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»Unfassbar! Sie haben also ein ganzes Netzwerk aus imaginären Identitäten erschaffen?«
»So ist es. Und alle existieren nur virtuell. Und Sie sind jetzt einer davon. Aber nur solange, bis wir unser Ziel erreicht haben.
Das einzige Problem sind die Gesichtserkennungen, die an verschiedenen Orten durchgeführt werden. Der Normalbürger kennt die Stellen, an denen sein Gesicht gescannt wird, nur in den seltensten Fällen. Wir aber kennen sie alle. Deshalb müssen wir Sie bei Ihrer Ausschleusung um diese Erkennungsstellen herumführen, oder die Technik austricksen. Darum werden sich unsere Experten kümmern. Aus diesem Grund kann ich Ihnen auch noch keine Route sagen, die wir nehmen werden, oder Ihnen unsere Aufbruchszeit nennen. Alles muss perfekt ineinandergreifen, damit wir dem Überwachungssystem entkommen können.«
»Ihr seid echt Profis. Ich bin beeindruckt.«
»Wir machen das auch schon eine ganze Weile. Und wenn Sie wüssten, für wen wir alles schon gearbeitet haben - sprich: wen wir schon alles durch einen Klon ersetzt haben -, könnten Sie keine Minute mehr ruhig schlafen.«
»Ich würde auch nicht fragen wollen.«
»Das freut mich. Diskretion ist in unserem Metier nämlich existenziell.« Hendrik nahm irgendein Gerät in die Hand, das Robert noch nie zuvor gesehen hatte. Er scannte damit seinen Kopf.
»Stimmt was nicht?«, fragte Robert besorgt.
»Nein, alles in Ordnung. Reine Routine. So, ich denke, wir können jetzt den Chip einsetzen. Das geht wesentlich schneller als die Entfernung des Originalchips.«
»Dann mal los.« Robert wartete gespannt.
Es ging tatsächlich ganz schnell. Keine Schmerzen, kein Unwohlsein. Alles schien gut zu laufen. Moderne Technik machte es möglich.
»Ich mache noch ein paar Tests, dann sehen wir, ob es funktioniert, wie es soll.«
Alle Tests bestand der neu programmierte Chip anstandslos. »Gut, dann müssen wir noch mindestens eine Woche warten, bis sich Ihr Körper an den neuen Chip vollständig angepasst hat. Von nun an sind Sie Marvin Winkel.«
»Dann kommen Sie in einer Woche wieder?«
»Genau. Dann werde ich Ihnen auch ein ungefähres Zeitfenster nennen können, in dem wir aufbrechen werden.«
»Das klingt wundervoll. Ich bin schon ganz aufgeregt.«
»Bevor ich wieder gehe, noch eine Frage: Ist alles mit Ihrem Klon in Ordnung? Irgendwelche Auffälligkeiten?
»Bis auf die Tatsache, dass sich mein Klon für etwas Besseres hält - keine Auffälligkeiten.«
»Darüber hatten wir ja schon gesprochen. Ein gewisses Konkurrenzdenken in Ihrer Anwesenheit ist nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.«
»Ja, ich weiß. Ich gehe ihm aus dem Weg, so gut es geht. Anders geht es nicht. Sonst geraten wir wieder aneinander. Da muss ich wohl durch.« Robert war überrascht, dass Hendrik speziell nach Auffälligkeiten des Klons fragte. Waren seine beschwichtigenden Worte nur eine Farce, oder machte er sich insgeheim Sorgen über die korrekte Funktion des Klons?
