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Gottlob, die Bindemaschinen klappern noch, so kann man weiter hier liegen. Bloß nicht einschlafen, dann wird man vor Abend nicht wieder wach. Der Rittmeister erführe es gleich, und morgen säße man draußen. Es wäre auch noch so, wenigstens könnte man sich mal ausschlafen –!
Jawohl, die kleine Kowalewski ist nicht schlecht, die wird in Berlin auch keine schlechten Zicken machen – aber die Amanda, Amanda Backs ist erst recht nicht ohne! Der kleine Meier, Negermeier, wirft sich auf die Seite, er verdrängt endgültig den bohrenden Gedanken, daß der Rittmeister eigentlich nicht gesagt hat, man solle nicht einfahren, sondern vielmehr, der Meier solle das halten, wie es das Wetter eben treibe.
Nein, daran will Meier jetzt nicht denken, er denkt lieber an Amanda. Etwas Leben kommt in ihn, er zieht die Knie an und stößt vor Vergnügen einen grunzenden Laut aus. Dabei fällt die Zigarette aus seinem Mund, aber das ist egal – was braucht er ’ne Zigarette, er hat Amanda! Jawohl, sie nennen ihn den kleinen Meier, den Negermeier – und wenn er sich im Spiegel ansieht, muß er ihnen recht geben. Hinter den runden, großen, gewölbten Brillengläsern sitzen runde, große, gelbliche Eulenaugen, er hat eine eingedrückte Nase und Wulstlippen, eine Stirn, kaum zwei Finger hoch, die Ohren stehen ihm ab – und dazu ist der ganze Mann Meier einen Meter vierundfünfzig hoch!
Aber das ist es eben: er sieht so toll und verboten aus, so grotesk in seiner Häßlichkeit, und er hat dazu eine so freche süße Schnauze, daß die Mädels alle auf ihn fliegen. Als sie mit ihrer Freundin damals an ihm vorüberging – er war noch ganz frisch auf Neulohe –, da sagte die Freundin: Amanda, da brauchst du ja ’nen Tritt, um anzulangen! Doch Amanda sagte: Das macht nischt, er hat so ’ne süße Kerbe! – Das war ihre Art von Liebeserklärung, so waren die Mädchen hier: frech und von himmlischer Unbekümmertheit. Sie hatten Appetit auf einen oder nicht, aber jedenfalls machten sie kein Geschmus darum. Gut waren sie!
Wie die Amanda gestern abend zu ihm ins Fenster stieg – eigentlich hatte er keine Lust, er war zu müde – und die Gnädige fuhr aus den Büschen. (Nicht die junge Gnädige vom Rittmeister, die hätte bloß gelacht, die war selber nicht ohne. Nein, die alte Gnädige, die Schwiegermutter, vom Schloß.) Jede andere hätte gekreischt oder sich versteckt oder seine Hilfe angerufen, nicht so die Amanda. Er konnte ganz unbeteiligt bleiben und sich amüsieren. Ja, gnädige Frau, hatte die Amanda ganz unschuldig gesagt. Ich gehe mit dem Inspektor bloß noch die Geflügelrechnungen durch, am Tag hat er doch nie Zeit.
Und da steigen Sie durchs Fenster?! hatte die alte Gnädige gekreischt, die sehr fromm war. Sie schamlose Person!
Wenn’s Haus doch schon zu ist, antwortete die Amanda.
Und als die Gnädige noch immer nicht die Nase voll hatte und nicht einsehen wollte, daß sie gegen die jungen Dinger von heute nicht mehr aufkam, nicht mit Frömmigkeit und nicht mit Strenge, da hatte sie gesagt: Und jetzt ist übrigens Feierabend, gnädige Frau. Und was ich nach Feierabend tue, das ist meine Sache. Und wenn Sie ’ne bessere Geflügelmamsell finden als mich (für solchen Schandlohn) – aber Sie finden keine –, dann kann ich ja auch gehen, aber erst morgen!
Und partout hatte sie gewollt, daß er das Fenster nicht zumache. Wenn sie stehen will und lauschen, laß sie doch stehen, Hänsecken! Uns ist’s egal, und ihr macht’s vielleicht Spaß – vom Beten hat sie ihre Tochter ooch nicht!
