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Heimat kann eine Landschaft sein, mit dem für sie typischen Licht, dem Sonnenuntergang, wie es ihn sonst nirgendwo gibt, der jeweiligen Pflanzen- und Tierwelt, den Speisen, die der Boden hervorbringt, dem speziellen Dialekt – also dem sprachlichen Klangbild, das nur in dieser Gegend so entsteht.
Heimat kann eine Stadt sein, mit der für sie einzigartigen Atmosphäre, den Begabungen und Tätigkeiten, die sie speziell fördert, mit der Alchemie verschiedenster Menschen.
Nicht zuletzt kann Heimat eine Gemeinschaft von Menschen sein, die nach demselben Kalender leben, die gleichen Bräuche pflegen und dadurch ein gemeinsames Weltbild teilen. Die meisten von uns folgen ganz selbstverständlich einem solchen Kalender, in dem Feste wie Weihnachten, Neujahr oder Ostern fixe Bestandteile sind.
Bewusst gefeierte Feste, bewusst begangene Bräuche im Jahreslauf bieten eine Möglichkeit, sich wieder den Rhythmen der Natur anzunähern und mehr Ruhe zu finden in einer Welt, deren überschnelle Abläufe nicht mehr lebensfreundlich sind. Vielleicht überprüft man dadurch einmal die eigenen Ansprüche und entdeckt sogar eine entspannte neue Bescheidenheit, da man zum Wesentlichen zurückfindet, sich vom Haben löst und sich leichter an das Sein erinnert. Auf diesem Weg könnten sich sogar Antworten auf einige Fragen finden, die sich bei der Bewältigung des Alltags immer wieder stellen.
Der Kalender
Das Wort Kalender leitet sich vom lateinischen calendarium ab und bedeutet so viel wie „Zeitweiser durch das Jahr“.
Die Einflüsse unterschiedlichster Völker und Kulturen bilden sich bis heute im Brauchtum und dem damit zusammenhängenden Kalender ab. Die Wurzeln einiger Bräuche sind manchmal in einer bestimmten Epoche erkennbar, aber häufig kann die Urheberschaft nicht punktgenau zugeordnet werden. Viele mythische Figuren (zum Beispiel Gottheiten, die später zu Heiligengestalten wurden) lassen sich weit zurückverfolgen und haben durch die Jahrtausende hindurch einen Grundcharakter bewahrt, der durch die jeweilige kulturelle, politische oder religiöse Entwicklung eingefärbt oder überlagert wurde. Der Kalender, auf den ich mich in diesem Buch beziehe, ist den meisten durch christliche Feste vertraut, geht aber in seiner Grundstruktur in vielen Bereichen auf vorchristliche, oft keltische oder kelto-germanische Überlieferungen zurück. Zahlreiche Bräuche lassen sich erst vor diesem Hintergrund deuten. Im Lauf der Zeit sind immer wieder neue Elemente hinzugefügt worden, etwa durch römischen Einfluss, am bedeutendsten war zuletzt die Christianisierung. Der Einfachheit halber wird für die vorchristlichen Elemente im folgenden Text die umfassende Bezeichnung alteuropäische Überlieferung verwendet.
In diesem Zusammenhang eine kurze Erläuterung zu Kelten und Germanen: Sowohl der Begriff Kelten als auch Germanen wird heute manchmal noch fälschlicherweise als Bezeichnung für jeweils „ein“ Volk verwendet, das es aber als einheitliches Volk so nie gegeben hat. In beiden Fällen handelte es sich um ein buntes Gemisch verschiedenster Stämme, deren Herkunft in einem bestimmten geografischen Raum lag, die sprachliche Gemeinsamkeiten aufwiesen sowie Gemeinsamkeiten in handwerklichen Techniken und in ihrer Siedlungs- und Bestattungsart und nicht zuletzt Gemeinsamkeiten in ihren Weltvorstellungen und religiösen Ideen hatten.