»Es wird ja auch nicht mehr lange dauern. Wir sehen uns in einer Woche.«
»Einen Moment noch. Jetzt, da ich den neuen Chip habe, kann ich theoretisch rausgehen. Ich würde auch nur im Park spazieren gehen, wo es keine Überwachung gibt.«
»War das wirklich nur eine theoretische Frage?«
»Mir fällt hier drin die Decke auf den Kopf. Ich kann mich nicht erinnern, so lange Zeit in einem Raum eingesperrt gewesen zu sein.«
»Sie könnten rausgehen. Aber davon rate ich dringend ab. Wie ich bereits sagte, sind Ihr Körper und Ihr Chip noch nicht aneinander gewöhnt. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass er auffallen könnte - selbst wenn Sie in die Nähe eines Routine-Detekors kommen - aber wir wollen doch jedwedes Risiko vermeiden, nicht wahr? Im Park könnten Sie ja auch in eine routinemäßige Personenkontrolle geraten. Und wenn man Ihnen dann Fragen über Sie stellt, könnten Sie sich in Widersprüche verstricken. Und dann hätten wir ein Problem. Aus diesem Grund habe ich Ihnen auf Ihr Tablet Ihren Lebenslauf für Marvin Winkel aufgespielt. Den sollten Sie in den nächsten Tagen buchstabengetreu auswendig lernen. Nur im absoluten Notfall sollten Sie daher die Wohnung verlassen.«
»Und wann weiß ich, wann ein Notfall eintritt?«
»Das würde ich Ihnen schon sagen.«
»Also gut. Ich werde der Versuchung widerstehen und nicht rausgehen. Ich weiß, dass es zu gefährlich sein könnte.«
»Sie schaffen das. Auf diese Weise behalten wir über alles die volle Kontrolle.«
Robert hielt durch und beschäftigte sich in den folgenden Tagen damit, sich mit seiner neuen Identität auseinanderzusetzen. Seine neue Identität Marvin Winkel war Freiberufler, arbeitete als Werbetexter von zu Hause aus, lebte in der derselben Stadt mit einer anderen Adresse. Er hatte ein paar Freunde, mit denen er sich regelmäßig traf - alles digitale Phantome, so wie Marvin.
»Verrückt«, stieß Robert kopfschüttelnd am Freitagabend aus, als sein Klon nachhause kam.
»Und, alles in Ordnung mit deinem neuen Chip?«, fragte Robert2.
»Ich denke schon. Aus Sicherheitsgründen sollte ich aber noch nicht rausgehen.«
»Hm. Na, lange wird es ja nicht mehr dauern.«
»Und darf ich fragen, wo du heute Abend warst?«
»Ich war mit Nicole wieder im Holo-Kino, habe ich dir noch vor zwei Tagen gesagt.«
»Ach ja, richtig. Habe ich ganz vergessen.« Das hatte Robert nicht, aber er wollte den Coolen spielen. Aus irgendeinem Grund hielt er das gegenüber seinem Klon für nötig. »Und wie war es?«
»Langweilig. Dafür haben wir uns viel unterhalten. Ich glaube, was meine Beziehung zu ihr angeht, werde ich den nächsten Schritt wagen.«
Robert erstarrte. »Den nächsten Schritt?«
»Ja, ich werde ihr sagen, was ich für sie empfinde.«
Robert rang nach Luft und Worten. »Bist du vollkommen übergeschnappt?«
»Wieso? Du bist doch bald weg. Was kümmert es dich?«
»Aber Hendrik hat mir versichert, dass du nichts dergleichen unternehmen wirst.«
»Na, dann hat er sich eben geirrt.« Robert2 sprach die Worte, als handele es sich um eine völlig belanglose Nebensächlichkeit.
