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Kristin Fieseler
Ruf mich an
Frau G. wartet
Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis
Titel
Der Hausfrauen-Dispo
Hilfe, ich habe nicht aufgeräumt
Heute schon geduscht?
Die Tittenquetschmaschine
Die Haltestelle der Verdammten
Ein Lächeln auf Raten
Der Parcours zur Kur
Bücher, Bücher, nichts als Bücher
Oazapft is’
Wer ohne Macke ist, werfe den ersten Lego-Stein
Der Kindergartenblues
Muffins, von daher
Impressum neobooks
Vielleicht kennen Sie das auch? Der Dispo ist überzogen, eigentlich nur über die Schmerzgrenze des Bankberaters. Tja, da war ja diese unvermeidliche, lebensnotwendige Reise in die USA. Mit der Visa-Card. Natürlich, bis sie brummt. Und dann holt einen der Bankberater, in meinem Fall ein Herr Saft, auf den blauen Bankteppichboden der Realität zurück. Also, Herr Saft - rosa Hemd, blaue Krawatte, seine schwarzen Haare mit Gel aufstrebend nach oben toupiert, immer süffisantes Lächeln auf den Lippen - ruft morgens um 8 Uhr bei uns an. Und ich hoffte, dass es endlich ein Anruf von einem Verlag wäre. Zudem ist es ein freier Tag von meinem Mann. Die Welt ist bisher in Ordnung. Okay, da ist die Sache mit dem Dispo, aber so richtig juckte das mich bisher nicht. Wenn da nicht der übergenaue Aufpasser Herr Saft wäre. 8 Uhr morgens, mein Mann hatte bisher keinen Kaffee, kein Frühstück, keine Zigarette und keinen Sex. Augen gerade aufgeschlagen und er greift „nüchtern“ nach dem Telefonhörer, in der Erwartung, dass endlich ein Verlag anruft. Mist! Herr Saft kläfft meinen Mann an. Mein Mann verdreht die Augen und murmelt „Dispo“. Nun komme ich doch ins Schwitzen, massiere meinem Mann die Nackenpartie mit winzigen, abstehenden Haaren, bis diese sich wieder legen. Ich probiere es mit Wellness, Sie wissen schon. Aber mein Mann wird rot wie eine Tomate. Nun kläfft mein Mann. Scheiß-Wellness, hilft gar nix. Ich reiße ihm den Telefonhörer weg, weil es besser für ihn ist, nicht alles zu wissen. Schon gar nicht die Details über meine Visa-Card-Einkäufe, wie mein Einkauf bei „Victoria’s Secret“ in New York. Den Betrag braucht er nicht zu wissen, obwohl ihm das Mieder schon ein fröhliches Frohlocken entlockte. Also texte ich Herrn Saft zu. Ob er wohl von diesem Kauf weiß? Er liest doch die Umsätze meiner Visa-Card. Ach, Quatsch! Geistesgegenwärtig vertröste ich Herrn Saft mit dem Aktienverkauf von einer namhaften Softwarefirma, was er mit einem „Das geht schon mal in die richtige Richtung“ quittiert. In mir brodelt es. Ich könnte ihn, ach, lassen wir das. Ich versuche, ihn nicht zu hassen. Einatmen, ausatmen, entspannen. Und ich versuche zu lächeln, habe ich in einem Selbsthilfebuch gelesen. Das soll gut beim Zuhörer ankommen. Herr Saft ist routiniert, er lässt sich nicht erweichen. Ich soll antreten zu einem Gesprächstermin oder mein Mann soll antreten. Oh, nein, der ganze freie Tag von meinem Mann wäre gründlich versaut. Um meinen Mann milde zu stimmen, biete ich etwas unüberlegt an, die Kinder zum Termin mitzunehmen. Waren Sie schon Mal mit einem Sechsjährigen, einer Fünf- und einer Einjährigen bei einem Bankberatergespräch? Und haben Sie dann alles verstanden, was der Berater gesagt hatte? Sehen Sie, Konzentrationsprobleme! Vor allem Lücken. Was hatte er