nun tastet meine Hand nach dem Schalter, ein leises Knacken, und es wird hell. Ja, hier bin ich wieder bei mir zu Hause, hier gehöre ich her, in diese Ordnung und Sauberkeit! Mit einer fast andächtigen Scheu betrachte ich diese kleine schmucke Diele mit dem resedafarbenen Teppich, von dem längst die hässlichen Spuren jener Novembernacht getilgt sind; ich sehe den Kleiderständer an, an dem ordentlich auf Bügeln nebeneinander Magdas grüne Kostümjacke und ein bläulicher Sommermantel hängen …
Und nun schleiche ich mich zum Spiegel, zu dem großen, langen Spiegel, in dem man sich von oben bis unten sehen kann, und ich betrachte mich von oben bis unten. Und ein fürchterlicher Schrecken packt mich, wie ich mich da stehen sehe in meinen ausgebeulten, beschmutzten Kleidern, mit dem grauschwarzen Halskragen, dem stoppligen fahlen Gesicht, den rotgeränderten Augen.
›Das ist aus mir geworden!‹, schreit es in mir, und mein erster Impuls ist es, hinüberzustürzen zu Magda, vor ihr auf die Knie zu fallen und sie anzuflehen: ›Rette mich! Rette mich vor mir selbst! Birg mich an deinem Herzen!‹ Aber diese Regung verfliegt; ich lächle mein Spiegelbild listig-verschlagen an. ›Das möchte sie‹, denke ich. ›Und dann ab mit dem Mann in eine Trinkerheilanstalt und rein in Geschäft und Vermögen!‹
Listig sein. Immer listig sein. Und ich rücke mir eilig einen Stuhl an den großen Kleiderschrank in der Diele, ich lange hinauf und hole mir einen Handkoffer herunter, den besten Handkoffer, den wir besitzen, einen vollrindledernen; eigentlich gehört er sogar Magda, ich habe ihn ihr einmal zum Geburtstag geschenkt. Aber darauf kommt es jetzt nicht an, außerdem – gehört nicht Eheleuten alles gemeinsam?
In der nächsten Viertelstunde entfalte ich eine fieberhafte Tätigkeit, ich packe meinen Mantel ein, zwei Anzüge, Wäsche. Aus dem Badezimmer hole ich mein Toilettenzeug. Magda wird sich morgen früh wundern! Aus dem Schuhschrank hole ich zwei Paar Schuhe, Hausschuhe – ich richte alles wie zu einer großen Reise. Und jetzt ist mir wirklich so, als würde ich eine große Reise antreten, vielleicht, vielleicht ist Elinor diesmal zugänglicher.
Nun bin ich mit all diesen Dingen fertig, und ehe ich jetzt an das Schwerste gehe, setze ich mich einen Augenblick auf die Diele, trinke und ruhe mich aus. Ich merke doch sehr, wie schwach ich in den letzten Wochen geworden bin, dies bisschen Packen hat mich über Gebühr angestrengt, mein Herz flattert, ich bin von Schweiß bedeckt.
Dann mache ich mich wieder ans Werk. Bis jetzt ist alles ausgezeichnet gegangen, ich habe kein Geräusch gemacht, das einen normalen Schläfer erwecken könnte, nichts fiel mir aus den Händen. Aber, wie gesagt, das Schwerste steht mir noch bevor. Ich ziehe die Schublade unter dem Spiegel auf, und siehe, da liegt wirklich die elektrische Taschenlampe! Ich knipse, und siehe, sie brennt tatsächlich! Es geht doch nichts über einen gut geordneten Haushalt – heil dir, Magda!
Ich knipse alles Licht aus und schleiche mit der Taschenlampe in unser Wohnzimmer. Es liegt direkt neben dem Schlafzimmer und ist von ihm nur durch eine zweiflüglige, mit bunten Glasscheiben verzierte Tür getrennt, durch die jeder Lichtschein und jedes Geräusch dringen. Im Dunkeln taste ich mich zum Schreibtisch hin, in dessen Mittelfach in einer kleinen Geldkassette unser Bargeld liegt. Im Allgemeinen ist dort nur das für den Haushalt notwendige Geld, also nur wenig; haben wir abends aber noch Einnahmen im Geschäft gehabt, die zur Bank zu bringen es zu spät war, so nahmen wir das Geld mit hierher. Ich war doch sehr gespannt, wie viel ich finden würde.
