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Dieser Ansatz unterscheidet sich erheblich von der traditionellen Bewertungseinheit der „Embryoqualität“ im IVF-Kontext, die auf der Wachstumsrate und dem Gesamterscheinungsbild des Embryos basiert. Ein langsam wachsender Embryo mit unregelmäßig aussehenden Zellen wird vermutlich seltener zu einer Schwangerschaft führen, aber es ist im Laufe der letzten Jahre deutlich geworden, dass die auf dem Erscheinungsbild oder der „Morphologie“ basierende Beurteilung der Embryoqualität keine Garantie ist. Viel wichtiger ist die Vorauswahl von Embryonen, die normale Chromosomen haben.
Als im Jahr 2010 in einer führenden IVF-Klinik ein umfassendes Chromosomen-Screening für Patientinnen mit schlechter Prognose eingeführt wurde, war der Unterschied nicht zu übersehen. Anstatt der üblichen 13 Prozent der übertragenen Embryonen, die sich bei Patientinnen im Alter von 41 bis 42 Jahren erfolgreich in der Gebärmutterschleimhaut einnisteten, ließ die Auswahl ausschließlich chromosomal normaler Embryonen die Einnistungsrate auf 38 Prozent hochschnellen. Die Folge war, dass sich der Anteil der Frauen in dieser Altersgruppe, die einen IVF-Zyklus beendet hatten und ein Baby mit nach Hause nahmen, verdoppelte.21
Der Wegbereiter der Technik des umfassenden Chromosomen-Screenings zur Bestimmung der besten Embryonen war Dr. William Schoolcraft am Colorado Center for Reproductive Medicine (CCRM), ein hoch angesehener Fertilitätsspezialist und Autor mehrerer Studien, die den Erfolg dieses Ansatzes belegen.
Dr. Schoolcrafts Studien enthalten viele Beispiele einzelner Patientinnen, die nur in der Lage waren zu empfangen, nachdem chromosomal normale Embryonen für die Übertragung ausgewählt worden waren.22 Eine Patientin, die in Dr. Schoolcrafts Studie aus dem Jahr 2009 erwähnt wird, war eine 37-jährige Frau, die zuvor sechs IVF-Zyklen durchlaufen hatte, in denen sich die übertragenen Embryonen nicht eingenistet hatten.
Sie begann dann mit einem weiteren IVF-Zyklus, nur dieses Mal wurde bei zehn ihrer Embryonen ein Chromosomen-Screening durchgeführt. Von diesen zehn Embryonen wiesen sieben chromosomale Anomalien auf. Hätte das Screening nicht stattgefunden und wären die Embryonen nur nach ihrem Erscheinungsbild für den Transfer ausgewählt worden, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass chromosomal anormale Embryonen übertragen worden wären, sehr hoch gewesen. Diese Embryonen hätten sich höchstwahrscheinlich nicht eingenistet oder zu einer Fehlgeburt geführt. Anstatt dieses Risiko einzugehen, übertrugen ihre Ärzte die drei Embryonen ohne Chromosomenanomalien und sie wurde mit Zwillingen schwanger.
Eine weitere Patientin in Dr. Schoolcrafts Studie war eine 33 Jahre alte Frau, die sechs Fehlgeburten erlitten hatte. Das Chromosomen-Screening in ihrem nächsten IVF-Zyklus brachte zutage, dass von elf Embryonen acht Chromosomenanomalien aufwiesen. Ohne Screening wäre wahrscheinlich einer dieser acht anormalen Embryonen übertragen worden und es wäre vermutlich zu keiner Schwangerschaft oder einer siebten Fehlgeburt gekommen. Stattdessen waren ihre Ärzte in der Lage, zwei chromosomal normale Embryonen auszuwählen, und sie brachte Zwillinge zur Welt.
Bisweilen zeigt ein Chromosomen-Screening, wie schlecht die Chancen für eine Schwangerschaft stehen können. Dies zeigt sich deutlich in Dr. Schoolcrafts Beispiel einer 41 Jahre alten Frau, die in der Lage war, schwanger zu werden, nachdem ein Chromosomen-Screening den einzigen Embryo ohne Chromosomenanomalie aus einer Gruppe von acht herausgefiltert hatte, der zu einer normalen, gesunden Schwangerschaft führen konnte.
