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Der erste Angreifer wankte und versperrte somit seinem Partner die Ziellinie auf Mike.
Jetzt hieß es, schnell zu handeln. Der Sims war keine gute Idee, entschied Mike und schwang sich trotz der verletzten Hand geschwind zurück. Der zweite Angreifer schob seinen Partner unsanft beiseite und versuchte, Mike ins Visier zu nehmen, doch Mike überraschte ihn mit einem eher ungewollten Angriff, als er den Halt verlor und gegen den Angreifer stolperte.
Ruckartig ging dieser in den Nahkampf über und rammte Mike die Faust in die Seite. Mike schrie erneut auf und konterte eher aus Reflex mit einem ungezielten Aufwärtshaken, der sein Ziel zwar knapp verfehlte, jedoch dafür sorgte, dass dem Gegner die Waffe aus der Hand fiel.
»Raus da, Mike. Verschwinde, so schnell du kannst.« Sein PortCom war noch immer an, und Alia hatte alles mit angehört. Verzweifelt nahm Mike eine Ladung Glasscherben in die Hand. Und obwohl sich die Scherben dadurch auch in die eigene Hand schnitten, schleuderte er sie seinen Angreifern entgegen. Der Erste, der Mike auf dem Sims gepackt hatte, bekam die volle Ladung ins Gesicht, während der Zweite nach seiner Waffe griff.
Ein Aufschrei war zu hören. Diesmal von dem Mann, dessen Gesicht nun mit Scherben gespickt war. Kugeln zischten erneut durch die Luft. Mike rannte los. Raus aus dem Schlafzimmer, durch seine Wohnung, hinaus auf den Flur. Der Fahrstuhl war keine Option für ihn. Also rannte er zum Treppenhaus.
»Was wollen die Kerle nur?«, fragte er sich, ohne daran zu denken, dass Alia noch immer in der Leitung war.
»Wo bist du jetzt?«
»Im Treppenhaus. Ich muss 12 Stockwerke schaffen, bevor die Kerle mich einholen.« Er rannte die Treppen mit großen Schritten hinunter, wobei er meist drei oder mehr Stufen auf einmal nahm. Schüsse hallten auf, was dazu beitrug, dass Mike nur noch schneller rannte.
»Hör mir zu, Mike«, befahl Alia nun in einem für sie typischen Militärton. »Hast du einen Gleiter?«
»Ja, aber dazu muss ich ins Parkhaus.«
»Wo ist das Problem?«
»Um dorthin zu kommen, muss ich einen langen geraden Gang entlangrennen, in dem die Kerle freies Schussfeld auf mich haben.«
»Verstehe«, antwortete Alia. Offenbar versuchte sie, ihm zu helfen, aus dieser Situation zu kommen.
Mike hatte das Gefühl, als würden die Schritte seiner Verfolger immer näherkommen.
»Gibt es eine Subway bei dir in der Nähe?«
»Eine U-Bahn? Ja. Aber da sind immer viele Leute unterwegs.« Er kam allmählich außer Atem. Noch drei Stockwerke, und er war unten. Die Verfolger blieben dicht auf seinen Fersen.
»Umso besser«, antwortete Alia. »Beeil dich. Renn dorthin und versuche die Typen abzuschütteln.«
Mike protestierte. »Aber was ist, wenn die drauflosschießen?«
»Mike, hier geht es um dein Leben. Tu verdammt das, was ich dir sage, und diskutiere nicht mit mir.«
Scheppernd flog die Tür des Treppenhauses beiseite, als Mike das Hochhaus verließ. Unbeirrt rannte er zur nächsten U-Bahn-Station. Seine Verfolger waren noch immer dicht hinter ihm. Der eine mit vorgehaltener Waffe, während der andere mit blutüberströmtem Gesicht Mühe hatte, Schritt zu halten. Immerhin hatte er einem der beiden ein Andenken verpasst, überlegte Mike mit einer gewissen Genugtuung.
Schüsse pfiffen durch die Luft. Bisher wurde kein Passant getroffen, doch Mike war sich nicht sicher, wie lange das so bleiben würde. Diese Kerle schreckten vor nichts zurück.
