- -
- 100%
- +
Marc war Mitglied der Sprung-Evolutionären. Denn wie alle deren Mitglieder war er selbst vom Scheitel bis zur Sohle genetisch optimiert worden: Er war schlank, gut aussehend, athletisch, verfügte über eine überdurchschnittliche Intelligenz und eine schnelle Auffassungsgabe.
Marc saß in seinem Büro und verfolgte am Holo-Projektor eine Live-Übertragung aus dem Parlament, als zwei Kollegen mit einem Tablet hereinkamen.
»Marc! Wir haben hier etwas. Das dürfte dich interessieren«, rief einer von ihnen aufgeregt.
»Was denn? Wieder irgendein illegal geklontes Wauwauchen?« Tier-Klone waren leider ebenfalls Bestandteil von Marcs Arbeit. Diese waren zwar nicht grundsätzlich verboten, aber es gab immer mehr künstlich designte Tierarten, deren Überlebensfähigkeit oft stark begrenzt war.
»Nein. Ein Mensch. Wir haben eine ziemlich gut begründete Meldung bekommen.«
»Name?« Marc sah weiter zum Holo-Projektor. Ein echter Klon-Fall - daran glaubte er nicht. Das wäre zu schön.
»Robert Mester. Er arbeitet in einem Server-Verteilerknoten in der Innenstadt. Er lebt alleine und hat keine Verwandten mehr.«
»Und?«
»Unser Tippgeber hat Mesters jüngstes Verhalten als atypisch beschrieben. Unkonzentriertheit, leichte Erregbarkeit, spontane Phasen von Hyperaktivität, Stimmungsschwankungen und noch einiges mehr. Alles typische Auffälligkeiten von der letzten Generation von Klonen, die heute zum Spottpreis vor allem im asiatischen Raum angeboten werden.«
»Hm. Hat die Polizei schon bei ihm geklingelt?«
»Nein. Ich habe gerade mit denen telefoniert. Die glauben nicht, dass dies ein echter Fall sein könnte. Wie sollte sich jemand wie Mester einen Klon leisten können? Sie wollen der Sache nicht nachgehen.«
Marc überflog die wichtigsten Daten über Robert Mester. »Da haben die wohl Recht. Der Typ ist doch der geborene Loser. Der hätte nicht mal genug Geld, um seinen Wellensittich zu klonen. Wenn die Polizei sich damit nicht beschäftigen will, dann...« Marc fiel etwas auf. »Hier ist ein Vermerk, dass seine Tante vor Kurzem verstorben ist.«
»Ja, das stimmt.«
»Was ist mit ihrem Erbe geschehen?«
»Ging vermutlich an ihre Verwandten. Sie lebte in Wladiwostok. Da bekommen wir seit der diplomatischen Eiszeit nur schwer Informationen her.«
»Wenn sie Nachkommen hätte, stünden die auch in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Mester. In seiner Datei steht aber, er habe definitiv keine Verwandten mehr. Er wurde kurz nach seiner Geburt anonym in einer Babyklappe abgegeben. Die Genanalyse hat nur seine Tante als Verwandte identifizieren können.«
»Möglich, dass es keine Verwandten gibt. Die Datei kann aber auch unvollständig sein.«
Marc drehte sich auf seinem Bürostuhl einmal um sich selbst. Dann las er noch einmal die ganze Anzeige durch, die Mesters angeblich anormales Verhalten beschrieb.
»Vielleicht sollten wir ihm doch mal einen Besuch abstatten.«
»Na endlich! Ich wusste es! Wenn Marc Retortenfleisch wittert, ist er nicht mehr zu halten«, freute sich der andere Kollege. Sein Name war Thomas Stobeck. Er arbeitete meist mit Marc eng zusammen. Stobeck war ebenfalls genetisch optimiert worden, doch bei ihm hatte es Komplikationen gegeben. Er erblindete infolge mangelhaft durchgeführter Genmanipulation in jungen Jahren vollständig und besaß nun zwei Augenprothesen, die von echten Augen nur dadurch zu unterscheiden waren, dass sie je eine metallisch glänzende Iris besaßen – Discountmodelle. Für mehr hatten seine Eltern damals kein Geld. Dafür konnte Stobeck jetzt bis zu zweimal besser sehen als ein genetisch nicht optimierter Mensch.