Chromosomen-Screenings sind zwar ein bedeutender Fortschritt, bei Weitem aber kein Allheilmittel. Eines der Hauptprobleme liegt darin, dass das Screening zeigen kann, dass in einem IVF-Zyklus keiner der Embryonen chromosomal normal ist. Infolgedessen steht kein gesunder Embryo zur Übertragung zur Verfügung. Dies passierte in einer Studie etwa einem Drittel der Patientinnen23, was zeigt, dass die Eizellqualität selbst mit der Präimplantationsdiagnostik ein einschränkender Faktor in Bezug auf eine Schwangerschaft bleibt.
Trotzdem ist das Chromosomen-Screening eine vielversprechende Methode und zeigt die gravierenden Auswirkungen der Eizell- und Embryoqualität auf Schwangerschaftsraten, die interessanterweise nicht auf „Patientinnen mit schlechter Prognose“ beschränkt sind. In Japan wollte eine Gruppe von Forschern herausfinden, in welchem Maße sie die Schwangerschaftsraten in IVF-Zyklen verbessern konnten, wenn sie nur die chromosomal normalen Embryonen übertrugen, aber dieses Mal betraf es Frauen unter 35 mit einer guten Prognose und ohne vorherige Fehlgeburten.24 In der Kontrollgruppe, in der die Embryonen nur nach ihrem Erscheinungsbild ausgewählt worden waren, wurden 41 Prozent der Patientinnen pro IVF-Zyklus schwanger und behielten den Fötus bis mindestens zur zwanzigsten Woche. In der Gruppe, in der die Embryonen mittels Chromosomen-Screening ausgewählt wurden, stieg die Schwangerschaftsrate sprunghaft auf 69 Prozent. Auch die Fehlgeburtsraten wichen stark voneinander ab: 9 Prozent in der Kontrollgruppe und nur 2,6 Prozent in der gescreenten Gruppe.
Die Lehre, die wir aus den positiven Resultaten des Chromosomen-Screenings ziehen können, ist, dass das Vorhandensein eines chromosomal normalen Embryos außerordentlich großen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft hat, egal, auf welchem Wege man versucht, schwanger zu werden. Selbst wenn man versucht, auf natürliche Weise zu empfangen, wird die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden und das Kind bis zum Ende der Schwangerschaft auszutragen, in hohem Maße von Ihrer Eizellqualität bestimmt. Glücklicherweise wird die Eizellqualität nicht vollständig durch Ihr Alter vorgegeben oder ist auf einen bestimmten Zeitraum festgelegt. Sie kann sich verändern.
So gibt es in Bezug auf die Raten von Chromosomenanomalien enorm große Unterschiede zwischen unterschiedlichen Frauen derselben Altersgruppe.25 Bei einer 35-jährigen Frau können über einen bestimmten Zeitraum nur sehr wenige chromosomal normale Eizellen heranreifen, während alle Eizellen einer anderen Frau im gleichen Alter normal sein können. Dies zeigte sich in einer Studie mit IVF-Patientinnen in Deutschland und Italien, bei denen der Prozentsatz chromosomal gesunder Eizellen bei verschiedenen Frauen gleichen Alters stark schwankte. Auch die Anzahl der gesunden Eizellen variierte bei jeder Frau über einen längeren Zeitraum, was als signifikanter Unterschied in der Proportion der gesunden Eizellen zwischen zwei aufeinanderfolgenden IVF-Zyklen gesehen wurde. Die Forscher beschrieben die Schwankungen über einen längeren Zeitraum und bei unterschiedlichen Frauen als zufällig und unvorhersehbar. Dazu kam es aber nur, weil sie ihre Forschung nicht in Verbindung mit den vielen anderen Studien sahen, in denen spezifische Einflüsse auf die Raten von Chromosomenanomalien aufgezeigt werden. Die faszinierende Forschungsarbeit, die im weiteren Verlauf dieses Buches erörtert wird, belegt, dass diese Schwankungen nicht rein zufällig auftreten, sondern dass im Gegenteil eine Vielzahl externer Faktoren die Eizellqualität beeinflusst.