Er hetzte die Treppen zur U-Bahn herunter. Glücklicherweise stand gerade ein Zug da. Er drängelte sich durch die Passanten und schob sich in die Bahn. Hier unten hatte er keinen Schuss vernommen. Offenbar gab es doch etwas, wovor diese Mörder zurückschreckten. Vielleicht aber, so überlegte Mike, wollten sie nur nicht, dass sie ihn im entstehenden Chaos verloren, sollten sie in die Menge eines beengten Bahnhofs schießen.
Mike versuchte, Luft zu holen. Alia hatte stets irgendetwas gesagt, doch Mike hatte keine Luft mehr, um zu antworten. Er zügelte sein Tempo etwas, als er durch die Waggons lief, um wieder zu Atem zu kommen. Sein Blick wanderte nach hinten, und da sah er sie. Sie sprangen gerade noch in den Zug, als dieser das Signal zur Abfahrt gab.
Nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor sich die Türen schlossen, sprang Mike wieder heraus. Ein alter Trick, aber wirksam. Die Angreifer reagierten zu spät. Mühsam versuchte einer von ihnen, die Tür vor sich aufzudrücken, doch die Tür schloss sich zu schnell, und so fuhr der Zug mit den beiden Killern los, während Mike auf dem Bahnhof stand und sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
»Sie sind weg«, jubelte er schwer atmend, doch Alia versetzte ihm gleich wieder einen Dämpfer, als er ihr erzählte, wie er sie abschüttelte.
»Schon mal was von einer Notbremse gehört, Mike? Sieh zu, dass du da verschwindest, und trenne dich von deinem PortCom. Wahrscheinlich wirst du bereits getrackt.«
Mike musste ihr zustimmen. »Was waren das für Typen?«, fragte er, als er den Bahnhof verließ.
»Das finden wir heraus. Kontaktiere Tim, hörst du? Aber schmeiß dein PortCom weg. Wir werden uns treffen, Mike.«
»Gut, Alia. Ich glaub, ich kann Hilfe dringend gebrauchen.« Damit kappte er die Verbindung und warf sein PortCom in die nächste Mülltonne.
***
Alia hörte das statische Knacken, als Mike das Gespräch beendete. Sie brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu sortieren. Langsam ging sie an das große Panoramafenster ihres Arbeitszimmers und starrte hinaus auf das fließende Gewässer. Hier, abseits der Touristenmetropole, deutete nichts darauf hin, dass sich innerhalb der letzten paar Jahrtausende etwas geändert hatte. Auf der anderen Seite des Flussufers kam langsam die Sonne über den Bergen zum Vorschein, ein Zeichen dafür, dass Alia viel zu spät zur Arbeit kommen würde. Dennoch machte sie keinerlei Anstalten, aus dem Haus zu gehen, sondern blieb stattdessen vor dem Fenster stehen.
»Irgendetwas ist falsch«, sagte sie zu sich selbst und versuchte dann, die Informationen in Gedanken zu sortieren. Als Fakt stand das Attentat in Genf im Vordergrund, welches mehr als 8 Stunden zurücklag, sowie das Interview mit der merkwürdigen Aussage des Vorsitzenden. Doch warum hatten die Behörden Mike nicht früher aufgesucht, wenn man ihn verdächtigte, mit dem Anschlag etwas zu tun zu haben? Alia fand den Zeitpunkt der Aussage des WSA-Leiters verdächtig. Das Interview war in Genf live gesendet worden, und nur wenige Minuten später waren diese Berserker bei Mike aufgetaucht.
Alia erinnerte sich, dass Mike eine Privatwohnung in der Nähe von London und eine Wohnung in Genf unterhielt, die ihm von der WSA zur Verfügung gestellt wurde. Da sie Mike über PortCom erreicht hatte, fiel ihr auf, dass sie keine Ahnung hatte, wo er sich zurzeit aufhielt. Sie hoffte nur, dass er in London gewesen war.
Alia war überzeugt davon, dass es sich bei Mikes Angreifern nicht um Polizisten oder Agenten eines Geheimdienstes handelte. Diese Typen waren darauf aus, ihn entweder mitzunehmen oder umzubringen. Jede Behörde hätte Mike unter Arrest gestellt, um Informationen zu erhalten. Aber ihn keinesfalls töten wollen.