gesagt. Wieso musste gerade jetzt die Kleine wegen der neuen Zähne schreien? Ich habe auch nur zwei Ohren, mit einem Gehirn dazwischen, einem Hausfrauengehirn. Fragen Sie Herrn Saft! Er behauptet steif und fest, ich wäre Hausfrau. Er wollte bisher schon bei jedem Termin das Wort „Redakteurin“ gegen „Hausfrau“ austauschen. Jedes Mal, also vier Mal bisher. Andererseits, kein Wunder. Ich kreuze zum Beratertermin mit drei Kindern auf. Wirke ich dann nicht wie eine Hausfrau? Aber bin ich nicht die aufstrebende Mutter, die von zu Hause aus arbeitet? Habe ich nicht jahrelang für eine namhafte Softwarefirma geschuftet, während mein Mann damals auf zwei Kinder aufpasste? Jetzt ist Nummer drei da und wir haben die Rollen wieder getauscht. Aber Herr Saft meint, wer drei Kinder hat, ist Hausfrau und damit basta. Ich hasse dieses Wort: Hausfrau. Aber was kann das arme Wort dafür? Es ist so abgenutzt, abgeputzt, weggewischt, beschmutzt mit negativen Emotionen. Hausfrau. Das ist die, die weiß, wie der Paketbote aussieht, und der Vorwerk-Vertreter – der Typ mit dem verzweifelten Blick „Liebt mich denn keiner?“. Ja, die Hausfrau. Die weiß, wie man schnell wäscht und deren sehnlichster Wunsch ein Trockner ist, damit sie weniger bügeln darf. Bügeln, meditatives Bügeln beim Fernsehen. So romantisch, am besten im Kerzenlicht. Ich schnaufe kurz auf. Da sitze ich nun beim Beratergespräch in einem riesigen Büroraum mit einer Bronzeskulptur, die an Schweizer Käse erinnert. Ich versuche alle akustischen Signale des Herrn Saft zu interpretieren. Gut, dass ich Lippen lesen kann. Da, er hat es wieder gesagt. Jetzt reicht’s! „Nein, Herr Saft! NEIN! Und nochmals NEIN!“ schreie ich ihn an. „Ich bin nicht Hausfrau! Ändern Sie das in Ihrem System. Ich bin, ich bin....“ Ich ringe nach Worten. „Ich bin in Elternzeit.“ „Ich weiß“, piepst Herr Saft. „Und wagen Sie es ja nicht in Ihrem Scheißprogramm meinen Beruf zu ändern. Ich war schließlich bei dieser namhaften Softwarefirma.“ Ist es die Ehrfurcht, die Herrn Saft auf seinem Stuhl einsacken lässt? Oder denkt er, wann ist diese hysterische Hausfrau endlich weg? Ich spüre diese negativen Vibrationen seiner hässlichen Gedanken. Mit rotem Kopf druckt er das Formular für den Kleinkredit aus, legt es mir hin, zieht es wieder zurück. „Moment, das muss Ihr Mann auch unterschreiben.“ Sein Blick schweift zu den Kindern, die zu dritt die Besteigung der Bronzeskulptur versuchen: „Frau G. Haben Sie schon mal über eine Unfallversicherung nachgedacht?“ Ich pflücke die Kinder von der Skulptur und endlich weiß ich, warum ich persönlich antreten musste. Diese miese Type will mir Versicherungen verkaufen. Herrn Safts erklingt mit einem Echo im Bürozimmer: „Kostet nur 10,93 Euro pro Kind und Monat. Überlegen Sie sich’s.“ Die Kinder quengeln, zupfen an meinen Ärmeln, wollen endlich gehen. „Nein, ich will keine Versicherungen.“ Ich knalle die Bürotür zu. Stimmt, Herr Saft. Bei mir sollte man vorsichtig sein. Vielleicht will ich meinen Mann übers Ohr hauen und mit der Visa-Card durchbrennen. Der große Hausfrauentraum. Ich und die Visa-Card, ein unschlagbares Team. Durch die geschlossene Tür vernehme ich einen verzweifelten Schrei von Herrn Saft: „Ich schicke Ihnen den Antrag zu!