Im Rahmen zahlloser klinischer Studien wurde festgestellt, dass die Vermeidung bestimmter Toxine und die Zuführung spezifischer Ergänzungsmittel den Prozentsatz der Eizellen erhöhen kann, die sich zu einem qualitativ hochwertigen Embryo entwickeln. Dies kann auch den Prozentsatz der Embryonen erhöhen, die sich in der Gebärmutter einnisten, und das Risiko früher Schwangerschaftsverluste reduzieren. Es gibt fundierte wissenschaftliche Belege dafür, dass einige dieser Verbesserungen auf eine Verringerung des Anteils der Eizellen mit Chromosomenanomalien zurückzuführen sind, was die Tatsache bestätigt, dass wir in der Lage sind, die Eizellqualität aus eigener Kraft zu verändern.
Wie entstehen Chromosomenanomalien in Eizellen?
Der Prozess der Eizellerzeugung ist sehr langwierig und fehleranfällig. Die Entwicklung jeder Eizelle beginnt bereits während des ersten Drittels der Schwangerschaft und vor der Geburt der Frau in den sich neu bildenden Eierstöcken. Ein Mädchen wird mit allen Eizellen geboren, die es je haben wird, und jede Eizelle befindet sich bis wenige Monate vor dem Eisprung in einer Art Ruhezustand.
Ungefähr vier Monate vor dem Eisprung beginnt ein kleiner Pool unreifer Eizellen zu wachsen, und während die meisten Eizellen auf natürliche Weise absterben, wird eine führende Eizelle aus dem Pool ausgewählt, um die Reifung zu vollenden.26 Die voll ausgereifte Eizelle wird dann aus ihrem Follikel ausgestoßen und wandert den Eileiter herunter, um befruchtet zu werden.
Im Laufe der Jahrzehnte, die zwischen der frühen Eizellentwicklung und dem Eisprung liegen, haben Eizellen zahlreiche Gelegenheiten, im Zuge der normalen Alterung Schäden anzusammeln. Bisher ging man davon aus, dass die Eizellen einer Frau, die das 40. Lebensjahr erreicht hat, bereits Chromosomenanomalien angesammelt haben, und nichts getan werden kann, um das zu ändern. Wissenschaftlich ist dies aber nicht korrekt, da die meisten Chromosomenfehler kurz vor dem Eisprung, im Spätstadium des „Meiose“ genannten Prozesses auftreten.
Eine Eizelle besitzt am Ende die falsche Anzahl von Chromosomen, wenn bei der Meiose etwas fehlschlägt. Bei der Meiose ordnen sich Chromosomenkopien entlang der zentralen Achse einer Eizelle an und werden dann mit einem Netzwerk mikroskopisch kleiner Spindelfasern an die Pole der Eizelle gezogen. Ein Chromosomensatz wird dann in einem sogenannten „Polkörper“ aus der Eizelle ausgestoßen. Eine sich entwickelnde Eizelle tut dies sogar zweimal — sie beginnt mit vier Kopien jedes Chromosoms und besitzt zum Schluss, wenn alles korrekt verläuft, nur eine Kopie von jedem Chromosom.
Schlägt in diesem Prozess an irgendeiner Stelle etwas fehl, ist das Endergebnis eine zusätzliche oder eine fehlende Kopie eines Chromosoms. Obwohl die erste Phase der Meiose vor der Geburt eines Mädchens beginnt, findet der Großteil der chromosomalen Umwandlungsaktivität in den Monaten direkt vor dem Eisprung statt.