»Aber du bist nur ein Klon und sollst unauffällig mein Leben weiterleben. Ohne eine engere Beziehung einzugehen. Sonst könnte deine wahre Identität auffliegen.«
»Was denn für eine wahre Identität? Ich bin du, das hast du selbst gesagt.«
»Dass du aus einem Reagenzglas stammst, meine ich! Stell dich nicht absichtlich dumm.«
»Sorry, aber ich kann machen, was ich will. Dein Leben ist jetzt mein Leben. Du existierst offiziell gar nicht mehr. Schon vergessen, Marvin?«
Robert lief rot an. »Du überschreitest hier eine Grenze, mein Lieber. Wage es ja nicht, mich zu verarschen.«
»Geht das Theater schon wieder los? Ich will nichts von dir. Ich will nur mein Leben leben. Oder besser gesagt: dein Leben.«
Robert tigerte - sich die Haare raufend - im Wohnzimmer hin und her. »Du musst irgendeinen Defekt haben. Irgendetwas stimmt nicht mit dir. Diese ständigen Aggressionen gegen mich, dein irrer Versuch, mit Nicole eine Beziehung einzugehen. Das widerspricht allem, was mir versprochen wurde.«
»Ruf doch bei der Verbraucherzentrale an und beschwere dich. Ach ich vergaß: Einen Klon zu erschaffen, ist ja illegal. Also was willst du jetzt tun?«
Robert blieb stehen und funkelte seinen Klon hasserfüllt an. »Je mehr ich von dir höre, desto mehr gelange ich zu der Überzeugung, dass du nichts, aber auch gar nichts mit mir gemeinsam hast. Ich bin betrogen worden, das ist es!«
»Glaubst du nicht, du übertreibst jetzt?«
»Ganz im Gegenteil. Aber ich kann immer noch die Reißleine ziehen. Robert dachte an die Worte, die seinem Klon auf der Stelle das Licht auspusten würden.«
Sein Klon wusste, dass er mit diesem Gedanken spielte. »Du würdest mich umbringen, nur weil ich deinen hochgesteckten Erwartungen nicht entspreche? Weil dein Selbstbild offensichtlich vollkommen verzerrt ist? Du willst mich für deine eigenen Unzulänglichkeiten, die du in mir siehst, ermorden?«
»Ich würde nur einen dummen Fehler rückgängig machen. Das ist alles.« Wäre Robert wirklich in der Lage, das zu tun? Hätte er den Mut, so weit zu gehen und alles zu riskieren?
Er ließ sich auf die Couch fallen und dachte nach. Eigentlich stimmte es doch, was sein Klon gesagt hatte. Was kümmerte es ihn, welche Art von Leben Robert2 führte, wenn er selbst tausende Kilometer entfernt ein neues und eigenes Leben begann? Trotzdem war er davon überzeugt, dass mit Robert2 etwas nicht stimmte. Er würde zunächst Hendrik zur Rede stellen und dann entscheiden, was er tun würde.
Als er länger darüber nachdachte, kam ihm die Idee, dass Robert2 vielleicht nur so tat, als würde er mit Nicole ernsthaft über seine wahren Gefühle sprechen wollen. Vielleicht wollte er nur Robert - sein Original - aus seiner Kränkung heraus, eine Kopie zu sein, ärgern. Hendrik hatte es Konkurrenzverhalten genannt.
»Und wann triffst du dich wieder mit Nicole, um ihr deine... Liebe zu gestehen?«, fragte Robert abfällig.
»Nächste Woche vielleicht. Vielleicht sage ich es ihr auch erst, wenn du fort bist.«
Na klar, du Feigling. Habe ich es doch gewusst. Alles nur ein Bluff. Gott, wie sehr ich ihn für sein Verhalten hasse!
Robert irrte sich nicht nur, was das Verhältnis von Nicole und Robert2 betraf. Nein, er hasste in Wahrheit sich selbst für seine eigene Feigheit, die ihm sein Klon durch dessen ausweichende Antwort nur vor Augen geführt hatte.
Kapitel 9: Eskalation
Es kam, wie es kommen musste. Nämlich - wie Robert insgeheim befürchtet hatte - zum Schlimmsten.
Es war der Tag der folgenden Woche, in der Robert Hendrik samt guten Neuigkeiten erwartete. Robert2 ging am Morgen wider Erwarten nicht zur Arbeit.
»Wieso? Bist du krank?«
»Nein, mir geht es bestens. Ich habe mir heute einen Tag frei genommen.«
Robert beschwerte sich erst gar nicht darüber, dass Robert2 ihn darüber nicht vorher informiert hatte.
»Und willst du etwa dafür den ganzen Tag in der Wohnung herumlungern - mit mir?«
»Reg dich nicht gleich wieder auf. Ich werde heute den ganzen Tag mit Nicole verbringen. Heute ist der Tag.«
»Ja, sicher doch. Darauf falle ich nicht noch einmal herein.«
»Denk, was du willst. Ich liebe sie, und sie liebt mich.«
»Das hat sie dir wohl auch schon gesagt, oder was?«
»Nicht mit Worten. Aber.. diese Signale, die sie ausgesendet hat. Du weißt schon.«
Robert antwortete nicht, sondern schwieg wütend mit zusammengepressten Lippen. Er starrte in den Holoprojektor, in dem ein Fußballspiel vom Vortag wiederholt wurde.