“ Ich überlege laut:„Weshalb, in aller Welt bin ich hier gewesen, wenn es auch zugeschickt werden kann?“ Ich murmle es verbittert in mich hinein, in meinen verbitterten, nicht vorhandenen Hausfrauenbart. Wieso habe ich mir diesen Stress mit dem Transport von drei Kindern angetan? Zum großen Finale öffnet sich die Bürotür von Herrn Saft. Er lächelt und sagt: „Tschüs, Frau G. Bis bald.“ Junior flüstert mir ins Ohr: „Mama, ich glaube, der mag dich.“ Oh, Gott, so habe ich das noch gar nicht betrachtet. Ich glaube, mir wird schlecht. Vor allem dieses rosa Hemd. Was ist, wenn ich deswegen hier war? Mannomann und ich bin auch immer gleich aus dem Häuschen, wenn er irgendwas Schlechtes über mich denkt. „Kommt, Kinder. Wir müssen nach Hause. Papa wartet.“
Hilfe, ich habe nicht aufgeräumt
Kennen Sie Hempels Sofa? Oder Hempels Bananenkeller? Dann kennen Sie noch gar nichts. Wir leben in Hempels Schweinestall. Eigentlich sollen Schweine saubere Tiere sein, soweit landweit bekannt. Um es plastischer zu schildern: Der sechsjährige Junior, bei anderen Leuten ein Vorbild an Ordentlichkeit, hat die neue, grüne Kinderknete als Wurfgeschoss benutzt. Anschließend hat er sie auf dem Teppich massakriert. Mit einem Brotmesser in tausend klitzekleine, grüne Knetkügelchen zerlegt, nun festgetreten in den beigefarbenen Fasern des neu gekauften Teppichs. Und die fünfjährige Tochter des Hauses springt auf ihrem quietscheentchengelben Hüpfball zielsicher in diese Knetekrümel. Das hält bombenfest. Da sind wirklich Kenner am Werk. Am liebsten würde ich jetzt mit diesem Brotmesser in diesen Hüpfball... Da klingelt das Telefon. Freudestrahlend läuft die jüngste Tochter des Hauses, anderthalb Jahre alt, zum Ort des tollen Geräusches. Das „Halla“ klingelt. Ein Quieken, Gurgeln. Schnapp, es ist weg. Sie hat es vor mir. Mist! Hoffentlich nicht der langersehnte Anruf vom Verlag. Wie peinlich. Ich wäre sofort als unorganisierte Mutter und unprofessionelle Autorin entlarvt. Doch es dringen die Schallwellen meines Mutter Stimme bis zu meinem Ohr vor. Die Kleine juchzt „Halla, halla“ ins Fon. Am anderen Ende höre ich ein wiederholtes „Ist denn nicht Mama da?“ Ich schnappe mir das Fon, was prompt mit einem lauten Gekreische von Little Miss Knutschknödel belohnt wird. Was natürlich zur Folge hat, dass meine Mama mich auffordert, erst Mal die Kleine zu beruhigen. Haben Sie schon mal ein brüllendes Kind auf dem Arm gehabt und gleichzeitig telefoniert? Sie will das „Halla“ haben und nicht auf den Arm. Aber ich schweige, wegen des berühmten lieben Friedens. Mama flötet ins Fon. „Ich habe jetzt ein Handy.“ Meine Mama, ein Handy? „Mama, welchen Vertrag hast du?“ Die Zähne des Zweifels nagen an mir und hinterlassen bissige Spuren von Sorge. Sorge, dass meine Erbschaft verprasst wird, was sonst für Sorgen. „Mausezähnchen, wo denkst du hin? Nur weil ich etwas älter bin, bin ich nicht doof.“ Ich schäme mich spontan meiner Gedanken. Ja, sie hat Recht. „Aber stell dir vor, ich bin in der Gegend und wollte mal vorbeikommen.“ Mich trifft quasi der Schlag. Ich habe das Gefühl, unter der Glocke des Doms zu stehen, während ihre tiefen Töne meinen Körper vibrieren lassen. Leicht aufgeregt rufe ich „Jetzt?“ ins Fon. „Ja, es sollte eine Überraschung für die Kinder sein.“ „Das ist es, das ist es.“, stammel ich. „Bis gleich.