Alias Gedanken rasten. Sie musste sofort versuchen, Timothy und Lee zu erreichen. Möglicherweise waren auch sie in Gefahr. Ohne über folgende Konsequenzen nachzudenken, wählte sie auf ihrem PortCom Lee an. Doch statt Lees Stimme, hörte Alia nur eine Computerstimme, dass der Teilnehmer zurzeit nicht erreichbar sei.
»Verdammt, warum hat man ein PortCom, wenn man es nicht eingeschaltet hat?«, fluchte Alia laut. Gleich darauf wollte sie den Jungen anrufen, überlegte es sich aber anders und ging an ihr ComTerm. Schnell tippte sie eine für Außenstehende unverfängliche Nachricht ein und hoffte, dass Tim den Hinweis verstehen würde.
Fünf Jahre hatten Alia die Ereignisse seit ihrer Rückkehr nicht gekümmert, doch von einem Moment auf den anderen war sie wieder in Geschehnisse verwickelt, denen sie aus dem Weg zu gehen versucht hatte.
Das PortCom klingelte, und Alia nahm an, dass es sich um Lee handelte, die sie zurückrief. Sie nahm das Gespräch an, aber Alia kannte die Stimme nicht, und mit Sicherheit hätte Lee sie nie mit ihrem alten Militärrang angesprochen.
»Major Scott?«
»Wer ist da?« Gespannt wartete Alia darauf, wer am anderen Ende der Leitung war.
»Mein Name ist Jean Epoc von ANN. Könnten wir eine Stellungnahme zu den Ereignissen …« Alia beendete das Gespräch. »Reporter«, sagte sie leise und warf das PortCom achtlos auf ihren Schreibtisch. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten vor der Tür auftauchten.
»Zarah« Alia ging zurück in die Küche, wo die Frau die beiden Kinder offensichtlich bereits mit der zweiten Fuhre Pfannkuchen versorgte. Fragend blickte sie Alia an. »Lass niemanden außer Salim und seiner Familie ins Haus. Ich befürchte, dass wir bald Besuch von einigen Journalisten bekommen.« Zu ihren Kindern gewandt fuhr sie fort: »Für euch beide gilt das gleiche, klar? Und leider kann ich mit euch heute den Ausflug nicht machen.« Sie sah die enttäuschten Gesichter der Kinder.
»Du hast es aber versprochen, Mama!«, erklärte Ben trotzig, und Alia sah, wie Rhias Unterlippe zu zittern anfing. »Du hast gesagt, seine Versprechen muss man immer halten«, fügte ihre Tochter mit weinerlicher Stimme hinzu.
»Ich weiß. Es tut mir leid, aber einem von Mamas Freunden ist etwas Schlimmes passiert, und deswegen werden hier viele Leute auftauchen, die alle davon erzählt bekommen wollen«, versuchte Alia, sich aus der Situation zu retten, ohne genauer ins Detail zu gehen. Sie wollte die Kinder nicht beunruhigen.
»Hast du deswegen vorhin geweint?«, fragte Rhia und schaute ihre Mutter durchdringend an. Alia nickte nur. Rhias Blick erreichte Ben, und Alia war wieder einmal mehr als erstaunt darüber, dass sich die Kinder ohne ein Wort verständigen und einigen konnten. In diesem Moment sahen sie ihrem Vater so ähnlich. »In Ordnung«, antworteten beide gleichzeitig.
»Schön. Wir werden den Ausflug nachholen, sobald es geht«, sagte Alia darauf. Die Kinder nickten und widmeten sich wieder ihrem Essen. Sie gab Zarah einen Wink, ihr in das angrenzende Zimmer zu folgen.
»Sage bitte Salim, dass er niemanden in die Nähe des Hauses lassen soll, auch wenn er denjenigen kennt. Wenn jemand etwas von mir möchte, soll er mir Bescheid geben, mehr aber nicht.« Alias Stimme war beinahe ein Flüstern.
»Aaliyah, was ist denn los?« Zarah war mehr als besorgt.
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie ehrlich.