»Freu dich noch nicht zu früh. Ist nur so ein Gefühl, aber an dem Fall könnte was dran sein. Mehr als eine Befragung dürfen wir ohnehin nicht machen.«
»Außerdem müssen wir der zuständigen Dienststelle der Polizei Bescheid geben, dass wir ihn aufsuchen, sonst machen sich die Datenschützer gleich wieder in die Hose. Den Fall habe ich nämlich durch meine Kontakte aufgegriffen. Von sich aus hätte die Polizei uns nichts mitgeteilt«, sagte der erste Kollege.
»Mach das. Thomas und ich gehen diesen Mester morgen besuchen.«
»Gut. Wir gehen jetzt in der Kantine essen. Kommst du mit? Oder sollen wir dir etwas mitbringen?«
»Mir ist jetzt nicht nach Essen zumute. Was ich brauche, ist eine schöne Portion frisches Retortenfleisch auf einem Silbertablett, das ich diesen unverbesserlichen Gutmenschen im Parlament, die unsere Abteilung schließen wollen, vor die Füße werfen kann.«
Stobeck grinste. »Na dann, Marc. Gute Jagd.«
Kapitel 11: Die Beute
Robert hatte mit Hendrik die halbe Nacht lang diskutiert. Seine größte Sorge war sein Klon. Robert2 hatte ihn umbringen wollen - daran bestand für Robert kein Zweifel.
»Er ist völlig ausgeflippt. Sie hätten seine Augen sehen sollen. Wie die eines Verrückten.«
»Noch einmal: Er wusste wahrscheinlich gar nicht, was er tat. Seine Biochemie hat ihn dazu getrieben. Das ist eine seltene Fehlfunktion, die bei unseren Klonen vorkommen kann.«
»Davon haben Sie mir aber in unserem Verkaufsgespräch nichts gesagt. Sie haben mich betrogen!«
»Nein! Das habe ich nicht. Wie gesagt. Es kommt äußerst selten vor. Aber es kommt eben vor. Bedauerlicherweise war es in Ihrem Fall so gravierend, dass jemand Sie angezeigt hat.«
»Sie meinen den Klon.« Robert vergrub das Gesicht in seinen Händen. »Ich möchte gar nicht daran denken, was er auf der Arbeit gemacht hat. Wenn er da so eine Nummer abgezogen hat wie hier, bin ich geliefert.«
»Wir haben nichts über arbeitsrechtliche Konsequenzen gehört. Was immer er getan hat, es kann gar nicht so schlimm gewesen sein.«
»Und jetzt benimmt er sich wieder normal?«
»Ja. Wir werden an seinem Steuerungsimplantat noch einige Justierungen vornehmen, das ist nicht aufwendig. Und mehr wird auch nicht nötig sein.«
»Und wann soll das geschehen?«
»Gleich morgen. Vielleicht sogar noch heute Nacht. Meine Leute arbeiten bereits an der Programmierung.«
»Also nichts anderes als eine Art Patch? Ein Software-Update? Und das soll ich glauben?«
»Ja, das müssen Sie mir glauben.«
Robert pfiff verächtlich. »Ich bin so ein Idiot! Ich habe einen schweren Fehler gemacht. Ich hätte das Geld meiner Tante nehmen sollen und alles auf den Kopf hauen, statt mich auf diesen Wahnsinn einzulassen.«
»Wir stehen das gemeinsam durch. Geben Sie jetzt nicht auf. Sie wussten, dass es Probleme geben könnte. Verlieren Sie sich jetzt nicht in Ihrem Selbstmitleid.«
»Pah! Sie haben gut reden! Was mache ich denn, wenn diese Typen von der AKE hier aufkreuzen? Sagen Sie schon! Was?«
»Das wird ganz bestimmt nicht passieren. Und wenn doch...« Hendrik holte ein winziges Kügelchen aus einem kleinen Kästchen.