»Ich verschwinde dann jetzt. Nicole und ich gehen abends zum Hafen am See und machen noch eine kleine zweistündige Rundfahrt mit dem letzten Schiff. Nur falls Hendrik fragt, wenn er noch heute kommt.«
Robert schwieg und nippte an einem Glas Wasser.
»Also bis nachher. Übrigens, du solltest dich mal wieder rasieren. Du siehst furchtbar aus.«
Als sein Klon die Wohnung verlassen hatte, nahm Robert das Glas und schmetterte es gegen die Wand. Ja, verdammt, er war eifersüchtig! War das nicht sein gutes Recht?
Oder war alles nur gespielt? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Er recherchierte die Abfahrtszeit des Schiffes für die kleine Seerundfahrt. Er könnte hingehen und sie heimlich beobachten.
Nein, das ist viel zu riskant. Ich werde doch jetzt kein Risiko eingehen. Nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel.
Robert beschloss, es bei der Vernunft zu belassen. Er würde zuhause bleiben und auf Hendrik warten. Doch je länger er auf ihn wartete, desto mehr pochte der quälende Gedanke hinter seinen Schläfen. Der Gedanke, dass sich der Klon an Nicole ranmachte. Sie berührte. Sie vielleicht...
Er hielt es nicht mehr aus. Es war sechs Uhr abends. In einer halben Stunde würde das Schiff abfahren. Wenn er sich beeilte, könnte er zu Fuß rechtzeitig dort sein. Jede Spur von Vernunft war weggewischt. Er sah nur noch rot. Er schnappte sich eine Schirmmütze, setzte eine Sonnenbrille auf - zum Glück war der Himmel wolkenlos, so dass er nicht unnötig auffallen würde - und verließ die Wohnung. Das erste Mal seit Wochen.
Robert hatte sich nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, wo er auf seinem Weg zur Anlegestelle an der Seepromenade per Computerüberwachung registriert werden könnte. Er hoffte, dass es im besten Fall gar nicht geschehen würde, da er hauptsächlich über kleine Nebenstraßen lief. An der Promenade angekommen, setzte er sich auf eine Bank und schaute auf seine Uhr. Noch zehn Minuten. Keine Spur von Robert2 und Nicole. Er kam sich wie ein irrer Stalker vor. Er schaute sich nach Kameras oder Sensoren um, die hier sein könnten. Mit Sicherheit gab es welche. Doch sie waren zu gut versteckt.
Ruhig. Wenn in zehn Minuten keiner kommt, gehe ich sofort wieder nach Hause.
Erste Schuldgefühle ob seines irrationalen Verhaltens kamen in ihm auf.
Während er unruhig auf seinem Platz hin und her rutschte, zog ein riesiger Schatten an ihn heran. Langsam bewegte sich der Schatten voran und verdunkelte die ganze Promenade. Kaum war die Sonne weg, wurde es gleich merklich kühler. Mehr genervt als überrascht blickte Robert hoch zum Verursacher der Verdunkelung. Es war ein gigantisches schwebendes Kreuzfahrtschiff, das vollkommen lautlos durch die Lüfte streifte. Jene schwebenden Luxusliner waren der letzte Schrei beim betuchten Zielpublikum. Fuhr man früher mit einem nach Dieselabgasen stinkenden Seekreuzer über die Weltmeere, tat man das heute mit ultramodernen Hightech-Luftschiffen, die ihre einstigen brennstoffbetriebenen Vorgänger in Sachen Größe, Luxus und Entertainment bei Weitem übertrafen. Für Leute wie Robert war eine solche Kreuzfahrt auf einem dieser Luftschiffe unbezahlbar. Daher hatte er auch nie den Wunsch gehabt, einmal eine solche Reise zu unternehmen.