Der kleine Meier gniggerte höchst vergnügt vor sich hin und drückte die Backe fester gegen den Arm, als fühle er den weichen und doch festen Leib seiner Amanda. Solche war grade richtig für einen Habenichts und Junggesellen wie ihn! Kein Schmus von Liebe, Treue, Heirat, aber immer obenauf, fix bei der Arbeit und fix mit dem Maule. Und keß! Keß, daß einen manchmal das Schaudern ankam! Aber am Ende auch kein Wunder, wie sie aufgewachsen war, mit vier Jahren Krieg und fünf Jahren Nachkrieg und:
Wenn ich mir nischt zu fressen nehme, kriege ich nischt. Und wenn ich dir keine latsche, latschst du mir eine. Immer die Zähne zeigen, junger Mann, auch gegen ’ne olle Frau, spielt gar keine Rolle. Sie hat ihr Gutes gehabt – und ich soll mein Gutes nicht haben, bloß weil sie ’nen dußligen Krieg und ’ne Inflation machen –?! Daß ich nicht lache! Ich bin ich, und wenn ich nicht mehr bin, ist keiner mehr da! Und für die Tränen, die sie mir als braves Mädchen ins Grab weint (es sind aber bloß Drücketränen) und für den Blechkranz, den sie mir auf meine Madenkiste packt, kann ich mir ooch nischt koofen, und darum wollen wir lieber heute vergnügt sein, was, Hänsecken? Mitleid mit der ollen Frau und ein bißchen sachte –? Na, weißte, wer hat denn mit mir Mitleid gehabt? Immer über’n Kopp, und wenn die Neese blutete, war’s grade schön. Und wenn ich bloß mal ein bißken heulen wollte, hieß es gleich: Halt den Rand, oder es gibt noch mehr aus derselben Tüte! Nee, Hänsecken, ich sagte nischt, wenn es einen Sinn hätte. Aber es hat keinen Sinn, und so doof wie meine Hühner, die die Eier zu unserm Vergnügen legen, und denn zum Schluß noch rin in den Kochpott – ich nicht, nee, danke! Wenn du magst, bitte, ich nich!
Richtig, das Mädchen! lacht der kleine Meier noch einmal und ist schon im tiefen Schlaf und hätte nun wohl wirklich bis in den Abendtau – Wirtschaft hin, Rittmeister her – weitergeschlafen, wenn es ihm nicht plötzlich doch zu heiß und vor allem zu stickig geworden wäre.
Auffahrend – aber mit einem gar nicht mehr ermüdeten Ruck und gleich auf beide Beine – sah er, daß er mitten im schönsten, beginnenden Waldbrand lag. Er sah durch den weißlichen, tief ziehenden, beißenden Qualm eine Gestalt springen und trampeln und schlagen, und schon sprang er selbst mit, trampelte auch in die Flammen und schlug mit einem Fichtenast hinein und schrie dem andern zu: Das brennt ja lieblich!
Zigarette! sagte der bloß und löschte weiter.
Fast wär ich mitverbrannt, lachte Meier.
Auch nicht schade! sagte der andere.
Sagen Sie! rief Meier, vor Qualm hustend.
Halte den Rand, Mensch, befahl der andere. Rauchvergiftung ist auch nicht ohne.
Und nun löschten sie beide aus Leibeskräften weiter und Negermeier lauschte dabei gespannt nach seinen beiden Bindemaschinen hinüber, ob die auch weiterklapperten. Denn es wäre ihm doch gar nicht angenehm gewesen, wenn die Leute was gemerkt und dem Rittmeister erzählt hätten.