Es gelang mir, das Fach ohne jedes Geräusch zu öffnen und die Kassette herauszuholen; ich brauchte nicht einmal die Taschenlampe anzuknipsen. Ebenso fand ich im völlig Dunklen das neben der Kassette liegende Scheckbuch. Ich schob es in die Tasche und trug die Kassette behutsam Schritt für Schritt in die Diele, setzte sie erst ab, schloss die Tür und knipste das Licht an.
Es klingt seltsam, aber ich habe so etwas wie ein Gebet verrichtet, ehe ich die Kassette aufschloss. Ich betete zu dem so lange vergessenen lieben Gott, er möge es doch bewirken, dass recht viel Geld in der Kasse sei. Viel Geld, um dieses Leben zwischen Trunkenheit und Übelkeit noch lange fortzusetzen, noch viel mehr Geld, um Elinor, la reine d’alcool, zu verführen, mit mir auf Reisen zu gehen. Mit keinem Gedanken beschäftigte mich die Lage, in die ich mein eigenes Geschäft durch solch eine Entnahme bringen würde. Ja, ich glaube, wenn ich daran gedacht hätte, ich hätte umso mehr frohlockt, je größer der Schaden für meinen eigenen Betrieb geworden wäre.
Ich hatte also mein Gebet verrichtet und öffnete die Kassette. Ich hob das obere Fach an, in dem nur Hartgeld lag, und sah gierig nach den Scheinen. Meine Enttäuschung war grenzenlos. Nur ganz wenige Scheine lagen da; als ich sie durchzählte, waren es nicht viel mehr als fünfzig Mark.
Ich sehe mich noch dastehen, die wenigen Scheine in der Hand, ein eisiges Gefühl im Herzen. ›Dies ist das Ende‹, dachte ich, ›das reicht weder für Elinor noch für Polakowski. In zwei, drei Tagen ist dies Geld zu Ende, und dann gibt es nur ergeben, zu Kreuze kriechen, die Kaltwasserheilanstalt, die endgültige Aufgabe aller Hoffnungen.‹ So stand ich da, den Tod im Herzen, lange, o so lange …
Dann kam wieder Leben in mich. Ich sah wieder Polakowskis gelbliches Gesicht vor mir mit dem dunklen Vollbart; ich hörte seine sanfte Stimme etwas von Schmuck und Silber flüstern … Schmuck kam nicht infrage. Das bisschen Schmuck, das Magda besaß, war kaum etwas wert, außerdem bewahrte sie ihn im Toilettentisch des Schlafzimmers auf. Aber Silber – ja, Silber hatten wir. Schönes, schweres, altes Tafelsilber, ein Gelegenheitskauf auf einer Auktion. Im Koffer war noch Platz genug …
Ich trank schnell und viel, ich trank die ganze Flasche auf einmal leer. Es war noch gut ein Drittel in ihr gewesen. Einen Augenblick überschwemmte die plötzliche starke Alkoholzufuhr meinen Körper wie mit einer roten Woge, ich schloss die Augen, ich zitterte. Würde ich brechen müssen? Aber der Anfall ging vorüber, ich hatte mich wieder in meiner Gewalt.
Rasch ging ich ins Speisezimmer und knipste dort den Kronleuchter an. Die eben noch so ängstlich gewahrte Vorsicht brauchte ich nun nicht mehr. Ich schloss das Büfett auf und nahm das Silber, das dutzendweise in Flanellfutteralen steckte (wir brauchen es nur bei festlichen Gelegenheiten), heraus. Ich häufte es erst neben mir auf, dann trug ich es fort, große Löffel, Messer und Gabeln, die kleinen Bestecke, die Fischbestecke … Ich stopfte alles in den Koffer, wie es kam. Nun fehlten nur noch die silbernen Auffülllöffel, das Salat- und das Tranchierbesteck, die lose in einer besonderen Schieblade lagen. Ich nahm sie eilig heraus; plötzlich hetzte mich etwas, ich musste fort aus diesem Haus! Ein Löffel fiel klirrend zu Boden, ich fluchte laut, griff nach ihm und ließ einen zweiten Löffel fallen.