Und dennoch: Wenn eines dieser Riesenschiffe über einem in niedriger Höhe vorbeiflog, konnte man nur schwer seinen Blick abwenden. Partymusik von einem der zahlreichen Oberdecks drang in seine Ohren. Ein paar Jugendliche, die an ihm - auf dem Bodensatz der Gesellschaft - vorbeigingen, streckten wie auf ein unsichtbares Kommando dem Schiff den Mittelfinger entgegen und grölten irgendwas mit »Wichser« - nicht jeder hatte Bewunderung für die Luxuskreuzer der Lüfte und deren Passagiere übrig.
Robert hatte sich so lange ablenken lassen, dass er gar nicht merkte, wie auf dem See das kleine Ausflugsschiff die Anlegestelle verließ und zu seiner kurzen Rundfahrt aufbrach. Als er sein Versäumnis endlich bemerkte, war das Schiff schon fast zu weit weg, um die Gesichter der Fahrgäste erkennen zu können. Er sprang auf und lief eilig zum Wasser. Er machte ein Pärchen auf dem Sonnendeck aus, das sich küsste.
Das sind sie!, schrie es in seinem Kopf.
Sicher, wen er dort gesehen hatte, war er jedoch nicht. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass es Nicole und sein Klon waren.
Wutentbrannt ging er zurück in seine Wohnung. Hendrik war immer noch nicht dort. Niemand, mit dem Robert reden konnte. Dieser Klon trieb ihn noch in den Wahnsinn.
»Ich bringe diesen verdammten Scheißkerl um«, murmelte Robert mehrfach, während er ziellos durch seine kleine Wohnung stiefelte.
Um zehn Uhr abends war immer noch niemand gekommen. Wo blieb Hendrik?
Schließlich war Robert2 der Erste, der die Wohnungstür aufschloss. Robert lauerte ihm hinter der Tür auf, samt seiner angestauten Wut.
»Was hast du mit ihr gemacht?«, zischte er ihn an, als Robert2 ihm verdutzt in die Augen sah, kaum dass er einen Fuß in die Wohnung gesetzt hatte.
»Was denn jetzt?«
»Ich habe euch beide gesehen. Auf dem Schiff!«
»Unfassbar! Du hast uns nachspioniert? Wie armselig ist das denn?«
Robert packte seinen Klon an den Schultern und drückte ihn unsanft gegen die Wand. »Ich habe gesehen, wie du sie geküsst hast!«
»Jetzt leidest du aber unter Halluzinationen. Nichts dergleichen habe ich getan. Und selbst wenn, dann geht es dich nichts an.«
»Und ob es mich etwas angeht! Du nimmst mir meine Freundin nicht weg, hast du verstanden, du Scheißklon!«
Robert2 lachte verächtlich. »Die Leier schon wieder. Das wird langsam langweilig. Du hattest deine Chance, mein Lieber. Deine Minderwertigkeitskomplexe sind dein Problem, nicht meins.«
»Ich sollte dich erledigen. Ich sollte...«
Robert2 befreite sich blitzschnell aus Roberts Griff, packte ihn an seiner Kehle und drückte zu. Robert erschrak so sehr, dass er unfähig war, sich aus dem Würgegriff seines Klons zu befreien. Er bekam noch Luft, aber die Stärke und die eiskalte Entschlossenheit, mit der sein Klon ihn würgte, hatten ihn völlig überrascht.
»Ich ertrage dein armseliges Gewinsel nicht mehr«, sprach Robert2 leise und voller Hass. Mit seiner Hand am Hals von Robert ging er langsam ein paar Schritte vor und zwang Robert dabei, rückwärts vor ihm herzugehen. »Du bist doch viel zu feige, um mich zu töten, weil du ein jämmerlicher Versager bist. Ich möchte am liebsten vor Scham vergehen bei dem Gedanken daran, dass ich dein genetisches Abbild bin. Ich sollte dich umbringen, oder besser noch: Wir bringen uns beide um. Was hältst du davon? Du hasst mich. Ich hasse dich. Da wir beide identisch sein sollen, hassen wir uns also nur selbst.
Wie wäre es? Du sprichst die drei magischen Worte und wiederholst sie einmal. Dann bekomme ich einen Hirnschlag, bei dem ich einen höllischen Todeskrampf kriegen werde, der meine Hand an deinem Hals in einen Schraubstock verwandelt. So könnten wir uns gegenseitig auslöschen. Das wäre doch gerecht, oder nicht?