Weite Teile des Alpenraums bildeten über lange Zeit das Siedlungsgebiet keltischer Stämme. So gehörte ein Teil des südlichen Österreichs dem keltischen Königreich Noricum an. Neueste Theorien besagen, dass eines der Ursprungsgebiete der Kelten in einer Region nördlich von Etrurien in Oberitalien liegt. Von dort erfolgte die Ausbreitung über den Alpenraum bis nach Irland und Großbritannien, wo die indigene Bevölkerung die Kultur der Kelten übernahm. Die Christianisierung Europas erfolgte später zu einem Gutteil von Norden her durch Wandermönche der iro-schottischen Kirche, die auch als keltische Kirche bezeichnet wurde und viele Elemente der alten Kultur in sich trug. Im Jahr 664 fand in Whitby (im Nordosten Englands) eine Synode statt, auf der die römische Kirche ihre Dominanz bezüglich Inhalten und Riten durchsetzte.

Aus den genannten Gründen findet man über viele Regionen Europas verstreut Bräuche und Brauchtumsgestalten, die sich in vielem erstaunlich ähneln.
Brauchtum hängt naturgemäß auch immer mit dem Weltbild der jeweiligen Kultur zusammen, den Jenseitsvorstellungen und religiösen Ideen. Das religiöse Bestreben des Menschen ist wohl älter als jede uns derzeit bekannte Religion. Bei den folgenden Betrachtungen geht es nicht um eine Wertung der jeweiligen Ideen, sondern um ein Aufspüren der zugrunde liegenden Kräfte, die sich bis heute auf vielfältige Weise mitteilen können. Es scheint, dass Brauchtum quer durch die Jahrtausende im bildhaft-mythologischen Bewusstsein ein Wissen bewahrt hat: in Form von bunten, lebendigen Gestalten und den damit verbundenen rituellen Handlungen, die letztlich überdauert haben. Dies könnte bedeuten, dass wir tief in uns diese Kräfte immer noch erkennen und uns ihnen verbunden fühlen.
Brauchtum und Landschaft
Warum entsteht in einer Gegend ein bestimmter Dialekt, warum spezielle Trachten, warum spielt ein Brauch in einer Region eine bedeutende Rolle, während oft schon im nächsten Tal ein anderer wichtiger scheint? In Sprache, Tracht und Brauch bilden sich unterschiedliche Faktoren ab. Unter anderem das, was in der alteuropäischen Überlieferung als natürliches Ergebnis des „Bundes mit der Erde“ angesehen wurde: das Zusammenspiel von Boden, Mensch, Tier und Pflanze, den Gewässern und dem sich darüber spannenden Himmel mit seinen Gestirnen.
Um dies verständlicher zu machen, möchte ich hier ein Beispiel geben: Das aufsteigende Licht einer Morgendämmerung wirkt deutlich anders als das Flirren der sommerlichen Mittagshitze oder die Sanftheit eines anbrechenden Abends. So weist auch jede Landschaft ein für sie spezifisches Licht auf, das von all den oben genannten Faktoren bestimmt wird. (Berühmte Maler verschiedenster Epochen haben das immer schon wahrgenommen.) Es lohnt sich, diesen Beobachtungen nachzugehen, da man sich damit die eigene Umgebung auf neue Weise erschließen kann.

Natürlich ist eine Landschaft als solche schon prägend: Weite Ebenen inspirieren den Menschen auf andere Weise als enge Gebirgsschluchten und hohe Berge, schon allein deshalb, weil die Anforderungen des Überlebens jeweils andere sind. Hinzu kommt das Klima, da sich im Brauchtum häufig die Betonung einer bestimmten Jahreszeit findet. So sind in den inneralpinen Regionen besonders viele Winterbräuche (zum Beispiel die Perchtenläufe) erhalten geblieben, weil der Winter in diesen Gebieten meist sehr lang und daher die dominante Phase für die Bewohner war. In nicht allzu großer Entfernung, weiter südlich, etwa in der Weststeiermark, die ein nahezu mediterranes Klima mit Weinanbau aufweist, sind die wichtigsten Bräuche mittlerweile um Ostern und Fronleichnam angesiedelt, da hier der Frühling als dominante Jahreszeit erlebt wird.