Der entscheidende Punkt – und ein Punkt, über den sich viele Fruchtbarkeitsspezialisten nicht im Klaren sind – ist, dass sich die Mehrzahl der Chromosomenanomalien in Eizellen nicht allmählich über einen Zeitraum von 30 oder 40 Jahren mit der Alterung der Eizelle ansammeln, sondern stattdessen in den wenigen Monaten vor dem Eisprung stattfinden. Mit anderen Worten, der Alterungsprozess verursacht direkt keine Chromosomenanomalien, sondern schafft vielmehr Bedingungen, die Eizellen dafür anfällig machen, kurz vor dem Eisprung nicht richtig zu reifen.27
Das bedeutet, dass Sie durch die Veränderung dieser Bedingungen vor dem Eisprung die Wahrscheinlichkeit, dass eine Eizelle mit der korrekten Anzahl an Chromosomen heranreift, erhöhen können. Kurzum, Sie können die Qualität von Eizellen, deren Eisprung in wenigen Monaten stattfindet, beeinflussen, weil in diesen Eizellen vermutlich noch keine chromosomalen Fehler aufgetreten sind.
Das führt uns zu der grundlegenden Frage: Wie kann eine Eizelle besonders anfällig dafür werden, mit einer falschen Anzahl an Chromosomen zu reifen, und was kann man dagegen tun? In den einzelnen Kapiteln in diesem Buch werden unterschiedliche Aspekte dieser Frage behandelt, aber ein übergreifendes Thema ist die Energieversorgung der Eizelle.
Energieproduktion in der Eizelle
Die Eizelle benötigt eine enorme Menge an Energie, um die Chromosomen einwandfrei zu verarbeiten und all die anderen für eine korrekte Reifung erforderlichen Aufgaben zu erledigen. Es hat sich herausgestellt, dass sich die energieproduzierenden Strukturen im Inneren der Eizellen mit dem Alter und als Reaktion auf Nährstoffe und andere externe Faktoren erheblich verändern.28 Diese Strukturen, die „Mitochondrien“ genannt werden, finden sich in nahezu jeder Zelle in unserem Körper. Sie arbeiten wie Miniaturkraftwerke, um verschiedene Brennstoffquellen in Adenosintriphosphat (ATP) umzuwandeln, eine Form von Energie, die von den Zellen genutzt werden kann.
ATP ist buchstäblich die Energie des Lebens. Es bewegt Muskeln, lässt Enzyme arbeiten und treibt Nervenimpulse an. Nahezu jeder zweite biologische Prozess ist auf ATP angewiesen. Und es ist die primäre Energieform, die von Eizellen genutzt wird. Eine heranwachsende Eizelle benötigt eine große Menge an ATP und besitzt viele Mitochondrien. Genau genommen befinden sich in jeder Eizelle mehr als fünfzehntausend Mitochondrien – über zehnmal mehr als in jeder anderen Körperzelle.29 In den die Eizelle umgebenden Follikelzellen befinden sich ebenfalls zahlreiche Mitochondrien, die die Eizelle mit zusätzlichem ATP versorgen.30 Aber diese Mitochondrien müssen in einem guten Zustand sein, um genug Energie produzieren zu können.
Mit der Zeit und als Reaktion auf oxidativen Stress (erläutert in Kapitel 6) werden Mitochondrien geschädigt und sind weniger gut in der Lage, Energie zu produzieren.31 Ohne ausreichende Energie kann die Entwicklung von Eizelle und Embryo fehlschlagen oder völlig zum Stillstand kommen.32 Dr. Robert Casper, ein führender Fruchtbarkeitsspezialist in Kanada, hat es so erklärt: „Das alternde Fortpflanzungssystem einer Frau ist wie eine vergessene Taschenlampe ganz oben im Schrank. Wenn man einige Jahre später darüber stolpert und versucht, sie einzuschalten, wird sie nicht funktionieren. Das liegt nicht daran, dass irgendetwas mit der Taschenlampe nicht stimmt, sondern daran, dass die Batterien im Inneren leer sind.“33
Immer mehr Belege deuten darauf hin, dass die Fähigkeit einer Eizelle, bei Bedarf Energie zu produzieren, entscheidend ist, um mit der korrekten Anzahl von Chromosomen heranzureifen. Sie ist darüber hinaus unerlässlich für die Fähigkeit eines Embryos, die erste Woche zu überleben und sich erfolgreich einzunisten.