Aber die schnitten ganz wider Erwarten geruhig weiter ihre Bahn runter, und eigentlich hätte das den Inspektor wieder ärgern müssen, denn es bewies, daß die Kerls auf ihren Sitzen dösten und den Pferden nicht nur die Arbeit, sondern auch den Verstand überließen, und daß ihretwegen ganz Rittergut Neulohe mit allen Gebäuden und achttausend Morgen Forst hätte wegbrennen können – sie hätten ihre eingeäscherten Pferdeställe bei der Heimkunft von der Arbeit angestarrt, als wäre Hexerei im Spiele. Doch für dieses Mal ärgerte sich Meier nicht, sondern war über das Weiterklappern froh und auch über den abnehmenden Qualm. Schließlich standen er und sein Retter sich auf einem zimmergroßen schwarzen Fleck gegenüber, ein wenig atemlos und angerußt, und schauten einander an. Der Retter aber sah ein bißchen wild aus, jung zwar noch, aber mit einem Geflatter und Geweh von rötlichen Haaren um Nase und Kinn, recht stark blickenden blauen Augen, einem alten grauen Waffenrock und ebensolchen Hosen, aber mit einem schönen gelben Ledergurt um den Bauch und einer ebenso schönen gelbledernen Pistolentasche. Es mußte auch etwas darin sein, in der Pistolentasche nämlich, und nicht nur Zuckerbonbons, so schwer hing sie herunter.
Zigarette gefällig? fragte der unverbesserliche Windhund Meier den andern und hielt ihm sein Etui hin, denn er fand, er müsse für seinen Retter auch etwas tun.
Gib schon her, Kamerad, sagte der andere. Meine Flossen sind schwarz.
Meine auch! lachte Meier. Aber er griff doch zu mit zwei spitzen Fingern, und sofort brannten auch die Zigaretten, und die beiden setzten sich ein wenig entfernt von der verkohlten Stelle in den spärlichen Kiefernschatten, schön hinein in das trockene Gras. So viel hatten sie aber doch aus dem Erlebnis eben gelernt, daß der eine einen alten Kiefernstubben, der andere einen flachen Stein zum Aschenbecher nahm.
Der Feldgraue tat ein paar tiefe Lungenzüge, dehnte und reckte sich, gähnte ungeniert mit ein paar tiefen A-Lauten und sprach tiefsinnig: Ja … ja …
Bescheiden, was? stimmte Inspektor Meier zu.
Bescheiden –? Beschissen! sprach der andere, musterte mit zusammengekniffenen Augen noch einmal die hitzeglühende Landschaft und ließ sich rücklings ins Gras fallen, scheinbar grenzenlos gelangweilt.
Eigentlich hatte Meier weder Zeit noch Lust, Partner einer weiteren Vormittagsdöserei zu werden, aber er fühlte sich doch verpflichtet, neben diesem Mann ein Weilchen auszuhalten. So bemerkte er, um die Unterhaltung nicht ganz versickern zu lassen: Heiß, was?
Der grunzte bloß.
Meier sah ihn prüfend von der Seite an und riet: Baltikumer, was?
Aber diesmal bekam er nicht einmal ein Grunzen zur Antwort. Dafür rauschte es in den Kiefern. Es erschien, das Meiersche Rad führend, der Förster Kniebusch, weißbärtig, aber kahlköpfig, warf Meier das Rad vor die Füße und sprach schweißtrocknend: Mensch, Meier, läßt du dein Rad wieder an der offenen Straße liegen?! Und dabei ist es nicht mal deines, sondern Dienstrad – und wenn es reisen geht, tobt der Rittmeister und du –
Darüber aber hatte der Förster den schwarzgebrannten Fleck gesehen, entzündete sich auf der Stelle zornrot (denn bei einem Beamtenkollegen konnte er sich leisten, was er bei Holzdieben wegen Lebensgefahr nicht wagen durfte) und fing an zu schimpfen: Hast du verdammter Lauselümmel wieder deine verfluchten Stinkadores geraucht und mir meinen Wald angekokelt?! Na, warte, Freundchen, da kann von Freundschaft und abendlichem Skatkloppen keine Rede mehr sein – Dienst ist Dienst und heute abend noch erfährt der Rittmeister …
Aber es stand geschrieben, daß für dieses Mal der Förster Kniebusch keinen Satz zu Ende bringen sollte. Denn nun entdeckte er das scheinbar schlafende, höchst verdächtige, liederlich feldgraue Subjekt im Grase und sprach: Hast du einen Penner und Waldbrandstifter erwischt, Meier? Großartig, das gibt ein Lob vom Rittmeister; und eine Weile muß er die Klappe halten von wegen Schlappheit und Nicht-Durchgreifen und Angst vor den Leuten. – Wach auf, du Schwein! schrie der Förster und stieß dem Kerl den Fuß kräftig in die Rippen. Los! Hoch und ab zu Vater Philipp –!