“, flötet sie kaffeeschlürfend in meine Ohrmuschel. Mit Nordic-Walking-Schritten eile ich ins Arbeitszimmer meines Mannes, der noch verträumt die Zeichnungen des neuen Kinderbuchprojektes coloriert. Eine CD von Van Morrison läuft im Hintergrund. Er hat gute Laune. Ohje, und nun komme ich mit Omis Besuch an. Nackenmassage habe ich letztes Mal bei einer Krisensituation fruchtlos probiert. Das wäre auch verräterisch. Ich erzähle ihm von den Strapsen. Das hilft. Interessiert blickt er hoch. „Jetzt?“ Ich hasse das Wort jetzt. Denn das „Jetzt“ gehört Omi. Also antworte ich ihm „Heute abend....als Belohnung, wenn du mir....“ Seine Augenbrauen zucken nervös. „Deine Mutter kommt?“ Woher wusste er das? Naja, er kennt mich, nach acht Jahren Ehe. Er räuspert sich: „Also, was muss ich tun?“ Ich habe das Gefühl, ein Kloß runterzuschlucken. „Aufräumen. Wir haben etwa fünf Minuten Zeit.“ Er stellt die CD aus, fährt den Rechner runter. Sein Blick verfinstert sich. „Wenn’s sein muss...“ In Windeseile holen wir die Wäschekörbe aus dem Badezimmer. Ich halte die Körbe. Er schmeißt das ganze kreuz-und-querliegende Spielzeug rein. So, die Spielsachen sind schon mal aus dem Weg. Doch wohin mit den Körben? Wir klingeln beim Nachbarn Müller. Er erklärt sich gegen eine Flasche Rotwein bereit, die Körbe für ein paar Stunden bei sich zu lagern. Wir sind noch günstig weggekommen. Letztes Mal hat er uns schamlos ausgenutzt. Er wollte eine Woche lang bei uns mittags mitessen. Naja, ich habe etwas nachgeholfen und extra schlecht gekocht. Also, die Körbe wären erledigt. Oh, die Knetereste auf dem Teppich. Mein Mann holt sein Allzwecktaschenmeser raus. Auf seiner Stirn prangt eine Kopftaschenlampe, die alle Winkel der Schandtat ausleuchtet. Die Kinder sind beunruhigend still. Ob sie wohl was anstellen? Da klingelt schon die Haustürglocke. Omi-Alarm!
Die Kinder stürmen mit Erdbeermarmelade eingecremt an die Haustür. Daher die Stille. Ich wusste es. Mir entfleucht ein lautes „Halt!“ Doch zu spät, sie sind so verdammt schnell, die lieben Kleinen. Sie öffnen vor mir die Tür. Omi gibt noch einen Laut von sich, einen Laut, als hätte sie Monster gesehen, Erdbeermarmeladenmonster eben. Sie verliert das Bewusstsein. Ich schicke die Kinder nach drinnen. Sie holen Papa mit seiner Kopftaschenlampe. Er leuchtet Omi direkt in die Augen. Sie schlägt die Augen auf. „Der Tunnel, das Licht. Jetzt ist es wohl aus.“ Ich hole sie in die Wirklichkeit zurück, indem ich meinem Mann eine klare Anweisung gebe. „Schnuckelchen, mach bitte die Lampe aus.“ Da, sie erkennt ihren Schwiegersohn wieder. Ich stütze sie. Sie setzt sich stöhnend auf den klapprigen Küchenstuhl. „Übrigens, ich wollte euch Mal eine Freude machen. Ich habe eine Putzfrau bestellt.“ Es klingelt. Ein „Oh“ entfährt mir. Die Putzfrau legt sofort los. Ein Traum wird wahr. Und sie lobt unsere vorbildliche Sauberkeit. Sie hätte selbst drei Kinder und hätte es selten so ordentlich hinbekommen, als sie klein waren. Wenn die wüsste, wo das Spielzeug lagert. Ja, Omi ist immer für eine Überraschung gut. Ich koche uns Kaffee. Mein Mann ist nachdenklich. Und flüstert mir ins Ohr: „Aber das mit den Strapsen ist noch aktuell, oder?“ Ich nicke und beobachte die tänzerischen Bewegungen der Putzfrau zu der Musik von Van Morrisson.