»Was ist das? Noch eines Ihrer lustigen Gadgets?«
»Könnte man so sagen. Das stecken Sie sich bitte ins Ohr. So kann ich oder einer meiner Kollegen auf einer geheimen und verschlüsselten Frequenz mit Ihnen Kontakt aufnehmen und Sie im Fall der Fälle warnen, falls Sie ungebetenen Besuch bekommen. Und natürlich werden wir Ihnen auch sagen, was Sie tun sollen.«
Robert drehte das winzige Gerät zwischen Zeigefinger und Daumen. Er schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Ich gehe jetzt. Ich muss meinen Leuten helfen, da wir jetzt alles viel schneller vorbereiten müssen.«
»Sie lassen mich mit diesem... diesem Freak alleine? Was ist, wenn er wieder auf mich losgeht?«
»Er wird sich dank der Spritze normal benehmen. Die wirkt mindestens 24 Stunden. Vielleicht komme ich noch heute Nacht mit der neuen Software. Haben Sie keine Angst. Wir kümmern uns um alles. Schon vergessen? Bisher haben wir jeden Auftrag erfolgreich beendet.«
Robert verzog abfällig das Gesicht und sagte nichts.
»Und stecken Sie sich den Sender ins Ohr, damit ich Sie jederzeit kontaktieren kann. Verstanden?«
»Ich weiß schon, was ich zu tun habe. Gehen Sie und machen Sie Ihren Job.«
Hendrik war sichtlich verlegen. Es schien ihm wirklich leidzutun, dass der Klon ungebetene Aufmerksamkeit erregt hatte. »Ich komme so schnell wieder, wie ich kann.«
Robert würdigte ihn keines Blickes mehr und ging in sein Schlafzimmer. Die Tür verriegelte er, falls der verrückte Klon reinkommen wollte. Schlaf würde er in dieser Nacht nicht mehr finden.
In derselben Nacht gegen zwei Uhr morgens meldete sich Hendrik über den Empfänger in Roberts Ohr, dass innerhalb von zehn Minuten jemand von seinen Leuten mit der neuen Software vor seiner Tür stehen würde. Es war eine Frau, die kein Interesse daran hatte, mit Robert zu reden, sondern sofort mit dem Überspielen der neuen Software beginnen wollte. Robert verstand nicht ganz, wie sie das anstellen wollte. Anscheinend baute sie eine Art Funkverbindung zum Computerchip im Gehirn des Klons auf und spielte das Software-Update auf.
»Und das war es jetzt?«
»Ja, alles wieder normal. Er wird Sie nicht mehr körperlich angehen oder sich auffällig verhalten. Wenn doch etwas ist, sagen Sie uns sofort Bescheid. Ich gebe Ihnen eine neue Telefonnummer.«
»Ich bin begeistert«, maulte Robert.
Der Klon sagte nichts.
»Legen Sie sich schlafen«, riet ihm die Frau und verschwand auch schon wieder. Robert2 legte sich auf die Couch. Er atmete ruhig, als wäre nichts gewesen.
Wer ein reines Gewissen hat, kann auch gut schlafen, dachte Robert verärgert. Er ging in sein Schlafzimmer und legte sich auch aufs Ohr. Überraschend fand er doch ein wenig Schlaf. Der nächste Tag würde ihm mehr abverlangen, als er ahnte.
Kapitel 12: Ungebetener Besuch
Das erste Klingeln hatte Robert nur im Halbschlaf wahrgenommen. Das zweite dann ganz bewusst. Er öffnete die Augen. Und als eine innere Stimme ihn daran erinnerte, dass es die Polizei sein könnte, schoss ihm das Adrenalin durch den Körper. Er sprang aus seinem Bett und schloss die Schlafzimmertür auf. Draußen im Flur stand schon Robert2 und sah auf dem elektronischen Spion, dass vor der Tür niemand stand, den er oder sein Original kannten. Er legte seinen Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete Robert, kein Geräusch zu machen.
Es klingelte ein drittes Mal. Sollte Robert einfach so tun, als wäre er nicht zuhause? Das wäre sinnlos, denn der Ortungschip, den die Beamten mit Sicherheit anpeilen konnten, befand sich ja in der Wohnung.
Robert2 eilte lautlos zu Robert. »Was machen wir jetzt?«
Robert musste handeln. Jetzt! »Du gehst ins Bad und versteckst dich in der Nische hinter dem Trockner und der Waschmaschine. Ich versuche, sie abzuwimmeln«, flüsterte er.