Doch der Getretene schob nur die Feldmütze aus dem Gesicht, schoß einen scharfen Blick auf den Wütenden und sprach mit noch schärferer Stimme: Förster Kniebusch –!
Es war für Negermeier sehr überraschend und noch mehr vergnüglich anzusehen, welche Wirkung dieser bloße Namensruf auf seinen Skatbruder, den Sachtegänger und Angsthasen Kniebusch hatte. Der fuhr förmlich zusammen, wie vom Donner gerührt, alles Geschimpfe verging ihm und er sagte ersterbend im Strammstehen: Herr Leutnant –!
Der andere rekelte sich langsam hoch, strich die trockenen Halme und Zweiglein von Rock und Hose und sagte: Heute abend um zehn beim Schulzen Versammlung. Sie benachrichtigen die Leute. Den kleinen Kerl da kannst du mitbringen. Er stand, rückte an seinem Koppel und sagte noch: Sie können auch melden, wieviel Waffen auf Neulohe greifbar sind, brauchbare Waffen und Munition, verstanden –?!
Zu Befehl, Herr Leutnant! stammelte der alte Rauschebart, aber Meier merkte, wie es ihm einen Puff versetzt hatte.
Das unbestimmte Individuum aber nickte Meier kurz zu, sprach: Geht in Ordnung, Kamerad! und verschwand in den Büschen, Kiefernkuscheln, Kiefernstangen, Wald – weg war er wie ein Traum!
Donnerwetter! sprach Meier ein wenig atemlos und starrte ins Grüne. Aber das war schon wieder regungslos und flimmerte im Mittagsglast.
Ja, Donnerwetter sagst du, Meier, schimpfte der Förster los. Aber ich habe die Rennerei heute nachmittag durchs Dorf. Und ob es allen recht ist, ist noch lange nicht raus. Manche ziehen so komische Gesichter und sagen, es ist alles Quatsch, und sie haben von Kapp genug. -ä Aber … fuhr der Förster womöglich noch kläglicher fort … du hast ihn ja gesehen, wie er ist, ins Gesicht zu sagen, wagt es ihm keiner, und wenn er pfeift, kommen sie alle. Nur ich höre immer die Widerreden.
Wer ist er denn? fragte Meier neugierig. So großmächtig sieht er doch gar nicht aus!
Wer soll er sein? rief der Förster ärgerlich dagegen. Es ist doch ganz egal, wie er sich nennt, seinen richtigen Namen wird er uns schon nicht sagen. Er ist eben der Leutnant …
Na, Leutnant ist heutzutage nun nicht mehr so besonders viel, meinte Meier, aber imponiert hatte es ihm doch, wie der den Förster gestaucht hatte.
Weiß ich, ob Leutnant viel oder wenig ist! murrte der Förster. Jedenfalls parieren ihm die Leute. Und … fuhr er geheimnisvoll fort, bestimmt haben sie eine große Sache vor, und wenn es gelingt, ist es mit Ebert und der ganzen roten Blase alle!
Na, na! sagte Meier. Das hat schon mancher gedacht. Rot scheint ’ne waschechte Farbe, die kratzt ihr nicht so leicht ab!
Diesmal doch! flüsterte der Förster. Sie sollen doch die Reichswehr hinter sich haben, und sie nennen sich selbst die Schwarze Reichswehr. Die ganze Gegend liegt ja voll mit ihnen, aus dem Baltikum und aus Oberschlesien und von der Ruhr auch. Arbeitskommandos werden sie genannt und entwaffnet sind sie auch. Aber du hast ja selbst gesehen und gehört …
Also ein Putsch! sagte Meier. Und ich soll mitmachen? Das muß ich mir erst noch mal gewaltig überlegen. Bloß weil einer sagt: ›Geht in Ordnung, Kamerad!‹ – nee, darum noch lange nicht!
Der Förster war schon weiter. Er grübelte sorgenvoll: Vier Jagdflinten hat der alte Herr und zwei Drillinge. Dann die Büchse. Der Rittmeister …
Richtig! sagte Meier, plötzlich erleichtert. Wie steht denn der Rittmeister dazu? Oder weiß er etwa gar nichts davon –?