Unzureichend funktionierende Mitochondrien sind vermutlich eine der wichtigsten Ursachen, warum die Eizellen einiger Frauen eher für Chromosomenanomalien anfällig sind oder andernfalls nicht die Fähigkeit haben, sich zu einem lebensfähigen Embryo zu entwickeln. Was Sie tun können, um Ihre Mitochondrien „wieder aufzuladen“ und damit die Energieversorgung Ihrer Eizellen zu steigern, ist später in diesem Buch Gegenstand mehrerer Kapitel, aber zunächst wenden wir uns einem anderen Faktor zu, der an chromosomalen Fehlern in sich entwickelnden Eizellen beteiligt ist – dem Toxin BPA.
KAPITEL 2
Die Auswirkungen von BPA auf die Fruchtbarkeit
„Der aufregendste Ausspruch in der Wissenschaft, der neue Entdeckungen ankündigt, ist nicht ‚Eureka‘, sondern ‚Das ist aber komisch'."
— ISAAC ASIMOV
WENN SIE DIE besten Voraussetzungen schaffen möchten, um schwanger zu werden und ein gesundes Baby zu bekommen, sollte einer der ersten Schritte, die Sie unternehmen, darin bestehen, Ihre Belastung durch bestimmte Giftstoffe, die Ihrer Fruchtbarkeit schaden können, zu reduzieren. Mit diesem Thema, das in herkömmlichen Büchern zum Thema Fruchtbarkeit sowie in Arztpraxen lange Zeit vernachlässigt wurde, sollte man sich bei Kinderwunsch unbedingt eingehend beschäftigen.
Ein Toxin, das nachweislich die Eizellqualität und Fruchtbarkeit beeinträchtigt, ist Bisphenol A (BPA). Diese chemische Substanz wird auch heute noch in allen möglichen Produkten verwendet, von Kunststoffverpackungen für Nahrungsmittel bis hin zu Kassenzetteln, obwohl sie seit Jahren wegen ihrer möglichen Gefahren für die Gesundheit im Fokus des öffentlichen Interesses steht.
In diesem Kapitel erfahren Sie, wie Sie Ihre Belastung durch BPA so gering wie möglich halten können, und lernen, wie kleine, einfache Veränderungen starke positive Auswirkungen auf Ihre Gesundheit und Fruchtbarkeit haben können.
Wo wir stehen
Als die englische Originalausgabe von Am Anfang ist das Ei im Jahr 2014 erstmals veröffentlicht wurde, war das Konzept einer Minimierung der Belastung durch BPA zum Schutz der Eizellqualität noch relativ neu. Aus diesem Grund ging es in der ersten Ausgabe dieses Buches vorrangig darum, die Menschen von dieser radikal neuen Denkweise zu überzeugen, was unglücklicherweise dazu führte, dass es für viele Leser und Leserinnen extrem wichtig wurde, jede mögliche Quelle von BPA zu vermeiden.
Heute ist die Notwendigkeit der Reduzierung von BPA nicht mehr umstritten und die meisten Frauen, die sich auf eine IVA vorbereiten, akzeptieren im Allgemeinen, dass es am besten ist, ihre wiederverwendbaren Plastikwasserflaschen und Lebensmittelbehälter durch Glas oder Edelstahl zu ersetzen. Es ist jetzt an der Zeit, sich auf die wichtigste Botschaft zu konzentrieren: Unser Ziel ist es, unsere Belastung durch BPA zu reduzieren, nicht, es vollständig zu vermeiden. Wie in diesem Kapitel erklärt wird, weisen die jüngsten Studien darauf hin, dass BPA wirklich zu einem Problem wird, wenn Frauen überdurchschnittlich hohe Werte aufweisen. Aber die gute Botschaft ist, dass man seine Belastung leicht reduzieren kann, wenn man weiß, wie es funktioniert. Doch zunächst möchte ich einen kurzen Überblick darüber geben, wie wir hierhergekommen sind und wie der derzeitige Stand der Dinge ist.