Heute schon geduscht?
Mütter wollen sich auch mal waschen, genauer gesagt, sie wollen sich mal in Ruhe genussvoll den heißen Wasserstrahl aus dem ergonomisch geformten Duschkopf über ihren Körper prasseln lassen. Ich will mich ja nicht beschweren, aber... So fangen ja alle Sätze an, mit denen man das berüchtigte Gegenteil einleitet. Ich kenne den Satz aus meinen manchmal heiß wieder ersehnten Jugendtagen von den Oldies: Ich will mich ja nicht einmischen, aber... Also, was will ich eigentlich damit sagen? Ich will mich ja nicht beschweren, aber so als Mutter von drei Kindern komme ich so gut wie gar nicht mehr zum – Duschen. Die lieben Kleinen könnten ja währenddessen einen Streit vom berüchtigten Zaun brechen. Es fehlt einem die innere Ruhe und ein wenig die Gleichgültigkeit, um sagen zu können: „Okay, wenn ich jetzt dusche, könnte....“ Ja, also es könnte der achtjährige Junior just in dem Moment, in dem ich unter der Dusche stehe, seiner siebenjährigen Schwester auf den Kopf hauen. Sie würde dann aus lauter Frust der Jüngsten, gerade drei, an den Haaren ziehen. Und natürlich steht das Fenster offen, die besorgte Nachbarin klingelt. Das Geschrei überschlägt sich. Die Nachbarin denkt, die hat bestimmt ihre drei Kinder allein gelassen. Die Nachbarin, noch ohne liebenswerte Kinder, ruft dann - ganz klar - die Polizei. Und ich öffne dann der Polizei nur im rosa Badetuch bekleidet, und weißem Handtuch-Turban im Haar, genauer gesagt öffne ich Polizeiwachtmeister Willi die Tür, worüber er sich natürlich sehr freut. Ich bin am Wutentbrennen, weil ein Polizist hat sich nicht zu freuen, schon gar nicht über meine Notlage. Ich hebe die rechte Hand hoch, was dazu führt, dass meine spärliche Hülle fällt und prompt bekomme ich eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Vernachlässigung meiner Kinder, inklusive Ankündigung eines Besuches vom Jugendamt. Und das nur, weil ich mal duschen will. Also lasse ich es lieber. Sie können nun verstehen, dass ich nicht entspannt duschen kann, wenn ich mit den Kindern allein bin. Also muss ich immer auf die Wachablösung von meinem Mann warten. Erst dann kann ich duschen.
Also dusche ich nicht morgens, sondern nachmittags um 15 Uhr, dann, wenn mein Mann zurückkommt. Ich stehe schon bereit. Endlich klingelt es. Verschwitzt steht er vor der Tür. Küsschen. Ich trällere ein „Ich gehe dann mal duschen.“ Ich deute auf seinen bereits gefüllten Teller auf dem Esstisch. „Essen ist schon fertig.“ Die Kinder spielen extrem ruhig Lego. Verdächtig ruhig. Ich gehe entschlossen die knarzenden Holztreppenstufen nach oben. Durch die Schlitze zwischen den Stufen sehe ich, wie mein Mann stehen bleibt und irgendwas überlegt. Er sieht hungrig aus. Inzwischen bin ich pfeifend im Badezimmer angekommen. Oh nein, die Jüngste hat mal wieder mit Zahnpasta experimentiert. Eine Holzschublade aus dem Kaufladen wurde mit Zahnpasta eingecremt. Und der Spiegel wurde mit einem Zahnpastaherz verziert. Ich widerstehe meinem inneren Zwang sauberzumachen. Schnell wie der Wind entkleide ich mich. Ich habe ein Knarzen gehört. Ich rufe nach der Jüngsten. Keine Antwort. Auch gut. Wird schon gut gehen, die Wachablösung ist ja da. Gut gelaunt hüpfe ich unter die Dusche und balsamiere meinen gestressten Körper mit beruhigenden Lavendel-Duschgel. Das Wasser prasselt laut, als plötzlich der Vorhang beiseite geschoben wird. Ich will gerade den Mund zum Schimpfen formen, was meistens mit einem „W“ beginnt, dem „W“ folgt dann ein „Was soll das?