»Aber du ahnst etwas«, bohrte sie weiter. Da Alia beharrlich schwieg, fuhr sie fort. »Es hat etwas mit Genf zu tun, oder mit deiner Militärzeit, nicht wahr?«
»Ich befürchte, es hängt alles zusammen«, gab Alia zu.
»Gut. Ich werde mich mit Salim besprechen. Keiner wird auch nur in die Nähe des Hauses kommen. Wozu hat er schließlich so viele Verwandte, die bei der Polizei arbeiten?« Zarah verließ den Raum, und Alia lächelte ein wenig. Es stimmte, ihr Vorarbeiter für die aktuelle Ausgrabung und selbsterklärter Hausmeister im mittleren Alter hatte rund um die Stadt mehr Verwandte und Bekannte, als Alia je Menschen kennen gelernt hatte, und in diesem Moment war sie sehr dankbar dafür, dass Salims uneingeschränkte Loyalität ihr selbst und den Kindern galt.
»Sitt!« Ihr Kindermädchen benutzte diese Anrede nur, wenn Fremde in der Nähe waren. Ohne zu überlegen, stürmte Alia in Richtung Haustür, aus der Zarah gerufen hatte. Es war noch viel zu früh für normale Besucher. Waren schon die ersten Reporter aufgetaucht?
»Wer …« Alia blieb kurz vor der Tür stehen, als sie erkannte, um wen es sich handelte.
»Es tut mir leid. Ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen könnte.« Lee stand mit einer kleinen Reisetasche in der Eingangstür und sah Alia mit verweinten Augen an.
»Mama, wer ist da gekommen?« Ohne Vorwarnung stürmten die Zwillinge zu Alia, blieben hinter ihr stehen und beobachteten die Besucherin.
»Du hast Kinder?« Lee stotterte ein wenig, sie war verblüfft. »Ich hätte … ich hätte nicht herkommen sollen. Entschuldige, ich … gehe besser«, sagte sie und war schon im Begriff, sich umdrehen.
»Nein!« Alia reagierte schnell und hielt sie am Handgelenk fest. »Bleib, Lee. Ich habe schon versucht, dich zu erreichen.« Unmerklich tauschte Alia einen Blick mit Zarah, die nickend verstand und sich um die Kinder kümmerte, während Alia Lee ins Haus zog.
»Weiß jemand, wo du hinwolltest?«, fragte Alia als Erstes.
»Nein, ich wollte nur weg aus Genf … nachdem sie Andrew … gefunden hatten.« Sie kämpfte um ihre Beherrschung. »Sie haben gesagt, dass …, dass er sofort tot gewesen sei …« Lee konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und fiel Alia schluchzend in die Arme.
Alia fühlte sich wieder in die Zeit ihrer Reise nach Proxima Centauri b zurückversetzt. Lee hatte nach ihrer Rettung nur Alia getraut und sich oft bei ihr ausgeweint.
»Lee, beruhig dich erst mal etwas.« Alia sprach mit der gleichen Tonlage, wie sie es tat, wenn eines der Kinder einen Weinkrampf bekam. »Du kannst hierbleiben.«
Lee unterhielt sicher keine Wohnung mehr auf der Erde, und es war wichtig, dass sie zusammenblieben. Es war möglich, dass die gleichen Männer, die Mike verfolgten, auch nach Lee suchten.
Sie schaute Lee an. Die Zeit war an ihr vorbeigegangen, ohne sie älter werden zu lassen. Das einzige, was sich verändert hatte, war, dass sie ihr Haar inzwischen länger trug.
»Komm, wir setzen uns, und dann reden wir.« Alia deutete auf das Sofa, das durch den langen, hellen Flur am Ende des Wohnraums zu sehen war, und Lee nickte. Mit einer kurzen Handbewegung gab Alia Zarah zu verstehen, dass alles in Ordnung war und sie die Tür schließen sollte.
Als sie die Tür zugeschoben hatte, nahm Zarah die Kinder beiseite. Sie verstand, dass Alia und diese Frau etwas Zeit für sich brauchten. Und es gab einige Aufgaben, bei denen die Kinder in diesem Moment weitaus nützlicher sein konnten.
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