Wie alles begann
Die Geschichte um BPA und Fruchtbarkeit begann mit einer zufälligen Entdeckung, die so unerwartet war, dass die Forscher Jahre damit verbrachten, ihre Ergebnisse wieder und wieder zu überprüfen, bevor sie an die Öffentlichkeit gegangen sind. Dr. Patricia Hunt und ihre Forschungsgruppe an der Case Western Reserve University untersuchten die Entwicklung von Eizellen an Labormäusen und beobachteten im August 1998 etwas sehr Ungewöhnliches: Die Anzahl der Eizellen mit Chromosomenanomalien war drastisch gestiegen. Bei Mäusen sind typischerweise nur 1 bis 2 Prozent der Eizellen davon betroffen, dass sich die Chromosomen nicht korrekt entlang einer zentralen Achse ausrichten. Dieses spezifische Problem trat jedoch plötzlich vermehrt in Dr. Hunts Labor auf und betraf etwa 40 Prozent der Eizellen in Verbindung mit anderen schweren chromosomalen Abweichungen. Bei ihrem Heranreifen würden diese Eizellen mit großer Wahrscheinlichkeit eine falsche Anzahl von Chromosomen in sich tragen. Dr. Hunt sagte dazu: „Ich war wirklich entsetzt, weil es ein Unterschied war wie Tag und Nacht.“34
Die Forscher begannen, alles gründlich zu untersuchen, und fanden schließlich den Schuldigen. BPA war aus den Kunststoffkäfigen und Wasserflaschen herausgesickert, nachdem diese mit einem Reinigungsmittel gesäubert worden waren. Nachdem all diese beschädigten Kunststoffkäfige und Flaschen ersetzt worden waren, begann sich die Rate der Eizellen mit Chromosomenanomalien wieder zu normalisieren. Dr. Hunts Forschungsgruppe verzichtete jedoch mehrere Jahre lang darauf, diese Ergebnisse zu veröffentlichen, weil die Folgen für die Fruchtbarkeit bei Menschen so besorgniserregend waren, dass die Forscher weitere Untersuchungen durchführen wollten, um sicherzugehen, dass sie sich nicht geirrt hatten.35 „Diese Chemikalie, der wir alle ausgesetzt sind, könnte zu einem Anstieg der Fehlgeburtsrate und der Geburtsfehler führen.“ Dr. Hunt erinnert sich daran, zutiefst besorgt gewesen zu sein.36
Um zu bestätigen, dass BPA die spezifische Ursache für die Anomalien in den Eizellen gewesen war, gaben sie den Mäusen kontrollierte Dosen von BPA – und das Gleiche passierte. Anhand einer Reihe von Untersuchungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren stellte die Gruppe fest, dass selbst eine geringe Dosis von BPA in den letzten Stadien der Eizellentwicklung ausreichte, um die Meiose zu stören und chromosomale Anomalien in den Eizellen zu verursachen. Die Forscher erklärten, ihre Ergebnisse seien aufgrund der außerordentlichen Ähnlichkeit in der Chromosomenverarbeitung bei Menschen und Mäusen offensichtlich auch für Chromosomenfehler in menschlichen Eizellen von Bedeutung.37
Nach Dr. Hunts Entdeckung untersuchten auch andere Wissenschaftler, wie BPA der Fruchtbarkeit schaden kann, und fanden bald darauf weitere Belege dafür, dass BPA nicht nur für die sich entwickelnden Eizellen toxisch ist, sondern auch die Hormone beeinträchtigt, die für die sorgfältige Koordination des Fortpflanzungssystems zuständig sind.
In den vergangenen 15 Jahren haben viele Studien gezeigt, dass die kleine Menge an BPA, der wir alle täglich ausgesetzt sind, ernsthafte gesundheitliche Folgen haben kann. Die mutmaßlichen toxischen Auswirkungen sind breit gefächert und umfassen Diabetes, Fettleibigkeit, Herzerkrankungen sowie Folgen für das Gehirn und das Fortpflanzungssystem von Ungeborenen, die während der Schwangerschaft BPA ausgesetzt sind.38 Dr. Hunt erklärte dazu, dass „all die Untersuchungen, die wir im Zusammenhang mit BPA durchgeführt haben, meine Besorgnis nur weiter vergrößert haben".