Ja, wenn ich das wüßte! sprach der Förster klagend. Aber ich weiß es eben nicht! Ich habe schon überall rumgefragt. Nach Ostade fährt der Rittmeister und pichelt manchmal mit den Reichswehroffizieren. Vielleicht setzen wir uns böse in die Nesseln, und ich verliere, geht die Sache schief, womöglich meine Stellung und ende auf meine alten Tage im Kittchen …
Na, nu weine bloß nicht, altes Walroß! lachte Meier. Die Sache ist doch ganz einfach: warum sollen wir denn den Rittmeister nicht einfach fragen, ob er wünscht, daß wir mitmachen oder nicht?
O Gott! O Gott! rief der Förster und schlug nun wirklich die Hände verzweifelt über dem Kopf zusammen. Du bist doch wirklich der größte Windhund von der Welt, Meier! Nachher weiß der Rittmeister von der ganzen Sache nichts, und wir haben sie ihm verraten. Und das müßtest du doch aus den Zeitungen wissen: Verräter verfallen der Feme! – Und ich – fiel ihm plötzlich ein, und der Himmel wurde ganz schwarz, alle Felle schwammen rauschend davon, der Arm ging ihm mit Grundeis … Und ich Schafskopf habe dir alles verraten! Ach, Meier, tu mir den Gefallen, gib mir auf der Stelle dein Ehrenwort, daß du keinem Menschen was verrätst! Ich werde auch dem Rittmeister nicht sagen, daß du den Wald angebrannt hast …
Erstens einmal, sagte Meier, habe ich den Wald nicht angekokelt, sondern das hat dein Leutnant getan – und wenn du den verrätst, weißt du ja Bescheid. Und wenn ich zweitens den Wald wirklich angezündet hätte, ich gehe heute abend um zehn auch zum Schulzen und gehöre also auch zur Schwarzen Reichswehr. Und wenn du mich dann verrätst, Kniebusch, du weißt doch: Verräter verfallen der Feme …
Da stand Meier, grinsend, mitten auf der Waldschneise, und sah die Klatschbase und den Angsthasen Kniebusch frech und herausfordernd an. ›Und wenn diese ganze Putschgeschichte zu gar nichts weiter gut ist‹, dachte er, ›diesen elenden Ohrwurm erledigt sie – der soll mir nicht noch einmal beim alten Herrn oder beim Rittmeister einen Ton über mich riskieren –!‹
Ihm gegenüber aber stand der alte Förster Kniebusch, und Röte und Blässe stiegen abwechselnd in sein Gesicht. ›Da hat man sich nun‹, dachte er etwa, ›durch vierzig Dienstjahre mit Hangen und Würgen hindurchgewunden und denkt: es wird ruhiger. Aber nein, es wird immer schlimmer, und wie ich jetzt nachts aus dem Schlaf hochfahre vor Angst, es ist was passiert, so ist es noch nie gewesen. Früher waren es nur die Holzrechnungen und die Angst, ob ich auch richtig addiert hatte, und mal ein Bock, ob er auch auf seinem Wechsel ging, wenn der alte Herr auf Anstand saß.
Aber jetzt liegt man die Nacht im Dunkeln und das Herz klopft immer schlimmer, und es sind Holzdiebe und Leutnants und dies freche Aas wird jetzt auch noch frech, und es soll geputscht werden … Und schließlich sitze ich drin, wo ich doch gar nichts gegen den Herrn Reichspräsidenten habe …‹
Laut aber sagte er: Wir sind doch Kollegen, Meier, und haben manchen schönen Skat gekloppt. Ich hab noch nie ein Wort gegen dich beim Herrn Rittmeister gesagt, und das mit dem Waldbrand, das ist mir auch nur so im Zorn herausgefahren. Ich hätte dich nie verraten, natürlich nicht!
Natürlich nicht! sagte Meier und grinste frech. Jetzt ist es bald zwölf und zu den Zuckerrüben komme ich doch nicht mehr. Aber zum Füttern muß ich, und darum setze ich mich aufs Rad. Du kannst ja hinterherlaufen, Kniebusch, dir macht das nichts aus, was?! Und dabei saß Meier schon auf dem Rade und trat an. Im Losfahren aber schrie er noch einmal: Geht in Ordnung, Kamerad! und weg war er!