Ungeduldig riss ich an der Schieblade, um sie ganz herauszuziehen und das Einzelsilber in ihr zum Koffer zu tragen. Die Schieblade gab überraschend schnell nach und fiel polternd auf das Silbergeschirr, das hell ertönte. Ich raffte alles zusammen, wie ich es fassen konnte, jetzt ohne jede Rücksicht auf den Lärm, den ich machte, und eilte damit zum Koffer. Im Gehen fielen zwei, drei Löffel. Ich warf das Mitgebrachte obenauf in den Koffer und lief zurück, das Verlorene zu holen.
Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte auf Magda, die mitten im Speisezimmer vor ihrem aufgerissenen Büfett stand!
17
Sie wendete den Kopf und sah mich an, lange. Ich merkte, wie sie erschrak, wie sie schnell atmete, sich zu sammeln versuchte. »Erwin«, sagte sie dann mit stockender Stimme, »Erwin! Wie siehst du aus!? Wo kommst du her in diesem Zustand? Wo bist du so lange gewesen? Ach, Erwin, Erwin, wie ich mich geängstigt habe um dich! Dass wir uns so wiedersehen müssen! Erwin, denke daran, dass wir uns einmal lieb gehabt haben! Zerstöre doch nicht alles! Komm wieder zu mir. Ich will dir helfen, so gut ich kann. Ich will so geduldig sein, nie wieder werde ich mich mit dir streiten …« Sie hatte immer schneller geredet, atemlos hielt sie inne und sah mich flehend an.
Mich aber bewegten ganz andere Gefühle. Mit Zorn, mit Hass, mit Abneigung sah ich auf diese gepflegte, vom Schlaf gerötete Frau in ihrem seidenen blauen Schlafrock, ich, der aussah, als hätte ich mich in der Gosse gewälzt, ich, der stank wie ein Wiedehopf. Ich glaube, es muss die Mahnung an unsere Liebe von ehemals gewesen sein, die mich in eine so sinnlose Wut versetzte. Ihre Worte, statt mich zu rühren, hatten mich nur den Abstand gegen das längst versunkene Damals fühlen gemacht. Wir waren gleichgestellt, und da stand sie und hatte alles, und hier war ich, ein Kandidat des Nichts.
Zornig stolperte ich auf Magda los, ich fiel dabei beinahe über einen silbernen Auffülllöffel, sah mich wütend nach ihm um, tat einen Schritt zurück und zertrat ihn. Magda schrie leise auf. Ich aber eilte auf sie zu, hob meine Fäuste gegen sie und schrie: »Ja, das möchtest du, dass ich zu dir zurückkomme! Und was wird dann? Was wird dann?!« Ich schüttelte die Fäuste nahe vor ihrem Gesicht. »Dann bringst du mich ins Bett und siehst schön zu, dass ich schlafe, und wenn ich erst schlafe, dann lässt du die Ärzte kommen und lässt mich wegbringen, für Lebenszeit in eine Trinkerheilstätte, und dann lachst du dir ins Fäustchen und tust mit meinem Eigentum, was du willst. – Ja, das möchtest du.«
Ich starrte sie an, auch ich jetzt atemlos. Und Magda sah mich wieder an. Sie war jetzt sehr blass geworden, aber ich sah wohl, dass sie trotz meines wilden Gebarens und Drohens keine Angst vor mir hatte. Plötzlich schlug meine Stimmung um; meine Erregung war gewichen, und kalt und ruhig sagte ich: »Ich will dir sagen, was du bist. Ein ganz gemeines Aas bist du, ins Gesicht sage ich dir das.«
Sie zuckte nicht, sah mich nur an.