»Nein. Ich habe deinen Ortungschip. Wenn sie einen Scan bei mir machen wollen, kann nur ich bestätigen, dass ich du bin. Hoffen wir nur, dass sie nicht deinen Chip registrieren. Ich mach das schon, keine Sorge.«
Robert wollte widersprechen.
»Keine Zeit für Diskussionen. Geh schon!«
Robert ging ins Bad und schloss die Tür, ohne sie zu verriegeln, denn das hätte mit Sicherheit für Fragen gesorgt. Er lauschte an der Tür.
Robert2 zog sich die Hose aus und warf sie auf einen Stuhl im Wohnzimmer. Die Schlafzimmertür schloss er. Er verwuschelte sich die Haare und ging zur Tür. Nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet, öffnete er sie.
»Ja?«
»Guten Morgen. Mein Name ist Marc Gardé. Das hier neben mir ist mein Kollege Thomas Stobeck. Wir sind von der Behörde für illegale Human-Reproduktion und hätten ein paar Fragen an Sie. Sie sind Robert Mester?«
»Ja«, sagte Robert2 und spielte den verdutzen Bürger, der nichts zu verbergen hat, mit Bravour.
»Dürfen wir hereinkommen?«
»Sicher. Ich habe noch geschlafen und noch nicht aufgeräumt.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Es dauert nicht lange. «
Mit Entsetzen hörte Robert hinter der Badezimmertür, wie die Beamten des AKE in seine Wohnung eintraten. Er versteckte sich in einer Nische, wissend, dass dies ziemlich sinnlos war, wenn die Männer seine Wohnung durchsuchen wollten.
»Ich äh, ich bin gerade aufgestanden. Bin gestern Nacht auf der Couch eingeschlafen«, sprach Robert2 verlegen. »Entschuldigen Sie die Unordnung.«
Marc winkte ab. »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Wir sind es doch, die unangemeldet reingeplatzt sind.« Er sah sich im Wohnzimmer um. Lange Zeit verharrte sein Blick auf der Couch, auf der eine Decke zerwühlt lag. »Sie leben allein?«
»Ja.«
»Schon immer?«
»Zumindest seit ich diese Wohnung gemietet habe. Ganz selten habe ich mal Besuch, der bei mir übernachtet.«
Marc nickte. Er achtete darauf, einen freundlichen Gesichtsausdruck zu wahren. Mester sollte in Sicherheit gewiegt werden. »Sie stehen auch in keiner festen Beziehung?«
»Nein, zurzeit nicht. Darf ich jetzt erfahren, was Sie von mir wollen? Illegale Human-Reproduktion? Was habe ich damit zu tun?«
»Nur die Ruhe, Herr Mester. Wir müssen Ihnen nur ein paar Fragen stellen, da wir einen Hinweis bekommen haben. Dem sind wir verpflichtet nachzugehen. Fürs Protokoll.«
»Wer hat Ihnen einen Hinweis gegeben?«
»Das können wir Ihnen natürlich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht sagen.« Die Wahrheit war, dass der Hinweis auf Robert (eigentlich Robert2) anonym eingegangen war. Anonyme Hinweise waren nicht gerne gesehen - einer der Gründe, warum die Polizei dem nicht weiter nachgegangen ist. Aber sie waren dennoch selbst in dieser hochtechnisierten und von Überwachung und Kontrolle geprägten Zeit möglich. Aber Marc wäre nicht Marc, wenn er nicht herausgefunden hätte, wer die Meldung gemacht hatte.
»Einer meiner Kollegen hat was gemeldet, ist es nicht so?« Robert2 merkte, dass sein Nervenkostüm litt, je länger die Männer in seiner Wohnung waren. Er durfte sich nichts anmerken lassen.