Im Jahr 2008 wurde eine der ersten breit angelegten Studien zu den Auswirkungen der BPA-Exposition auf die menschliche Gesundheit veröffentlicht. Dr. Iain Lang und seine Kollegen analysierten Daten, die die Centers for Disease Control (CDC) von mehr als eintausend Personen gesammelt hatten, und stellten fest, dass zwischen BPA-Exposition und Diabetes, Herzerkrankungen und Lebertoxizität ein Zusammenhang besteht.39
Diese Ergebnisse, die in der Folge durch andere breit angelegte Studien40 bestätigt wurden, gaben Anlass zur Sorge, da BPA so weit verbreitet ist.
BPA gelangt am häufigsten in den Körper, wenn Nahrungsmittel und Getränke konsumiert werden, die in einem Material verpackt oder gelagert wurden, das BPA abgibt, selbst kleine Mengen können durch den Kontakt mit Produkten, die mit BPA beschichtet sind, z. B. Kassenzettel, über die Haut aufgenommen werden. Auf beiden Wegen gelangt BPA in den Blutkreislauf und damit in das Körpergewebe. Die Folge ist, dass bei mehr als 95 Prozent der US-Amerikaner messbare Werte festgestellt werden können.41 In mehr als zwanzig von Fachkollegen überprüften Veröffentlichungen wurde ebenfalls berichtet, dass messbare Werte von BPA bei vielen Bevölkerungsgruppen weltweit im Blut gefunden wurden.42
Während BPA eine Vielzahl unterschiedlicher biologischer Folgen hat, sind die vielleicht besorgniserregendsten Auswirkungen die, die das Hormonsystem betreffen. Es wurde immer wieder festgestellt, dass BPA sich störend auf die Aktivität von Östrogen, Testosteron und Schilddrüsenhormonen auswirkt.43 Aufgrund dieser Störung des endokrinen Systems wird BPA auch als „endokriner Störfaktor“ bezeichnet.
Es überrascht kaum, dass BPA sich störend auf die Hormonsysteme auswirkt, da seit Langem bekannt ist, dass es Östrogen imitiert. Ursprünglich wurde es als synthetische Form von Östrogen im Jahr 1936 identifiziert, als Pharmakonzerne auf der Suche nach einem Medikament waren, das sie für eine Hormonbehandlung verwenden konnten. Aber schon kurze Zeit später wurden stärkere chemische Substanzen gefunden, sodass BPA für diese Zwecke schnell aus dem Blickfeld verschwand. BPA ist allerdings nicht so schwach, wie man zunächst annahm,
da es nicht nur die Aktivität des Östrogens, sondern auch die anderer Hormone beeinträchtigt.
Dürfen Firmen BPA wirklich noch verwenden?
Als Reaktion auf die große Anzahl von Forschungsarbeiten zu den Gefahren von BPA kam es zu starkem öffentlichem Druck auf die Regierungsbehörden, tätig zu werden und BPA zu verbieten. Aber in den meisten Ländern wurde nur wenig unternommen. Die Regierungen, die BPA verboten haben, beschränkten das Verbot in der Regel auf Artikel wie Babytrinkflaschen. Dies ist als erster Schritt zu begrüßen, weil Kleinkinder vermutlich besonders anfällig sind für BPA, aber er geht nicht weit genug.
Dr. Hunt sagte dazu aufgebracht: „Was zum Teufel hat dieses Zeug in Konsumgütern und vor allem in Behältern für Nahrungsmittel und Getränke zu suchen, wenn wir wissen, dass es sich um ein synthetisches Östrogen handelt. Das macht mich wirklich wütend.“
Im Jahr 2011 verbannte die US-Lebens- und Arzneimittelbehörde (FDA) BPA aus Fläschchen und Trinkbechern für Babys, aber dies war, um es mit den Worten der Environmental Working Group zu sagen, eine Maßnahme von „rein kosmetischer“ Natur.