Na los: Sprich die Worte: Erinnerst du dich? Verstand über Materie. Nur deine Stimme kann mich töten.«
Robert glaubte in die Augen eines Wahnsinnigen zu blicken, während er zunehmend nach Luft rang. Und es waren seine Augen, in die er sah, was ihn nur umso mehr schockierte. Unter dem eisernen Griff seines Klons lief er rot an. Adern traten ihm an Stirn und Hals hervor.
»Meine Stimme, deine Stimme. Spielt doch keine Rolle. Sie sind identisch. Also spreche ich die Worte: Mens agitat molem. Mens... agitat...«
Ein Klickgeräusch unterbrach den Klon. Das Türschloss der Wohnungstür wurde geöffnet. Es war Hendrik. Er hatte jederzeit Zugang zur Wohnung.
Robert2 lockerte für einen kurzen Moment seinen Griff. Robert nutzte das aus und drehte sich aus der würgenden Hand heraus.
»Was ist hier los?« Entsetzen lag in Hendriks Gesicht.
Robert rang nach Luft und taumelte zurück. Robert2 stand regungslos da und sah Hendrik fragend an.
»Was zum Teufel geht hier vor?«
Robert2 schwieg.
»Dieses Monster wollte mich umbringen! Er ist vollkommen wahnsinnig«, keuchte Robert mit dünner Stimme.
»Was?«
Robert2 sagte immer noch nichts. Er hielt es nicht für nötig, sich zu verteidigen.
»Was haben Sie gemacht?«, ging Hendrik den Klon an. Der verweigerte eine Antwort. Hendrik zückte eines seiner merkwürdigen medizinischen Geräte aus der Jackentasche und machte einen Scan bei Robert2.
»Ich messe ein starkes chemisches Ungleichgewicht. Kein Wunder, dass er durchgedreht ist. Keine Sorge, Herr Mester, dagegen kann ich etwas tun.« Er holte eine Spritze hervor und verabreichte sie dem Klon. Robert2 leistete keinen Widerstand. Dann gab er ihm noch zwei Tabletten. »Setzen Sie sich jetzt auf die Couch und warten Sie ab, bis die Wirkung eintritt. Das dauert nur ein paar Minuten. Und nehmen Sie die beiden Tabletten. Die sollen unterstützend wirken.«
Robert2 gehorchte anstandslos, schluckte die Tabletten und Robert traute seinen Augen nicht.
»Das ist alles? Ein chemisches Ungleichgewicht? Wollen Sie mich verarschen?«
»Ich versichere Ihnen, danach wäre mir jetzt als Letztes zu Mute.«
»Und wieso tauchen Sie hier mit einer schon fertigen Spritze auf? Haben Sie etwa gewusst, dass er durchdrehen würde?«
»Das nicht, aber ich hatte so eine Ahnung.«
»Eine Ahnung? Warum?«
Hendrik strich sich nervös durchs Haar, ging zum Wohnzimmerfenster und sah sich besorgt draußen um, ehe er antwortete. »Weil wir in verdammten Schwierigkeiten sind.«
»Was soll das heißen? Reden Sie!«
»Ich bin mir nicht sicher. Kann sein, dass man bei den Behörden auf Sie aufmerksam geworden ist.«
Roberts Albtraum war Realität geworden. Er wurde kreidebleich. »Was? Aber wie das denn?«
»Ich weiß es nicht. Offensichtlich hat jemand gegen Sie einen Verdacht geäußert. Ich vermute, einer Ihrer Arbeitskollegen. Wir müssen jetzt unsere Pläne rasch ändern, sonst sind wir geliefert.«
Robert war entsetzt. »Verdammter Mist! Was machen wir denn jetzt?«
»Nur die Ruhe«, beschwichtigte Hendrik, wirkte dabei aber alles andere als ruhig. »Wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren. Wir werden einfach früher aufbrechen müssen, das ist alles. Noch ist nichts verloren.«
»Und wann?«
»Spätestens am Sonntag. Meine Leute arbeiten schon daran. Wir müssen jetzt nur noch die zwei Tage durchhalten und uns still verhalten.«