»Gäbe es denn dafür einen Grund? Haben Sie Probleme mit Ihren Kollegen?«
»Nein, absolut nicht.«
»Dann vielleicht Probleme mit Ihrer Freundin? Wie war noch ihr Name?« Marc sah auf seinem Tablet nach. »Nicole Terens.«
»Wir sind nur platonisch befreundet. Wir unternehmen ab und an etwas zusammen, das ist alles. Woher wissen Sie von ihr?«
»Wir haben da unsere Quellen.«
»Und was ist mit Ihrer Arbeit? Alles in Ordnung?«
»Alles wie immer.«
»So? Ich habe hier einen Bericht von Ihrem Betriebspsychologen. Sie waren vor einiger Zeit zu ihm oder ihr einbestellt worden und hatten ein langes Gespräch. Stimmt das?«
»Ich hatte ein Gespräch mit einem Roboter.«
Marc lächelte. »Ja, ich weiß. Es gibt praktisch keine Psychologen und Ärzte mehr, die aus Fleisch und Blut sind. Diese KI-gesteuerten Dinger können einem manchmal den letzten Nerv rauben, nicht wahr?«
»Sie haben ja keine Ahnung«, sagte Robert2. »Ich hatte einen kleinen Schwächeanfall, da ich an jenem Tag besonders starken Temperaturschwankungen ausgesetzt war. Mein Vorschlag über zu optimierende Pausen zwecks Akklimatisierung wurde abgetan, mit dem Versuch, meine Arbeitseinstellung zu diskreditieren. Darüber war ich ein wenig verärgert. Vielleicht können Sie das verstehen.«
»Aber sicher doch. Das erklärt Vieles. Ich werde das in meinen Bericht schreiben.« Marc machte sich eine Notiz auf seinem Tablet.
»Der Psychologen-Roboter hat eine Meldung an Sie geschickt, oder? Das muss es sein!«
Marc sah lächelnd von seinem Tablet auf. Es sollte soviel sage wie: Darüber kann ich nicht reden, Sie wissen das.
»Dürfen wir uns nochmal kurz umsehen? Dann sind wir auch schon wieder weg.«
Robert2 erschrak innerlich. Er hoffte, dass er keine Zuckung gemacht hatte. »Wenn es denn sein muss«, sprach er mit gespielter Gereiztheit.
Wenn er ins Bad geht, ist es aus.
»Gut, dann...«
»Wir müssen noch den Scan vom Chip machen«, unterbrach Stobeck seinen Kollegen.
»Dann tu das. Wir wollen Herrn Mester nicht länger als nötig belästigen.«
Robert2 war sich in diesem Moment nicht über seine Rechte im Klaren. Durften die Typen das? Wenn er jetzt Theater machen würde, dann würden die Männer misstrauisch. Sein Chip sollte tadellos funktionieren. Oder nicht? Nach dem, was gestern geschehen war, als er durchgedreht war? Er hatte keine Wahl. Er musste es zulassen.
Stobeck hielt ein Gerät an seinen Nacken und machte einen langen Scan. Je länger es dauerte, desto unruhiger wurde Robert2. Mit Sorge sah er, wie dieser Gardé ins Schlafzimmer ging und hinter der nur halb geöffneten Tür verschwand.
Das Bett! Robert2 erschrak. Robert hatte darin geschlafen. Und er selbst auf der Couch. »Das Bett habe ich gestern nicht gemacht. Ich war gestern Abend zu müde«, rief er in seiner Not zu Gardé.
»Ja, ja. Das habe ich mir schon gedacht«, rief es aus dem Schlafzimmer.
»Alles in Ordnung soweit«, sagte Stobeck und schaltete sein Gerät wieder aus. »Der Scan zeigt keine Auffälligkeiten.«
Robert2 fiel ein Stein vom Herzen. »Was anderes hätte mich auch überrascht.«
Stobeck machte sich auf seinem Tablet ein paar Notizen und kreuzte irgendwelche vorgegebenen Zeilen an, die Robert2 von der Seite nicht lesen konnte.
»War es das jetzt?«
Marc kam zurück aus dem Schlafzimmer. »Ich denke, ich habe genug gesehen. War nur falscher Alarm.«
Gott sein Dank!, stießen Robert2 und Robert, der im Bad alles mitgehört hatte, zeitgleich in Gedanken aus.