“. Aber es ist mein Mann. Auch nackisch. Er hätte keinen Hunger. Er müsse jetzt auch duschen, weil er so verschwitzt sei. Nicht mal hier hat man seine Ruhe. Gerade als er den rechten Zeh auf den Duschfliesen aufsetzen will, kommt Geschrei von unten. Mit verdächtig ruhiger Stimme meint er:„Ach komm, das ist nur vorübergehend. Die sind gleich wieder ruhig.“ Vor meinem geistigen Auge zieht das ganze Schreckens-Szenario mit Polizist Willi vorbei. Das würde dem Ganzen noch die Krone aufsetzen. Mein Göttergatte würde wahrscheinlich nicht die Tür aufmachen, weil er nicht gestört werden will, und der Polizist bräche natürlich der Sicherheit halber die Tür auf. Wir würden unter der Dusche erwischt werden. Ich kann mich bei solchen Gedanken wirklich nicht entspannen.
Da klingelt das Telefon. Stimmt, letzte Woche hatte ich mein neues Manuskript diesem großen Verlag in Frankfurt angeboten. Ja, das könnte ein Lektor sein. Endlich. Schnell hüpfe ich aus der Dusche. Mein Mann seufzt.
„Aber was ist, wenn jetzt der Lektor dran ist?“ entgegne ich ihm. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Dieser Trieb dann ans Telefon zu müssen ist sehr viel größer. Ins Badetuch gekleidet renne ich die Stufen hinunter, zwei Stufen auf einmal. Oh, mein rechter Fuß ist noch nass. Ich rutsche aus und fange mich zum Glück auf der letzten Stufe wieder, falle jedoch nach vorne, mit der Nase nach unten. Meine Jüngste hält das schnurlose Telefon in der Hand, nur ein paar Zentimeter von meinem rechten Ohr entfernt. Sie weiß schon, dass sie auf die Taste mit dem grünen Hörer drücken muss. Das hat man davon, wenn man intelligente Kinder hat.
Am anderen Ende höre ich, wie jemand sagt: „Kannst du mir mal deine Mami geben?“ Madita guckt mich an. „Die liegt auf Boden. Nackisch Popo.“ Oh nein, wie peinlich.
Am anderen Ende höre ich eine amüsierte Stimme: „Kannst du mir trotzdem deine Mami geben?“
Ich kann jetzt unmöglich drangehen, nicht nach dem, was die Jüngste von sich gegeben hat. Zu spät, die Jüngste drückt mir den Hörer in die Hand. Mit einem zaghaftem „Ja?“ melde ich mich.
Es ist natürlich nicht der Lektor, sondern ein Typ von der Tageszeitung. Er muss sich sehr zusammenreißen, um nicht zu lachen. Er fragt: „Wie hat Ihnen das Probeabo gefallen?“ Ja, das ist schon das mindestens zehnte Mal, dass ich ein Probeabo von der Tageszeitung bekommen habe. Sie überreden mich jedes Mal. Die Zeitung ist ja ganz nützlich, als Unterlage für den Kaninchenstall, zum Ausstopfen nasser Schuhe, zum Auslegen der Biotonne, ganz zu Schweigen von diesem enormen Vorteil, sie als Unterlage beim Anstreichen der Wände zu benutzen. Das geht mir so durch den Kopf. Das ist aber nicht nett, wenn ich dies sagen würde. Der Typ fragt mich weiter, ob ich mir denn vorstellen könnte, ein Abo zu bestellen. Was sage ich dieses Mal? Das erste Mal habe ich gesagt, dass ich noch Studentin sei. Das zweite Mal meinte ich, dass bestimmte Themen fehlten. Das dritte Mal teilte ich mit, dass ich Kopfschmerzen hätte. Beim vierten Mal meinte ich, dass die Buchstaben zu klein wären. Beim fünften Mal sagte ich, dass sechs Spalten besser als sieben wären. Beim sechsten Mal ging die Jüngste ans Telefon und konnte so den Typen abwimmeln. Beim siebten Mal schob ich vor, dass mein Mann dagegen wäre. Und beim achten Mal sagte ich, dass wir nächste Woche für mindestens vier Wochen verreisen. Beim neunten Mal dachte ich mir aus, dass für meine Altersgruppe nichts dabei sei. Und heute war das zehnte Mal, was der Typ am anderen Ende sofort wusste. Also, führen sie doch eine Liste. Und er las mir alle bisherigen Absagegründe vor. Mist, was würde ich heute sagen? Ich stehe vorsichtig auf, in der rechten Hand das Telefon, mit der linken Hand halte ich das Tuch fest. Gut, dass der Typ mich nicht sieht.