»Eine Verräterin bist du, unsere ganze Ehe hast du verraten, als du die Ärzte hinter mir herschicktest. Ins Gesicht müsste ich dir speien, pfui Deibel!«
Wieder sah sie mich an. Dann sagte sie rasch: »Ja, ich habe die Ärzte hinter dir dreingeschickt, aber nicht um dich zu verraten, sondern um dich zu retten – wenn das noch möglich ist. Wenn du noch einen Funken Vernunft hättest, Erwin, müsstest du das einsehen. Du müsstest verstehen, dass du so nicht einen Monat weiterleben kannst, vielleicht nicht eine Woche mehr …«
Ich unterbrach sie. Ich lachte höhnisch. »Nicht einen Monat mehr? Keine Woche? Noch Jahre kann ich so leben, ich halte alles aus, und gerade dir zum Trotz werde ich so weiterleben, gerade dir zum Trotz.« Ich beugte mich ganz nahe zu ihr. »Soll ich dir sagen, was ich tun werde, wenn ich das nächste Mal ganz betrunken bin? Dann werde ich vor dein Fenster ziehen, und ich werde es vor allen Leuten ausschreien, dass du eine Verräterin bist, ein gieriges Aas, gierig nach meinem Geld, gierig nach meinem Verrecken …«
»Ja«, sagte sie böse, »das glaube ich wohl, dass du dazu imstande bist. Dann aber wirst du nicht nur in eine Heilanstalt, sondern sogar in ein Gefängnis kommen – und ich weiß nicht«, sagte auch sie jetzt sehr höhnisch, »ob dir das nicht sehr gut wäre.«
»Was?«, schrie ich, und meine Wut war jetzt auf dem Höhepunkt, »jetzt willst du mich auch noch ins Gefängnis bringen?! Warte, das sollst du nicht noch einmal sagen! Ich will dir zeigen …« Ich fasste nach ihr, ich sah rot. Ich wollte nach ihrem Halse greifen, aber sie widersetzte sich kräftig. Sie war wirklich fast ebenso stark wie ich, und in meinem jetzigen Zustand war sie vielleicht sogar erheblich stärker. Wir rangen miteinander, es war ein süßes Gefühl, diesen einst so geliebten Leib nun feindlich, aber doch so nahe zu spüren, jetzt die Brust, einen sich gegen mich stemmenden Schenkel.
Der Gedanke schoss mir durch den Kopf: ›Wenn du sie jetzt plötzlich küssen, wenn du ihr Liebesbeteuerungen ins Ohr flüstern würdest! Ob du sie herumbekämst?‹ Ich flüsterte ihr ins Ohr: »Nächste Nacht komme ich und bringe dich um. Ganz leise komme ich …«
Laut rief Magda: »Nein, nein, es ist gut, Else, ich werde schon allein mit ihm fertig! Rufen Sie Dr. Mansfeld an und die Polizeiwache, ich halte ihn hier schon!«
Ich drehte mich überrascht um. Wirklich, da stand Else, vom Geräusch unseres Kampfes herbeigelockt, bildhübsch anzusehen; und jetzt verschwand sie in der Diele zum Telefon.
Mit einem Ruck riss ich mich frei. »Mich bekommst du noch lange nicht, Magda!« Ich gab ihr einen Stoß, dass sie rücklings hinfiel. Laufend raffte ich die noch verstreuten Silbersachen auf, auch den zerbrochenen Auffülllöffel, und rannte auf die Diele. Ich warf alles in den Koffer und mühte mich ab, den Deckel zu schließen.
Schon war Magda wieder da. »Die Sachen schleppst du nicht weg! Mein Silber bleibt hier, das versäufst du nicht auch noch!«
Einen Meter ab telefonierte Else eifrig. Ich hörte den Satz: »Er will seine Frau ermorden!«
›Gott, du Kind!‹, dachte ich.
Wir beide rissen am Koffer. Dann ließ ich ihn überraschend los, und wieder taumelte Magda zur Erde. Ich riss den Koffer aus ihrer Hand, schlug ein- oder zweimal nach ihr, rannte auf den Vorplatz, fasste meine Schuhe und lief in Strümpfen auf die Straße. Einen Augenblick stutzte ich …
»Geben Sie mir den Koffer, Herr!«, sagte die einschmeichelnde sanfte Stimme Polakowskis. »Ich laufe immer schon vor. Los, da kommen die Frauen!« Ganz mechanisch gab ich Polakowski den Koffer, er lief los, und ich rannte hinter ihm drein, in die Nacht hinaus, auf Strümpfen …
18
Polakowski rannte mit dem Koffer, er wich vom nächsten Wege ab, stürzte sich in die Altstadt, lief durch Gassen und Gässchen, wobei er überraschend um Ecken bog; ich lief ihm nach. Es war sehr dunkel, nur weil er Schuhe trug und dadurch beim Laufen Lärm machte, konnte ich ihm überhaupt folgen. Ich bin ganz sicher, dass Polakowski die Absicht gehabt hatte, mit dem ganzen Koffer erst einmal völlig zu verschwinden und mich hilflos auf der Straße zu lassen, und er glaubte ja auch wirklich, mich abgeschüttelt zu haben: Meinen leisen Schritt auf Strümpfen hatte er nicht gehört. Aber als er schließlich atemholend doch stillstand, war ich neben ihm und fragte ihn, warum er denn so sinnlos gelaufen sei, es wäre uns ja doch niemand nachgelaufen!