Marc Gardé drehte sich zur Wohnungstür, ging zwei Schritte darauf zu, blieb stehen, hielt inne und wandte sich dann plötzlich wieder Robert2 zu. Er hatte aus seiner Hosentasche einen kleinen Becher hervorgezaubert und hielt ihn Robert2 entgegen. »Das hätte ich fast vergessen. Wir brauchen ja noch eine Urinprobe von Ihnen. Reine Routine, Sie verstehen?«
»Und die Blutprobe«, ergänzte Stobeck.
Robert2 sackte das Herz in die Hose. Urin und Blut? Beides könnte ihn enttarnen! Er hatte die Tabletten genommen und die Spritze bekommen. Reste der jeweiligen Wirkstoffe würde man mit Sicherheit in beiden Proben nachweisen können. Er musste das irgendwie verhindern. »Moment mal. Dürfen Sie das überhaupt?«
»Beide Proben sind selbstverständlich freiwillig, Herr Mester«, sagte Marc.
»Sie müssen nur hier unterschreiben, dass Sie sie freiwillig abgegeben haben«, ergänzte Stobeck und hielt ihm sein Tablet hin.
»Sie können sich auch weigern. Das ist Ihr gutes Recht. Aber dann müssten wir extra bei unserem Vorgesetzten einen Antrag stellen. Und dann müssten Sie während Ihrer Arbeitszeit zu uns kommen und die Proben abgeben. Die Mühe wollen wir Ihnen ersparen.
Sie haben doch nichts zu verbergen. Also unterschreiben Sie einfach, und die Sache ist im Nu erledigt.«
Im Kopf von Robert2 hämmerte es. Was sollte er jetzt machen? Eine riskante aber womöglich rettende Idee kam ihm. Er unterschrieb widerwillig. »Gut, geben Sie den Becher her. Soll ich direkt vor Ihnen da reinpinkeln?«
»Sie können ins Bad gehen. Seien Sie bitte nicht wütend. Wir machen nur unsere Arbeit. Mein Kollege bereitet derweil die Blutabnahme vor.«
Robert2 ging verärgert ins Bad und schloss die Tür.
»Bitte nicht abschließen. Aus Sicherheitsgründen, Sie verstehen?«, rief Marc ihm hinterher.
»Keine Sorge, ich werde nicht weglaufen!«, tönte Robert2 zurück.
Nachdem die Tür zu war, zerrte er, ohne einen Laut zu machen, Robert aus der Nische hervor. Sie konnten nicht riskieren zu reden, geschweige denn zu flüstern. Er drückte ihm den Becher in die Hand. Robert verstand. Er musste die Urinprobe abgeben. Dann würde es keine Probleme geben. Während er versuchte, unter dem psychischen Druck ein paar Tropfen aus sich herauszuquetschen, sah er, wie sich Robert2 komplett auszog. Er zeigte erst auf ihn und dann auf die Tür. Robert sollte sich seine Sachen anziehen, rausgehen und auch die Blutprobe abgeben. Erst schüttelte er verneinend den Kopf, aber Robert2 blieb unerbittlich und zeigte ihm die Stelle auf seinem Arm, an der er die Spritze von gestern Abend verabreicht bekommen hatte.
Robert nickte schließlich. Die Urinprobe war fertig. Er zog seine Sachen aus, streifte sich das Hemd seines Klons über und zog die Unterhose an. Dann betrachteten sich beide noch nebeneinander stehend im Spiegel. Robert2 verwuschelte seinem Erschaffer die Haare, so dass sie ähnlich aussahen wie bei ihm selbst. Der einzige Unterschied war, dass Roberts Bartwuchs einen Tick ausgeprägter war als bei ihm selbst. Beide hatten sich heute noch nicht rasiert und es gestern zu völlig verschiedenen Uhrzeiten getan. Es gab keine Zeit mehr, irgendetwas zu ändern. Robert musste jetzt aus dem Bad kommen und die Blutabnahme über sich ergehen lassen.
Er bedeutete Robert2, sich in der Nische zu verstecken. Der gehorchte sofort und verschwand.
»So, ich hoffe, das reicht«, sagte Robert, während er aus dem Bad kam. Die Tür schloss er, ohne allzu hektische Bewegungen zu machen. Zum Glück wollten sie seinen Puls nicht messen. Er hätte vor Angst ausflippen können, äußerlich jedoch schaffte er es, entspannt und konzentriert zu wirken. Aber wie lange würde er diese Fassade noch aufrechterhalten können?