Der Förster aber starrte ihm nach, schüttelte trübsinnig den Kopf und bedachte, daß er lieber den Schleichpfad statt der großen Straße zur Försterei nehmen wollte. Auf der Straße hätte er vielleicht noch Holzdiebe getroffen, und das wäre doch peinlich gewesen – für den Förster!
2
Der Pfandleiher, der Onkel, saß auf einem hohen Kontorbock und schrieb in seinen Büchern. Ein Angestellter verhandelte halblaut mit zwei Frauen, von denen die eine ein Bündel Betten, in ein Laken geschlagen, hielt. Die andere aber hatte eine schwarze Modellpuppe, wie sie die Schneiderinnen benutzen, umgefaßt. Beide Frauen hatten scharfe Gesichter und den betont unbekümmerten Blick seltener Pfandhausbesucherinnen.
Die Leihe selbst, im Hochparterre eines übergeschäftigen Hauses gelegen, sah wie immer schmierig, staubig, unordentlich aus, obwohl sie peinlich aufgeräumt war. Das durch die weißen Milchglasscheiben der Fenster gefilterte Licht war grau und tot. Wie immer stand der riesige Geldschrank weit offen und eröffnete den Ausblick auf kleine Haufen in weißes Papier geschlagener Päckchen, bei deren Anblick man von kostbaren Juwelen träumen konnte. Wie immer steckten die Schlüssel in dem kleinen eingemauerten Safe, das den Barbestand der Leihe enthielt.
Wolf sah das alles mit einem Blick. Aus Dutzenden von Gängen war es ihm so vertraut, daß er es sah, ohne es recht zu sehen. Es war auch das übliche, daß der Onkel über seine schmale Goldbrille fort einen raschen Blick auf ihn schoß und dann weiterschrieb.
Wolfgang Pagel wandte sich an den Angestellten, der anscheinend mit der Frau, die ihre Modellpuppe versetzen wollte, nicht einig werden konnte, hob den Koffer auf den Tisch und sagte halblaut – leicht: Ich bringe mal wieder das übliche. Bitte, wenn Sie nachsehen wollen …
Und er knipste die Schlösser des Handkoffers auf.
Es war wirklich alles da wie sonst; alles, was sie besaßen: eine zweite, im Boden schon dünne Hose von ihm; zwei weiße Herrenhemden; drei Kleider von ihr; ihre Wäsche (spärlich genug) und – das Glanzstück – ein echtes Silbertäschchen, wohl das Geschenk eines Verehrers an Petra, er hatte nie danach gefragt.
Nicht wahr, drei Dollar wie üblich? sagte er noch, nur um etwas zu sagen, da der Angestellte, wie ihm schien, etwas zögernd auf die Sachen blickte.
Da sagte der aber auch schon: Jawohl, Herr Leutnant!
Und nun, da alles geordnet schien, rief ganz überraschend die hohe Stimme vom Kontorbock: Nein!
Wolfgang, der hier nur der Leutnant hieß, und der Angestellte sahen überrascht hoch.
Nein! sagte der Onkel noch einmal und schüttelte energisch den Kopf. Tut mir leid, Herr Leutnant, aber wir können Ihnen diesmal nicht gefällig sein. Es lohnt sich nicht für uns. Sie holen es immer schon den nächsten Tag wieder, all die Schererei – und, wissen Sie, diese Kleider kommen ja auch aus der Mode! – Vielleicht ein anderes Mal wieder, wenn Sie etwas – Modischeres haben.
Der Onkel sah Pagel noch einmal an, hob die Feder, mit der Spitze gegen ihn, so kam es Wolf vor, und schrieb schon weiter. Der Angestellte schloß langsam, ohne hochzusehen, den Kofferdeckel und ließ die Schlösser einschnappen. Die beiden Frauen blickten Wolfgang verlegen und doch ein wenig schadenfroh an, wie Schüler den Mitschüler von der Seite ansehen, wenn er vom Lehrer wegen eines Fehlers getadelt wird.
Hören Sie einmal, Herr Feld, sagte Pagel lebhaft und ging quer durch die Leihe auf den ruhig Weiterschreibenden zu. Ich habe da einen reichen Freund im Westen, der mir bestimmt aushilft. Geben Sie mir das Fahrgeld. Ich lasse die Sachen hier, komme heute abend noch vor Geschäftsschluß vorbei, gebe Ihnen das Geld wieder, meinethalben das Fünffache. Oder das Zehnfache.