Robert dachte an seinen dummen Ausflug zum Hafen. Gott, was für ein Idiot er doch gewesen war! »Und Sie meinen, dass bis dahin nichts passieren wird? Bin ich in meiner Wohnung noch sicher?«
»Im besten Fall wird nichts passieren. Mit ein bisschen Glück werden erst gar keine Ermittlungen aufgenommen. Ihre Identität, Ihr Werdegang, Ihr soziales Umfeld aber werden routinemäßig überprüft werden. Hier sollte es aber keine Probleme geben.«
»Und was passiert im schlimmsten Fall?«
»Dann werden Sie Besuch von der Polizei oder der AKE bekommen.«
»AKE?«
»Der Anti-Klon-Einheit. Eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine Sonder-Abteilung mit weit reichenden Befugnissen. Sie ist direkt dem Innenministerium unterstellt. Die kommen aber nur, wenn wirklich ein begründeter Verdacht besteht. Hoffen wir, dass dem nicht so ist.«
Robert musste sich auf einen Stuhl setzen, da ihm die Knie weich wurden. In was hatte er sich da hineingeritten? Wer hatte ihn verraten? Und warum konnte sein Klon derart ausflippen aber gleich darauf Hendrik aufs Wort gehorchen?
Hier stimmt etwas nicht, dachte er und sah finster zu Hendrik.
»Wir kriegen das hin, das verspreche ich ihnen«, sagte der. »Wir werden nicht zulassen, dass man Jagd auf Sie macht.«
Kapitel 10: Der Jäger
Die Abteilung AKE, wie sie landläufig genannt wurde, im Gebäude des Innenministeriums, hatte gerade einmal zwanzig Mitarbeiter, sechs davon besaßen eine Spezialausbildung für den Außendienst. Der Leiter der Abteilung war vor Kurzem in den Ruhestand getreten. Wegen Budgetstreitigkeiten gab es zurzeit nur einen stellvertretenden Leiter, einen Quereinsteiger, der mit seiner neuen Rolle alles andere als glücklich war und so schnell wie möglich aus der Abteilung wieder weg wollte.
Der letzte große Klon-Fall war nun schon drei Monate her. Die meisten jener Fälle wurden bereits von der Polizei aufgeklärt, noch bevor der Klon überhaupt in Produktion ging. Die Notwendigkeit der Abteilung wurde von der Politik und der Öffentlichkeit oft angezweifelt. Viele, von den wenigen, die in jener Abteilung arbeiteten, sahen das nicht anders. Nur einer von ihnen war ein glühender Verfechter der AKE: Marc Gardé. Ein Mann Anfang dreißig, der eine steile politische Karriere hätte machen können, wenn er nicht so versessen auf das Jagen von Klonen gewesen wäre. Er wollte den Chefposten, und er hatte vor, die AKE nicht abzuwickeln, sondern im Gegenteil zu vergrößern und ihre Kompetenzen auszubauen. Seine Gegner hielten ihm vor, dies sei aufgrund der geringen Zahl an Klon-Fällen absurd. Doch Marc wusste besser als die meisten, dass die Dunkelzahl an illegalen Klon-Produktionen dramatisch hoch war. Reiche und berühmte Menschen, die viel in der Öffentlichkeit unterwegs waren, machten von der Möglichkeit, ein Duplikat von sich selbst zu erschaffen, häufig Gebrauch. Und aufgrund ihres Einflusses und ihrer Kontakte zu Politik und Behörden kamen sie damit fast immer straffrei davon. Diese Menschen und ihre Klone bloßzustellen, war Marcs Ansinnen. Er hasste deren öffentlich zur Schau gestellte Ignoranz gegenüber Gesetzen. Nur wenn Marc einen neuen Klon-Fall medienwirksam aufklären und den Täter dingfest machen würde, hätte er eine reelle Chance, zum Abteilungsleiter aufzusteigen und dann seine Arbeit mit Unterstützern aus dem Umfeld der Sprung-Evolutionären auf die Reichen und Schönen dieser Welt auszuweiten. Er könnte zum Star-Klonjäger werden, so jedenfalls erträumte er es sich.