Der Schurke war nicht einen Augenblick verlegen, wusste auch seine Enttäuschung über mein Auftauchen gut zu verbergen und fragte dagegen: »Es hat doch Krach mit den Weibern gegeben? Die Weiber haben doch geschrien? Was haben Sie den Weibern getan?«
»Nichts, was Sie mir nicht geraten haben, Polakowski«, lachte ich. »Ich habe sie auf eure ›Arbeiterart‹ zu ängstigen versucht, nämlich mit Schlägen. Aber es ist nicht viel draus geworden. Übrigens ist es wohl selbstverständlich, dass eine Frau sich widersetzt, wenn man ihr das Silber fortnimmt. Ich habe das Silber, Polakowski.«
»So, haben Sie es?«, antwortete der Abgefeimte. »Nun kommt es drauf an, ob es auch etwas bringt. Das meiste Silber ist leicht und hohl, oder die Fasson ist unmodern. Silber, das nur zum Einschmelzen taugt, ist kaum ein paar Mark wert.«
»Sie brauchen sich darum nicht zu sorgen, Polakowski«, sagte ich böse. »Ich werde mein Silber ohne Sie verwerten – wenn ich es überhaupt verkaufe, was ich noch nicht weiß. So, und nun möchte ich meinen Koffer allein weitertragen.«
Ich hatte während unserer Unterhaltung meine Schuhe angezogen und nahm jetzt den Koffer auf, trotz der flehentlichen Proteste Polakowskis. Endlich hatte ich gerade den rechten Ton ihm gegenüber getroffen, der Alkohol, der ja immer neue, immer andere Stimmungen heraufspült, hatte ihn mir eingegeben. Jetzt war Polakowski wieder ganz Ohrwurm, er beteuerte, er sei nur ein armer Arbeiter, unfähig, mit einem wirklich gebildeten Menschen umzugehen. Natürlich würde mein Silber gut sein, sehr gut, ich möge es seiner Dummheit zugutehalten, wenn er geglaubt habe, ein Mann wie ich könne minderwertiges Silber haben. Ich verharrte in einem vorgeblichen finsteren Schweigen, das ihn immer unruhiger machte, über das ich mich selbst aber innerlich vor Lachen schüttelte. Zu Hause angekommen, trug Polakowski, ohne sich erst bitten zu lassen, die wirklich bereitgehaltene Flasche Korn herbei; ich griff in die Tasche und fragte nur: »Wie viel?«
»Zwei Mark fünfzig«, flüsterte er, sehr demütig.
»Hier haben Sie Ihr Geld, und dass Sie mir nie wieder einen so schlechten Fusel bringen! Habe ich sonst noch was zu zahlen?«
Er versicherte, dass alles beglichen sei.
»Gut, dann machen Sie, dass Sie herauskommen! Ich will jetzt schlafen.«
Er schob sich aus der Tür, ich hatte es fertiggebracht, ihn verlegen und demütig zu machen.
Mir aber war weder nach Schlafen noch nach Trinken zumute. Der Durst nach Betäubung hatte ausgesetzt, ich bekam aus rätselhaften Gründen eine kurze Schonzeit, während der ein Stück des tätigeren Menschen, der ich einst gewesen, wieder auftauchte. Vielleicht kam das von der eben überstandenen Szene mit Magda, die mich doch sehr aufgewühlt hatte – freilich mühte ich mich, so wenig wie nur möglich an sie zu denken.