Im Brauchtum lässt sich meist auch ablesen, was die Lebensgrundlage für die Menschen einer Region darstellte. So finden wir in manchen Gegenden Bräuche, die sich vorrangig um Tiere (zum Beispiel Pferde und Rinder) ranken, in anderen dreht sich vieles um den Ackerbau, wieder anderswo erinnert einiges an den Bergbau (Barbarafeiern), und selbst bedeutende geschichtliche Ereignisse haben ins Brauchtum Eingang gefunden und werden nachgestellt. Die immer wieder wachgerufene Erinnerung an eine überstandene Gefahr wie eine gemeinsam geschlagene Schlacht oder das Überwinden einer Hungersnot, festigt den Zusammenhalt der Gemeinschaft.

Die Gliederung des Jahres
Eine der ältesten Gliederungen des Jahres, die sich in den darauf folgenden Epochen erhalten hat, geht in unseren Breiten auf das frühzeitliche Ackerbaujahr zurück. In manchen Gegenden kannte man Ende der 1970er Jahre im bäuerlichen Kalender immer noch die Begriffe „Einwärts“ und „Auswärts“ als Unterteilung für das Jahr in eine dunkle, kalte Hälfte der Ruhe und des Rückzugs sowie eine lichte, warme Hälfte von Aktivität, Wachstum und Ernte. Diese Teilung fußt auf ganz konkretem Geschehen in der Natur. Die Ruhephase dauerte von Anfang November bis Ende April. In der Zeit des Einwärts wurden die Tiere im Stall betreut, sämtliche Arbeiten im Haus erledigt, von kleinen Reparaturen bis hin zu verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten, also dem Herstellen von Werkzeugen, aber auch Schnitzen, Weben, Spinnen, Sticken etc. Und es war die Zeit des Erzählens, der Spiele und Lieder, der Gesänge und Überlieferungen bis hin zu Orakelbräuchen, mit denen man die Zukunft vorhersehen wollte.
Die aktive, lichte Phase begann im Mai und endete mit dem letzten Oktobertag. Das war die Zeit aller Arbeiten im Zusammenhang mit Ackerbau, Fischfang, Jagd und Viehzucht, und es war auch die Zeit, in der man bestimmte Plätze wie Heilquellen, heilige Berge und Kirchen aufsuchte, also die Phase der bis heute gepflegten Wallfahrten und Pilgerwanderungen.
Hinter diesen irdischen Gegebenheiten, einer Natur, in der andauernd ganz real geboren und gestorben wird, sah man jedoch noch einen geistig-mystischen Aspekt. Man glaubte, dass die Dunkelheit das Licht hervorbringe, dass aus dem (vorerst) Unsichtbaren das Sichtbare erwachse. Daher galt die Nacht als jener „Zeit-Raum“, aus dem alles hervorging. Ursprünglich zählte man früher in Nächten und nicht in Tagen (was im Zusammenhang mit der Beobachtung des Mondes stand, da der Mondkalender der ältere Kalender war). Daher stammen auch Begriffe wie Walburgisnacht, Christnacht (oder Heiligabend) und Raunacht. Und bis heute fragen kleine Kinder: „Wie oft muss ich noch schlafen gehen?“, wenn sie einen Zeitraum, den sie noch nicht berechnen können, für sich erfassen möchten.
Erst zu Beginn des vierten Jahrhunderts nach Christus wurde das Sonnenjahr mit seinen vier Fixpunkten der Tag- und Nachtgleichen und der Sonnenwenden mit einem christlichen Festkalender kombiniert. Daraus ergab sich die heute gängige Unterteilung in vier Jahreszeiten.
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