Hoffentlich machen die nicht noch einen Scan von meinem neuen Ortungschip!
Marc sah ihm länger ins Gesicht, als Robert lieb war. Er fürchtete, dass der Agent einen Unterschied zu dem Robert, der ins Bad hineingegangen war, bemerkt hatte. Aber Marc sah sich lediglich in einer überlegenen Position. Es gefiel ihm, Robert Angst zu machen und sah gerne auf ihn herab. Das gehörte zu seinem Job.
Sein Kollege nahm ihm den Becher mit der Urinprobe ab und machte sich sogleich an die Blutabnahme. Als auch dies getan war, tröpfelte er ein paar Tropfen des Blutes in ein kleines Untersuchungsgerät, das wenige Sekunden später eine Reihe von Informationen an sein Tablet sendete. Stobeck studierte die Messergebnisse gewissenhaft. Marc sagte während der ganzen Zeit nichts, sondern stand einfach nur da und lächelte. Seine Augen lächelten aber nicht mit, sondern blieben starr auf Robert gerichtet.
»Alles in Ordnung«, erlöste Stobeck Robert. »Keine Auffälligkeiten, keine Anomalien. Sie sind ganz schön aufgeregt, Herr Mester, das ist alles, was ich Abweichendes feststellen kann.«
»Kann man mir das vorwerfen? Wie oft bekommt man denn Besuch von einer Regierungsbehörde, die einen aus heiterem Himmel beschuldigt, man habe ein Verbrechen begangen? Da würde doch wohl jedem das Herz bis zum Hals schlagen.«
»Niemand hat Sie wegen irgendetwas beschuldigt. Verzeihen Sie die Störung, wir werden den Fall schließen und widmen uns wieder den echten Verbrechern.«
»Na hoffentlich.«
»Pack alles wieder ein, Thomas. Wir gehen.« Die schönsten Worte, die Robert an diesem Tag gehört hatte.
Stobeck verließ die Wohnung und ging zurück zu ihrem Dienstwagen. Marc folgte ihm. Auf der Türschwelle hielt er abrupt an und fragte: »Ach, das fällt mir noch ein. Wir haben hier eine Information, dass Ihre Tante vor Kurzem gestorben ist. Ist das richtig?«
»Ja, das stimmt.«
»Und wie haben Sie davon erfahren?«
»Durch ihren Anwalt.«
»Hatte sie ein Testament bei diesem Anwalt hinterlegt?«
»Keine Ahnung. Möglich.«
»Nun, es hätte ja sein können, dass sie Ihnen etwas vermacht hat.«
»Das hat sie nicht, tut mir leid. Wollen Sie mir jetzt noch die Hinterziehung von Steuern vorwerfen?«
»Nein, aber ich muss ja den Bericht über Ihren Fall zu einem Ende bringen. Und da muss ich alle offenen Fragen klären, das ist alles. Mein Vorgesetzter ist da sehr penibel, wissen Sie?«
Halte mich nicht für einen Idioten. Ich weiß, was du denkst. Robert ahnte, dass dieser Gardé mitnichten den Fall zu den Akten legen würde.
»Ähm, haben Sie vielleicht eine Telefonnummer von diesem Anwalt? Wir könnten diese auch selbst herausfinden, aber das gestaltet sich ein wenig schwierig, seit der diplomatischen Krise.«
»Ja, habe ich. Ich schaue mal nach. Bin gleich zurück.« Robert ging ins Wohnzimmer und holte sein Tablet hervor, um die Telefonnummer zu suchen. Er machte sich nicht wirklich groß darüber Sorgen, dass die AKE mit dem Anwalt Kontakt aufnehmen würde. Schließlich war es eben jener Anwalt, der ihm überhaupt den Vorschlag gemacht hatte, das Erbe gar nicht erst an ihn auszuzahlen, sondern es für Roberts Traum zurückzuhalten. Er hatte zwar nicht lange mit ihm gesprochen, aber der Mann schien sein Handwerk zu verstehen und wusste, wie man nicht die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich lenkt. Er würde darauf vorbereitet sein, kein Zweifel.