„Also, Frau G. Was haben Sie heute für eine Ausrede für mich parat?“ Boh, der ist ganz schön unverschämt. Ich und Ausreden? Das sind doch Fast-Wahrheiten. Außerdem drängen sich die Zeitungstypen bei einem quasi auf, damit man wieder ein Probeabo abschließt.
Am anderen Ende höre ich: „Ich warte auf eine Antwort.“ Ein Knarzen auf der Treppe. Mein Mann. „Ich warte auch.“ Um seine Hüften, ein Handtuch lose gebunden. Also, was sage ich wem? Man sagt uns Frauen zwar nach, wir seien multitasking-fähig, aber diese Situation ist zuviel. Haben Sie schon mal zwei Leute verwechselt? Und so schnaube ich in den Hörer: „Du denkst auch immer nur an das Eine.“ Meine Kopfbeleuchtung geht sofort auf Alarmstufe Blühendes Rot. Ein amüsiertes Seufzen am anderen Ende. „Aber Frau G., ich wollte Sie schon immer mal fragen…“ Oh nein, was kommt jetzt? Ich halte den Hörer zu und zische meinem Mann zu. „Lass das Handtuch oben. Die Kinder gucken.“ Die beiden Ältesten sind jedoch ins Legospielen vertieft. Nur die Jüngste verfolgt interessiert das Geschehen. Ich halte den Hörer wieder ans Ohr. „Oh, wissen Sie, ich bin manchmal etwas zerstreut.“
Der Typ ist erfreut. „Ach ja? Wollen Sie vielleicht doch?“ Ich stöhne: „Nein, auf keinen Fall. Ich will nicht mit Ihnen irgendwo hingehen.“ Er lacht. „Aber nein, es geht doch ums Abo.“
Just in diesem Moment zupft mein Mann an meinem Handtuch. Schwupp, weg ist es. Die Jüngste schnappt es sich und rennt durch die Wohnung. Lautstark. „Mama, nackich, Mama, nackich.“ Der Typ von der Zeitung räuspert sich dezent. „Also, bei Ihnen ist aber ganz schön was los. Haben Sie wirklich nichts an?“ Ich schnaufe. „Das geht Sie gar nichts an.“ Das aktiviert natürlich auch die beiden Älteren. Passiert ja nicht alle Tage, dass Mama nackich durch die Wohnung düst, mit rotem Kopf, Hörer am Ohr und hinter der Jüngsten hinterher. Mein Mann meint ganz trocken. „Ich kann dir ja meins leihen.“
Der Typ von der Zeitung bestätigt das Ganze mit einem Johlen. „Wow, irre Party.” Dann seufzt er:“Verstehe, dass Sie kein Abo haben wollen. Ihr Leben ist einfach zu aufregend.“ Klick und weg ist er.
Und das ist der zehnte Grund, warum ich kein Abo haben will. Der Typ von der Zeitung kritzelt es enttäuscht in seine Liste. Was wird wohl sein Chef sagen, wenn er wieder keinen Abonnenten werben konnte? Armer Typ. Mein Göttergatte grinst, als er mir das Handtuch reicht.
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