Der Onkel sah Wolfgang durch die Brille nachdenklich an, runzelte die Stirn und sagte: Tut mir leid, Herr Leutnant. Wir geben hier keine Darlehen, wir leihen nur auf Pfänder.
Aber es sind ja nur die lumpigen paar Tausend Fahrgeld, beharrte Wolf. Und ich lasse Ihnen die Sachen hier.
Ohne Pfandschein darf ich die Sachen nicht behalten, sagte der Verleiher. Und ich will sie nicht in Pfand. Tut mir leid, Herr Leutnant.
Er sah Wolfgang noch einmal mit gerunzelter Stirn aufmerksam an, als wolle er die Wirkung seiner Worte ihm vom Gesicht ablesen, dann nickte er leicht und kehrte zu seinen Büchern zurück. Auch Wolfgang hatte die Stirn gerunzelt, auch er nickte dem Schreibenden leicht zu, wie zum Zeichen, daß er die Weigerung nicht übel aufnehme, und wandte sich zur Tür. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er drehte sich rasch um, ging noch einmal auf Herrn Feld zu und sagte: Wissen Sie was, Herr Feld?! Kaufen Sie mir den ganzen Kitt ab. Für drei Dollar. Dann hat die liebe Seele Ruh. Ihm war eingefallen, daß der reiche Zecke ihm sicher mit einer größeren Summe aushelfen würde. Es würde ein Riesenspaß sein, Peter mit einer völlig neuen Ausstattung zu überraschen. Was sollte sie da noch mit dem alten Plunder? Nein, weg mit dem Kram!
Herr Feld schrieb noch eine Weile weiter. Dann steckte er die Feder ins Faß, lehnte sich etwas zurück und sagte: Ein Dollar, mit dem Koffer, Herr Leutnant. Wie gesagt, die Sachen sind – nicht modern. Sein Blick fiel auf die Wanduhr. Es war zehn Minuten vor zwölf. Und zum gestrigen Dollarkurs.
Einen Augenblick wollte sich Wolfgang ärgern. Es war die frechste Beutelschneiderei von der Welt! Einen Augenblick überkam es Wolfgang leise, leise, als müsse er auch an den Peter denken – Waschzeug und sein uralter Sommerpaletot waren zur Zeit ihr einziger Besitz, aber ebenso rasch kam der Gedanke: ›Zecke gibt Geld. Und wenn nicht er, ich habe noch immer Geld geschafft!‹ – Und er sagte mit einer raschen Handbewegung, die zeigen sollte, wie wenig es darauf ankam: Also, in Ordnung! Her mit dem Zaster! Vierhundertvierzehntausend!
Es war wirklich ein Dreck, wenn er bedachte, daß er gestern abend nahezu dreißig Millionen auf Null verspielt hatte. Und man mußte lachen über solche Mikrobe wie den Feld, der sich um diesen Dreck abmühte, um diese lächerlichen Beträge!
Der Onkel, der böse, zähe Onkel, die Mikrobe, kletterte langsam von seinem Kontorbock herunter, ging zum Safe, wühlte eine Weile darin und zählte Wolfgang dann vierhunderttausend Mark auf.
Fehlen noch vierzehn, sagte Wolfgang.
Vier Prozent Skonto gehen wie handelsüblich für Barzahlung ab, sagte Herr Feld. Macht eigentlich dreihundertachtundneunzigtausend. Zweitausend schenke ich Ihnen, weil Sie alter Kunde sind.
Wolfgang lachte: Tüchtig sind Sie nun einmal, Onkelchen! Sie kommen zu was, passen Sie auf! Ich werde dann Chauffeur bei Ihnen, ja?
Herr Feld nahm es ernst. Er protestierte: Von Ihnen mich fahren lassen, Herr Leutnant! Nein, nicht einmal umsonst! Wo es Ihnen doch auf gar nichts ankommt, nicht einmal auf Ihre Sachen. Nein, nein … Und wieder ganz der Pfandleiher: Also wenn wieder einmal etwas ist, Herr Leutnant. Bis dahin!